Aus der Reihe
Die changeX-Buchumschau im Spätsommer 2025
In unserer Buchauslese geht es diesmal um folgende Themen: um die Vielfalt an Perspektiven, der sich dem Thema Glück abgewinnen lässt und um unterschiedliche Wege, die zu ihm hinführen; um Atmen als Schlüssel zu erfolgreicher und gesunder Führung; um eine grundsätzlich andere Konzeption der Gefühle und ihrer Bedeutung für den Menschen; um eine andere Praxis der Wahrnehmung, die aus der Fähigkeit zum Zuhören erwächst; um soziale Innovation als Erweiterung des Innovationspotenzials einer Gesellschaft; und schließlich um eine Rekonstruktion der ideengeschichtlichen Entwicklung, die dazu führte, dass ein verengtes und einseitiges Verständnis von Arbeit sich durchsetzen konnte.
Etwas ausführlicher hier die Autoren und Themen im Überblick: Der Glücksökonom Leo Bormans hat hundert Fachleute aus 50 Ländern eingeladen, ihr Wissen über Glück in einem Buch zu bündeln. Herausgekommen ist ein perspektivenreiches Werk, das die flüchtigen Mikromomente des Glücks in den Blickpunkt rückt. Christoph Glaser, Trainer für atembasierte Achtsamkeit, präsentiert Atmen als Schlüssel zu erfolgreicher und gesunder Führung - und betont, wie wichtig es ist, dabei von Zwang und Ziel loszulassen. Der Psychiater und Philosoph Thomas Fuchs formuliert einen neuen Ansatz zum Verständnis von Gefühlen, der die rationalistische Trennung von Innen und Außen aufgibt. Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen erblickt im Zuhören-können den Grundstock einer anderen Praxis der Wahrnehmung. Die Soziologen Jürgen Howaldt und Christoph Kaletka betonen: Soziale Innovationen erweitern das Innovationspotenzial einer Gesellschaft und stärken ihre Innovationsfähigkeit. Der Sozialphilosoph Axel Honneth schließlich rekonstruiert die Ideengeschichte der Arbeit, entschlüsselt die fatale Einengung des Arbeitsbegriffs in der kapitalistischen Moderne und entwirft eine tragfähige Idee gesellschaftlich erforderlicher Arbeit. Kurzrezensionen: Winfried Kretschmer
Leo Bormans:
Glück. Neue Zeiten - neue Antworten.
Die jüngsten Erkenntnisse aus der weltweiten Glücksforschung. Übersetzt von Sofia Blind.
Verlag DuMont, Köln 2024, 296 Seiten, 36 Euro (D), ISBN 978-3-7558-2002-4
Vor 13 Jahren ist Glück - The World Book of Happiness erschienen. Nun liegt der Nachfolgetitel vor: Glück. Neue Zeiten - neue Antworten heißt das Buch, das mit neuen Perspektiven und Forschungsergebnissen aufwartet. Damals sei es primär um den Sprung vom Ich zum Wir gegangen, während heute viele Beiträge eine Brücke zur Menschheit schlagen, schreibt der Herausgeber Leo Bormans, der an der Erasmus-Universität Rotterdam Glücksökonomie lehrt. Hundert Fachleute aus 50 Ländern hat er eingeladen, ihr Wissen über Glück beizutragen - in kurzer Form, in verständlicher Sprache und versehen mit jeweils sechs Ratschlägen und einer kurzen Zusammenfassung der zentralen Aussage. Entstanden ist so ein umfassendes Kompendium, das eine große Vielfalt an Perspektiven zum Thema Glück zusammenträgt. Und zugleich eine Vielzahl von Ratschlägen für ein glücklicheres Leben anbietet, mehr als 500 sind es in der Summe. Ergebnis dieses Perspektivenreichtums ist zunächst einmal Unübersichtlichkeit - zumal der Begriff Glück selbst nicht klar ist. "Glück ist ein schwammiges Konzept mit zahlreichen Definitionen", schreibt Barbara Fredrickson, vielzitierte Professorin für Psychologie und Neurowissenschaft in den USA.
