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Erfinden, ausprobieren, umsetzen

"Digitale Transformation hat immer mit Geschäftsmodellveränderung zu tun" - ein Gespräch mit Carsten Hentrich und Michael Pachmajer
Interview: Winfried Kretschmer

Digitale Transformation hat eine massive Auswirkung darauf, wie Unternehmen Wertschöpfung generieren und wie sie Innovation gestalten. Digitale Transformation heißt Abschiednehmen vom Konzept eines statischen Geschäftsmodells, das über längere Zeit nur optimiert wird. Und von einem Innovationsverständnis, das sich in kontinuierlicher Verbesserung erschöpft. Solche linearen Modelle greifen nicht mehr. Gefragt ist ein exploratives, iteratives Vorgehen: Ideen entwickeln und anfangen, diese umzusetzen. Zwei Berater sagen, worauf es ankommt.

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Carsten Hentrich und Michael Pachmajer begleiten Unternehmen auf dem Weg ins digitale Zeitalter. Ihr Ansatz der Unternehmenstransformation verbindet Technologie mit digitalen Geschäftsmodellen sowie die strukturelle mit der kulturellen Perspektive.
 

Herr Hentrich, Herr Pachmajer, sagen Sie uns: Was muss man wissen, um die digitale Transformation zu verstehen? 

Carsten Hentrich: Digitale Transformation hat immer mit Geschäftsmodellveränderung zu tun. Sie hat eine massive Auswirkung darauf, wie Unternehmen Wertschöpfung generieren und wie sie Innovation gestalten. Kurz gesagt: Wie man Innovation macht, verändert sich, und wie man Geld verdient, verändert sich. Das aber ist eine Situation, vor der viele Unternehmer noch nie standen, weil sie ihr Geschäftsmodell noch nie grundsätzlich hinterfragen mussten. Das ist der Punkt, wo das Wissen aufhört und die Unsicherheit anfängt. 

Michael Pachmajer: Digitale Transformation hat immer zwei Seiten. Da ist einmal die strukturverändernde Perspektive: Prozesse werden automatisiert und neue Technologien eingeführt. Auf der anderen Seite haben wir die kulturverändernde Perspektive: Welche Kompetenzen brauchen meine Mitarbeiter? Welche neuen Rollen müssen wir einführen? Wie wird Zusammenarbeit und Wissensaustausch organisiert?
 

Sie haben gesagt, die Art zu innovieren verändert sich. Um die Frage zu variieren: Was muss man wissen, um digitale Innovation zu verstehen? 

Carsten Hentrich: Entscheidend ist: Innovation im digitalen Umfeld stellt immer den Menschen, den Nutzer in den Mittelpunkt, nicht das Produkt. Innovationen erreicht man heute nicht über klassische Engineering-Verfahren, sondern indem man Produktideen entwickelt, diese über prototypisierte Verfahren mit dem Kunden austestet und sie gegebenenfalls auch schnell wieder verwirft. Diese neue Form von Innovation folgt also sehr viel stärker einem explorativen, iterativen Ansatz und steht damit konträr zur deutschen Ingenieurkultur, die darauf ausgerichtet ist, das perfekte Produkt zu entwickeln. Das ist der kulturelle Wandel, vor dem wir stehen.
 

Gibt es wiederkehrende Muster digitaler Innovation? Ist dieses iterative, kundenzentrierte Vorgehen ein solches Muster? 

Michael Pachmajer: Das war genau unsere Ausgangsüberlegung. In dieser Wolke von Digitalisierung muss es Muster geben: Strukturen, Prozesse, Kompetenzen oder auch Technologien, die sich an dieser neuen Form von Innovation orientieren, aber auch an einer neuen Form von Führung.  

Das eigentlich Interessante ist, dass in Unternehmen mit diesen Veränderungen eine Innovationskultur entsteht, die darauf ausgerichtet ist, immer wieder neue Geschäftsideen zu erfinden, auszuprobieren und zu skalieren. Dinge, die funktionieren, werden skaliert, Dinge, die nicht funktionieren, enden im Papierkorb. Unternehmen müssen sich vom Konzept eines statischen Geschäftsmodells lösen, das über längere Zeit immer nur optimiert wird.
 

