Wenig Geld - viel Lebensqualität
Wie viel materielle Güter braucht man, um zufrieden zu sein? Erstaunlich wenig, wie drei Beispiele zeigen.
Weniger Geld auszugeben kann sehr erfrischend sein. Zum Beispiel, weil man unversehens merkt, wie befriedigend es ist, etwas selbst zu machen, anderen Menschen auf Gegenseitigkeit zu helfen oder nicht mehr so viel Lebensenergie in die Ziele anderer zu investieren.
  Hängt Glück von materiellen Dingen
  ab? Die meisten würden "Nein" sagen. Und hoffen doch auf die
  nächste Gehaltserhöhung, setzen gutes Leben mit
  Konsumieren-können gleich. Verständlich. Ist die Brieftasche
  leer, haben Teuro-geplagte Großstadtbewohner nichts zu lachen.
  Doch vieles deutet darauf hin, dass es vor allem drei Faktoren
  sind, von denen unsere Zufriedenheit beeinflusst wird: Von guten
  sozialen Beziehungen in der Familie, in der Nachbarschaft, mit
  Freunden und Arbeitskollegen; von den selbstbestimmten, gern
  ausgeübten Tätigkeiten im Beruf und in der freien Zeit; von dem
  Gefühl, ein sinnvolles - auch für andere wichtiges - Leben zu
  führen.
  
Dafür braucht man natürlich Güter, aber wie viele? Die
  Arbeitsgruppe Neue Wohlstandsmodelle am Wuppertal Institut will
  herausfinden, wie weit wir wirklich auf Geld und Produkte
  angewiesen sind. Ab welchem Punkt die Anhäufung von Gütern - und
  die Arbeit dafür - anfängt, uns zu belasten. Und wie es anders
  geht. Drei Beispiele dafür, dass "gutes Leben" nicht unbedingt
  "viel Geld" bedeuten muss.
  
  Geld oder Leben
  
Ein holländisches Ehepaar, Hanneke van Veen und Rob van
  Eeden, war unzufrieden mit seinem Luxusleben als Doppelverdiener.
  Immer mehr kaufen und konsumieren - das konnte doch nicht der
  Sinn des Lebens sein! Also entschied sich das Paar, sein Leben zu
  ändern und seinen Haushalt selbstgenügsamer zu führen. Denn, so
  ihre Überzeugung, zu viel ist genauso ungesund wie zu wenig.
  Erstaunlicherweise funktioniert ihr Plan sehr gut. Ihre Ausgaben
  sanken schnell, von ihrem Einkommen (das sie zuerst fast ganz
  ausgegeben hatten) blieb schon nach kurzer Zeit mehr als die
  Hälfte übrig. Und ihre Lebensqualität bröckelte nicht etwa - im
  Gegenteil.
Bewußter leben.
Was macht den asketischen Lebensstil für sie so attraktiv? "Wir leben viel bewusster und lassen unsere Präferenzen nicht so sehr von anderen, zum Beispiel der Werbung und der Umgebung, bestimmen", sagen Hanneke und Rob. Statt teure Sachen zu kaufen und hinter der Mode herzurennen, entdecken sie Geschäfte mit Secondhand-Kleidung. Anstelle eines teuren Geschenkes schenken sie Freunden, die gerade ein Kind bekommen haben, einen Gutschein für drei Abende Babysitting. Bücher leihen sie in der Bibliothek aus, Wander- oder Fahrradferien sind für sie eine attraktive Alternative für Fernreisen. Sie entdecken ihre Kreativität beim Kochen, wenn sie eine leckere Mahlzeit mit nur wenig Geld und Nahrungsmitteln aus der Region zubereiten. Hanneke und Rob genießen das Leben und sind zufrieden. Außerdem können sie mit dem ersparten Geld viele Träume verwirklichen, zum Beispiel ein Sabbatjahr, eine kürzere Wochenarbeitszeit und damit mehr Zeit für Familie, Freunde, Hobbys und ehrenamtliche Arbeit - alles Dinge, die das Wohlbefinden steigern. Ihre Erfahrungen und Tipps geben sie in Büchern (zum Beispiel Geld oder Leben, mvg 1997) und Selbsthilfekursen weiter. Geld oder Leben leitet dazu an, sich mit Hilfe eines Stufenplanes darüber Klarheit zu verschaffen, wofür man seine Lebensenergie einsetzt. Häufig für Unwichtiges, während Wichtiges auf der Strecke bleibt, meinen Rob und Hanneke. Daran schließt sich die Suche nach dem rechten Maß an, nach neuen Idealen und Lebenszielen. Bis man gelernt hat, seine Energie für mehr Lebensqualität einzusetzen.
  
