Standards und Grenzen

Flexible Arbeitswelten - Folge 4
Report: Werner Eichhorst und Verena Tobsch

Traditionelle Formen der Beschäftigung und Arbeitsorganisation ändern sich. Nur in welchem Ausmaß und in welcher Geschwindigkeit? Und wohin geht die Entwicklung? Thema einer fünfteiligen Serie, die auf dem Bericht "Flexible Arbeitswelten" an die Expertenkommission Arbeits- und Lebensperspektiven in Deutschland der Bertelsmann-Stiftung basiert. Folge 4: Herausforderungen und Handlungsoptionen für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

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Während sich die ersten beiden Folgen mit einer Bestandsaufnahme und der dritte Teil mit den Auswirkungen von Flexibilisierung auf die Arbeitszufriedenheit beschäftigten, geht es nun um die Herausforderungen, die sich den Akteuren in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft stellen, und die Handlungsoptionen, die sich ihnen eröffnen.


Politische Rahmensetzungen: Standards und Grenzen


Auch in einer insgesamt sehr stark auf der Unternehmensebene angesiedelten Gestaltungsdynamik von Arbeit hat die Politik eine wichtige Rolle. 

Es stellt sich etwa die Frage, ob es nicht vielleicht sinnvoll oder sogar notwendig wäre, im Bereich flexibler Erwerbsformen bestimmte Schritte der Re-Regulierung am Arbeitsmarkt vorzunehmen. Natürlich mit Augenmaß und ohne die Flexibilität, die Mobilität am Arbeitsmarkt und die Einstiegsmöglichkeiten übermäßig einzuschränken. Denn strikte Regulierungen bei einzelnen Formen flexibler Beschäftigung können zu einer Verlagerung in weniger regulierte und weniger geschützte Erwerbsformen führen. Hinlänglich bekannte Beispiele sind hier etwa die Umwandlung von Zeitarbeit in Werkverträge oder (Schein-)Selbständigkeit.  

In den nächsten Jahren wird es darauf ankommen, hier angemessene und allgemein tragfähige Regelungen zu finden. Sie müssen gewisse Standards und Grenzen vorgeben oder diese unter Umständen anpassen - das betrifft etwa das Thema Mindestlöhne, die Zulässigkeit von Befristungen, Zeitarbeit oder Werkverträgen. Zugleich müssen sie aber auch genug Handlungsmöglichkeiten vor allem für unternehmerische Aktivitäten zulassen. Insgesamt wären hier einheitliche, aber flexible Regulierungen besser als nach Erwerbsform fragmentierte Regeln. So würden Übergänge erleichtert, eine Zersplitterung des Arbeitsmarktes würde vermieden.  

Zu diskutieren ist auch, ob die wachsenden psychischen Belastungen der Arbeitswelt Gegenstand regulierender staatlicher Eingriffe sein sollten, etwa durch eine breitere Definition des Arbeitsschutzes und die Unterstützung entsprechender Initiativen in Branchen und Betrieben. Inwieweit können arbeitsorganisatorische und personalwirtschaftliche Maßnahmen der betrieblichen Ebene Teil des gesetzlichen Arbeitsschutzes sein? 2013 veröffentlichte das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) in Kooperation mit der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) diesbezüglich die gemeinsame Erklärung "Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt".


Instrumente der betrieblichen Gesundheitsförderung


Ziel dieser Kooperation ist es, arbeitsbedingten psychischen Erkrankungen mithilfe des gesetzlichen Arbeitsschutzes und der freiwilligen betrieblichen Gesundheitsförderung vorzubeugen und die Wiedereingliederung psychisch erkrankter Mitarbeiter zu vereinfachen. Zu den empfohlenen Instrumenten der betrieblichen Gesundheitsförderung zählen unter anderem:  

  • die Implementierung der Gefährdungsbeurteilung in Form eines strukturierten Prozesses,

  • die Zuhilfenahme externer Beratung (etwa in Form einer engeren Zusammenarbeit mit den Unfallversicherungsträgern),

  • die Erweiterung oder Einführung eines ausreichend breit gefächerten Angebotes an Familien-, Schulden- und Sozialberatung oder auch

  • die Fortbildung der betrieblichen Fachkräfte für Arbeitssicherheit, der Betriebsärzte, des Führungspersonals und der Personal- und Betriebsräte.

Bei der gemeinsamen Erklärung von BMAS, BDA und DGB handelt es sich lediglich um Vorschläge in Anlehnung an die Leitlinien der gemeinsamen deutschen Arbeitsschutzstrategie. Wesentliche Schritte bleiben somit der betrieblichen Ebene vorbehalten.