Entsprechend vielfältig sind die Wege zum Glück, die die Autorinnen und Autoren des Bandes vorstellen. Und es sind unterschiedliche Schwerpunkte, die sie setzen. Einige betonen die Notwendigkeit eines sicheren institutionellen staatlich-politischen Rahmens, der Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit garantiert und für sozialen Ausgleich sorgt. Andere hingegen rücken mehr die individuellen Glückspfade in den Blick: Naturverbundenheit, Achtsamkeit und gelingende soziale Beziehungen. Der Blick auf die glücklichen skandinavischen Länder legt nahe, dass es auf eine kluge Kombination all dieser Elemente ankommen könnte - verbunden mit einem reflektierten und geerdeten Glücksbegriff, wie ihn Barbara Fredrickson mit einem Verweis auf die kleinen Momente des Alltags umreißt: "Das Glück bleibt ein flüchtiger Zustand, bis man erkennt, dass es aus der ständigen Zufuhr bestimmter Momente erwächst, die einen angenehm beleben oder eine tiefe Verbundenheit fühlen lassen - oder beides auf einmal." Ein wichtiger Gedanke. "Positive Mikromomente" nennt Leo Bormans diese flüchtigen Zustände. Sie einfangen zu können, sei entscheidend für Gesundheit und Wohlergehen der Menschen.
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Christoph Glaser:
Atmen.
Der Schlüssel zur erfolgreichen und gesunden Führung.
Campus Verlag, Frankfurt am Main 2024, 274 Seiten, 28 Euro (D), ISBN 978-3-593519654
Fast hat es den Anschein, als sei der Atem die vielleicht letzte Ressource, die noch nicht dem Streben nach Selbstoptimierung unterworfen worden ist. Denn Atmen läuft ohne willentliches Zutun ab. Wir atmen automatisch und selbstverständlich, unser Leben lang. Doch hat der Atem diese Selbstverständlichkeit eingebüßt. Viele Menschen atmen falsch, heißt es, nutzen ihr Atemvolumen nicht aus und lassen somit Potenzial brachliegen. Deshalb hat sich eine wachsende Zahl von Büchern dem Thema Atem und Atmen zugewandt. Da passt es ins Bild, dass der Atem nun auch in dem Metier zum Thema wird, das wie kein anderes für die ständige Optimierung von allem steht: im Management. Auf das Management zielt das Buch von Christoph Glaser, der als Trainer für atembasierte Achtsamkeit und für gesunde und erfolgreiche Führung weltweit unterwegs ist. Atmen heißt es und richtet sich an Führungskräfte, Managerinnen und Entscheider, Menschen also, die Verantwortung tragen. Atmen als Schlüssel zu erfolgreicher und gesunder Führung zu vermitteln, ist das Ziel. Der Autor schlägt so eine Brücke zu den Herausforderungen, mit denen sich die Unternehmensführung in Zeiten wachsender Komplexität und Geschwindigkeit konfrontiert sieht. Atembasierte Achtsamkeit ist für Glaser die Antwort auf die immer schnellere Taktung und zunehmende Hektik im modernen Management.
In zwölf Kapiteln führt das Buch in die Grundlagen von Atmen und Achtsamkeit ein und erläutert den Zusammenhang zu Management und Führung. Jedes Kapitel bietet dabei eine ausführlich erläuterte praktische Übung. "Die Atemübungen sind nicht neu, sie sind jahrtausendealt", schreibt der Autor. Sie stammen aus dem Pranayama, der Atemlehre aus dem Yoga, die sich mit dem Fluss und der Beeinflussung der Lebensenergie im Körper beschäftigt. Pranayama bildet die Grundlage der meisten Atemübungen, die heute unter unterschiedlichen Bezeichnungen in unterschiedlichen Kontexten gelehrt und praktiziert werden. Glaser nennt diese Quelle mit Respekt vor dem jahrtausendealten Wissen, das durch neuere Forschungen bestätigt wird. Das Buch versucht eine Gratwanderung zwischen dem alten Pranayama-Wissen und seiner praktischen Anwendung im Managementkontext. Fraglich ist jedoch, ob dies gelingen kann. Ob nicht aus Adaption Assimilation wird: eine Angleichung an Funktions- und Zielorientierung der modernen Managementlehre. Christoph Glaser sagt klar, worauf die Wirkung von Atemübungen beruht: akzeptieren, was ist, und "von Zwang und Ziel loslassen". Doch kommt das in einem auf Ziel, Zweck und Leistung gepolten Umfeld auch an? Pranayama würde sonst zum Werkzeugkasten mit Tools zur Verbesserung der individuellen Leistungsfähigkeit.