Angenommen, jemand erwidert: "Ich habe ein komplett analoges Geschäftsmodell, was juckt mich Digitalisierung überhaupt." Ist das nachvollziehbar oder gefährlich? 

Michael Pachmajer: Ein komplett analoges Geschäftsmodell existiert im Grunde gar nicht mehr. Wir befinden uns ja im digitalen Zeitalter. Unser Konsumverhalten hat sich geändert; neue Technologien versetzen uns heute in die Lage, neue Geschäftsmodelle, neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, die vor 20, 30 Jahren nicht möglich waren. Dieser technische Fortschritt ist nicht zurückzudrehen. Das ist kein Trend, das ist die Realität. Und wer sich davor verschließt, weil er als Hidden Champion in einer Nische Weltmarktführer ist, der wird in 20 Jahren nicht mehr da sein. 

Carsten Hentrich: Die Mobiltechnologien, die sich in der Breite durchgesetzt und neue Verhaltens- und Kommunikationsmuster erzeugt haben, betreffen alle Industrien. Unternehmen, die einen Standpunkt einnehmen, wie Ihre Frage ihn nahelegt, haben nicht verstanden, wie sich die Nutzer ihrer Produkte verändert haben: In Zukunft werden Ingenieure die Teile für Fabrikanlagen auf Plattformen wie Alibaba oder Amazon kaufen, ganz einfach weil sie das von ihrem privaten Nutzungsverhalten gewohnt sind. Und ein Automobilzulieferer, der Teile für Verbrennungsmotoren herstellt, muss sich bewusst sein, dass die Elektromobilität sein Geschäftsfeld massiv verändert. Wer das nicht verstanden hat, hat ein Problem.
 

In Deutschland empfindet man die Digitalisierung oft als Bedrohung, als Angriff aus dem Silicon Valley. Wie sind deutsche Unternehmen mittlerweile in Sachen Digitalisierung aufgestellt? Was beobachten Sie? 

Carsten Hentrich: Gerade Familienunternehmer im deutschen Mittelstand - unsere Fokusgruppe - wissen im Grunde schon recht viel. Sie setzen sich mit diesem Thema auseinander und versuchen, die zentralen Trends zu verstehen. Die Unsicherheit beginnt dort, wo der rein informatorische Teil an seine Grenzen stößt. Das Schwierige ist das Übertragen auf das eigene Unternehmen.  

Michael Pachmajer: Wir sehen drei Gruppen von mittelständischen Unternehmen in Deutschland. 20 Prozent haben sich bereits auf den Weg gemacht, die digitale Transformation im Unternehmen voranzutreiben. Dann gibt es 50 Prozent Unentschlossene. Sie wissen, dass sich die Welt um sie herum geändert hat und sie im digitalen Zeitalter angekommen sind. Sie haben vielleicht schon erste Ideen, aber keine Ahnung, wie sie diese umsetzen sollen. Und dann gibt es 30 Prozent Abwartende. Sie sagen: "Was geht uns das an, wir haben noch jede Transformation überstanden. Lasst uns erst mal zuwarten." Das aber funktioniert im digitalen Zeitalter nicht mehr. Denn heute kommen die Wettbewerber nicht nur aus der eigenen Industrie, sondern auch aus ganz anderen Industrien. Und verändern die Wertschöpfungskette etablierter Unternehmen disruptiv durch neue Technologien. Das heißt: Wenn ein Unternehmen nicht selbst neue Geschäftsmodelle initiiert, dann werden das andere machen. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
 

Ist das ein weiteres Muster digitaler Transformation? 

Carsten Hentrich: Ja. Das Spannende ist, dass Geschäftsmodelle, die in diesem digitalen Umfeld erfolgreich sind, meistens nicht-linear skalieren. Wir aber sind stark von der Vorstellung linearen Wachstums geprägt. Doch die stimmt nicht mehr. Schauen wir nur, welchen Wert junge Unternehmen wie Google, Uber oder Airbnb mittlerweile haben - und exponentielles Wachstum ist das Gefährliche! Wenn Start-ups in den Markt eintreten, heißt es vonseiten der Platzhirsche oft sinngemäß: "Wie kann mir ein Start-up gefährlich werden? Ich bin seit hundert Jahren am Markt." Aber wenn solche neuen Player mit neuen Geschäftsmodellen deren Wertschöpfungskette angreifen, kann unter Umständen rasch ein anderer den Platz des Platzhirsches einnehmen.
 