Anreize innerhalb der Sozialsysteme


Es stellt sich weiterhin die Frage, ob innerhalb der Sozialsysteme stärkere Anreize für Unternehmen geschaffen werden sollten, sich um eine nachhaltigere Personalpolitik zu bemühen, die im Hinblick auf ein längeres und gesundes Arbeitsleben wichtig ist. Damit lassen sich unerwünschte negative externe Effekte zulasten der Sozialkassen vermindern. Zwar ist es primäres Interesse der Unternehmen, geringe Ausfallzeiten zu haben - und mit der Entgeltfortzahlung beispielsweise bestehen auch entsprechende Anreize. Doch auch Bonus-Malus-Systeme bei den Arbeitgeberbeiträgen zur Renten- und Krankenversicherung könnten dazu beitragen, dass mehr auf die Gesundheit der Belegschaften geachtet und weniger psychischer oder körperlicher Verschleiß in Kauf genommen wird. Das kann auch die Unterstützung von Präventionsmaßnahmen umfassen, die mit einer Beitragsermäßigung einhergehen oder direkt gefördert werden könnten.  

Schließlich ist weiterhin die Frage wichtig, inwieweit im Bildungswesen die Vorbereitung auf die moderne Arbeitswelt und ihre Anforderungen stärker zu gewichten ist.


Die Verantwortung der Unternehmen


Unternehmen sind zentrale Akteure in der Gestaltung der Arbeitswelt von heute und morgen. Sie sind gefordert, ihre Innovationsfähigkeit, Produktivität und Flexibilität in einem sich oft rapide wandelnden Marktumfeld zu wahren. Zugleich müssen sie jene Formen und Grade der Flexibilität beziehungsweise der Entgrenzung finden, die produktiv und sowohl betriebswirtschaftlich als auch für die Mitarbeiter und andere Marktteilnehmer tragfähig sind. Dies gilt sowohl für die Beziehungen innerhalb der Unternehmen als auch für Kooperationen und Projektbeziehungen mit anderen Unternehmen, etwa im Zusammenhang mit regionalen Firmenclustern.  

Gleichzeitig erfordert eine nachhaltige Fachkräftesicherung auch eine zukunftsorientierte Personalpolitik mitsamt den dafür jeweils am besten geeigneten Instrumenten. Diese kann je nach Branche, Tätigkeit oder Anforderung unterschiedlich sein. Unternehmen müssen zudem sicherstellen, dass eine flexible und produktive Arbeitswelt nicht zu vorzeitigem Verschleiß von Personal führt. Zusätzlich zu den etablierten betrieblichen Maßnahmen werden deshalb Programme zur gesundheitlichen Prävention gerade im Hinblick auf psychische Belastungen und Work-Life-Balance an Bedeutung gewinnen. Schon heute beginnen einige Unternehmen systematisch mit der Einführung solcher Maßnahmen. Dies betrifft auf der einen Seite individuelle, psychologische Aspekte, die mit der Lebenslage der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zusammenhängen. Auf der anderen Seite lassen sich psychische Belastungen in der Arbeit am besten vermeiden, wenn Arbeitsorganisation und Führungsstrukturen an die neuen Problemlagen angepasst werden.


Neue Formen der Kooperation, Koordination und Führung


Innerhalb von Unternehmen wie in den Außenbeziehungen mit Kunden oder Projektpartnern wird es in näherer Zukunft darum gehen, neue Formen der Kooperation, Koordination und Führung, aber auch der Leistungsbewertung zu entwickeln. Um Überlastungssituationen zu vermeiden, sollten diese zum einen die Autonomiebestrebungen der Individuen und deren Belastbarkeitsgrenzen anerkennen. Zum anderen müssen sie produktiv, innovationsfreundlich und wettbewerbsfähig sein. Das bedeutet auch, etablierte hierarchische Steuerungsformen zu ersetzen - etwa durch eine stärkere Verlagerung von Entscheidungskompetenzen und Autonomiespielräumen hin zu den Mitarbeitern oder Projektpartnern. Dabei kommt in einem solchen Modell den Führungskräften eine stärkere Bedeutung als Moderatoren und Koordinatoren von Projekten zu, egal ob sie auf Dauer oder temporär in dieser Rolle sind.  

Zentral ist es dann, ambitionierte Ziele zu formulieren, gleichzeitig jedoch die Projekte so zu organisieren, dass Überlastungssituationen vermieden werden. Hier gilt es, faire Formen eines Gleichgewichts von Anforderungen, Ressourcen und Anerkennung zu finden. Mobiles und flexibles Arbeiten gelingt am besten, wenn bestimmte Regeln und Grenzen auf betrieblicher Ebene oder zwischen Projektpartnern ausgehandelt und beachtet werden. Geeignete Formen flexiblen Arbeitens können eine Win-win-Situation für Unternehmen und Beschäftigte sein. Dies kann nur mithilfe von Verhandlungen über Ziele und Ressourcen gelingen.  

