Ein Ort für das Wir-Gefühl

Living at Work-Serie | Folge 32 | - Will Rumi über die Identität von Wohn- und Arbeitsorten.

Bedeutet die Globalisierung, dass wir nun alle Weltbürger werden? Dass die Regionen ihre Kultur einbüßen? Nicht, wenn wir dagegensteuern. Wenn wir die Stadtviertel stärken und Wohnen und Arbeiten wieder im gleichen Bezirk stattfinden kann.

Im letzten Jahrzehnt wurden in unseren Zentren riesige Bürokomplexe aus dem Boden gestampft mit Flächen von 35.000 Quadratmetern und mehr, die jetzt leer stehen und wie sauer Bier angeboten werden. Brauchen wir diese Bauruinen überhaupt noch, vor allem, wenn gleichzeitig eine Vielzahl von Arbeiten im Zuge der Globalisierung ausgelagert wird und große Unternehmen in konjunkturschwachen Zeiten Arbeitsplätze im großen Stil abbauen?
Wir stehen jetzt an einem Scheideweg. Orientieren wir uns also bei der Gestaltung von Gebäuden, Arbeitsplätzen und deren Umfeld wieder mehr an den natürlichen Ursprüngen des Menschen, dann haben wir das Rüstzeug für die Zukunft. Denn der Mensch bleibt trotz aller Technik immer noch Jäger und Sammler. Diese Grundeigenschaften müssen wieder stärker in den Vordergrund unserer Arbeitswelt gestellt werden. Sie sollten sich in allen Bereichen unserer Arbeitswelt wiederfinden, von der Besetzung des Arbeitsplatzes und der Gestaltung der Strukturen innerhalb eines Gebäudes bis hin zur individuellen Arbeitsplatzgestaltung. Die veränderten Rahmenbedingungen wären für viele eine Befreiung und eine Motivation gleichzeitig.
Diese Erkenntnis blieb einigen Fachleuten bisher verschlossen, wie ein Zitat von Hermann Kahn am Anfang einer Arbeitsplatzstudie zeigt: "Aus der Vergangenheit kann jeder lernen. Heute kommt es darauf an, aus der Zukunft zu lernen." Zutreffender müsste es heißen: "Aus der Vergangenheit sollte jeder lernen können, um für die Zukunft gerüstet zu sein. Denn Zukunft ist nicht planbar, sie kommt immer anders, als man denkt." Den Beweis hierzu lieferte uns die IT-Branche zum Ende des letzten Jahrtausends. Eben noch Boom, dann auf einmal der freie Fall.

Wohnen und Arbeiten im gleichen Bezirk.


Um zu einem besseren Miteinander zu kommen, müssten wir in vielen Bereichen und auf vielen Ebenen unserer Wohn- und Arbeitswelt ansetzen. Von den Bebauungsplänen (weniger reine Wohn- oder Arbeitsgebiete, mehr Mischgebiete) bis hin zur Arbeitsplatzgestaltung. Ziel ist die Schaffung von neuen Freiräumen, die Wohnen und Arbeiten aufnehmen können, also den kleineren Gewerbebetrieb ebenso wie die Reihenhaussiedlung. Die noch verbliebenen intakten Stadtteile sollte man wieder reaktivieren und stärken. Wird in diesem Bereich langfristig nichts getan, verlieren unsere Wohngebiete ihre Infrastruktur - sei es im ländlichen Raum oder in den Außenbezirken der Ballungszentren. Sie werden weiterhin zu reinen "Schlafstätten" degradiert. Zwischen Wohnen und Arbeiten wird dann unsere Stau-Kultur gepflegt. Erstaunlich ist: Allen Bemühungen unserer Stadt- und Verkehrsplaner zum Trotz finden die notwendigen Änderungen in weiten Bereichen unserer Gesellschaft keine Akzeptanz. Der absolute Wille zu immer mehr Individualität und der Darwinismus als einziges Denkmodell für unser Zusammenleben hindern uns, andere Strategien zu entwickeln.
Wir sollten anstreben, dass Menschen in den gleichen Bezirken wohnen und arbeiten können. Dies setzt voraus, dass der Schreiner oder der Schlosser dort ebenso eine Arbeitsmöglichkeit findet wie der Vertriebsmitarbeiter oder Programmierer eines großen Unternehmens. Bei dem einen klappert nur die Tastatur des Rechners, bei dem anderen scheppert es in der Werkstatt - das ist Lärmemission, die keiner haben will. Doch regen wir uns über die Anfahrtskosten von Handwerkern auf? Nein, wir denken global.

