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Vision der Kooperation

Die notwendige Revolution - das neue Buch von Peter M. Senge, Bryan Smith, Nina Kruschwitz, Joe Laur und Sara Schley
Text: Winfried Kretschmer

Klimawandel und Umweltprobleme sind vor allem eine Herausforderung für die Lernfähigkeit des Menschen. Nur durch eine Weiterentwicklung unserer Fähigkeit zur Kooperation kann es gelingen, diese globalen Probleme am Ende der industriellen Ära zu bewältigen. Mit dieser konsequenten Perspektivverschiebung überrascht ein Autorenteam um Peter M. Senge. Und zeigt zugleich: Innovation entsteht aus einem Wechsel der Perspektive: von der naturwissenschaftlichen auf die Systemsicht.

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Immer wenn Paul Hawken, Vordenker in Sachen Wirtschaft und Nachhaltigkeit und selbst erfolgreicher Unternehmer, einen Vortrag beendet hatte, kamen zahlreiche Zuhörer und gaben ihm ihre Visitenkarten. Hawken fing an, die Karten aufzubewahren, und hatte schließlich Tausende davon gesammelt. Er erkannte: Das war keine willkürliche Sammlung, sondern ergab ein Muster. Die Menschen, die ihm ihre Karten gegeben hatten, waren Fachleute auf unterschiedlichsten Gebieten, aber sie alle kümmerten sich um Kernfragen, die um eine künftige regenerative Gesellschaft kreisen. Die Organisationen, für die sie standen, waren meist klein, entwickelten sich jedoch zu einer Kraft für weitreichende Veränderungen.  

Und ihre Zahl wuchs explosionsartig. Zählte man 1948 erst 40 sogenannte Nichtregierungsorganisationen und 1992 gerade 700, waren es 1999 bereits 44.000. Heute sind allein auf Hawkens Website 300.000 zivilgesellschaftliche Organisationen aus 195 Ländern verzeichnet; insgesamt dürfte ihre Zahl in die Millionen gehen - es ist "die größte soziale Bewegung in der Geschichte der Menschheit" und zugleich "eine instinktive kollektive Antwort auf eine akute Bedrohung", schrieb Hawken.


Kooperation und Nachhaltigkeit zusammengedacht


Lange bevor das Ausmaß dieser Bewegung ins Bewusstsein trat, hatten manche Konzerne bereits die Macht von NGOs zu spüren bekommen - Nestlé, Shell, Nike -, und hatte manche internationale Organisation selbst vergleichbaren Einfluss wie ein multinationaler Konzern erlangt, Greenpeace etwa, Oxfam oder Amnesty International.  

Und nicht zuletzt entwickelte sich aus einzelnen punktuellen Kooperationen zwischen Unternehmen und NGOs eine neue Form der Kooperation: eine "Welle der gemeinschaftlichen Gestaltung von neuen wirtschaftlichen Systemen, die auf neuen und innovativen Partnerschaften zwischen Unternehmen und NGOs beruhen". Schreiben Peter M. Senge, Bryan Smith, Nina Kruschwitz und Joe Laur, für die dies - ebenso wie die einleitende Anekdote zu Paul Hawkens Visitenkarten - ein Beleg für einen fundamentalen Wandel ist: die Formierung einer kooperativen Bewegung, die auf eine nachhaltige Gestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft zielt.  

Ihr Buch Die notwendige Revolution bringt nun beides zusammen: die Schaffung eines regenerativen, nachhaltigen Wirtschaftssystems und den Gedanken der Kooperation, des gemeinsamen Lernens. Und rührt damit an den entscheidenden Punkt: "Um eine nachhaltige Zukunft zu gestalten, müssen wir alle auf andere Weise zusammenarbeiten als in der Vergangenheit." Die notwendige Revolution, das ist ein Schub in Kooperation und Lernfähigkeit, das ist Kooperation und Nachhaltigkeit zusammengedacht.  