  Bettentausch auf Fahrradreisen
  
 
  Wer durch Deutschland radeln
  möchte und nicht viel Geld hat, landet abends oft erschöpft in
  einer nicht immer gemütlichen Jugendherberge. Doch es gibt auch
  alternative und günstige Übernachtungsmöglichkeiten. Der ADFC
  (Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club) gibt ein
  "Dachgeber-Verzeichnis" heraus, ein in den deutschsprachigen
  Ländern flächendeckendes Übernachtungsverzeichnis für
  Tourenradler. Es basiert auf dem Gegenseitigkeitsprinzip: Nur wer
  selbst bereit ist, Radlern auf Tour eine kostenfreie Unterkunft
  zu gewähren, kann das Verzeichnis bei seinen Radreisen in
  Anspruch nehmen. Bernd F. hat es ausprobiert: "Begeistert von
  dieser Idee und nachdem ich meine Eltern überredet hatte, andere
  Radler aufzunehmen, bestellte ich mir das Verzeichnis und fuhr
  los", berichtet er. "Am Nachmittag suchte ich mir eine
  Telefonzelle und wählte gespannt die nächste Telefonnummer aus
  dem Verzeichnis. Zu meiner Verwunderung war alles in zwei Minuten
  geklärt und ich hatte mein erstes Date mit einem Mitglied aus dem
  ADFC-Dachgeber. Auf spartanische Verhältnisse gefasst, war ich
  verwundert, bei einer lieben Familie gelandet zu sein und am
  reich gedeckten Abendbrottisch von meinen ersten Erlebnissen und
  der weiteren Planung meiner Tour zu berichten. Nach einer guten
  Nacht und einem ausführlichen Frühstück konnte ich gestärkt meine
  nächste Etappe antreten, mit der beruhigenden Gewissheit, dass
  der nächste Dachgeber innerhalb einer Tagestour erreichbar ist.
  Auch bei den anderen wurde ich immer herzlich empfangen."
Nette Leute kennenlernen inklusive.
Die Unterbringung ist in der Regel einfach und bescheiden sein, Schlafsack und Isomatte gehören ins Gepäck. Von einer Ecke in einem Zimmer bis hin zu einem gefederten Bett mit Abendbrot, Frühstück und einer Reparaturwerkstatt fürs Fahrrad reicht das Angebot. Und neue Bekanntschaften und spannende Gespräche gibt's gratis dazu.
  
  Selber machen statt kaufen
  
In einen Laden zu gehen und sich ein silbernes Armband zu
  kaufen ist leicht, macht aber längst nicht so viel Spaß, wie sich
  das Schmuckstück selbst zu schmieden. Oder seine Möbel
  eigenhändig zu entwerfen und zu schreinern. Doch in der eigenen
  Wohnung in der Stadt ist das Selbermachen oft eine Unmöglichkeit,
  es fehlen Platz, Ausrüstung und Anleitung. Also geht man
  "shoppen" und verlernt, wie man etwas selbst baut oder repariert.
  Diese Lücke füllt - ausgerechnet im schicken München mit seinen
  exklusiven Einkaufsmeilen - das Haus der Eigenarbeit (HEi), ein
  Bürgerzentrum, in dem seit 1987 Eigenarbeit ergänzend zu
  Erwerbsarbeit, Ausbildung, Rente und Familienarbeit ausprobiert,
  gelernt und genossen werden kann. Es will die Besucher zu
  Eigeninitiative und Selbstorganisation ermutigen. Im Mittelpunkt
  stehen dabei die professionell ausgestatteten Werkstätten für
  Holz, Metall, Textilien, Keramik, Schmuck, Papier, Polstern,
  Reparatur sowie die Energieberatung. Wer sich zum Beispiel ein
  Kleid selbst nähen, das Buchbinden lernen oder einen Sessel neu
  beziehen will, findet hier die nötige Ausstattung, auch leihen
  kann man sich das Werkzeug. Damit auch Ungeübte nicht hilflos
  kapitulieren, stehen Fachberater bereit, die helfen und beraten.
  Ergänzt wird das durch ein breites Kursangebot.
  