… und sehr kleine Unternehmen können sehr schnell eine sehr hohe Reichweite erzielen … 

Carsten Hentrich: Genau. In kurzer Zeit, und mit wenig Manpower. WhatsApp zum Beispiel hat sehr erfolgreich einen ganzen Markt umgekrempelt, wo eben noch große Telekommunikationsunternehmen Hunderte von Millionen investiert hatten, um Infrastrukturen für SMS aufzubauen - und dann kommt so eine Bude mit … 

Michael Pachmajer: … 50 Mitarbeitern … 

Carsten Hentrich: … und schmeißt alles um! Diese Korrelationen haben nichts mehr mit Linearität zu tun. Solche Effekte kannte man vorher nicht.
 

Sie haben gesagt, das Verständnis digitaler Innovation setze ein anderes Denken voraus. Nicht-lineares Denken? 

Karsten Hentrich: Wenn es um exploratives Erschließen neuer Ideen geht, helfen unsere klassischen linearen Erfolgsmessgrößen nicht weiter. Unser lineares Denken verlangt, dass ein Investment in einer definierten Zeit eine bestimmte Rendite erzielen muss. Es muss eine Korrelation geben. Doch das funktioniert nicht mehr. Entscheidend ist nicht, nach sechs Monaten ein super-profitables Geschäftsmodell zu haben, sondern es gilt, die Innovationskraft einer Idee zu verstehen. Es ist unvorhersehbar, wann und wie Dinge skalieren, wie schnell das geht, und ob überhaupt. Viele digitale Unternehmen waren lange nicht profitabel oder sind es immer noch nicht. Aber darauf kommt es gar nicht mehr an. Zalando zum Beispiel ist erst vor Kurzem profitabel geworden und ist dennoch für klassische etablierte Versandkaufhäuser einer der Hauptkonkurrenten.
 

Was machen digitale Unternehmen anders? 

Carsten Hentrich: Entscheidend ist, eine DNA aufzubauen, die es zulässt, Ideen zu generieren, Dinge auszuprobieren und gegebenenfalls schnell wieder zu verwerfen. Es kommt nicht darauf an, die eine tolle Idee zu haben, sondern lieber 50 Ideen. Da sagt die Statistik: Von diesen 50 Ideen wird sich eine durchsetzen.
 

Nichtlinearität, Unvorhersehbarkeit, Unsicherheit - wie können Unternehmen damit umgehen? 

Michael Pachmajer: Indem sie erst einmal akzeptieren, dass es Unsicherheit gibt. Dass man eben nicht die Zukunft voraussagen kann. Es wird eine Kernkompetenz von CEOs sein, mit Unsicherheit umzugehen. In vielen Großkonzernen in Deutschland werden aber immer noch Pläne über Jahre gemacht, werden Projekte sehr strukturiert angelegt, muss alles in einem Business Case hinterlegt und abgesichert werden - doch das bringt nichts mehr in einer Welt, die immer komplexer wird, die viel mehr technologische Möglichkeiten bietet, um vielseitige Kundenbedürfnisse individuell zu befriedigen.  

Carsten Hentrich: Genau. In der Unternehmenswelt funktioniert es bislang so: Wer eine Idee hat, muss eine Vorstandsvorlage auf den Tisch legen, in der der Business Case exakt gerechnet ist - also in welcher Zeit mit einem Return on Investment zu rechnen ist. Dieses Prinzip funktioniert nicht mehr. Ideen müssen ausprobiert und auch wieder verworfen werden! Das ist mit Fehlerkultur gemeint: eine Kultur, die Fehler nicht bestraft.
 

Das scheint mir eine Haltung zu sein: eine andere Art und Weise, an Dinge heranzugehen. Was zeichnet diese Haltung aus?  

