Kann das weg?

Sechs Wege, Freiräume für Innovation zu schaffen
Von Manuela Grundner und Gregor Karlinger

Freiräume durch Weglassen, Freiräume für Innovation schaffen. Das ist das Thema der Grazer (Un)Conference Freiräume 2024. In einem Impulsbeitrag beschreiben die beiden Triebfedern hinter der Veranstaltung sechs Ebenen in Unternehmen, in denen durch Weglassen Freiräume für Innovation geschaffen werden können. Und sie geben Handlungsempfehlungen für ein beherztes "Das kann weg!"

Freiraeume-Outdoor_Christine-RechlingCastro_o_620.jpg

Keine Zeit, kein Geld, kein Personal: Wenn es um Innovation geht, sind Unternehmen oft überfordert. Die Dominanz des Tagesgeschäfts, komplizierte Prozesse und allfälliges Krisenmanagement fressen alle Ressourcen. McKinsey zufolge sind zwei Drittel aller Unternehmen weltweit zu komplex und zu ineffizient - und das hemmt ihre Produktivität und Innovationsfähigkeit. In der sich rapide wandelnden Wirtschaftswelt von heute ist Innovation allerdings nicht nur wünschenswert, sondern entscheidend für den Unternehmenserfolg. Doch wo findet sie überhaupt Platz und Entwicklungsmöglichkeiten? 

"In der operativen Arbeit bleibt wenig Platz für Neues, wenn wir nicht bewusst Dinge aus dem Weg räumen. Ohne Freiraum gibt es keine Innovation", sagt Manuela Grundner, Mitinitiatorin der (Un)Conference Freiräume, die seit 2015 in Graz stattfindet und sich mit New Work und Selbstorganisation in Unternehmen und in der Bildung auseinandersetzt. Und Mitinitiator Gregor Karlinger betont: "Digitale Technologien haben nicht die erhoffte Arbeitsentlastung gebracht, sondern zu einer weiteren Arbeitsverdichtung geführt." Das bedeutet: Viele Unternehmen sind so stark vom Tagesgeschäft gefordert und mit der eigenen Ineffizienz beschäftigt, dass sie kaum noch Raum und Ressourcen für Innovationen und für die strategische Weiterentwicklung des Unternehmens haben. 

Für die Freiräume (Un)Conference ist das Anlass, Strukturen, Prozesse und Routinen zu hinterfragen: Was soll im Unternehmen bleiben? Was darf weg? Wo ist Raum für Neues? Weglassen aber erfordert Mut, vor allem in großen Organisationen, wo viele Entscheidungsträger beteiligt sind. "Es geht darum, klug zu priorisieren und zu fragen: Wo wollen wir hin? Was bringt uns voran, und was nicht mehr? Was steht uns im Weg?", sagt Manuela Grundner. Nach dieser Prüfung kann entschieden werden, was gestrichen wird und was bleibt. 

Die beiden Expert*innen beschreiben sechs Ebenen in Unternehmen, in denen durch Weglassen Freiräume für Innovation geschaffen werden können: Projekte, Regeln, digitale Tools und Prozesse, Arbeitsabläufe und Tätigkeiten, Planung und Kontrolle sowie schließlich Meetings. Ihre Ergebnisse hier in einer Zusammenfassung von changeX: 


Freiräume durch Weglassen


1. Projekte: Gerade in der Wissensarbeit besteht Handlungsbedarf. Oft versuchen Organisationen, viel zu viel gleichzeitig zu machen. Doch das führt zu einem Wildwuchs an Projekten. Oft ist es besser, sich auf einige wenige Projekte zu konzentrieren, die wirklich einen Mehrwert bringen, die der DNA des Unternehmens entsprechen und die Ziele der Organisation unterstützen. Wichtig bei der Entrümpelung von Projekten ist es, einen klaren Überblick über laufende und geplante Projekte zu schaffen, ihren Ressourcenbedarf und ihre strategische Ausrichtung zu hinterfragen und mutig zu sein, Projekte sterben zu lassen, die nicht mehr zum angestrebten Ziel beitragen. 

Was zu tun ist: Konzentriere dich auf wenige, strategisch wichtige Projekte, die zur DNA deines Unternehmens passen und dessen langfristige Ziele unterstützen.
 