In der Vergangenheit wurde die Auseinandersetzung um den richtigen Weg in Sachen Energieerzeugung, Umweltschutz und ressourcenschonender Produktion als Meinungsstreit geführt, als Ringen um die Durchsetzung der eigenen Position, als Konfrontation. Es prallten Meinungen aufeinander und nicht selten Demonstranten und Polizisten. So notwendig dies gewesen sein mag, um verfestigte Strukturen überhaupt erst einmal aufzubrechen, so wenig sinnvoll ist es, wenn es darum geht, einen als notwendig erkannten Wandel umzusetzen. Dann nämlich kommt es darauf an, gemeinsam für eine gemeinsame Zukunft zu lernen. Diese Erde ist ja schließlich das sprichwörtliche gemeinsame Boot, in dem wir alle sitzen.


Die Wirklichkeit mit den Augen der anderen sehen


Gemeinsames Lernen - das ist das Thema von Peter M. Senge, dem Direktor des Center for Organizational Learning an der MIT Sloan School of Management in Cambridge, Massachusetts und Vorsitzenden der Society for Organizational Learning. Senge hat den Begriff der "lernenden Organisation" geprägt und sich in seinem Klassiker Die fünfte Disziplin - unlängst in einer überarbeiteten Neuauflage erschienen - mit der Frage beschäftigt, warum in Organisationen immer die gleichen Fehler gemacht werden. Beste Voraussetzungen also, um sich einem aufgeladenen Thema wie Nachhaltigkeit zuzuwenden. Und die Perspektive zu wenden: von einer naturwissenschaftlichen hin zu einer sozialwissenschaftlichen Systemsicht.  

Die Autoren tun dies in einer unaufgeregten, alles andere als alarmistischen Art und Weise. Für sie sind die globalen Probleme weder zivilisatorisches Strafgericht noch Katastrophe, sondern schlicht Resultat einer Denkweise, "die sich auf einzelne Teile konzentriert und das große Ganze vernachlässigt". Und Denkweisen kann man ändern. Durch Lernen. Der Klimawandel ist so gesehen "vielleicht die größte Lernherausforderung, vor der die Menschheit je gestanden hat".  

Die notwendige Revolution ist ein wichtiges, man möchte fast sagen ein notwendiges Buch, und es kommt zur rechten Zeit - gerade in Deutschland, wo sich nach dem Ende des unsäglichen Atomstreits das Fenster zur Zukunft nun ganz weit auftut und es entscheidend darum geht, in neuen Kooperationen Neues zu gestalten, also gemeinsam zu lernen. Dafür bietet dieses Buch eine hervorragende Hilfestellung. Denn es ist alles andere als trockene theoretische Abhandlung, sondern vollgepackt mit konkreten Beispielen, praktischen Anleitungen und Tools für eine Verbesserung von Dialog und Kooperationsfähigkeit. Konkrete Beispiele aus Unternehmen, die sich bereits auf den Weg einer nachhaltigen Entwicklung begeben haben - DuPont, General Electric, Coca-Cola, BP, Nike, BMW -, illustrieren anschaulich, wie Organisationen diese Lernaufgabe bewältigen und welchen Anteil Einzelne daran haben (können).  

Senge und seine Koautoren wollen ganz konkret zeigen, wie sich (im doppelten Wortsinn) nachhaltige Lernprozesse in Organisationen gestalten lassen. Sie machen deutlich, dass es keiner großen Hausmacht bedarf, um Veränderungen zu bewirken, und machen Mut, dies anzugehen. Entscheidend ist die Haltung, in der dies geschieht: kooperativ und nicht konfrontativ, also immer mit Respekt vor der Meinung des anderen. Denn entscheidend für Kooperation ist die Fähigkeit, die Realität mit den Augen der anderen zu sehen.