Michael Pachmajer: Es ist eine Haltung gefragt, wie sie Kinder bis zum sechsten Lebensjahr zeigen, die die Welt erobern: offen sein, keine Vorbehalte haben, einfach drauflosgehen, ausprobieren, Fehler machen und daraus lernen. Entscheidend ist: Ideen entwickeln und anfangen, diese umzusetzen! Unternehmertum im klassischen Sinne: etwas unternehmen, etwas machen. Die großen Corporates gerade in Deutschland haben das sukzessive verlernt. Genau hier liegt aber die Stärke des deutschen Mittelstandes, gerade der Familienunternehmen, die aus einer Kultur des Unternehmertums kommen.  

Carsten Hentrich: Aber um das nicht falsch zu verstehen - das ist kein Plädoyer für Nachlässigkeit. Der Innovationsprozess erfordert sehr viel Disziplin und sehr viel Systematik. Auch sehr viel Können und Wissen darüber, wie man Innovation macht. Diese multidisziplinäre Zusammenarbeit erfordert Struktur und Disziplin. Gerade auch, wenn es darum geht, zusammen mit Kunden Ideen zu entwickeln - auch das ist etwas Neues. Wenn Unternehmen diese Fähigkeiten verinnerlichen, stellen sich Erfolge ein.
 

Jetzt mal zu Ihrem Buch: Was sind d.quarks? Als die Quarks in der Physik kamen, hat man spöttisch vom "Teilchenzoo" gesprochen. Machen Sie jetzt einen Tool-Zoo auf? 

Michael Pachmajer: Wenn Unternehmen sich verändern und neue Geschäftsmodelle einführen wollen, dann brauchen sie bestimmte Fähigkeiten. Wir haben in unserem Buch 46 elementare Fähigkeiten eines digitalen Unternehmens beschrieben. Man kann sich diese Fähigkeiten vorstellen wie Teilchen, die zusammengesetzt sind aus Erfahrung, aus Wissen und aus Kompetenzen, die bei den Menschen im Unternehmen liegen. Werden diese Teilchen, diese d.quarks - digital quarks - aktiviert, dann entsteht etwas Neues. Wie beim Teilchenbeschleuniger im CERN, wo Teilchen, die die Bausteine der Materie bilden, aufeinander geschossen werden und durch diesen Zusammenprall etwas Neues entsteht. Jede Fähigkeit ist durch vier Dimensionen charakterisiert: durch personale Kompetenz, die ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin haben muss, durch die Technologie, die eingesetzt wird, um diese Fähigkeit zu ermöglichen, durch die Prozesse, die verändert werden müssen, und durch die Organisation, also wie Menschen miteinander interagieren.
 

Wie sind Sie auf diese Analogie gekommen? 

Michael Pachmajer: Als wir letztes Jahr im CERN waren, hatten wir das Modell der Fähigkeiten schon entwickelt und haben dann gesehen, dass dort etwas Ähnliches passiert. So wie die Forschergruppen in Genf interdisziplinär mit Materialwissenschaftlern, Physikern und Ingenieuren zusammenarbeiten und nach den Teilchen suchen, aus denen unsere Materie zusammengesetzt ist, so wirken auch in einem Unternehmen verschiedene Personen, Kompetenzen, Disziplinen und Erfahrungen zusammen, um etwas Neues zu schaffen: neue Dienstleistungen, neue digitale Produkte, neue Geschäftsmodelle.
 

Wenn jemand aus dem Management händeringend sagt: "Sagt mir doch, was ich tun soll!", und Sie kommen mit 46 Teilchen und fünf Bahnen, ist das nicht verwirrend? Kann man damit im Unternehmensalltag überhaupt umgehen? 

Carsten Hentrich: Das Modell ist eine Navigations- und Orientierungshilfe. Es hat eine dreistufige Prozessstruktur. Erstens: Welche Beschleunigerbahnen oder welche Geschäftsmodell-Archetypen sind überhaupt für mich relevant? Zweitens: Welche Fähigkeiten brauche ich dafür? Drittens: Wie baue ich diese Fähigkeiten im Unternehmen auf? 

Michael Pachmajer: Hierbei bietet das d.quarks-Modell eine unterstützende Hilfestellung: eine Struktur, die hilft, eine digitale Strategie erfolgreich umzusetzen und Antworten auf die von Carsten gestellten Fragen zu geben.
 

