Impfen per Banane

Die Zukunft der Ernährung - eine aktuelle Bestandsaufnahme.

Von Nora Engel

Während der Trend "Fit und gesund" die Lebensmittelindustrie in den westlichen Industrieländern zu immer bizarreren Höchstleistungen im Food-Design anspornt, werden immer mehr Menschen in den Entwicklungsländern fett und krank. Die fatale Verknüpfung von Armut und Übergewicht geht inzwischen Hand in Hand mit Unterernährung und Infektionen. Die mit der Fehlernährung verbundene Explosion von Zivilisationskrankheiten ist längst zu einem globalen Problem geworden.

Gesundheit, Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit - alle wollen ein Maximum davon und wissen unterschwellig ganz genau, dass eine gesunde, ausgewogene Ernährung der Preis dafür ist. Dennoch bleibt für Einkauf und Zubereitung im hektischen Trubel des Alltags oft keine Zeit. Das Sandwich zwischendurch ersetzt die Hauptmahlzeit, der Energieriegel zwischen Tür und Angel soll uns wieder neuen Schwung verleihen, wenn der Blutzuckerspiegel schlapp macht. Wenn das schlechte Gewissen uns dennoch plagt, versprechen uns im Supermarktregal neuartige Produkte gesundheitlichen Zusatznutzen, Wellness und Schönheit. Die Zunahme von Zivilisationskrankheiten, wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs, verweist demgegenüber auf jahrelange Fehlernährung. Der einzelne Mensch ist mit einer Fülle von Fragen konfrontiert: Was kann ich angesichts diverser Lebensmittelskandale überhaupt noch gefahrlos essen? Wie lassen sich möglichst viele Ansprüche, zum Beispiel an Gesundheit, Schnelligkeit und Praktikabilität, gleichzeitig befriedigen? Welche Rolle spielen ökologische bzw. natürliche Lebensmittel für eine gesunde Ernährung eigentlich wirklich? Wie kann ich meine individuellen Ressourcen durch Ernährung gezielt optimieren?
Auf globaler Ebene herrscht ein bizarres Nebeneinander von anhaltender Unterernährung, sich aber gleichzeitig ausbreitender Übergewichtigkeit in den Entwicklungsländern sowie dem Trend zum bewussten Self-Empowerment durch Ernährung in reichen Industriegesellschaften. Im Frühjahr dieses Jahres schlug Verbraucherschutzministerin Renate Künast Alarm: Deutschlands Kinder seien zu dick. Aktuelle Daten liefern in der Tat allen Grund zur Sorge: Bereits jedes fünfte Kind und jeder dritte Jugendliche in Deutschland ist übergewichtig. Der Anteil dicker Kinder ist in den vergangenen Jahren doppelt so schnell gewachsen wie der Anteil dicker Erwachsener. Die Ursachen sind Bewegungsmangel, süße und fetthaltige Ernährung, Langeweile, Unzufriedenheit und Einsamkeit. Öffentliche Kampagnen, Ernährungsberatung durch Schulen und von Versicherungen angebotene Therapien und Abnehmkuren sollen vermeiden, dass aus dicken Kindern dicke Erwachsene werden.
Der Grund für das stärkere politische Engagement in Sachen gesunder Ernährung liegt in den verheerenden gesundheitlichen Schäden, die durch Fettleibigkeit ausgelöst werden. Viele chronische und langwierige Krankheiten sind ernährungsbedingt und belasten durch ihre hohen Kosten das staatliche Gesundheitssystem. Beispiel: Diabetes vom Typ 2, im Volksmund auch Altersdiabetes genannt, tritt jetzt immer häufiger auch bei Kindern und Jugendlichen auf und ist eine direkte Folge falscher Ernährung.

Globesity: Fettleibigkeit als weltweite Epidemie.


