Pure Hilflosigkeit

Ein Interview mit Peter Grimm über die Situation des Vertriebs in Deutschland.

Von Nina Hesse

Noch immer pflegen die Kunden ihre Geiz-ist-geil-Einstellung - und sind gleichzeitig durchs Internet bestens über die Produkte informiert. Die Aufgabe von Verkäufern ist in Zukunft, Entscheidungshilfe zu geben, betont Vertriebsexperte Peter Grimm. Aber auch in den Vertriebsabteilungen muss sich einiges ändern, sonst lässt der Aufschwung lange auf sich warten.

Peter GrimmPeter Grimm ist seit über 25 Jahren selbstständiger Unternehmer und geschäftsführender Gesellschafter der Peter Grimm Customing GmbH. Er ist innovativer Unternehmensberater, Quer- und Vordenker sowie Experte für die vertriebsbezogene Entwicklung in Industrie, Handel und Dienstleistung. "Customing ", sein Führungssystem für vertriebsbezogene Unternehmensentwicklung und zukunftsfähigen Verkauf, wird in namhaften Unternehmen in Lizenz eingesetzt. Sein neues Buch Verkauf.Macht.Zukunft ist vor kurzem im Gabal Verlag erschienen.

Der Wettbewerb auf dem Markt wird immer heftiger, und man hat den Eindruck, dass der Vertrieb zunehmend hilflos reagiert. Was läuft falsch in Vertriebsabteilungen?
Hauptsächlich ist das Problem, dass der Verkauf auf der Basis von Erfahrungswissen arbeitet, weil es hierfür eben keine systemische Ausbildung gibt. Hinzu kommt: Der Vertrieb definiert sich nach sehr groben Rastern - die Branche, die Produkte/Dienste und die Zielgruppen.
Das ist eine abenteuerlich grobe Differenzierung. Es gibt keinen anderen qualifizierten beruflichen Aufgabenbereich, der ein so wenig differenziertes Raster für sich selbst hat. Deshalb sind die Trainingsmaßnahmen im Vertrieb fast immer Sanierungsmaßnahmen für nie gelegte Berufsgrundlagen.

Es ist also eine Frage der Grundlagen?
Sicher nicht nur. Hinzu kommt: In vielen Unternehmen betreut die Personalentwicklung Mitarbeiter des Vertriebs - obwohl diese Personalentwickler nie im Verkauf waren und dazu überhaupt keinen Bezug haben! Das ist angewandtes Eunuchentum. Und ein großes Ärgernis. Viele Unternehmen machen es sich leicht, sie überlassen die Entwicklung ihres Vertriebs nur allzu gerne der Personalentwicklung, die wird's schon richten.

Was für Leute werden dadurch gefördert?
Nicht immer die Fähigsten, sondern die am besten Angepassten. Denn die Personalentwicklung kann über Erfolg im Vertrieb so viel sagen wie ein Pflasterstein übers Fliegen. Herzlich Willkommen im Club der professionellen Laien.

Das lässt sich nachvollziehen. Aber gibt es auch eine bestimmte Denkweise, die dem Vertrieb fehlt?
Eben die Differenzierung, die ich schon angesprochen habe. Jeder andere Beruf kennt seine Archetypen. Eben diese Klarheit haben wir erst geleistet: Was bedeutet Versorgung? Was bedeutet Beziehung? Was bedeuten Beratung und Entscheidung und vieles andere mehr im Vertriebskonzept wirklich? So bleibt alles einfach zu oft an der Oberfläche einer Patentrezepte-Sammlung kleben - und nur zu oft nennt man das dann Verkaufstraining.

Vor allem zurzeit - viele Leute pflegen ihre "Geiz-ist-geil-Einstellung" ...
Dieser Slogan ist die pure Hilflosigkeit. Aus gutem Grund. Wenn ich durch die Stadt gehe, sehe ich kurz nach Weihnachten, wenn die Leute alle ihre Geschenke gekauft haben, wie sie aus ihrer Sicht verarscht werden: Da kostete der vor Weihnachten angeblich runtergesetzte DVD-Rekorder statt 250 nur noch 190 Euro! Wer durch diese Erfahrung schlau wurde, schenkt das nächste Mal einen Gutschein und kauft das Gerät erst nach Weihnachten. Der Spruch "Geiz ist geil!" ist auch deswegen genial, weil er die Hilflosigkeit einer gesamten krisengeschüttelten Nation - und inklusive und im Besonderen des deutschen Fachhandels - in Vertriebs- und Verkaufsfragen demonstriert.

Kann man die Kunden wieder von dieser Schiene abbringen - oder ist es dafür zu spät?
Schon in Goethes "Zauberlehrling" findet sich der Stoßseufzer: "Die Geister, die ich rief ...!" Diese Situation haben die Unternehmen selbst erzeugt. Es waren nicht die Verbraucher, das haben die Anbietenden schon selber besorgt. Und damit müssen sie noch eine ganze Zeit lang zu leben. Eine schnelle Abkehr gibt es leider nicht mehr. Bis wieder intelligentere Konzepte kommen und wieder echte Erlebniswerte im Verkauf vermitteln, das wird leider etwas dauern.

Was meinen Sie mit: Erlebnis im Verkauf? Was muss man dem Kunden heutzutage bieten?
Entscheidungshilfe, schlicht und ergreifend! In vielen Fällen kommt ein Kunde ins Geschäft, weil er einen unbewussten Wunsch hat, ein Streben nach irgendetwas. Wenn ihm niemand hilft, seine Wunschsituation zu klären, geht er wieder. Und der Verkäufer sagt hämisch zu seinem Chef: "Der wusste ja selbst nicht, was er wollte!" Ja, wenn es so einfach ist!

