Möglichkeitsräume
Living at Work-Serie | Folge 6 | - Tilmann Noller und Siegfried Lautenbacher über das Büro der Zukunft.
Wie muss ein zeitgemäßes Büro aussehen, das maximale Kommunikation ermöglicht und eine angenehme Arbeitsatmosphäre schafft? Das gleichzeitig die Philosophie des Unternehmens transportiert? Der Architekt Tilmann Noller und der Unternehmer Siegfried Lautenbacher, Inhaber der Münchner Firma Beck et al. Services GmbH, haben sich etwas getraut - und wurden mit dem contractworld.award ausgezeichnet, dem höchstdotierten europäischen Innenarchitekturpreis.
  
  Siegfried Lautenbacher, Beck et al. Services GmbH:
  
Eins war mir von Anfang an klar: Ich hatte keine Lust auf
  das typische Modell aus Mittelgang und geschlossenen Einzelbüros
  rechts und links. Ich wollte auch keine Namensschilder an der Tür
  oder Kaffeemaschinen in den einzelnen Büros, wie wir das bei
  manchen unserer Kunden immer wieder sehen. Auch geschlossene
  Türen sind mir unangenehm, weil man nie weiß, ob man stört, wenn
  man hineingehen will. Traditionelle Bürokonzepte sind sehr
  unkommunikativ. Im Extremfall führen sie zur Vereinzelung der
  Mitarbeiter.
  
Was wir brauchten, war eine positive Umgebung. Unsere
  Mitarbeiter im Service absorbieren eine Menge negativer Energie,
  wenn sie sich die Sorgen und Nöte ihrer Kunden anhören. Denn die
  rufen ja nicht an, um zu sagen, dass alles läuft. Sie wollen
  ihren Frust loswerden. Das erfordert nicht nur technisches
  Know-how, sondern auch psychologisches und diplomatisches
  Geschick.
  
Jeder Büromöbelanbieter wollte uns Callcenter-Käfige
  verkaufen, weil er sagte, das sei von der Geräuschabsorption und
  der Konzentrationsfähigkeit der Mitarbeiter das Allerbeste. Aber
  wir sind kein Callcenter im klassischen Sinne. Wir müssen
  miteinander kommunizieren, über Teamgrenzen hinweg. Deshalb
  brauchten wir ein Büro, in dem die Mitarbeiter sich austauschen
  können. Aber auch die Möglichkeit haben, in Ruhe zu arbeiten.
  Überdies ist unser Büro das einzig sichtbare, handfeste
  Aushängeschild, mit dem man zeigen kann, wer man eigentlich ist.
  
Die neuen Räume, die kraftlabor für uns entworfen hat, sind
  Großraumbüros. Dagegen hatten viele Mitarbeiter Bedenken, und
  einige mussten sich erst daran gewöhnen. Doch das hat auch
  positive Seiten. Mitarbeiter, die lieber für sich sein wollten,
  müssen sich jetzt stärker in die Gemeinschaft einbringen - und
  das tun sie auch. Und Bewerber merken allein schon durch das Büro
  sehr schnell, ob sie zu uns und unserer Kommunikationskultur
  passen oder eher nicht.
Maßgeschneidert zur Unternehmenskultur.
  
  Tilmann Noller, kraftlabor:
  
Wir alle kennen die vielen gesichtslosen Gewerbegebiete,
  die sich inzwischen überall auf der Welt befinden. Banal, leblos,
  seelenlos. Kein Indiz dafür, dass Menschen am Werk waren. Ihre
  Ideen, ihre Vorstellungen, ihre Träume realisiert haben.
  
Mein Ziel war es, für Beck et al. ein individuelles
  Raumkonzept zu entwickeln. Die Essenz des Unternehmens in einen
  Raum zu gießen. Wirklichkeit werden zu lassen. Und nicht zu
  schauen, was meine Kollegen machen, was 
  in und was 
  out ist. Architektur kann man nicht von einem Ort an einen
  anderen verpflanzen. Das ist so wie mit einem Weinberg - auch
  dort kann man nicht jeden Wein anbauen. Man muss die
  Rahmenbedingungen analysieren und die passende Rebsorte
  auswählen.
  
Die meisten Unternehmen leisten sich gerade mal schicke
  Visitenkarten und Pressemappen, um ihre Werte, ihre Kultur, ihre
  Ziele nach außen zu kommunizieren. Aber Architektur ist eine gute
  Möglichkeit, seine Philosophie oder Geisteshaltung auszudrücken.
  Denn damit werden Werte nicht mehr nur über die Werbung nach
  außen kommuniziert, sie durchdringen das ganze Unternehmen. Und
  bestimmen die Arbeitsatmosphäre.
  