Zunehmendes Übergewicht in weiten Teilen der Bevölkerung ist aber nicht nur ein Problem westlicher Industrieländer. In vielen Teilen der Welt ist die Fettleibigkeit (engl. obesity) inzwischen zu einer ernsthaften Gesundheitsbedrohung geworden. Die WHO spricht angesichts von Übergewicht und Fettleibigkeit bereits von einer globalen Epidemie und etablierte damit die Bezeichnung "globesity". In nur fünf Jahren von 1995 bis 2000 ist die Zahl der fettleibigen Erwachsenen weltweit von 200 Millionen auf über 300 Millionen angewachsen und übertrifft damit bereits die Zahl der weltweit circa 220 Millionen Unterernährten. Als "nur" übergewichtig gelten immerhin rund eine Milliarde Menschen. Der Anteil an fettsüchtigen Kindern weltweit verzehnfachte sich im Laufe der 90er Jahre sogar. In Brasilien, einem Land, das in puncto Fettleibigkeit zu den zehn weltweiten Spitzenreitern gehört, ist die Fettleibigkeit von Kindern in nur einer Generation um 239 Prozent gewachsen. In diesem Zusammenhang eher traurig als lustig: In den USA sind inzwischen die Kinosessel um zwölf Zentimeter verbreitert worden. Allein für die Entwicklungsländer geht man von 150 Millionen Menschen aus, die an durch Fettleibigkeit verursachten Gesundheitsproblemen leiden (WHO 2003). Experten nehmen an, dass die Fettleibigkeit den Nikotinkonsum als wichtigste vermeidbare Todesursache bald überholt haben wird.

Fortschritt und Fett.


Wo liegt nun aber die Ursache für die Zunahme von Fettleibigkeit auch in den Entwicklungsländern? Es ist zu beobachten, dass sich mit steigendem Einkommen, der wirtschaftlichen Weiterentwicklung sowie zunehmender Urbanisierung von Drittwelt- und Schwellenländern in diesen Ländern auch die Nahrungsmittelproduktion und die Ernährungsgewohnheiten der Bevölkerung verändern. So wird vermehrt kalorienreiche und fetthaltige Nahrung konsumiert, die mit mehr Zusätzen an Zucker, tierischen Eiweißen und Fetten versehen ist. Im Gegensatz dazu werden weniger komplexe Kohlenhydrate, Ballaststoffe, Obst und Gemüse gegessen. Erschwerend kommt hinzu, dass zunehmend auch der bewegungsarme Lebensstil der westlichen Industrienationen kopiert wird, so die Erkenntnisse der Weltgesundheitsorganisation WHO. Diese globale Übernahme von vormals auf westliche Industrienationen beschränkten Ernährungsgewohnheiten wird von Experten als Nutritional Transition bezeichnet.
Darüber hinaus besteht ein weltweiter Zusammenhang zwischen Armut und Übergewicht. Ärmere Menschen können sich oft nur billige und kalorienreiche Lebensmittel leisten, Obst und Gemüse sind zu teuer. Zudem sind ihnen die Gefahren von Fast Food, einseitiger Ernährung und Bewegungsmangel meist nicht bekannt. Es wird damit gerechnet, dass die Nutritional Transition in den Entwicklungs- und Schwellenländern Land- und Nahrungsgüterwirtschaft grundlegend umwälzen und dort laut WHO verstärkt zu Fehlernährung und damit zu ernährungsbedingten Krankheiten führen wird. Zu den Zivilisationskrankheiten, die durch einen erhöhten Blutdruck und Cholesterinspiegel, Tabak- und Alkoholkonsum, Fehl- und Überernährung, Stress oder Bewegungsmangel verursacht werden, gehören Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Herzinfarkt, Arteriosklerose), Stoffwechselerkrankungen (Diabetes mellitus, Gicht), Übergewicht, Fettsucht, Magersucht, Krebs, Erkrankungen des Bewegungsapparates und zahlreiche Allergien.

Zivilisationskrankheiten auf dem Vormarsch.


