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Wachstum light

Deutschland ist Wegbereiter einer intelligenten und effizienten Technik - ein Interview mit Willi Fuchs
Text: Winfried Kretschmer

Entkopplung. Das Zauberwort, das Wachstum mit seinen Grenzen versöhnt. Die systemkompatible Antwort auf Klimawandel und Ressourcenverknappung. Ein Wachstum ohne Steigerung des Ressourcenverbrauchs. Und ohne Änderung des Lebensstils. Machbar? Der Direktor des VDI sagt Ja. Und sieht Deutschland in einer exzellenten Startposition auf dem Weg zu einer effizienteren Technik.

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"Wachsen ohne Wachstum", das meint ein qualitatives Wachstum, das durch die kluge Nutzung von Technik möglich wird. Willi Fuchs sieht darin die Antwort auf das Wachstumsdilemma westlicher Industriestaaten. Und fordert eine entschiedene Investition in Bildung. Teil 1 des Interviews beschäftigt sich mit der Wachstumsfrage, Teil 2 mit dem Bildungsthema (erscheint in der kommenden Woche). 

Willi Fuchs ist nach Lehrtätigkeit in den USA und verschiedenen Führungspositionen in der Industrie Direktor des VDI Verein Deutscher Ingenieure und Herausgeber der VDI Nachrichten.
 

Wachsen ohne Wachstum. Herr Fuchs, den Widerspruch müssen Sie zunächst mal auflösen ... 

Als führende Industrienation müssen wir kontinuierlich in unserer Wirtschaftskraft wachsen. Anders können wir die Arbeitsplätze in unserem Land nicht erhalten und unseren Wohlstand nicht langfristig sichern. Gleichzeitig sind wir aber ein rohstoffarmes Land und müssen uns daher genau überlegen, wie wir die uns zur Verfügung stehenden Ressourcen optimal einsetzen, etwa für die Energieerzeugung oder in der Produktion. Wir müssen also unsere Produkte und Prozesse kontinuierlich verbessern, ohne mehr Ressourcen zu verbrauchen. Damit wird sich unser eigenes Wachstum zukünftig drastisch von dem Ressourcenverbrauch entkoppeln. Deshalb dieser provozierende Titel "Wachsen ohne Wachstum".
 

Einen Verzicht auf Wachstum, wie ihn Wachstumskritiker fordern, lehnen Sie sehr dezidiert ab? 

Ja. Weil es gegen die Entwicklungslogik dieser Welt ist. Wir können uns nur durch eine Steigerung der Leistung weiterentwickeln, weil gleichzeitig auch die Bedürfnisse der Menschen wachsen. Man sieht es ganz deutlich an China: China ist vom Entwicklungsland zum Schwellenland geworden und entwickelt sich heute zum Industrieland - und dabei haben sich seit 1995 die Gehälter verdreifacht. Wenn die Wirtschaft wächst, wachsen also auch die Bedürfnisse der Menschen.
Ungeachtet dessen wissen wir aber auch, dass unsere Technik über die Zeit hinweg immer weniger Ressourcen verbraucht. Als ich meinen Führerschein gemacht habe, fuhr ich einen VW Käfer, der hatte 34 PS und brauchte etwa 20 Liter Benzin. Heute brauchen Autos mit 300 PS gerade mal zehn Liter. Gemessen an der Leistung des VW-Motors wäre mit dem heutigen technologischen Standard das Drei-Liter-Auto schon lange Realität - aber das ist nicht eingetreten, weil die Ansprüche der Menschen steigen. Und deshalb sind wir verpflichtet, kontinuierlich weiter zu wachsen, um diesen Ansprüchen auch Genüge zu tun. Das ist gesellschaftliche Realität.
 

Angenommen die Entkopplung funktioniert. Reicht sie auch aus, um den Ressourcenverbrauch in den Griff zu bekommen? 

Da es hierzu aus meiner Sicht keine Alternative gibt, wird sie uns helfen, die uns zur Verfügung stehenden Ressourcen optimal einzusetzen. Sie wird auf jeden Fall dazu beitragen, die Entwicklungen neuer Produkte von Beginn an unter dem Aspekt der Ressourceneffizienz zu betrachten. Dies führt zu neuen und anderen Lösungen.
 

Zugleich aber verändern sich dadurch die Form und unser Begriff von Wachstum? 

Selbstverständlich. Vor der Industrialisierung waren wir ein Agrarland. Die Industrialisierung hat dann die Agrarwirtschaft immer stärker zurückgedrängt. Heute ist ein landwirtschaftlicher Betrieb ein industriell geführtes Unternehmen, nicht zu vergleichen mit dem Bauernhof, den wir von früher her kennen. Man erkennt daran, dass sich auch unser Leben verändert, und dem müssen wir uns kontinuierlich anpassen.
 

Die Wachstumskritiker liegen also falsch? 

Ja. Die Wachstumskritiker sind eher Wachstumsskeptiker, weil sie nicht glauben, dass diese Entwicklung in diesem Maße eintreten wird. Aber es muss doch klar sein: Wenn wir die Sozialsysteme, die wir in unserem Land haben und auf die auch die Wachstumsgegner nicht verzichten möchten, weiter finanzieren wollen, müssen wir im globalen Wettbewerb bestehen: indem wir konkurrenzfähig sind und in unserer Wirtschaftskraft wachsen. Anders ist das nicht möglich.
 