Globale Regionen.


Immer wieder hören wir in den Reden von Politik und Wirtschaft die Stichworte Globalität, Globalisierung, global. Gibt es bald nur noch Weltbürger? Müssen alle Völker ihre Individualität aufgeben? Verlieren die einzelnen Regionen ihre Identität? Wie stark sind unsere regionalen Besonderheiten im täglichen Umgang miteinander? Ist das kulturelle Erbe einzelner Regionen nicht auch ein Wirtschaftsfaktor? Diese oder ähnliche Fragen werden sich Designer und Manager stellen müssen, sie entscheiden auch über unsere wirtschaftliche Zukunft. Denn das " Made in nirgendwo" ist kein Qualitätsmerkmal.
Da Globalisierung bekanntermaßen die Individualisierung forciert und nicht die Gemeinschaft, müssen wir uns jetzt entscheiden. Bevor wir überhaupt international denken, müssen vorrangig die jeweiligen Regionen gestärkt werden, wirtschaftlich und politisch. So können Chancen und Lasten in der Gemeinschaft genutzt und aufgefangen werden. Wird ausschließlich das Individuum von diesem Wandel profitieren, würden die kulturellen Errungenschaften und die wirtschaftlichen Stärken ganzer Regionen der Globalisierung geopfert werden. Von den Staaten gar nicht zu reden.
Noch ist von einer konstruktiven, neuen Arbeitswelt nichts zu spüren. Die Art, wie heute Produktionsstätten verlagert oder geschlossen werden, erinnert an das Raubrittertum einer längst vergangenen Zeit. Mit den Waffen des Wissens und der Macht muss die globalisierte Wirtschaft erst umgehen lernen. In der Zielsetzung von Unternehmen darf es nicht nur um operativen Gewinn und die Maximierung von Marktmacht gehen. Erst wenn die Führungskräfte von morgen Verantwortung für Unternehmen und Menschen vorleben, können wir über neue Arbeitswelten reden.

Das "Wir-Gefühl" als Chance.


Die Chance, grundsätzlich andere Wege zu gehen, liegt in jedem Einzelnen von uns. Wir alle sind gefordert, in vielen Bereichen unserer Arbeitswelt bestehende Vorgaben und unsere Ansprüche für das Zusammenleben neu zu definieren. Wir können die neue Arbeitswelt bis hin in die kleinsten Einheiten den jeweiligen Erfordernissen entsprechend gestalten, denn wir haben die Erfahrungswerte der bisherigen industriellen Umbrüche. Wir dürfen alles technisch Machbare hinterfragen und auf das Notwendige reduzieren, um es dann konsequent umzusetzen.
Optimismus ist erlaubt: Dass Leistungsbereitschaft, Motivation und die Neugier Einzelner, etwas Neues zu probieren, nicht zwangsläufig mit dem Streben nach immer größeren Statussymbolen einhergehen müssen, ist anhand von vielen positiven Beispielen nachweisbar. Für Wissenschaftler wie Albert Einstein waren Statussymbole das Letzte, worüber er nachdenken wollte. Eine Hamburger Agenturinhaberin brachte in einem Interview über Konsum ihre persönliche Einstellung auf den Punkt: "Ich fahre seit 15 Jahren in denselben Klamotten Ski. Darin komme ich auch runter." In ihrem persönlichen Umfeld lebt sie nach dem Grundsatz less is more.
Der Erfolg eines Unternehmens im fairen Wettstreit innerhalb einer Branche wirkt sich positiv auf alle Beteiligten aus. Doch den größten Stellenwert hat immer noch das Wir-Gefühl. Es beginnt mit der Unternehmensphilosophie und klaren Strukturen innerhalb eines Unternehmens. Die technische Ausstattung und individuelle Gestaltung des Arbeitsplatzes, die Gestaltung mit Farben und Licht bilden den notwendigen baulichen Rahmen. Einen sichtbaren, fühlbaren Rahmen, der die Zusammengehörigkeit stärkt.

Übersicht aller bereits erschienenen Beiträge der "Living at Work-Serie".

English version: PDF-File.

Will Rumi, Lichtdesigner und freier Journalist, ist Autor von Berichten und Aufsätzen in verschiedenen Fachzeitschriften.

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Vom 19. bis 23. Oktober 2004

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