2. Regeln: In vielen Unternehmen existieren historisch gewachsene Regeln, die zu einem Übermaß an Administration und damit zu Zeitverschwendung führen, ohne die Ziele der Organisation zu unterstützen. Regeln wurden oftmals in Reaktion auf Einzelfälle geschaffen. Für die Mehrzahl der Fälle sind sie aber gar nicht nötig und kosten nur Energie und Zeit. Beispiel Reisekostenabrechnung: Viele Unternehmen haben seitenlange Kompendien entwickelt, in denen alle Details geregelt sind. Besser als kleinteilige Regeln sind aber Prinzipien, die zu rascheren Ergebnissen führen und die Mitarbeitenden in die Selbstverantwortung bringen. Bei der Reisekostenabrechnung könnte das Prinzip lauten: "Gib nur Summen für Hotel und Aufenthalt aus, die du auch privat ausgeben würdest!" So lassen sich die Ausgaben im Zaum halten - und administrative Anträge mit aufwendigen Abstimmungen werden obsolet. Denn oft werden Gesetze und externe Regularien aus Unsicherheit sehr eng ausgelegt und führen zu Regeln, die Innovation in Unternehmen blockieren. 

Was zu tun ist: Überdenke historisch gewachsene, oft unnötige Regeln, die mehr Verwaltungsaufwand als Nutzen bringen. Prüfe, ob Regeln der Effizienz dienen oder nur eine Reaktion auf Einzelfälle sind. Setze auf Prinzipien, die die Selbstverantwortung der Mitarbeitenden stärken.
 

3. Digitale Tools und Prozesse: Kein Unternehmen kommt an der Digitalisierung vorbei - allerdings entstehen hier auch unnötige Zeit- und Energiefresser. Denn oft werden einfach auch ineffiziente Prozesse digitalisiert - anstatt kritisch zu hinterfragen, ob sie überhaupt sinnvoll sind. Ein digitalisierter schlechter Prozess aber bleibt ein schlechter Prozess. Hinzu kommen mühsam am Laufen gehaltene Software auf Basis veralteter Systeme, und nicht selten entsteht ein Chaos durch zu viele digitale Tools. Die Digitalisierung sollte hingegen genutzt werden, um ineffiziente Prozesse zu identifizieren und zu entrümpeln. Sie soll Freiräume für Neues schaffen, nicht noch mehr Aufwand erzeugen. Um ineffiziente Behelfslösungen zu vermeiden, ist es unerlässlich, frühzeitig und regelmäßig mit dem IT-Team zu kommunizieren und den Änderungsbedarf eng mit den betroffenen Mitarbeitenden abzustimmen. 

Was zu tun ist: Digitalisiere keinesfalls ineffiziente Prozesse! Nutze stattdessen die Automatisierung, um ineffiziente Abläufe zu identifizieren und zu eliminieren. Schaffe dadurch Freiräume für kreatives und innovatives Arbeiten.
 

4. Arbeitsabläufe und Tätigkeiten: Auch historisch gewachsene Routinen bei Arbeitsabläufen und Aufgaben sind häufig Quellen von Ineffizienz. Routinen müssen regelmäßig hinterfragt werden, um sicherzustellen, dass sie noch sinnvoll und effizient sind und nicht nur aus Gewohnheit durchgeführt werden. Wichtig ist, Arbeitsabläufe und Aufgaben ganz bewusst entsprechend den Potenzialen, Kompetenzen und Interessen der Mitarbeitenden zu verteilen. Doch vielfach bearbeiten Mitarbeitende die Aufgaben in einer bestimmten Position und Abteilung, weil es immer schon so gemacht wurde. Hier geht viel Motivation verloren. 

Was zu tun ist: Hinterfrage regelmäßig bestehende Routinen und passe Aufgaben den Fähigkeiten und Interessen deiner Mitarbeitenden an. Erkenne die Potenziale, die in flexibleren und dynamischeren Arbeitsweisen liegen.
 

5. Planung und Kontrolle: Es ist sinnlos, sich komplett durchplanen und durchtakten zu wollen. Denn so entsteht nur Scheuklappendenken. Und günstige Gelegenheiten und glückliche Zufälle für die Weiterentwicklung des Unternehmens werden übersehen. Zu viel Planung und die Kontrolle und Gängelung der Mitarbeitenden durch Mikromanagement und Arbeitszeitaufzeichnungen lassen die Organisation behäbig und starr werden. Die Frage ist: Was ist tatsächlich an Planung und Kontrolle notwendig und wo können Führungskräfte mehr ins Vertrauen gehen? Sich auf die Arbeitsergebnisse zu fokussieren, statt auf Mikromanagement, ist die Leitlinie. Ein pragmatischer Ansatz besteht darin, in einem Pilotprojekt oder einem Team auszuprobieren, mit weniger Planung und Kontrolle zu arbeiten. So können Freiräume für Reflexion und Feedback geschaffen und neue Arbeitsweisen erprobt werden. 