Kooperation ist harte Arbeit


Die notwendige Revolution ist eine sehr konkrete Anleitung zur Veränderung. Sie verlangt drei grundlegende Lernfähigkeiten, die sowohl Individuen wie Organisationen ständig weiterentwickeln müssen: die Fähigkeit zum Wahrnehmen von Systemen, zur grenzübergreifenden Kooperation und zur kreativen Gestaltung einer erwünschten Zukunft:  

Systeme sehen: Das bedeutet, einen Schritt zurücktreten, innehalten und einen Blick auf das größere Ganze werfen, in dem Unternehmen, Organisationen, Menschen operieren. Das beginnt mit dem Erkennen der tieferen Muster, die den globalen Problemen zugrunde liegen.  

Grenzübergreifende Kooperation: Die Systemintelligenz, die erforderlich ist, um die Herausforderungen am Ende des Industriezeitalters zu meistern, ist etwas Kollektives und muss durch die Zusammenarbeit auf vielen Ebenen geschaffen werden. "Grenzübergreifend" zielt somit nicht nur auf nationalstaatliche Grenzen, sondern ganz allgemein auf Grenzen zwischen gesellschaftlichen Bereichen, Gruppen und Organisationen. Diese Kooperationsfähigkeit muss entwickelt werden, sagen die Autoren. Und weisen auf einen verbreiteten Trugschluss, nachdem erfolgreiche Kooperation eher von guten Absichten denn von erforderlichen Fähigkeiten abhänge. "Unserer Erfahrung nach verhält es sich genau umgekehrt. Der Aufbau der Kooperationsfähigkeit ist harte Arbeit." 

Kreative Gestaltung jenseits reaktiver Problemlösung: "Menschen und Organisationen haben das Potenzial, die Zukunft zu gestalten, anstatt auf die Gegenwart zu reagieren." Dieses Potenzial zu erschießen und zu fördern beruht auf zwei Grundlagen, die ein Herzstück der Arbeit im Bereich organisationalen Lernens bilden: Visionen für die Zukunft und Erkenntnis der gegenwärtigen Realität.  

Diese drei Fähigkeiten bilden die Grundlage und liefern gleichzeitig auch die Werkzeuge und Methoden für diesen Wandel im Denken. Voraussetzung dafür ist allerdings, "dass man bestehende Denkweisen und als selbstverständlich geltende mentale Modelle infrage stellt" - die Denkweisen und mentalen Modelle der Industriegesellschaft, die einmal Garant waren für den Erfolg dieses Zivilisationsmodells und nun zur Bedingung seines Scheiterns wurden.


Das menschliche Antlitz des Systemdenkens


Kurzum: Wir müssen "über Grenzen hinweg die Fähigkeiten zum systemischen Denken und zur Kooperation miteinander verbinden", sagen die Autoren. Was so schwer vielleicht gar nicht ist, denn dabei handelt es sich um zwei Seiten einer Medaille: Denn Kooperation ist, so ein kluger Gedanke, "das menschliche Antlitz des Systemdenkens". So entsteht in diesem Buch die Vision einer kooperativen Gesellschaft, der es gelingt, durch gemeinsames Lernen die Voraussetzungen des eigenen Weiterbestehens zu sichern. Das klingt pathetisch, aber nichts anderes ist Nachhaltigkeit in Systemperspektive.  



Zitate


"Um eine nachhaltige Zukunft zu gestalten, müssen wir alle auf andere Weise zusammenarbeiten als in der Vergangenheit." Peter M. Senge, Bryan Smith, Nina Kruschwitz und Joe Laur: Die notwendige Revolution

 

changeX 09.09.2011. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Zum Buch

: Die notwendige Revolution. Wie Individuen und Organisationen zusammenarbeiten, um eine nachhaltige Welt zu schaffen. Carl-Auer Verlag, Heidelberg 2011, 464 Seiten, 49.00 Euro, ISBN 978-3-89670-790-1

Die notwendige Revolution

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Autor

Winfried Kretschmer
Kretschmer

Winfried Kretschmer ist Chefredakteur und Geschäftsführer von changeX.

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