Handverlesen
Die changeX-Buchkolumne für das Wirtschaftsmagazin brand eins. | Folge 1 |
Die New Economy liegt am Boden. Für die Buchverlage kein Problem. Sie kramten ihre Traditionshüter und Kulturbewahrer aus. Und ließen sie die Stifte spitzen. Jetzt liegen ihre Elaborate vor. Damit Sie nicht unnötig Geld ausgeben - Peter Felixberger sagt Ihnen, welches Buch sich lohnt.
Fremde Länder, gleiche Sitten. Wenn die Amerikaner ein Thema oder eine Person via Medien hochjazzen und dann zum Abschuss freigeben, sprechen sie von Turkey Shoot. In der deutschen Tierallegorie spricht man diesbezüglich von zur Sau machen und selbige vor der Schlachtung durchs Dorf treiben. Egal ob Truthahn oder Schwein, am Ende sind sie beide tot. Ein wunderschönes Beispiel dieser postmodernen Metzelei ist die New Economy. Wie haben sie sich in den Redaktions- und Lektoratsstuben schon Ende 2000 die Hände gerieben, als es mit der New Economy bergab ging. Gerade noch hatten Buch- und Zeitschriftenverkäufe schillernde Verkaufszahlen erzielt, da spitzte die Armada der Traditionshüter und Kulturbewahrer bereits die Stifte. Jetzt liegen die Elaborate allesamt vor.
Verkappte Alleinherrschaft des Marktes.
  Im Grunde genommen lassen sich vier
  Autorentypen unterscheiden. Der erste ist der
  Smith&Wesson-Typ. Der amerikanische Kulturkritiker Thomas
  Frank ist ihr wütendster Vertreter. Er räumt auf mit den seiner
  Meinung nach falschen Versprechen der New Economy. Sie sei nun
  wirklich nicht neu, behauptet er, würde jedoch gefeiert, als ob
  sie der Menschheit letzter Rettungsanker ist. Dabei entlarvt sie
  sich als verkappte Alleinherrschaft des Marktes, der die Schere
  zwischen arm und reich immer weiter auseinandergehen lässt. Auf
  der Strecke bleiben Gewerkschaften, Parteien und Staat, kurz: die
  Errungenschaften der Demokratiegeschichte! Gefahr ist also in
  Verzug.
  
 Dieser Autorentyp betrachtet die New Economy als ein
  abgekartetes Spiel der neoliberalen Kräfte. Wie etwa auch der
  Philosoph Slavoj Zizek, der vor allem die Vorstellung eines
  Subjekts mit tausend und mehr natürlichen Neigungen und
  Möglichkeiten als Zentrum der neoliberalen Ideologie anprangert.
  Arbeit und Leben stünden gar nur noch im Zeichen der Vermarktung
  jedes Einzelnen. Als Arbeitnehmer müsse man sein eigener
  Unternehmer sein. Einer, der durch lebenslanges Lernen seine
  Leistungsfähigkeit immer wieder herstelle und sie dann auf dem
  Markt zu verkaufen suche. Solche Produktion und Vermarktung der
  eigenen Arbeitskraft als Ware bedeute aber nicht lustvolle
  Freiheit. Sie habe vielmehr zur Folge, dass die alte Kluft
  zwischen Kapital und Arbeit nun den Einzelnen selbst spaltet.
  