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Thomas Fuchs:
Verkörperte Gefühle.
Zur Phänomenologie von Affektivität und Interaffektivität.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2024, 412 Seiten, 26 Euro (D), ISBN 978-3-518-30054-1
Innenwelt und Außenwelt. Diese grundlegende Zweiteilung bestimmt nach herrschender Auffassung unser Verhältnis zur Welt. Denken und Fühlen spielen sich demnach in unserem mentalen Innenraum ab, getrennt vom Körper und der Welt da draußen. Gefühle gelten als mentale Zustände, die in dieser verborgenen Innenwelt des Einzelnen, in dessen Gehirn, ihren Sitz haben. Das ist der grundlegende Dualismus, der seit Descartes unsere Sicht der Welt und unser Selbstbild prägt: Gefühle gehören zur mentalen Innenwelt, nicht zum Körper, nicht zum Raum oder zur Außenwelt. Und das rationale Denken hat die Vorherrschaft - Descartes’ cogito gilt als Grundlage der Erkenntnisfähigkeit des Menschen.
Der Psychiater und Philosoph Thomas Fuchs wendet sich von diesem dualistischen, rationalistischen Paradigma ab und formuliert einen neuen Ansatz zum Verständnis von Gefühlen. Und, grundlegender: Er stellt die fundamentale Trennung zwischen Geist und Körper infrage. Stattdessen entwickelt Fuchs "eine grundsätzlich andere Konzeption der Gefühle" und ihrer Bedeutung für das Selbstverständnis des Menschen. In seinem neuen Buch beschreibt er Gefühle "als umfassende Phänomene, die Selbst, Leib und Welt miteinander verbinden". Und das bedeutet ein grundlegend anderes Verhältnis zur Welt und ein anderes Verständnis von Wahrnehmung. Gefühle sind demnach nicht bloß ein innerer, mentaler Vorgang, sondern stellen eine übergreifende Beziehung zur Welt her. Sie überspannen die als getrennt imaginierten Sphären unserer Welt. Weil Lebewesen mit ihrer Umwelt interagierten, bedeute jede Wahrnehmung "eine übergreifende Kopplung von Organismus und Umwelt". Und damit, folgert Fuchs rasiermesserscharf, "entfällt die Trennung von Innen und Außen".
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Bernhard Pörksen:
Zuhören.
Die Kunst, sich der Welt zu öffnen.
Hanser Verlag, München 2025, 336 Seiten, 24 Euro (D), ISBN 978-3-446-28138-7
"Hört doch endlich mal zu!" Ein Appell, oft gehört. Die Leute müssten nur mal die Klappe halten und zuhören, heißt es dann. Ein nachvollziehbarer Wunsch. Doch so einfach ist es nicht. Nicht nur, weil mit solch pauschalen Zuhör-Appellen zuvorderst die anderen gemeint sind. Sondern auch, weil die Wurzeln des Nichtzuhörens tiefer liegen: Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen verortet sie in einem Mediendiskurs, der vorlautes Besserwissen und pauschale Schnelletikettierungen mit Beifall belohnt. Und in einem Denken, das sich im Abstrakten bewegt und vermeintliches Bescheidwissen mehr schätzt als eine sorgsame Urteilsbildung. Für ihn sind es zurechtgelegte Gewissheiten, vorgefertigte Meinungen und vorschnelle Urteile, die, eingebunden in prägende mentale Deutungsrahmen, das Zuhören blockieren.