Als weitverbreitetste Folge von Übergewicht und Fettleibigkeit wird laut WHO in den nächsten 25 Jahren der Diabetes vom Typ 2 eine der Haupttodesursachen und hauptsächlichen Gesundheitsbeeinträchtigungen darstellen. In den Entwicklungsländern wird sich die Krankheit im Zuge der zunehmenden Urbanisierung, Ökonomisierung und Verwestlichung weiter ausbreiten, von 1995 bis 2025 wird mit einer Zunahme von 170 Prozent gerechnet. Für die Industrieländer wird eine Zunahme von 42 Prozent prognostiziert. Während in den Industrieländern vor allem ältere Menschen an Diabetes leiden, wird in den Entwicklungsländern auch vermehrt der vergleichsweise junge und produktive Teil der Bevölkerung betroffen sein, so lautet das Ergebnis einer aktuellen Studie der International Diabetes Federation.
Doch damit nicht genug, auch was die anderen bereits genannten Zivilisationskrankheiten angeht, gibt es einen massiven Anstieg zu verzeichnen. So ist bereits jeder dritte bis vierte Deutsche Allergiker. Allein unter den deutschen Kindern hat sich ihre Zahl in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Die Zahl der neu erkrankten Asthmapatienten verdoppelt sich weltweit alle zehn Jahre. Eine Studie des Worldwatch Institute belegt, dass an der chronischen Krankheit bereits 100 bis 150 Millionen Menschen leiden. Die weltweite Krebsrate könnte sich laut World Cancer Report bis 2020 um 50 Prozent auf 15 Millionen neue Fälle pro Jahr erhöht haben. Durch ihren langwierigen, degenerativen Charakter stellen diese Erkrankungen bereits heute enorme Belastungen für die Gesundheitssysteme der einzelnen Länder dar. Im Zuge der Nutritional Transition werden Zivilisationskrankheiten und Übergewicht diejenigen Entwicklungs- und Schwellenländer besonders hart treffen, in denen diese Seite an Seite mit Unterernährung und Infektionen auftreten. Die Aussagen der WHO klingen niederschmetternd: In China zum Beispiel sind Erwachsene zunehmend übergewichtig und auch unter der städtischen Bevölkerung Indiens breitet sich das vormals westliche Übel immer weiter aus.
Darüber hinaus gibt es Befürchtungen, dass Afrika sich bis 2020 vom Hungerkontinent zum Kontinent für "Wohlstandskrankheiten" gewandelt haben wird. Durch Übergewicht verursachte Krankheiten werden dann die Todesursache Nummer eins sein und neben der verbleibenden Unterernährung existieren. Schon 2001 sind eine Million Afrikaner an Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Problemen gestorben, da sich auch die ländliche Bevölkerung zunehmend von Konserven und Importwaren ernährt, so Francois Misser in einem kürzlich erschienenen taz-Artikel. Die WHO sagt voraus, dass bis 2020 60 Prozent der Belastungen chronischer Krankheiten in den Entwicklungsländern auftreten werden.

Trend: Vom Functional Food zum Pharma Food.


Während sich in den Entwicklungsländern die Qualität der Ernährung eher verschlechtert, steigt in den Industrieländern das Bedürfnis nach ausgewogenen, nahrhaften und gesunden Lebensmitteln. Gemeint sind damit jedoch nicht mehr automatisch nur natürliche und ökologische Lebensmittel. Vielmehr zeichnet sich ein Trend ab, dass die Menschen immer mehr bereit sind, industrielle, technologisch und auch genetisch veränderte Nahrungsmittel zu sich zu nehmen - solange diese nur den Anschein erwecken, gut für die Gesundheit zu sein.
Die Vorstellung, dass nur natürliche, möglichst biologische Lebensmittel gesund sind, hat sich - nicht zuletzt wegen diverser Lebensmittelskandale auch in diesem Sektor - gewandelt. Es entsteht eine wachsende Nachfrage nach Nahrungsmitteln mit gesundheitlichem Zusatznutzen. Functional Food oder Nutraceuticals sind Lebensmittel, denen über die Zufuhr von Nährstoffen hinaus ein gesundheitlicher Zusatznutzen zugesprochen wird. Sie sollen dafür sorgen, dass es uns rundum gut geht: Krankheiten vorbeugen, das Wohlbefinden steigern, gesund, leistungsfähig und glücklich machen. Der Anreiz besteht darin, dass die Lust am Essen mit den Erfordernissen der Gesundheit verbunden werden kann. Functional Food ist keine klar abgegrenzte Produktgruppe, sondern vor allem in den Bereichen Milchprodukte, alkoholfreie Getränke, Backwaren, Getreideprodukten, Süßwaren und Brotaufstrichen zu finden. Und so stoßen wir auf Brot mit Hormonen gegen Wechseljahresbeschwerden, Fertigsuppe mit Echinacea, Joghurt mit probiotischen Stoffen für die Darmflora oder cholesterinsenkende Margarine, um nur einige Beispiele aus der vielfältigen Produktpalette zu nennen.
Nach den probiotischen (mit Bakterien angereicherten) Produkten und Mineralstoffzusätzen werden jetzt zunehmend vitamin- und fettveränderte Produkte eingeführt. Obwohl die gesundheitlichen Wirkungen von Functional Food wissenschaftlich umstritten sind, steigen die Umsätze in diesem Sektor stetig. In Deutschland sind 60 Prozent der Bevölkerung vom Nutzen probiotischer Joghurts überzeugt und von jedem Bundesbürger werden jährlich immerhin 20 kg an industriell hergestellten Zusatzstoffen verspeist. Der Vertrauensaspekt, der bei biologischen Produkten eine wichtige Rolle spielt und durch verschiedene Öko-Prüfsiegel untermauert wird, scheint im Functional Food allein durch ausreichendes Marketing befriedigt zu werden. Japan, Westeuropa und die USA stehen hier unangefochten an der Spitze, machen sie doch 90 Prozent des Gesamtmarktes für Functional Food aus. Schätzungen gehen für die Jahre 2000 bis 2010 von einem jährlichen Wachstum des Weltumsatzes von Functional Food von sechs auf 23 Mrd. EUR aus, wobei vor allem China und Japan als Vorreiter dieser Entwicklung gelten.