 Eines der Probleme der Smith&Wesson- Argumentation
  liegt darin begründet, den Menschen als isolierten Einzelkämpfer
  und Opfer in der rauhen Arbeitswelt zu reduzieren. New Economy
  zielt indes genau in die Gegenrichtung. Denn wer nach
  Kreativität, Flexibilität, sozialer und kommunikativer Kompetenz
  ruft, nach Selbstverwirklichung strebt sowie eine aktive
  Einmischung und Mitgestaltung jedes Einzelnen fordert, muss die
  Konkurrenz- und Ellenbogengesellschaft ebenso auf die Müllhalde
  der Geschichte werfen wie die krude Kapitalismuskritik. New
  Economy fordert nämlich mehr Beteiligung, mehr gegenseitige
  Hilfe, mehr Zusammenarbeit. Denn sich aktiv einmischen können
  weckt das Wollen. Wollen ist die Bedingung für das Ausüben
  können. Das gilt nicht nur für jeden Selbst, sondern auch für
  Schule und Universität, für Gewerkschaften und Parteien, sowieso
  für die Berufs- und Managementwelt.
Zwischen Glorifizierung und Verteufelung.
Den zweiten Autorentyp wollen wir "Johnny Wissenschaftshuber" nennen. Er tritt in diesem Bücherherbst in persona des Bremer Wirtschaftsprofessors Rudolf Hickel auf. Dieser Typ hat sich das Treiben erst einmal eine Zeitlang angesehen, bevor er dann väterlich von der Professorenkanzel das Für und Wider erläutert. Seine Einschätzung ist lapidar: Der Zauber der New Economy ist dahin und die Zukunft ungewiss. Hickel versucht daher relativ vorsichtig zu bleiben. So einfach lässt sich das Gespenst nämlich nicht abschütteln. "Die jetzige Verteufelung der New Economy führt ebenso sehr in die Irre wie die vorherigen Versuche, sie in den Himmel zu heben." Schön zu wissen. Und so doziert er seitenlang, was die Start-ups noch alles lernen müssten und wie man sie wieder auf den Hosenboden setzt. Am Ende trifft sich Johnny Wissenschaftshuber mit Smith&Wesson bei den Schreckgespensten Neoliberalismus und Globalisierung, welche durch die Internetökonomie schreckliche Blüten treiben sollen.
Die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit.
Mit der Publizistin Barbara Ehrenreich treffen wir einen dritten Autorentyp: den Undercover-Agent. In guter Günter Wallraff-Manier lebte sie hautnah auf der Schattenseite des New Economy-Booms in den USA. Als Serviererin in Florida, als Putze in Maine und schließlich als Verkäuferin in Minnesota. Das Buch ist eindrucksvoll, weil es zeigt, wie schwierig Rahmenbedingungen für einen humanen Kapitalismus zu schaffen sind. Knallhart die Realität des 2,43 Dollar-Stundenlohns plus Trinkgeld in Key West. Beschämend die Ausgrenzung der Niedriglohn-Arbeiter, die ihr mickriges Salär in hohen Lebenshaltungskosten versanden sehen. "In Key West verdiente ich 1039 Dollar pro Monat ... blieben mir 22 Dollar übrig." Nach der Lektüre des Buches bleibt ein dickes Aufforderungszeichen, die Frage der sozialen Gerechtigkeit noch stärker in den Mittelpunkt der New Economy-Debatten zu stellen. Deshalb hat auch der englische Soziologe Anthony Giddens so überaus recht: "Wir müssen die Umstände bekämpfen, unter denen Armut sozialen Ausschluss bewirkt oder sozialer Ausschluss Dauerarmut hervorruft." Und die Gefahr ist längst Wirklichkeit. Zehn Prozent der Deutschen leben derzeit in dauerhafter Armut, 20 Prozent rutschen immer wieder einmal unter die Armutsgrenze. Lediglich 70 Prozent sind nie arm gewesen.
Willenskraft und Selbstbestimmung.
  Kommen wir zum letzten Autorentyp,
  den französischen Romancier und Essayisten Pascal Bruckner. Ein
  wunderbares Buch hat er geschrieben, in Frankreich über
  100.000mal verkauft, in Deutschland seit dem Erscheinen im März
  doch immerhin respektabel beachtet. Er ist Monsieur Malheureux.
  Verdammt zum Glück seien wir alle miteinander, der Zwang des
  heutigen Glücksstrebens jedoch ein Hirngespinst: "Von einer
  gleichzeitigen Entfaltung aller menschlichen Ideale zu träumen
  ist eine liebenswerte Chimäre: Die Zerrissenheit ist unser
  Schicksal, wir sind zum Missklang verurteilt, zum Wettstreit von
  Grundwerten, die sich als unvereinbar erweisen." Unser
  Lebenshunger verlange vielmehr nach Widrigkeiten, an denen wir
  wachsen können. Zu viel Leichtigkeit würde den Spaß verderben,
  die Würze des Widerstands würde fehlen. "Wir brauchen
  Hindernisse, die wir überwinden können und die uns die doppelte
  Erfahrung der wiederholten Niederlage und des ausweglosen
  Unglücks ersparen."
  
