Ready or not

Enterprise 2.0 – der Wandel kommt von unten.
Text: Annegret Nill

Hierarchisch geführte Unternehmen müssen sich warm anziehen. Junge innovative Beschäftigte erwarten heute, dass sie soziale Medien im Arbeitsalltag einsetzen können. Können sie nicht, sind sie weg. Können sie, verändert das die Strukturen von unten her. Eine Studie der Nielsen Norman Group.

Enterprise 2.0, das heißt zunächst einmal ganz simpel: ein Unternehmen, das Funktionen von Web 2.0 unternehmensintern anwendet. Das also im Intranet mit Wikis und Personenprofilen à la Facebook arbeitet. Das Foren zu geschäftsrelevanten Themen anbietet, in denen sich die Beschäftigten austauschen können. Oder das RSS-Feeds einsetzt, die aktuelle Beiträge von Mitarbeitern themenbezogen zu den relevanten Arbeitsplätzen lenken. Experten schwärmen schon länger von den Möglichkeiten, die sich aus der Einführung von Web 2.0 im unternehmenseigenen Intranet ergeben. Von einer Beschleunigung der Arbeitsprozesse und höherer Produktivität ist da die Rede. Von einem besseren Zugriff auf das Wissen in den Köpfen der Mitarbeiter. Von besseren Entscheidungen und größerem Erfolg. Von einer flacheren, hierarchiefreieren Kommunikation, die der Einsatz von sozialen Medien mit sich bringt. Enterprise 2.0 bedeutet dann auch: eine demokratischere Unternehmenskultur, die auf gegenseitiger Anerkennung und Wertschätzung beruht.


Kommunikation: meist noch immer von oben nach unten.


Im Unternehmensalltag angekommen ist dieser Wandel aber bisher nur bei wenigen Vorreitern. Eine Studie von NetStrategy/JMC Paris aus dem Jahr 2006, die den weltweiten Intranetgebrauch untersucht hat, kommt zu dem Ergebnis, dass die Kommunikation in zwei Dritteln aller Intranets noch von oben nach unten verläuft, also aus Mitteilungen oder Anweisungen der Chefs besteht. Und laut einer Studie von Berlecon Research glaubt nur etwa die Hälfte der Befragten daran, dass Web 2.0 im Unternehmensalltag Zukunft hat. Die Unternehmensberatung Nielsen Norman Group um den Nutzer-Guru Jakob Nielsen wollte es jetzt genauer wissen. Wie fortgeschritten ist der Gebrauch von Web-2.0-Funktionen in Unternehmen wirklich? Wie werden sie eingeführt und was für Fallstricke lauern auf dem Weg zum dynamischen Unternehmen 2.0? Für ihren Report Enterprise 2.0: Social Software on Intranets hat sie daher Fallstudien von 14 Unternehmen in sechs Ländern angefertigt, darunter AXA UK, IBM und Sun Microsystems. Mit eingeflossen in die Studie sind außerdem Informationen von weiteren Unternehmen, die aber anonym bleiben wollten. Leider wird deren Anzahl nicht genannt.

Die zentralen Ergebnisse der Studie sind:

  • In den meisten Unternehmen steckt die Einführung von Web-2.0-Technologien noch in den Kinderschuhen. Viele denken zwar über ihren Einsatz nach, haben aber noch nicht damit begonnen.
  • Jüngere Beschäftigte mit Kundenkontakt erwarten den Einsatz von sozialen Medien im Unternehmen. Die Entwicklung in Richtung Enterprise 2.0 wird häufig von ihnen gepusht.
  • Eine Einführung von sozialen Medien von unten, also durch die Beschäftigten, ist verblüffend erfolgreich. In den Beispielen lief das so: Die Unternehmensspitze ignorierte zunächst, dass Beschäftigte Web-2.0-Funktionen im Unternehmen nutzen. Wenn das Management dann realisierte, was da vor sich geht und dass sich viele Prozesse dadurch verbessert haben, wurde offiziell abgesegnet, was längst im Unternehmen verankert war.
  • Nutzergemeinschaften überwachen sich selbst und brauchen wenig Kontrolle von oben. Tatsächlich ist die gegenseitige Überwachung häufig effizienter als jeder „Big Brother is watching you“-Ansatz. Dabei ist allerdings wichtig, dass keine anonymen Postings möglich sind.
  • Die Anforderungen, die aus dem Geschäftsbetrieb entstehen, sind der Hauptantrieb für eine Veränderung in Richtung Enterprise 2.0. Dabei geht es nicht in erster Linie um die Instrumente, also Wikis et cetera an sich, sondern um die veränderte Kommunikationskultur, die in ihrem Kielwasser mitfährt.
  • Die Entwicklung zum Enterprise 2.0 bedeutet einen Paradigmenwechsel in der Unternehmenskultur: Die Unternehmensleitung muss bereit sein, Macht abzugeben. Denn die alten Befehls- und Kontrollstrukturen funktionieren nicht mehr, wenn die Kommunikation über Instrumente von Web 2.0 läuft. Wissen wird für alle Beschäftigten zugänglicher. Möglicherweise diskutieren Mitarbeiter dann auch mal in Intranet-Foren über die besten Geschäftsstrategien. Diese Entwicklung muss zur Unternehmenskultur passen. In einem Unternehmen, in dem die Einstellung herrscht: „Wissen ist Macht“, in dem die Führung also Wissen hortet und die Entscheidungswege streng hierarchisch sind, funktioniert die Einführung nicht.

Die Studie zeigt auch, dass der erfolgreiche Einsatz von Instrumenten des Web 2.0 auf die spezifischen Anforderungen des Geschäftsbetriebs abgestimmt sein muss. Es nützt wenig, einfach auf Teufel komm raus alle sozialen Medien einzuführen, die es so gibt. Sondern die Unternehmensziele bestimmen die richtigen Instrumente. Und wenn die identifiziert sind, braucht man vor allem eins, um den Wandel nachhaltig zu gestalten: Zeit. Drei bis fünf Jahre solle man für die Einführung von Web 2.0 im Unternehmen und den begleitenden Wandlungsprozess einrechnen, meint Nielsen. Wichtig ist auch, dass die einzelnen Instrumente im Intranet miteinander verbunden werden. Besonders wichtig ist das bei der Suchfunktion: Sie muss auf das gesamte Intranet inklusive Foren, Feeds und andere Funktionen zugreifen können.


Schlechte Zeiten für Hierarchie.


Der Report zeigt: Streng hierarchisch geführte Unternehmen müssen sich warm anziehen. Denn die Zeiten, in denen absolute Kontrolle zum Geschäftserfolg führte, sind vorbei. Junge innovative Beschäftigte erwarten heutzutage, dass sie soziale Medien auch im Arbeitsalltag einsetzen können – sonst wechseln sie in ein dynamischeres Umfeld. Soziale Medien wiederum decken Kommunikationsprobleme im Unternehmen schonungslos auf, schreibt Nielsen – oft schneller, als der Führung lieb ist: “Perhaps more than any other corporate intranet innovation, social software technologies are exposing the holes in corporate communication and collaboration – and at times filling them before the (usually slow-moving) enterprise can fully grasp (and control) the flow.”

Nielsen Norman Group Report:
Enterprise 2.0: Social Software on Intranets.
A Report From the Front Lines of Enterprise Community,
Collaboration, and Social Networking Projects.

http://www.nngroup.com/reports/intranet/social


Zitate


"Perhaps more than any other corporate intranet innovation, social software technologies are exposing the holes in corporate communication and collaboration – and at times filling them before the (usually slow-moving) enterprise can fully grasp (and control) the flow.” Studie der Norman Nielsen Group

 

changeX 15.09.2009. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Annegret Nill
Nill

Annegret Nill arbeitet als freie Journalistin, Autorin und Moderatorin in Berlin. Sie schreibt als freie Autorin für changeX.

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