Im flachen Wasser schwimmen lernen
Mehr als die Hälfte aller Existenzgründer in Deutschland gründen nebenbei. Und tun gut daran, denn Gründungen neben dem normalen Job sind sicherer und beständiger. Ein Ratgeber widmet sich speziell diesem Thema. Und zeigt, wie’s geht.
"Sicheinschleichen in die Selbständigkeit" hat es Sabine Asgodom genannt. Und sich nachdrücklich für ein vorsichtiges Vorantasten in die Selbständigkeit ausgesprochen. Karin Leppin und Konar Mutafoglu haben diesem Thema ein eigenes Buch gewidmet. Nebenbei selbständig erscheint mittlerweile in der sechsten (soeben aktualisierten) Auflage und wendet sich speziell an Gründungswillige, die neben dem normalen Job oder aus Arbeitslosigkeit oder Hausfrauendasein heraus den Schritt in die Selbständigkeit wagen wollen. Ein Schritt, zu dem die Autoren nicht zuletzt wegen der wirtschaftlichen Erfolgsaussichten raten. Denn Nebenerwerbsgründungen sind offensichtlich wirtschaftlich nachhaltiger, das sagt jedenfalls die Statistik: "Untersuchungen zeigen, dass Geschäfte, die nebenbei begonnen wurden und irgendwann zu einem sogenannten Vollerwerb ausgebaut werden, im Schnitt länger am Markt bestehen bleiben als Vollzeitgründungen."
Die Statistik zeigt auch, dass Teilzeitgründungen auf dem Vormarsch sind. Mehr als die Hälfte aller Existenzgründer in Deutschland kommen mittlerweile durch den Nebeneingang zur Gründung. Oder durch die Hintertür, wie die Autoren sagen. Egal, welche Tür man auch wählt, das Sicheinschleichen hat nach wie vor einen negativen Beigeschmack, vollkommen zu Unrecht, wie Leppin und Mutafoglu meinen. Sie kritisieren, dass nebenberufliche Gründer bei Banken, Beratungsstellen wie von der Politik weniger ernst genommen würden als Vollzeitgründer: "Wer im flachen Wasser schwimmen lernt, wird belächelt. Wer gleich einen Kopfsprung wagt, gefördert." So ist es bekanntlich schwerer, für geringe Anfangsinvestitionen Kredite oder Fördermittel zu bekommen, als für größere Investitionsvorhaben. Und wer klein anfängt, muss aufpassen, dass seine Tätigkeit vom Finanzamt nicht als Liebhaberei eingestuft wird, sprich als Hobby statt als Gelderwerb. Ein Wirtschaftsverständnis, das vor allem auf große Unternehmen schaut und baut, erzeugt so am anderen Ende der Skala strukturelle Ungerechtigkeiten. Zu Recht stellen Leppin und Mutafoglu deshalb diese Kritik in den Mittelpunkt ihrer Einleitung, ohne sie freilich zu vertiefen. Ihr Buch ist ein klassischer Ratgeber, der mit viel Engagement und guten Tipps Nebenbei-Gründer durch die schwierige erste Phase ihres Gründungsvorhabens lotsen will.
Denn einfach ist (auch) eine Gründung nebenher nicht, daran lassen die Autoren keinen Zweifel. Zwar sind die Risiken geringer als bei einer Vollerwerbsgründung, dafür birgt eine Gründung nebenher ihre besonderen Herausforderungen und Fallstricke. Denn nun gilt es, nicht nur Job, Familie und Gründung unter einen Hut zu bringen, sondern auch mit den ganz praktischen Konsequenzen dieser Konstellation zurechtzukommen: Zwei Arbeitsplätze nutzen, ohne sich zu verzetteln, das Büro daheim mit der privaten Nutzung der Wohnung in Einklang bringen, Behördengänge und Kundenkontakte mit den Präsenz-Ansprüchen des Arbeitgebers koordinieren und so fort. "So ganz nebenbei läuft eine Gründung leider nicht", warnen die Autoren. Denn nicht selten unterschätzen Gründer solche praktischen Schwierigkeiten und kommen langsamer voran als gedacht. Die Konsequenz: "Wer nebenbei gründet, gründet langsamer." Und braucht deshalb Geduld und einen langen Atem.
Detailliert, gut nachvollziehbar und mit vielen Beispielen versehen zeigen die beiden Diplom-Volkswirte, wie man eine Nebenbei-Gründung auf Erfolgskurs bringt und die seichten Stellen umschwimmt, ohne auf Grund zu laufen. Die meisten Informationen sind dabei auf die spezifische Situation einer Nebenerwerbsgründung zugeschnitten - etwa die Vereinbarkeit des Vorhabens mit Job, Arbeitslosenstatus oder Studium, nötige Vereinbarungen mit Arbeitgeber oder Arbeitsamt, die steuerliche Veranlagung der Nebeneinkünfte oder auch leidige behördliche Fallstricke wie "Scheinselbständigkeit" oder "Liebhaberei" - und werden gezielt durch allgemeines Gründerwissen ergänzt. Insgesamt ist das Buch eine empfehlenswerte Einführung für Gründungswillige, die auch Mut macht, seine Ideen anzupacken, statt vor Schwierigkeiten klein beizugeben. "Die Zeiten für eine Gründung sind nie perfekt, man sollte es einfach tun, wenn man eine Idee hat und Lust darauf, sie umzusetzen." Und das, da muss man den Autoren voll beipflichten, fällt leichter, wenn man nicht gleich den Kopfsprung ins unbekannte Gewässer wagen muss.
changeX 18.11.2010. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zum Buch
Karin Leppin, Konar Mutafoglu: Nebenbei selbständig. Der Ratgeber für Selbständige in Teilzeit. Humboldt Verlag, Hannover 2010, 192 Seiten, ISBN 978-3-86910-759-2
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Autor
Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Chefredakteur und Geschäftsführer von changeX.