Können wir das etwas plastischer machen? Können Sie zwei, drei Fähigkeiten nennen, die heute notwendig sind? Und umgekehrt welche, die heute überhaupt nicht mehr helfen? 

Michael Pachmajer: Unternehmen brauchen heute mehr Erkenntnisse über das Nutzungs- und Konsumverhalten ihrer Kunden. Dazu müssen sie mit Daten umgehen können, sie brauchen eine Fähigkeit, die wir "Big Data" nennen. Um neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, die auf die komplexen Bedürfnisse ihrer Kunden reagieren, brauchen sie eine Fähigkeit, die wir "Agile Collaboration" nennen: die Fähigkeit, Wissen zu teilen, Silos abzubauen, Fehlerkultur zu ermöglichen. "Personalized Employment" ist die Fähigkeit eines Unternehmens, sich als Arbeitgeber attraktiv gegenüber den Digital Natives, den digitalen Talenten darzustellen. Oder eine vierte Fähigkeit: Während Unternehmen in der Vergangenheit ein Produkt oder eine Dienstleistung über einen Vertriebskanal verkauft haben, nutzen sie heute die verschiedensten Kanäle: einen Showroom zum Beispiel, ein Händlernetz, einen Online-Kanal, eine App. Diese verschiedenen Vertriebskanäle müssen so orchestriert sein, dass Kunden immer das gleiche Einkaufserlebnis haben. Unternehmen müssen dazu eine Fähigkeit ausbilden, die wir "Omni-Channel" nennen. 

Carsten Hentrich: Viele der neuen Fähigkeiten sind im kulturellen Bereich angesiedelt. Viele klassische Fähigkeiten, die man in herkömmlichen Unternehmen mit hierarchischen Führungskonzepten und definierten Prozessen gebraucht hat, die sich sehr stark auf Performance-Messung und Umsatzorientierung stützen, sind heute wenig hilfreich. Alles, was durch statische und planerische Aspekte geprägt ist, die wenig Iteration erlauben, verliert an Bedeutung gegenüber den neuen iterativen, partizipativen und kulturellen Konzepten.
 

Und Führung? 

Carsten Hentrich: "Participation" rückt die Rolle der Führungskraft in ein neues Licht: weg von den hierarchischen Command-and-Control-Strukturen, in denen einer führt und alles weiß und nur Aufgaben verteilt. Unter den Bedingungen von Komplexität werden multidisziplinäre Kompetenzen wichtig, bei denen Führung eine eher orchestrierende und coachende Funktion annimmt. Das verlangt von der Führungskraft, ihr Ego zurückzunehmen und situativ auch andere, die vielleicht auf Basis ihrer Expertenrolle in einer bestimmten Situation eine bessere Führungskompetenz haben, Führung übernehmen zu lassen.
 

Sie sagen, dass Ihre d.quarks Gesetzmäßigkeiten folgen. Welche Gesetzmäßigkeiten sind das? 

Michael Pachmajer: Jeder der fünf Geschäftsmodell-Archetypen erfordert ein festes Set an d.quarks, die ein Unternehmen entwickeln und einführen muss, um dieses Geschäftsmodell realisieren zu können. Die Referenzarchitektur erklärt diese Gesetzmäßigkeit.
 

Also Gesetzmäßigkeit im Sinne von Konsistenz des Modells? 

Michael Pachmajer: Genau.
 

Ich wollte eben auf etwas anderes hinaus: Ob die Annahme von Gesetzmäßigkeiten nicht der Unvorhersehbarkeit der Situation widerspricht. 

Carsten Hentrich: Das kommt darauf an, was man unter Gesetzmäßigkeit versteht. Das physikalische Modell der Quarks folgt auch bestimmten Gesetzmäßigkeiten, die aber stark von Wahrscheinlichkeiten bestimmt sind, also Unschärfe aufweisen. Im d.quarks-Modell ist auch Unschärfe drin. Die Quarks bezeichnen grundsätzliche Fähigkeiten und geben damit Orientierung - aber wie man sie einführt, was man damit macht und was an Geschäftsideen in einem Unternehmen entsteht, hängt von der konkreten Situation ab und ist schwer vorhersehbar. Trotzdem können wir die Grundstrukturen benennen: die Formen von Geschäftsmodellen und die Assoziation, welche Fähigkeiten ich brauche, um diese zu realisieren.  