"Viel zu häufig existieren wir im Kokon unserer Vorurteile und im Fertig-System der reflexhaft geäußerten Meinungen, bestätigungssüchtig und darauf fixiert, zu hören, was wir hören wollen, unfähig, den anderen in seiner Andersartigkeit tatsächlich zu erkennen." Manchmal aber gelinge die Wahrnehmungsöffnung doch, schreibt der Autor. Wie, davon handelt sein Buch: Es gilt, neu und anders zuzuhören. Behutsam, mit Blick auf den Kontext und dem Bemühen um Genauigkeit. Zuhören steht damit in einem weiteren Sinne für eine Art der Zuwendung zur Welt: als Form der Wahrnehmung, als Erkenntnisprogramm. Pörksens Buch eröffnet behutsam den Blick nach vorn auf eine andere Praxis. Es sei ein Gebot der Stunde, "erst einmal innezuhalten, nachzufragen, zuzuhören, die konkreten Anlässe und die Details zu studieren, um dann, vielleicht unter Verzicht auf die großen, donnernden Worte, ein Urteil zu fällen, das für die je besonderen Verhältnisse gilt, konkret und nuanciert."
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Jürgen Howaldt, Christoph Kaletka unter Mitarbeit von Marthe Zirngiebl, Daniel Krüger und Karina Maldonado-Mariscal (Hg.):
Encyclopedia of Social Innovation.
Elgar Encyclopedias in Business and Management series.
Edward Elgar Publishing Ltd, Cheltenham, UK 2023, 467 Seiten, ca. 307 Euro (D), ISBN 978-1800373341
Innovation = technische Innovation. Diese Gleichsetzung bestimmte eine gefühlte Ewigkeit lang das Innovationsverständnis. Technische Innovationen sind demnach der Treiber ökonomischen Fortschritts und gesellschaftlicher Entwicklung. Dieses dominante Innovationsparadigma geriet erst in Zweifel, als ein Ende der Industriegesellschaft am Horizont aufschien und die Vorstellung einer postindustriellen Gesellschaft entstand, in der Wissen und Dienstleistungen eine tragende Rolle spielen würden. Nun begann sich auch der Innovationsbegriff zu öffnen und erweiterte sich. "Soziale Innovation" wurde zum Thema und soziale Innovationen rückten in den Blickpunkt wissenschaftlichen Interesses. Anfangs zögerlich, nach der Jahrtausendwende dann mit zunehmender Intensität und Tiefe. Neue Innovationsideen traten auf den Plan: Mikrokredite und Mikroversicherungen etwa, Carsharing, Bügerenergiegenossenschaften, öffentliche Bücherschränke bis hin zu neuen Managementkonzepten und neuen Modellen der Zusammenarbeit in Organisationen. Es wurde deutlich, dass der herrschende eingeschränkte Innovationsbegriff einen guten Teil des Innovationsgeschehens ausgeblendet hatte. Nicht zuletzt kristallisierte sich auch eine Definition heraus: Soziale Innovation versteht sich demnach als "eine von bestimmten Akteuren beziehungsweise Akteurskonstellationen ausgehende intentionale, zielgerichtete Neukombination beziehungsweise Neukonfiguration sozialer Praktiken". Offensichtlich erweitern soziale Innovationen das Innovationspotenzial einer Gesellschaft und stärken ihre Innovationsfähigkeit.
"So werden die Konturen eines neuen Innovationsverständnisses erkennbar, welches die Vielfalt von Innovationen in der Gesellschaft angemessen erfasst", fassen Jürgen Howaldt und Christoph Kaletka die Entwicklung zusammen. Die beiden Soziologen arbeiten und forschen an der Sozialforschungsstelle der Technischen Universität Dortmund, die sich zu einem Hotspot der Forschung zu sozialen Innovationen entwickelt hat. Und sie sind Herausgeber der bislang umfassendsten Publikation über soziale Innovationen, der Encyclopedia of Social Innovation, erschienen 2023 bei Edward Elgar Publishing in Großbritannien. Das Werk bietet einen breiten und interdisziplinären Überblick über den Stand der internationalen wissenschaftlichen Forschung zum Thema soziale Innovation. Die 77 Beiträge internationaler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler umreißen ein breites Spektrum von Schlüsselthemen wie Ökosysteme sozialer Innovation, Co-Kreation, neue Technologien und Methoden, Bildung, Governance und Innovationspolitiken. Die Enzyklopädie versteht sich als Standardwerk in einem sich dynamisch entwickelnden Forschungsfeld. Und ist zugleich Beleg für dessen wachsende Bedeutung.