Das stimmt, diesen Spruch hört man öfter. Und genau da muss man ansetzen?
Ja. Aus dem einfachen Grund, weil wir künftig immer weniger Fachwissen zu übertragen brauchen. In Autohäusern beispielsweise stehen die Verkäufer hilflos bestens vorinformierten Kunden gegenüber, die sich im Internet schon über die Technik schlau gemacht haben. Schon wissen die Verkäufer nicht mehr, worüber sie reden sollen. Sie begreifen nicht, dass der Kunde primär Entscheidungshilfe braucht. Auch die Automobilindustrie begreift dies nur sehr zögerlich.

Muss denn der Vertrieb beziehungsweise das Unternehmen sein Verhältnis zum Kunden ganz neu durchdenken?
In der Diskussion um "Deutschland, die Service-Wüste" wurde der verführerische Begriff "Kundenorientierung" geboren. Wir sind jetzt alle so kundenorientiert und ich wundere mich immer wieder, dass kaum jemand durchdenkt, was dieser Begriff in seiner Konsequenz heißt. Orientierung am Kunden heißt, sich an seinen Wünschen zu orientieren. Und da sein Wunsch ist, dass er das Produkt geschenkt bekommt, bin ich perfekt, wenn ich es ihm schenke. Kundenorientiert ins Tal der Tränen, das ist toll!

Und was ist die Lösung dafür?
Wenn ein Vater sohn- bzw. kundenorientiert ist, und der Sohn sagt: "Ich will ein Eis und noch ein Eis und jetzt ein paar Pommes frites dazu!", dann sagt ein in Wahrheit vom Sohn geführter Vater: "Das will er - das kriegt er!" Denkt er aber weiter und fragt sich, was ist gut für seinen Sohn beziehungsweise diesen Kunden, dann kann er dem Sohn beziehungsweise Kunden helfen, seine Zukunft mit den damit verbundenen Zielen, Zwängen und Risiken zu erfassen, und echte Lösungen hierfür aufzeigen. Sie wirken vielleicht manchmal gegen den augenblicklichen Wunsch des Kunden, aber erst das macht ja echte Beratung in Wahrheit aus.
Statt sich also billigst den Wünschen seiner Kunden zu beugen, wäre also Integration der Kunden in das Denken, Fühlen und Handeln der Unternehmen das richtige Ziel. Der Vertrieb muss lernen, in den Zielen, Zwängen und Risiken seiner Kunden zu denken und von dort aus wieder echte Beratung zu leisten und sich vom Unterwürfigkeitsspiel der kundenorientierten Wunscherfüllung zu verabschieden.

Dabei fällt mir das Thema "Koentwicklung" ein - der Kunde ist an der Entwicklung mitbeteiligt und erhält dafür maßgeschneiderte Produkte. Unterstützen Sie das?
Nur dort, wo es passt. Wir müssen eines klar sehen: Wir können nicht jeden Menschen fragen, was er haben will. Schlicht deshalb, weil er es oft selbst nicht weiß. Der Kunde kann es erst erkennen, wenn er es sieht. Dort, wo der Kunde in eine gemeinsame Projekt- beziehungsweise Produktentwicklung einbezogen wird, sieht es natürlich anders aus.

Welche Ausbildung sollte denn ein Vertriebsmitarbeiter in Zukunft idealerweise haben?
Er bräuchte ein Vorbild. Jemanden, der den Vertrieb versteht. Und keinen Möchtegern-Manager, der "Vertriebsleiter" spielt. Kompetenz, Wissen und das Ziel, den Erfolg vom Zufall zu befreien sind gerade im Vertrieb, der bisher in Bezug auf echtes Erfolgswissen die heimatloseste aller Abteilungen ist, zunehmend deutliche Engpässe.

Welche Rolle spielt denn Ihr System Customing dabei oder welche Rolle könnte es spielen?
Es ist das erste speziell für Verkauf und Vertriebsentwicklung entwickelte und genau darauf fokussierte System und keine Hilfskonstruktion aus anderen Disziplinen. Wir haben dem Verkauf und dem Vertrieb eine originäre geistige Denkplattform gegeben, von der aus er erkennend lernen und professionell wirken und seinen Erfolg vom Zufall befreien kann.

Wie verbreitet sich Ihr System?
Wir machen Führungskräfte zu Coaches. Das Customing-System ist so konzipiert, dass das Unternehmen es in Eigenregie übernehmen kann. Wir helfen natürlich, es zu integrieren, und bilden die Führungsleute aus, damit die Inselsituation der Ausbildung des Vertriebs endlich aufhört. Im Moment ist es in der Vertriebsentwicklung leider so, dass für drei Tage ein Trainer kommt, irgendein Seminar macht und wieder geht. Da die Führungskräfte meist davon freigestellt werden, sind sie am Prozess gar nicht beteiligt - das kann doch nicht die Zukunft sein!
Außerdem autorisieren wir künftig Beratungs- und andere Institutionen, die mit diesem Denksystem arbeiten wollen, und stellen ihnen Lizenzen zur Verfügung.

Das heißt, Customing verbreitet sich dezentral weiter.
Genau. Aus diesem Grunde werden wir Generallizenznehmer autorisieren, Institute oder Unternehmen, die in ihrer Branche eine Führungsrolle übernehmen wollen. Das damit verbundene Modell ist übertragbar auf jede gewünschte denkbare Konstellation.
Fragen dazu beantworten wir allen weiterführend Interessierten gerne.

Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.

www.customing.de

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Peter Grimm

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