Die d.quarks sind, wie Michael vorhin gesagt hat, in vier Dimensionen charakterisiert: Prozesse, Technologie, Menschen und Organisation. Dadurch verbindet jedes d.quark strukturierende Aspekte mit kulturellen Aspekten.
 

Managemententwicklung lässt sich als Abfolge von Managementmodellen beschreiben. Sehen Sie Ihr Modell in dieser Tradition oder geht das über Management hinaus? 

Michael Pachmajer: Es ist kein Modell, ein Unternehmen zu managen, sondern ein Modell, das den Veränderungsprozess eines Unternehmens beschreibt. Wir haben sehr viele Veränderungsprozesse, die über herkömmliche Methoden der Prozessoptimierung und des Change Managements vorangetrieben wurden, scheitern sehen. Zwei Drittel aller Veränderungsprojekte in Unternehmen scheitern. Deshalb brauchen wir ein Modell für die digitale Transformation, das ganzheitlich ist und das diese beiden Logiken miteinander verbindet. Das ist das Neue. 

Carsten Hentrich: Es ist nicht so ein Kochrezept-Ding. Sondern eher eine Orientierungshilfe, eine Art Landkarte, die der Komplexität angemessen ist, indem sie Kulturwandel und Strukturwandel miteinander verbindet.
 

Also auch ein Werkzeugkasten? 

Carsten Hentrich: Ja … 

Michael Pachmajer: … es ist ein Framework, das Strukturen und auch Werkzeuge an die Hand gibt: für die Technologie, für die agilen Prozesse, für die neuen Rollen, für die Organisationsmodelle. So gesehen ist es ein Framework, das hilft, den Transformationsprozess zu begreifen. Und das Mut machen will, damit anzufangen.
 


Zitate


"Digitale Transformation hat immer mit Geschäftsmodellveränderung zu tun. Sie hat eine massive Auswirkung darauf, wie Unternehmen Wertschöpfung generieren und wie sie Innovation gestalten." Carsten Hentrich im Interview: Erfinden, ausprobieren, umsetzen

"Innovation im digitalen Umfeld stellt immer den Menschen, den Nutzer in den Mittelpunkt, nicht das Produkt." Carsten Hentrich im Interview: Erfinden, ausprobieren, umsetzen

"Unternehmen müssen sich vom Konzept eines statischen Geschäftsmodells lösen, das über längere Zeit immer nur optimiert wird." Michael Pachmajer im Interview: Erfinden, ausprobieren, umsetzen

"Heute kommen die Wettbewerber nicht nur aus der eigenen Industrie, sondern auch aus ganz anderen Industrien." Michael Pachmajer im Interview: Erfinden, ausprobieren, umsetzen

"Wenn ein Unternehmen nicht selbst neue Geschäftsmodelle initiiert, dann werden das andere machen." Michael Pachmajer im Interview: Erfinden, ausprobieren, umsetzen

"Es kommt nicht darauf an, die eine tolle Idee zu haben, sondern lieber 50 Ideen. Da sagt die Statistik: Von diesen 50 Ideen wird sich eine durchsetzen." Carsten Hentrich im Interview: Erfinden, ausprobieren, umsetzen

"Es wird eine Kernkompetenz von CEOs sein, mit Unsicherheit umzugehen." Michael Pachmajer im Interview: Erfinden, ausprobieren, umsetzen

"Das ist mit Fehlerkultur gemeint: eine Kultur, die Fehler nicht bestraft." Carsten Hentrich im Interview: Erfinden, ausprobieren, umsetzen

 

changeX 02.12.2016. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Quellenangaben

Zum Buch

: d.quarks. Der Weg zum digitalen Unternehmen. Murmann Publishers, Hamburg 2016, 200 Seiten, 49.95 Euro, ISBN 9783867745543

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Autor

Winfried Kretschmer
Kretschmer

Winfried Kretschmer ist Chefredakteur und Geschäftsführer von changeX.

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