Was zu tun ist: Reduziere ineffiziente Planung und Mikromanagement. Achte auf die Ergebnisse statt auf die Kontrolle der Prozesse. Experimentiere mit weniger Planung und Kontrolle, um neue Arbeitsweisen zu erproben und Freiräume für Reflexion und Feedback zu schaffen.
 

6. Meetings: Nur die Hälfte aller Meetings wird als gut genutzte Arbeitszeit gesehen. 35 Prozent der Meetings werden sogar als unnötig eingestuft. CEOs verbringen 72 Prozent ihrer Arbeitszeit in Meetings. Das ist offensichtliche Zeitverschwendung. Ausufernden Meetings gilt es Einhalt zu gebieten. Es braucht eine klare Meetingkultur, sonst werden Meetings zu Zeitfressern ohne wirklichen Mehrwert. Helfen kann das Prinzip der offenen Kommunikation. Es besagt, dass die Teilnehmenden einander darauf hinweisen dürfen und sollen, sich an die Agenda zu halten. Ein klares Ziel für jedes Meeting, eine konkrete Agenda und die Stärkung der Selbstverantwortung der Teilnehmenden können den Fokus auf Ergebnisse lenken und die Effizienz erhöhen. Auch hier könnten Prinzipien helfen. Zum Beispiel, dass die Mitarbeitenden selbst entscheiden, an welchen Meetings sie teilnehmen - und zwar dann und nur dann, wenn sie etwas Wichtiges dazu beitragen können. 

Was zu tun ist: Etabliere eine klare Meetingkultur. Prüfe, ob ein Meeting wirklich notwendig ist. Halte dich an feste Agenden und fördere die Selbstverantwortung der Teilnehmenden, um die Wirksamkeit des Meetings zu erhöhen.
 

p_Manuela-Grundner_Gregor-Karlinger_140.jpg

Autorin und Autor: Manuela Grundner ist Mitinitiatorin der Beratungsagentur murbit. Gregor Karlinger ist Organisationsbegleiter bei Transferio - die Begeistermeister. Gemeinsam haben sie die (Un)Conference Freiräume ins Leben gerufen, um Unternehmen auf ihrem Weg zu New Work und Selbstorganisation zu unterstützen. Die Veranstaltung findet seit 2015 in Graz statt und setzt sich mit New Work und Selbstorganisation in Unternehmen und in der Bildung auseinander. Die (Un)Conference Freiräume findet am 10. und 11. Juni 2024 zum 9. Mal statt und rückt das Thema "Weglassen" in den Fokus. Inspirierender Veranstaltungsort ist zum 8. Mal die Grazer Seifenfabrik. 

Freiraeume-Outdoor_Christine-RechlingCastro_620.jpg


Zitate


"In der operativen Arbeit bleibt wenig Platz für Neues, wenn wir nicht bewusst Dinge aus dem Weg räumen. Ohne Freiraum gibt es keine Innovation." Manuela Grundner: Kann das weg?

"Digitale Technologien haben nicht die erhoffte Arbeitsentlastung gebracht, sondern zu einer weiteren Arbeitsverdichtung geführt." Gregor Karlinger: Kann das weg?

"Es geht darum, klug zu priorisieren und zu fragen: Wo wollen wir hin? Was bringt uns voran, und was nicht mehr? Was steht uns im Weg?" Manuela Grundner: Kann das weg?

"Ein digitalisierter schlechter Prozess bleibt ein schlechter Prozess." Gregor Karlinger: Kann das weg?

 

changeX 04.05.2024. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

Artikeltools

PDF öffnen

freiräume

Freiräume (Un)Konferenz

Weitere Artikel dieses Partners

Wann Arbeit wertvoll ist

Impulse aus der Freiräume-Community zum Wert von Arbeit zum Impulsbeitrag

Arbeit, Wert und Sinn

Impulse aus der Freiräume-Community zum Wert von Arbeit zu den Impulsbeiträgen

Der ideelle Wert von Arbeit

Nadine Nobile: Wie Du den Wert Deiner Arbeit stärken kannst zum Impulsbeitrag

Ausgewählte Links zum Thema

Quellenangaben

nach oben