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Axel Honneth:
Der arbeitende Souverän.
Eine normative Theorie der Arbeit.
Suhrkamp Wissenschaft, Berlin 2023, 400 Seiten, 30 Euro (D), ISBN 978-3-518-58797-3
Arbeit als paradox zu bestimmen, bedeutet nicht, jede Paradoxie der Arbeit fraglos stehenzulassen. Zumal, wenn es sich um ihre wohl folgenreichste handelt: die groteske Einengung des Arbeitsbegriffs auf Erwerbsarbeit. Hinzu kam eine weitere folgenreiche Verengung: auf Arbeit als herstellende Tätigkeit, die zwischen Mensch und Objekt stattfindet. Leitbild: Produktivismus. Damit wird alles andere Tätigsein in die Nicht-Arbeit abgedrängt. Haus- und Sorgearbeit vor allem. Mit der Industrialisierung in Erz gegossen, wirkt dieses verengte Verständnis von Arbeit bis heute nach. Wie es dazu kam, ist noch nicht in Gänze verstanden. Eine überzeugende Rekonstruktion liefert der Sozialphilosoph Axel Honneth in einem Buch, das wir schon einmal vorgestellt haben: Der arbeitende Souverän des Sozialphilosophen Axel Honneth, erschienen 2023. In einem als Exkurs gekennzeichneten Kapitel liefert er eine Rekonstruktion der Neubestimmung des Arbeitsbegriffs in der entstehenden Industriegesellschaft. Dabei wählt Honneth einen ideengeschichtlichen Zugang, sucht also im Denken maßgeblicher Philosophen und politischer Theoretiker vergangener Jahrhunderte nach Spuren dieser Neukonfigurierung des Arbeitsbegriffs und kontrastiert diese Ideen mit der Arbeitswirklichkeit in der industriellen Transformation.
Die Untersuchung konzentriert sich dabei nicht allein auf die von Frauen geleistete Haus- und Sorgearbeit, sondern nimmt in einer breiteren Perspektive Dienstleistungen insgesamt in den Blick. Und damit die Masse von Dienstboten, Mägden, Knechten, Dienern, Hausmädchen, Köchinnen, die bürgerliche Haushalte, Guts- und Bauernhöfe, Werkstätten, Gastwirtschaften am Laufen hielten - von den Höfen der Adeligen mit ihrem breitgefächerten Personal ganz zu schweigen. Dies korrigiert nicht nur die einseitige Perspektive der Geschichtswissenschaft, die diese dienende Klasse weitgehend ausgeklammert und vernachlässigt hat, sondern lässt auch den Mythos einer rasanten und durchgreifenden Industrialisierung in einem anderen Licht erscheinen. Von einer entwickelten Industrie, wie es deren Verfechter darzustellen versuchten, konnte oft keine Rede sein. Lange Zeit noch war die Mehrzahl der Beschäftigten als Bedienstete tätig. Im Dienstleistungssektor also im heutigen Sprachgebrauch. Honneth entwirft das Bild eines sich selbst als industriell imaginierenden Kapitalismus: einer Wirtschaft, die industriell sein wollte, faktisch aber noch weit davon entfernt war. Das ist extrem lehrreich, für die Ideengeschichte der Arbeit ebenso wie für eine Neufassung des Arbeitsbegriffs, die die Verengungen des alten industriegesellschaftlichen Verständnisses von Arbeit korrigiert: Honneths Vorschlag ist breiter angelegt, offener und inklusiver: "Als ‚Arbeit‘ im Sinne von sozial erforderlichen Tätigkeiten müssen nun alle regelmäßig ausgeübten Verrichtungen gelten, die in einer Gesellschaft dazu beitragen, die gegebene Lebensform in ihren allgemein gewünschten Bestandteilen zu erhalten."
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