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Mach mich nicht nass

Management by Internet - das neue Buch von Willms Buhse
Rezension: Winfried Kretschmer

Vernetzung, Offenheit, Partizipation, Agilität: Management muss sich diesen Prinzipien des Internets öffnen, wenn es in Zukunft erfolgreich sein will. Fordert ein Buchautor. Sein Ziel: eine Synthese aus alten und neuen Managementmustern, ein erneuertes, durch neue Ansätze und Methoden ergänztes Management. Anpassung ohne grundlegenden Wandel also. Das klingt nach: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!

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Eine große Managementberatung ließ einmal bei einem deutschen Großunternehmen der Bergbauindustrie, mithin einem Giganten der Old Economy, die "Eindringtiefe von Vorstandsentscheidungen" untersuchen. Also wie weit nach unten in der Hierarchie diese überhaupt durchgereicht werden. Bei diesem Unternehmen gab es sieben Hierarchiestufen. Beschlüsse des Vorstands drangen aber nur zwei Stufen nach unten vor. "Die Mitarbeiter auf den restlichen vier Ebenen - also das ganze operative Geschäft - bekamen nichts mit, sie machten einfach weiter wie bisher." 

Das Unternehmen war die Ruhrkohle AG, die Unternehmensberatung Roland Berger & Partner, und der Mitarbeiter, der dort mit der Untersuchung betraut war, war Willms Buhse, heute mit seiner eigenen Beratungsfirma doubleYUU unterwegs, um deutsche Unternehmen fit für die Herausforderungen des Internets zu machen. Das muss man wissen, wenn man sich mit Buhses neuem Buch Management by Internet beschäftigt: Buhse hat sich seine Sporen in der Großberatung verdient, hat in verschiedenen Großunternehmen der Musikbranche gearbeitet, sein Background ist also das klassische Management. Das ist nichts Schlechtes, kein Makel, man muss es nur wissen, um die Schlüsse zu verstehen, zu denen er kommt. Kurz gesagt: Sein Buch steht in der Tradition des klassischen Managements und will dieses mit neuen Ansätzen und Methoden ergänzen, um es für die Herausforderungen des digitalen Zeitalters zu rüsten.


Synthese aus alten und neuen Managementmustern


Die Diagnose: Das Internet verändert Branchen wie Geschäftsmodelle und wird zur Bedrohung für etablierte, alteingesessene Unternehmen, die sich dem Wandel verschließen. Wer allerdings die Erfolgsmuster der Digitalisierung erkennt, hat in der vernetzten Welt mehr Erfolg als andere, sagt Buhse: Vernetzung, Offenheit, Partizipation und Agilität, "die Prinzipien des Internets", sind "DIE Erfolgsfaktoren des 21. Jahrhunderts". Die Kompetenz, mit diesen Mustern effizient umzugehen, bezeichnet Buhse als "Management by Internet". Ihm geht es um eine Synthese aus alten und neuen Managementmustern. Sein Credo: "Ich glaube an Führung, die das klassische Management-Einmaleins beherrscht und außerdem in der Lage ist, diese klassischen Führungskonzepte durch Muster des Internets zu ergänzen."  

Das klingt auf den ersten Blick plausibel und ist wohl realistischer als die Vorstellung, Management durch etwas anderes, etwas Neues abzulösen. So haben die Rezepte, die Buhse seinen Lesern an die Hand gibt, durchaus ihren Charme. "Manager sollten heute in erster Linie Dienstleister ihrer Mitarbeiter sein", sagt er, plädiert für einen temporären Rollentausch zwischen Führen und Folgen in der Teamzusammenarbeit, spricht von "neuem Denken im Management", ja von einer "Revolution im Denken" gar.  

Auch die konkreten Instrumente, die der Autor vorstellt, leuchten ein. Das "Ticketsystem" beim indischen IT-Unternehmen HCL etwa, wo jeder Mitarbeiter, der ein Anliegen oder ein Problem hat, im Intranet ein "Ticket" eröffnen kann, das im System bestehen bleibt, bis das Thema von den Verantwortlichen gelöst ist - aus der Sicht des Mitarbeiters, der es eingebracht hat. So gilt bei HCL auch die "Vertrauenszahlung": Für die Gehaltszahlung gilt die Annahme, dass die Mitarbeiter ihre Arbeit tun, ohne durch ein System von Zielvereinbarungen erst auf Spur gebracht zu werden. Vor allem aber haben es Willms Buhse die neuen "Mitmachformate" für die Organisation von Zusammenarbeit angetan: offene, motivierende Veranstaltungsformate, "die flache Hierarchien, Zusammenarbeit, den offenen Zugang zu Wissen und den freien Ideenaustausch quasi als Teil ihrer DNA verinnerlicht haben": die bekannten BarCamps und Open Spaces oder FedEx Days, bei denen Mitarbeiter einen Tag bei voller Autonomie an einem Vorhaben arbeiten - mit der einzigen Vorgabe, am Ende dieses Tages die erreichten Ergebnisse zu präsentieren.  