Die Finanzierung des HEi speist sich aus vielen Quellen.
  Circa 43 Prozent der Einnahmen kommen aus Nutzungs- und
  Kursgebühren, Materialverkäufen, Café-Einnahmen,
  Mitgliedsbeiträgen und Spenden. Ein anderer wichtiger Baustein
  sind die Fördermittel der Landeshauptstadt München, des
  Arbeitsamtes und einer privaten Stiftung. Im HEi selbst kann man
  nicht nur mit Euro bezahlen, sondern auch mit "Talenten", der
  Währung des Münchner Tauschrings LETS, denn für den Tauschring
  ist das Haus ein wichtiger Ort der Unterstützung und Vernetzung.
  
Eigenarbeit bedeutet: selber etwas tun, anstatt zu kaufen,
  selbstbestimmt tätig sein, eigene Bedürfnisse befriedigen, etwas
  Nützliches und Schönes herstellen, sei es ein Produkt oder eine
  Dienstleistung, das Hervorgebrachte selber nutzen, verschenken
  oder eintauschen.
Gegenentwurf zur Konsumkultur.
Menschen, die ins Haus der Eigenarbeit kommen, beurteilen ihren Aufenthalt dort als sehr positiv, auch über den unmittelbaren Zweck und die spontan empfundene Befriedigung hinaus. Denn Eigenarbeit verändert aus der Sicht der Nutzerinnen und Nutzer den Umgang mit Gegenständen, das Qualitätsbewusstsein und das Konsumverhalten. Wer sich beispielsweise ein Bett selbst baut, lernt manches über Holz und dessen Herkunft, schätzt das Bett als einmalig - als Unikat - und als Produkt der eigenen Geschicklichkeit. Er identifiziert sich ganz anders mit ihm als mit einem gekauften und nutzt es vermutlich auch länger. Eigenarbeit ist kein Ersatz für Erwerbsarbeit, aber sie kann in der Zukunft, in der die Erwerbsarbeit weiter zurücktreten wird, eine wichtigere Rolle spielen. Und in Zeiten der Arbeitslosigkeit hilft sie, Kompetenz und Selbstvertrauen zu erhalten.
  Informationen zum ADFC-Dachgeber
  bekommt man bei:
  
 Wolfgang Reich, Manteuffelstr. 60, 28203 Bremen,
  
 Tel.: 0421 75890, Fax: 0421 7948066,
  
 
  ADFC-@t-online.de,
  
 
  www.adfc.de.
  Haus der Eigenarbeit,
  Wörtherstr.42/Rgb., 81667 München,
  
 Tel.: 089 4480623, E-Mail:
  
 
  info@hei-muenchen.de,
  
 
  www.hei-muenchen.de.
  
  Diese und viele andere Beispiele werden auf den Seiten der
  Arbeitsgruppe Neue Wohlstandsmodelle porträtiert:
  
  www2.wupperinst.org/Gutes_Leben/.
  
Dort können Sie auch Ihre Meinung zu den einzelnen
  Beispielen abgeben, mit anderen Interessierten diskutieren und
  selbst Beispiele vorschlagen, die Sie beeindruckt haben.
  Wuppertal Institut für Klima,
  Umwelt, Energie GmbH
  
 c/o Arbeitsgruppe Neue Wohlstandsmodelle
  
 Renate Jungkeit
  
 Tel.: 0202 2492 176
  
 
  renate.jungkeit@wupperinst.org
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