Mehr als die Summe der Begriffe
circ corporate lexikon : edition I | von corporate bullshit zu corporate culture - das Wiki-Projekt der Agentur circ corporate experience.
Von Florian Michl
Ich bin mehr als die Summe meiner Teile. Das ist das Ziel jedes globalen Konzerns, der mehr sein will als seine Produkte, Geschäftsbereiche und Niederlassungen: eine Einheit, ein Korpus. Corporate! Ein neues Lexikon lotet die Tiefe dieses Begriffs und seiner Kombinationen aus. Genauer: ein Lexikon, das zwei Bücher ist. Und ein Wiki. / 04.12.07
Cover circ corporate lexikon Am Anfang steht eine Irritation: Wie liest man ein Buch, das eigentlich zwei Bücher ist, oben die Bindung links, unten die Bindung rechts? Oben Deutsch, unten Englisch. Nun, ganz einfach: Am Ende des deutschen Teils angekommen, schlägt man den Buchrücken um und hält den englischen Teil in Händen. Oder umgekehrt. Von corporate bullshit zu corporate culture reicht die Bandbreite der in diesem ungewöhnlichen Lexikon versammelten Begriffe. Das Thema: "corporate", die Einheit des Ganzen. Ersonnen hat das ungewöhnliche Projekt die Agentur circ, die unter dem Label "corporate experience" für ihre Kunden Ideen in Erlebnisse zu verwandeln verspricht.
"'Corporate' verweist auf den größeren Zusammenhang, die Verbundenheit, den Komplex und seine integrale Systematik", erklärt Hans Reitz, Gründer und Creative und Executive Director der Agentur. Insgesamt 73 solcher "Korporatismen" hat er zusammengetragen. Beispielsweise "corporate hijacking", eine Wortschöpfung von Naomi Klein, Autorin von No Logo. Sie ziele auf die "Entführung" politischer Macht ab. Denn Unternehmen und Konzerne zählten inzwischen zu den stärksten und de facto mächtigsten politischen Kräften. Und schreckten vor der Anwendung ihrer politischen Macht nicht zurück - ohne allerdings demokratische, also politische Legitimation vorweisen zu müssen. Oder der "corporate raider", "jene Instanz, die eine feindliche Übernahme zu initiieren versucht, indem sie die mehrheitlichen Geschäftsanteile auf dem Wertpapiermarkt oder direkt von den Mehrheitsaktionären erwirbt", so der Wortlaut im Lexikon. Natürlich fehlt auch nicht jener Begriff, der den Anstoß zu der Idee geliefert hat: "corporate social responsibility", die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen, die begrifflich klar vom "corporate sponsorship" geschieden ist. Somit präsentiert sich das Lexikon auf dem Stand der Debatte.

Ich bin zwei Bücher.


circ Cover Mehr noch: Mit ihrem Lexikon liefert die Agentur circ selbst ein Beispiel einer "corporate"-Strategie, nicht nur das notwendige Vokabular dazu. 73 Begriffe in zwei Sprachen, das sind nicht nur 146 Begriffe, auch nicht zwei Bücher, sondern ein Ganzes. Man kann das Buch drehen und wenden, wie man will: Ein Oben und Unten gibt es nicht. Man kann es von beiden Seiten lesen, auf Englisch oder Deutsch. Doch ist es eins, ein Lexikon. Das demonstriert, wie man im Kleinen die Idee des Ganzen verwirklicht. Und es demonstriert zugleich die Funktion der Form: Einheit herzustellen. Wegen seiner ungewöhnlichen Gestaltung ist das Buch auch für den Wettbewerb "Gute Gestaltung 08" nominiert. Zu Recht: Es ist einfach schön! Für die Agentur ein Kriterium mit hohem Stellenwert. Denn "Menschen spüren, dass der Sinn für das Schöne hilft, das Richtige zu erkennen".
Doch was ist schön? "Es ist eine alte Rede, dass sich über den Geschmack nicht streiten lässt; indes streitet man doch darüber, ja über nichts mehr als den Geschmack; es muss sich also doch darüber streiten lassen." So interpretierte Gustav Theodor Fechner dieses bis heute bekannte Problem und entwickelte 1876 in seiner Vorschule der Aesthetik ein Prinzip des Schönen: die "Einheit in der Mannigfaltigkeit". Das bedeutet, dass wir beispielsweise ein Bild als schön empfinden, wenn es uns gelingt, eine Einheit unter den mannigfaltigen Elementen eines Bildes herzustellen. Absolut ist dieses Prinzip keineswegs. Gültigkeit hat es aber noch immer. Und es lässt sich auf "corporate"-Strategien übertragen, die das gleiche Ziel verfolgen: aus Unternehmensteilen und -bereichen ein Ganzes zu formen. Zufall?

Corporate Wiki.


So ungewöhnlich wie die Aufmachung dieses Buches ist auch die dahinter stehende Idee. Einmal ist das Buch bewusst auf Unvollständigkeit angelegt: Die edition I eines Publikationsvorhabens, von dem niemand weiß, wohin es führen wird. Ein Fragment, ein beliebiger Ausschnitt aus einer nicht definierten Gesamtheit. Zum anderen ist das Buch nur ein Appetizer; es soll dazu anregen, sich an einem Projekt im Internet zu beteiligen. Hier mutiert das Lexikon medienkonform zum Wiki, zu einem Mitmach-Projekt, offen für alle Interessierten. "Für uns ist das Buch ein Instrument, um die Leute dazu zu bringen, sich an dem Internet-Projekt zu beteiligen", sagt Michael Leroudier, Geschäftsführer der Agentur circ. Unter www.corporate-lexikon.de stehen dort alle Corporate-Begriffe des Buches in einer irritierend rotierenden Begriffswolke bereit und warten auf den Klick des Users, der jede Definition bewerten, kommentieren und auch neue Begriffe vorschlagen kann. "Wir stellen das Lexikon als Diskussionsgrundlage ins Netz", sagt Leroudier. Das Ergebnis des Wiki-Prozesses fließt dann in die edition II ein, die nicht nur in Deutsch und Englisch, sondern auch in chinesischer und indischer Sprache erscheinen soll. Für die Gestaltung hat die Agentur bereits den renommierten Designer Roger Pfund gewonnen. Die Gestaltung verspricht wieder ungewöhnlich zu werden. Leroudier verrät nicht zu viel: "Es wird kein Buch, sondern eher ein Objekt sein, das aber lesbar ist." Sicher aber ein Ganzes, das mehr ist als die Summe seiner Teile. Und einfach schön.

Florian Michl ist freier Mitarbeiter bei changeX.

Cover circ corporate lexikon Hans Reitz:
circ corporate lexikon : edition I |
von corporate bullshit zu corporate culture.

circ corporate experience gmbh & co kg ,
Wiesbaden 2007, 2 x 140 Seiten in Doppelbindung.
www.corporate-lexikon.de

 

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Florian Michl
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Florian Michl schreibt als freier Autor für changeX.

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