Für die Manager bedeutet das: Sie müssen lernen, los- und Selbstorganisation zuzulassen; es muss sich "der Stil von Führung verändern, er muss weniger hierarchisch werden und eher kooperativ".


Brandherde alten Managementdenkens


Eher? Es sind solche Zwischentöne, die stutzig machen. Auf den ersten Blick scheint sich Buhses "Digital Leadership" einzureihen in die wachsende Zahl managementkritischer Ansätze - wären da nicht immer wieder aufflackernde Brandherde alten Managementdenkens, die das Buch in eine indifferente Grauzone zwischen Alt und Neu manövrieren. Natürlich sollen Manager auch steuernd eingreifen, so der Autor, natürlich ist Hierarchie notwendig. Und natürlich muss das klassische Handwerkszeug aus der hierarchischen Managementlehre weiterhin beherrschen, wer heute führen will - Benchmarking eingeschlossen, das sich indessen als ein besonders ungeeignetes Instrument erwiesen hat, weil es bekanntlich nur abbildet, was andere gut können, also gerade nicht für Lösungen taugt, die einen Unterschied machen. Und darauf kommt es unter volatilen Marktbedingungen an.  

Man weiß also nicht so recht, ob Buhse sich mit seiner Revolution des Managementdenkens vergaloppiert oder mit seiner Affirmation überkommener Managementmuster schlichtweg im Alten stecken bleibt. Diese Unklarheit rührt daher, dass der Autor sich der - zentralen - Frage, ob klassisches Management mit den Prinzipien des Internets kompatibel ist, gar nicht stellt. Das würde ein paradigmatisches Verständnis von Management voraussetzen: Management ist im Kern geprägt von der "Inkompetenzvermutung" (Michel Serres) gegenüber Mitarbeitern. Sie steckt in allen Strukturen, in Hierarchien ebenso wie in Anweisungs-, Kontroll- und Anreizsystemen. Es ist das Bild des inkompetenten und im Grunde nicht willigen Mitarbeiters, das hinter den Managementinstrumenten steht und sie prägt. Das ist etwas komplett anderes als die egalitäre, partizipative Kultur des Internets, die auf einer Kompetenzvermutung basiert.  

Geht es dem Buch in Wirklichkeit also darum, dass "Führungskräfte ihre alten Tricks um neue Kniffe und Methoden ergänzen können", wie Buhse an einer Stelle schreibt? Ist die entscheidende Frage, wie man sicherstellen kann, "dass Anweisungen von oben tatsächlich an der Basis ankommen und nicht irgendwo in den Hierarchien versickern", wie es an einer anderen heißt?


An irgendeiner schlauen Stelle


Sicher nicht. Buhse will klassische und aus dem Netz abgeleitete Führungsmuster miteinander "versöhnen". Ihm schwebt eine Doppelstruktur vor, in der "sowohl ergebnisorientiert-vertikal und hierarchisch als auch interaktiv und netzwerkbasiert" geführt wird. Zu entscheiden, wo es "selbstorganisierter Teams mit maximaler Vernetzung bedarf und wann funktionaler Abteilungen und straffer Prozesse", wird zu einer Kernkompetenz von Digital Leadership.  

Recht hat der Autor auch mit seiner Einschätzung, worauf es ankommt: nämlich "anfangen, an einer - irgendeiner - schlauen Stelle". Das könnte sein, endlich die Inkompetenzvermutung und das damit korrespondierende negative Menschenbild aus dem Managementdenken zu verbannen. Und durch die Annahme zu ersetzen, dass Mitarbeiter gerne bereit sind, zu arbeiten und sich für "ihr" Unternehmen ins Zeug zu legen - wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Die zu schaffen, wäre dann Aufgabe von Management.  

HCL tut das in Buhses Beispiel: mit der Vertrauensbezahlung, die "ohne nervige Zielvereinbarungen von der Annahme ausgeht, dass alle Mitarbeiter ohnehin ihr Bestes geben". Das ist der - schlaue - Punkt, der Alt und Neu scheidet. Und die Messlatte, über die Management springen muss, will es sich erneuern. Alles andere ist: "Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!" 


Zitate


"Zentral gelenkte, hierarchische Organisationen sind in ihrer starren Verfasstheit kaum in der Lage, angemessen auf Veränderungen zu reagieren." Willms Buhse: Management by Internet

"Eine der größten Schwächen hierarchischer Organisationen ist die Verschwendung des Potenzials von Mitarbeitern." Willms Buhse: Management by Internet

"Ich möchte klassische und aus dem Netz abgeleitete Führungsmuster miteinander versöhnen und Führungskräfte in die Lage versetzen, sowohl ergebnisorientiert-vertikal und hierarchisch als auch interaktiv und netzwerkbasiert zu führen." Willms Buhse: Management by Internet

 

changeX 14.11.2014. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Zum Buch

: Management by Internet. Neue Führungsmodelle für Unternehmen in Zeiten der digitalen Transformation. Plassen Verlag, Kulmbach 2014, 240 Seiten, 24.99 Euro, ISBN 978-3-864701726

Management by Internet

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Autor

Winfried Kretschmer
Kretschmer

Winfried Kretschmer ist Chefredakteur und Geschäftsführer von changeX.

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