Das Büro der Zukunft ist für jedes Unternehmen eine
  maßgeschneiderte Lösung, die den Mitarbeitern, ihrer Arbeit und
  der Unternehmenskultur gerecht werden muss. Was für die eine
  Firma sinnvoll ist, ist für die andere indiskutabel. Bei Beck et
  al. ist alles sehr offen, vieles läuft unbürokratisch ab, Wege
  und Kommunikation sind direkt. Die Mitarbeiter arbeiten
  weitgehend ohne Hierarchien, die Zusammenarbeit verläuft
  informell, schnell, flexibel und über Abteilungsgrenzen hinweg.
  Dieser Kultur versuchen wir durch unser offenes Raumkonzept
  Rechnung zu tragen. Es macht keinen Sinn, die Mitarbeiter
  voneinander abzuschotten, sie in Einzel- oder Doppelzimmer zu
  stecken.
  
Nonterritoriale Büros, manchmal auch "Hoteling-Konzepte"
  genannt, eignen sich für Unternehmen, in denen die Mitarbeiter
  häufig unterwegs sind und nur für jeweils ein paar Tage zur Basis
  zurückkehren. Bei Beck et al. war das nicht der Fall, hier gibt
  es einen festen Stamm von Mitarbeitern, die täglich ins Büro
  kommen. Deshalb gibt es zwar die Möglichkeit, sich woanders
  einzustöpseln und zum Beispiel für ein paar Stunden mit einem
  Kollegen zusammenzuarbeiten. Aber das kommt nicht so häufig vor.
  
Auch Einzelbüros können durchaus Sinn machen, wenn man sich
  bei der Arbeit sehr konzentrieren und alleine arbeiten muss. In
  anderen Fällen bietet sich das Konzept des Kombi-Büros an: Jeder
  Mitarbeiter hat seinen eigenen kleinen Raum, zusätzlich gibt es
  Bereiche, die der gemeinschaftlichen Nutzung dienen. Dann kann
  man zwischen beiden Bereichen wechseln.
Möglichkeitsräume.
  Da das Bürogebäude in München noch
  im Rohbau war, konnten wir die Innengestaltung frei bestimmen.
  Das Einzige, mit dem wir uns arrangieren mussten, war die L-Form
  des Büros. Wir haben dieses "L" aufgeteilt. Auf der einen Seite
  befinden sich die Arbeitsplätze, auf der anderen Seite Küche,
  Aufenthaltsbereich und Labor. Auch eine Art Schlafwagenabteil mit
  Bett gibt es, in dem sich die Mitarbeiter, die rund um die Uhr
  Support geben oder Märkte in den USA betreuen, zwischendurch
  ausruhen können. Nach der Arbeit treffen sich die Mitarbeiter an
  der Bar im oberen Stockwerk, um gemeinsam in den Feierabend zu
  starten, Kontakte zu knüpfen, Ideen zu schmieden, sich
  auszutauschen.
  
Der große Raum von Beck et al. im unteren Stockwerk ist
  zwar ein Großraumbüro, aber ohne das übliche Chaos an kleinen
  Tischen. Es gibt eine klare Struktur mit Zonen für Arbeit,
  Bewegung und Zusammenkunft - und wir haben darauf geachtet, dass
  die Akustik stimmt. Außerdem stehen im vierten Stock Einzelbüros,
  Konferenz- und Seminarräume zur Verfügung, die man jederzeit
  nutzen kann. Denn natürlich braucht man auch Räume, in denen man
  zum Beispiel Personalgespräche oder Verhandlungen mit Kunden
  führen kann. In denen man abschalten und entspannen kann. Im
  Grunde kann man unser Konzept mit dem Englischen Garten in
  München vergleichen - dort gibt es eine Vielzahl von "Räumen". Es
  gibt größere und kleinere Lichtungen, es gibt Wiesen, auf denen
  man sich hinlegen kann, andere, die sich besonders gut für Sport
  eignen, es gibt Gelegenheiten zum Baden, Musizieren und für
  Begegnungen. Jeder kann diese Räume nutzen, muss aber nicht.
  Möglichkeitsräume könnte man sie nennen.
  
Es gibt Mitarbeiter, die unser Bürokonzept von Anfang an
  toll finden, aber es gibt auch welche, die sich lieber in ihr
  Kämmerchen zurückziehen wollen. Sie müssen sich an ihren neuen
  Arbeitsplatz erst gewöhnen. Zumal ein solcher Raum eine gewisse
  Disziplin erfordert, man muss Rücksicht nehmen und leiser
  telefonieren.
  
Das Konzept war ein Experiment - und ich glaube, es ist
  gelungen.
Übersicht aller bereits erschienenen Beiträge der "Living at Work-Serie".
English version: PDF-File.
  
  Tilmann Noller, Architekt und Physiker, leitet das
  Architekturbüro kraftlabor.
  
  Siegfried Lautenbacher ist geschäftsführender Inhaber und
  Gründer von Beck et al. Services GmbH.
  
  www.kraft-labor.com
  
 
  www.bea-services.de
Zum changeX-Partnerportrait: Koelnmesse GmbH.
| 
      
         | 
  
| 
    www.orgatec.de
     Vom 19. bis 23. Oktober 2004  | 
  
© changeX Partnerforum [13.02.2004] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
changeX 13.02.2004. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.