Eine Abstimmung der Flexibilitätsmaßnahmen mit den individuellen Bedürfnissen ist wichtig, denn einige Arbeitszeitmodelle, beispielsweise Lebensarbeitszeitkonten, können zu frühzeitigem Verschleiß der Mitarbeiter führen. Generell ist es wichtig, dass nicht nur die Mitarbeiter flexibel auf die Bedürfnisse der Unternehmen reagieren, sondern auch die Unternehmen flexibel auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter. Besonders die Vertrauensarbeitszeit ist hier bei richtiger Handhabung ein vielversprechendes Instrument.  

Allgemeine Lösungen sind hier schwer vorstellbar. Je nach betrieblicher Situation oder Projektzusammenhang sind andere Regeln sinnvoll, jedoch können allgemeine Prinzipien formuliert werden. Praktische Erfahrungen mit Arbeitsorganisation und Führung in vernetzten Projektzusammenhängen lassen sich auf betrieblicher Ebene finden. Sie weisen darauf hin, dass eine an die veränderten Rahmenbedingungen angepasste Führungskultur essenziell ist. Beispielsweise verlangt ein wechselhaftes Marktumfeld nach einer flexiblen Unternehmenskultur mit hohem Innovationspotenzial. Gerade eine flexible Unternehmenskultur ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor beim erfolgreichen Umgang mit Herausforderungen.


Passende Arrangements für Betriebe und Mitarbeiter


Zukünftig wird auch die Relevanz von Veränderungsbereitschaft und Zielorientierung zunehmen. Von Mitarbeitern wird mehr Zielorientierung und Flexibilität verlangt. Gleichzeitig wird auch die Qualität der Führung neu zu bestimmen sein. Daher durchlaufen in vielen Unternehmen Führungskräfte zahlreiche Workshops und Seminare, um ihre Sozialkompetenz zu steigern und ihre Sensibilität für psychische Belastungen zu trainieren. Sie sollen als Ansprechpartner auch bei gesundheitlichen Problemen fungieren und gleichzeitig besonders in Krisenzeiten motivieren können.  

Um die Work-Life-Balance ihrer Mitarbeiter zu stärken, haben Unternehmen unterschiedliche Maßnahmen getroffen: Dazu gehören Seminare und Beratungsangebote zu den Themen Gesundheit, Ernährung und Stressbewältigung, aber auch betriebseigene Kinderbetreuungseinrichtungen, interne Fitness- und Entspannungskurse oder Vermittlungsdienste bei pflegebedürftigen Angehörigen. Oft werden auch externe Beratungsstellen eingeschaltet, um Interessenkonflikte zwischen den Arbeitgebern und Mitarbeitern zu vermeiden. Flexiblere Arbeitsmodelle sollen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglichen: Immer mehr Unternehmen wenden Arbeitsformen wie Telearbeit, verschiedene Teilzeitmodelle, Zeitkonten und Vertrauensarbeitszeiten an. Hier wird es darauf ankommen, für Betriebe und Mitarbeiter passende Arrangements zu entwickeln.  



Zitate


"Innerhalb von Unternehmen wie in den Außenbeziehungen mit Kunden oder Projektpartnern wird es in näherer Zukunft darum gehen, neue Formen der Kooperation, Koordination und Führung, aber auch der Leistungsbewertung zu entwickeln." Werner Eichhorst, Verena Tobsch: Flexible Arbeitswelten

 

changeX 17.04.2014. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Autor

Werner Eichhorst
Eichhorst

Dr. Werner Eichhorst ist Direktor für Arbeitsmarktpolitik Europa am IZA - Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit in Bonn. Er studierte Soziologie, Politikwissenschaft, Psychologie und Verwaltungswissenschaften und promovierte 1998 an der Universität Konstanz. Bis 2004 war er Projektleiter bei der Bertelsmann Stiftung, dann am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg tätig. 2005 kam er ans IZA, wo er von 2007 bis 2013 Stellvertretender Direktor Arbeitsmarktpolitik war. Er ist Mitglied der Expertenkommission "Arbeits- und Lebensperspektiven in Deutschland" der Bertelsmann Stiftung.

Autorin

Verena Tobsch
Tobsch

Verena Tobsch ist Gründerin des Instituts für Empirische und Aktuelle Wirtschaftsforschung E·x·AKT in Berlin. Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre war sie bis 2012 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Personalwesen und Internationales Management der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.

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