Und er bewegt sich doch
Staat machen! Erfolgsgeschichten öffentlicher Institutionen - das neue Buch von Wolfgang Tiefensee und Rainer Lindenau.
Von Sigmar von Blanckenburg
Träge, schwergängig, innovationsfeindlich, reformunfähig - dieser Ruf eilt staatlichen Institutionen voraus. Ein Klischee, meint Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee. Er präsentiert zahlreiche Beispiele, die den Staat in anderem Licht zeigen. Und als Vorbilder für innovationsfreudige, führungsstarke und erfolgsorientierte öffentliche Institutionen dienen sollen. Nur zu! / 25.04.07
"Erste Regel: Das war schon immer so. Zweite Regel: Das war noch nie so. Dritte Regel: Da könnte ja jeder kommen." Die berühmten preußischen Verwaltungsregeln, die in verschiedenen Variationen immer wieder auftauchen, zeigen, wie kritisch Beamte und öffentliche Institutionen hierzulande wahrgenommen werden. Genau besehen ist es ja auch kein Wunder, dass die Bürger dem dominanten deutschen Staat mit einer gehörigen Portion Skepsis begegnen. Dass ein Spitzenpolitiker wie Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee das verbreitete Grundmisstrauen gegenüber öffentlichen Institutionen nicht teilen will, überrascht nicht. Eher schon, dass er nicht bloß eine Verteidigungsrede auf den Staat anstimmt, sondern sich die Mühe macht, zu argumentieren. Zusammen mit dem Unternehmensberater Rainer Lindenau hat Tiefensee Erfolgsgeschichten öffentlicher Institutionen zusammengetragen, die das Vorurteil von der mangelnden Effizienz des öffentlichen Sektors widerlegen sollen. Die Autoren wollen die Wahrnehmung verändern und die Präferenz für den Markt durchbrechen. Denn nicht alle staatlichen Funktionen können von privatwirtschaftlicher Seite übernommen werden, argumentieren sie. Viele Menschen sind auf die Leistungen des Staates angewiesen, meint Tiefensee. "Gerade die Schwachen in einer Gesellschaft brauchen den handlungsfähigen Staat."

Zero Tolerance.


Zum Beispiel die Polizei von New York, ein erstes ausländisches Vorbild für eine Erfolgsgeschichte einer öffentlichen Institution. Nach 30 Jahren der Stagnation gelang es dem neuen Polizeichef William Bratton im ersten Jahr seiner Amtszeit, die Kriminalität um zehn, im zweiten Jahr um weitere 15 Prozent zu senken. Das Erfolgsrezept hieß "Zero Tolerance". Bisher hatte die Polizei sich um geringfügige Delikte kaum gekümmert, weil die schweren wichtiger erschienen. Anders unter Bratton. Er setzte die konsequente Verfolgung auch geringfügiger Delikte durch und erreichte so, dass sich die Sicherheit der Menschen in New York merklich verbesserte. Zunächst hatte die Polizei zwar mehr Arbeit. Langfristig jedoch zahlte sich das Vorgehen aus. Es kam sogar zu "Synergieeffekten": Bei der Verfolgung notorischer Schwarzfahrer zeigte sich nämlich, dass diese häufig auch für zahlreiche andere Delikte verantwortlich waren, die die Polizei dann "in einem Aufwasch" aufklären konnte.

Schule mit Tochterunternehmen.


Ein Beispiel aus Deutschland ist die Georg-Weerth-Oberschule in Berlin, die nur wenige Kilometer von der umstrittenen Rütli-Schule entfernt liegt. Nur 48 Prozent der Schüler bekamen 1999 nach dem Abschluss einen Ausbildungsplatz. Nach Befragungen von ehemaligen Schülern, einer Analyse der Bedürfnisse der Unternehmen in Berlin und der Überprüfung der Fähigkeiten der Schüler wurde der Unterricht systematisch auf den Wandel der Berufswelt ausgerichtet. Mit dieser Neuausrichtung entstand geradezu ein Sog von Innovationen, in den Schüler, Lehrer und Eltern hineingezogen wurden. Die Schüler hatten sogar die Möglichkeit, an der Schule kleine "Tochterunternehmen" zu gründen und diese nach dem Schulabschluss, sofern sie ihre Kredite abbezahlt hatten, "mitzunehmen". Insgesamt konnte die Quote der Schüler, die einen Ausbildungsplatz bekamen, auf 98 Prozent gesteigert werden. Heute sieht sich Schulleiterin Britta Schmittke als "Geschäftsführerin des mittelständischen Unternehmens 'Georg Weerth', das seinen Firmensitz in Friedrichshain-Kreuzberg hat. Mit unseren 500 Mitarbeitern, 28 Abteilungsleitern und zwei Geschäftsführern produzieren wir Hardware - Zahlen, Fakten, Wissen - und Software - Kommunikations-, Team- und Konfliktfähigkeit neben den Tugenden wie Höflichkeit, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit. Unser Produkt verkauft sich zu 98 Prozent, während die Konkurrenz bei rund 50 Prozent liegt."

Innovationskraft und Offenheit.


Zahlreiche andere Erfolgsgeschichten öffentlicher Institutionen finden sich in dem Buch, die die Lektüre lohnen. Hockey-Trainer Bernhard Peters erzählt über seine ausgefeilten Trainingsmethoden, der Hamburger Oberbürgermeister Ole von Beust über die Hamburger "HafenCity", Walentina Matwienko über den Aufbruch in St. Petersburg und anderes mehr. Für Rainer Lindenau, der viele öffentliche Institutionen berät, weisen die vorgestellten Erfolgsstorys bestimmte Gemeinsamkeiten auf: Stets haben die Institutionen sehr hochgesteckte, konkrete Ziele. Keiner fordere nur, etwas solle besser werden; alle sagten sehr genau, wo sie hinwollen. Dann zeigen alle vorgestellten Institutionen eine besondere Markt- und Kundenorientierung. Und sie verfügen über "Innovationskraft und Offenheit gegenüber neuen Ideen" und sind - egal ob freiwillig oder gezwungenermaßen - sehr wettbewerbsorientiert. Das bezieht sich sowohl auf Wettbewerb nach außen als auch auf den Wettbewerb innerhalb der Institutionen. Nicht zuletzt haben sie erfolgsorientierte Führungskräfte, die Mitarbeiter begeistern und motivieren und ihre Ideen gemeinsam mit ihnen entschlossen umsetzen.
Viele der vorgestellten Beispiele sind - gerade auch aus unternehmerischer Perspektive - so interessant und anregend, dass man seine Skepsis gegenüber staatlichen Institutionen vergessen möchte. Auf jeden Fall macht die Vielfalt der hier vorgestellten Projekte Mut für die Reformen, die noch auf den Staat zukommen.

Sigmar von Blanckenburg ist freier Mitarbeiter bei changeX.

Wolfgang Tiefensee / Rainer Lindenau:
Staat machen!
Erfolgsgeschichten öffentlicher Institutionen,

Carl Hanser Verlag, München 2007,
250 Seiten, 19.90 Euro,
ISBN 978-3-446-41005-3
www.hanser.de

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: Staat machen! . Erfolgsgeschichten öffentlicher Institutionen. . Carl Hanser Verlag, München 1900, 250 Seiten, ISBN 978-3-446-41005-3

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Sigmar von Blanckenburg

Sigmar von Blanckenburg schreibt als freier Autor für changeX.

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