Ihre Generalthese ist optimistisch. Sie sagen, dass Wachsen ohne Wachstum Deutschlands Chance ist.  

Genau das ist der Punkt: Wir haben einen extremen Vorteil gegenüber vielen anderen Ländern dieser Erde: Wir sind eine Nation, die von der Technik geprägt ist und durch sie groß geworden ist. Und wir haben früh gelernt, in Systemen zu denken, also nicht nur ein Produkt als solches zu verbessern, sondern immer das Gesamtsystem im Blick zu haben. Wenn wir heute über Ressourcenschonung sprechen - zum Beispiel beim Auto -, dann heißt das für uns nicht nur, dass das Auto leichter, der Kraftstoffverbrauch reduziert oder sogar ein Elektromotor eingesetzt werden muss. Sondern wir fragen auch: Wie können wir die Produktion effizienter gestalten? Wie können wir die Automatisierungstechnik dazu einsetzen, um Produkte, die selbst schon effizient sind, auch effizient herzustellen? In diesem Blick auf das Gesamtsystem liegt unsere Stärke - und das ist unsere Chance! Die können wir aber nur nutzen - und das ist der Wermutstropfen -, wenn wir eine vernünftige Bildungsstrategie haben und zusehen, dass wir unsere Menschen so qualifizieren, dass sie diesen Anforderungen gerecht werden können.
 

Da kommen wir gleich noch drauf: Bildung. Bleiben wir zunächst bei Ihrer Generalthese. Sie plädieren für Nachhaltigkeit als Leitbild der Technikentwicklung. So etwas hat man bislang doch eher vonseiten der Wachstumskritiker gehört. 

Ja, das ist richtig. Richtig ist aber auch: Wir haben Nachhaltigkeit schon sehr früh in Richtlinien festgemacht. Wir haben schon sehr früh mit ressourcenschonendem und recyclinggerechtem Konstruieren begonnen. Das ist die Denkweise der Ingenieure - und hier unterscheiden wir uns gar nicht von Wachstums- oder Technikkritikern. Wir sagen, wir dürfen nicht alles das machen, was möglich ist. Sondern wir müssen das machen, was nötig ist und was von der Gesellschaft akzeptiert wird. Da sind in der Vergangenheit bei der einen oder anderen Technologie Fehler gemacht worden.
 

Wo sehen Sie ganz konkret die Handlungschancen für Deutschland im Rahmen einer solchen nachhaltigen Technikstrategie? 

Wir sind in neuen technologischen Anwendungen wie optische Technologien und Nanotechnologie mit führend und können diese in ganz neue Produktentwicklungen einbringen. Auf der anderen Seite haben wir in Deutschland traditionell nur begrenzt Rohstoffe zur Verfügung. Deshalb sind wir in Energieversorgungstechnologien, ob das jetzt Windenergie, Solartechnologie oder auch Wasserstofftechnologie ist, schon lange mit führend. Diese Technologien weiter voranzutreiben, da sehe ich eine wirklich große Zukunft. Denn diese Technologien sind kompatibel zur bestehenden industriellen Infrastruktur in Deutschland. Ein Windrad ist ein Produkt des klassischen Maschinenbaus; das heißt, diese Zukunftsprodukte können sehr leicht adaptiert werden, während andere Länder diese Infrastruktur erst aufbauen müssen. Hier sehe ich unseren großen Vorteil und bin deshalb auch sehr optimistisch.
 

Wie müsste eine solche Strategie aussehen? 

Regenerative Energien bieten gute Chancen, einen Großteil unseres Energiebedarfs zu decken. Dafür brauchen wir aber eine ganz andere Infrastruktur in Deutschland. Wir brauchen intelligente Netze, sogenannte Smart Grids. Erforderlich ist also ein Ausbau der Infrastruktur - und das muss dezidiert kommuniziert werden. Wir müssen offen mit der Bevölkerung darüber diskutieren. Viele werden das verstehen. Und dann, glaube ich, werden die Bürger auch mitziehen.
 

Das heißt: Wer eine regenerative Energieversorgung will, muss einen Ausbau der Infrastruktur - Hochspannungsleitungen et cetera - akzeptieren? 

Ja! Es geht nicht anders. Man kann das eine nicht ohne das andere machen. Und das muss man auch ehrlich kommunizieren und mit den Menschen diskutieren!
 

Teil 2 des Interviews beschäftigt sich mit dem Thema Bildung. Er erscheint in der kommenden Woche. 


changeX 13.05.2011. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Zum Buch

: Wachsen ohne Wachstum. Weniger Ressourcen - bessere Technik - mehr Wohlstand. Carl Hanser Verlag, München 2011, 192 Seiten, 19.90 EUR, ISBN 978-3-446-42521-7

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Autor

Winfried Kretschmer
Kretschmer

Winfried Kretschmer ist Chefredakteur und Geschäftsführer von changeX.

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