 Bruckner hat unbeabsichtigt das eigentliche
  Krisenbewältigungsbuch der New Economy geschrieben. Sein Credo:
  Nehmt hin die Krise und bereichert Euch daran. "Das nämlich ist
  das Projekt der Moderne, Willenskraft und Selbstbestimmung
  miteinander zu verbinden, wodurch das Unmenschliche menschlich
  wird, weil ich es will und weil ich allein das Ausmaß der
  Schmerzen festlege, die zu ertragen ich bereit bin." Und damit
  glaubwürdig zu bleiben. Helas!
Peter Felixberger ist Publizist und Lektor sowie Geschäftsführer der changeX GmbH.
Thomas Frank:
 
Das falsche Versprechen der New Economy. Wider die neoliberale
Schönfärberei.
Campus Verlag, Frankfurt 2001
 420 Seiten, 49,80 Mark
 ISBN 3-5933-6810-2
Rudolf Hickel:
 
Die Risikospirale. Was bleibt von der New Economy?
 Eichborn Verlag, Frankfurt 2001
160 Seiten, 39,80 Mark
 ISBN 3-8218-3903-1
Barbara Ehrenreich:
 
Arbeit poor. Unterwegs in der Dienstleistungsgesellschaft.
 Verlag Antje Kunstmann, München 2001
 253 Seiten, 37 Mark
 ISBN 3-8889-7283-3
Pascal Bruckner:
 
Verdammt zum Glück. Der Fluch der Moderne.
 Aufbau Verlag, Berlin 2001
 266 Seiten, 39,86 Mark
 3-3510-2518-1
  Zu Folge 2:
 Von grenzenloser Freiheit und Entjungferung auf Raten
  Zu Folge 3:
 Und ewig droht der Kapitalist
 
  Zu Folge 4:
 Exzentrische Frevler
  Zu Folge 5:
 Volle Dröhnung
© changeX Partnerforum [05.10.2001] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
 
changeX 05.11.2001. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
Artikeltags
Zu den Büchern
Thomas Frank: Das falsche Versprechen der New Economy. Wider die neoliberale Schönfärberei. Campus Verlag, Frankfurt am Main / New York 2001, 420 Seiten, ISBN 3-5933-6810-2
Buch bestellen bei
				                    Osiander 
				                    genialokal 
				                    Amazon 
			                   
Rudolf Hickel: Die Risikospirale. Was bleibt von der New Economy?. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2001, 160 Seiten, ISBN 3-8218-3903-1
Buch bestellen bei
				                    Osiander 
				                    genialokal 
				                    Amazon 
			                   
Barbara Ehrenreich: Arbeit poor. Unterwegs in der Dienstleistungsgesellschaft. Verlag Antje Kunstmann, München 2001, 253 Seiten, ISBN 3-8889-7283-3
Buch bestellen bei
				                    Osiander 
				                    genialokal 
				                    Amazon 
			                   
Pascal Bruckner: Verdammt zum Glück. Der Fluch der Moderne. Aufbau Verlag, Berlin 2001, 266 Seiten, ISBN 3-3510-2518-1
Buch bestellen bei
				                    Osiander 
				                    genialokal 
				                    Amazon 
			                   
Autor
Peter FelixbergerPeter Felixberger ist Publizist, Buchautor und Medienentwickler.