Durchbruch für die Gentechnik?


Immer spezifischer werden die Functional Food-Produkte der Zukunft auf die Bedürfnisse und Leiden einer Lifestyle-Gesellschaft abgestimmt sein. Sie werden vor allem zur Krankheitsprävention, als Leistungsförderer, zur Verlangsamung des Alterungsprozesses oder zur Unterstützung der kindlichen Entwicklung eingesetzt werden, so die Grundlagenstudie Food Trends. Mit dem dahinter stehenden Ziel, den eigenen Körper als Ressource gezielt zu optimieren, wird eine breit gefächerte, stetig wachsende Zielgruppe angesprochen. Die Entwicklung neuartiger Lebensmittel und Lebensmittelzutaten (Novel Food) könnte der Gentechnik den Durchbruch verschaffen. Dabei steht die Aufwertung von Grundnahrungspflanzen durch Anreicherung mit Aminosäuren, Vitaminen oder anderen wertvollen Inhaltsstoffen im Zentrum der Forschung. Ihr Ziel ist es, Produkte zu kreieren, die dazu beitragen, Nährstoffmängel, Krankheiten, Allergien und Unverträglichkeiten zu vermeiden. Transgene Pflanzen mit gesundheitlichem Zusatznutzen wie zum Beispiel Reis mit erhöhtem Eisengehalt, Sojabohnen mit weniger Cholesterin oder karotinangereicherter Raps könnten erstmals einen direkten Nutzen für den Verbraucher sichtbar machen und Mangelernährung in den Entwicklungsländern lindern helfen.

Impfen per Banane?


Functional Food-Produkte zur Krankheitsprävention werden eine immer spezifischere pharmakologische Wirkung haben, so dass in einigen Fällen bereits von "Pharma Food" gesprochen wird. In Zukunft wird es eine Vielzahl an Produkten geben, die genau gegen die typischen Zivilisationskrankheiten der Industrieländer vorbeugend wirken und Medikamente partiell ersetzen. Zum Beispiel sollen in Zukunft Nahrungsmittel mit Impfstoffen angereichert oder Pflanzen- und Tierarten gentechnisch so verändert werden können, dass die aus ihnen hergestellten Nahrungsmittel bereits Impfstoffe enthalten. Instrumente zur Kühlung, Sterilisation oder Spritzen würden dadurch unnötig und die Impfung um ein Vielfaches preiswerter werden. Anstatt sich beim Impfen spritzen zu lassen, könnte man beim Arzt einfach eine präparierte Banane essen.
Auch als Produzenten hochwertiger Wirkstoffe sollen genetisch veränderte Pflanzen eingesetzt werden: Arzneimittel zur Diagnose und Therapie von Krebserkrankungen oder Rohstoffe für Waschmittelenzyme und Bio-Kunststoffe können so gewonnen werden. Als gesund gelten nicht mehr nur natürlich erzeugte Nahrungsmittel. Die wachsende Akzeptanz von hochgradig industriell verändertem Functional oder Pharma Food folgt dem langfristigen Trend der zunehmenden Technisierung der Nahrungsmittelerzeugung. Von der Herstellung bis zur Haltbarmachung sind bei sämtlichen land- und lebensmittelwirtschaftlichen Prozessschritten neue Technisierungsschübe zu beobachten. Pharmakologie, Bio- und Gentechnologie nehmen bei der Entwicklung neuartiger Lebensmittelprodukte mit gesundheitlichem Zusatznutzen eine Schlüsselrolle ein. Auch die Konsumenten akzeptieren diese mehrstufig industriell überformten und auch gentechnisch veränderten Lebensmittel immer mehr, solange für sie selber ein konkreter Vorteil ersichtlich ist. Angesichts der anhaltenden Kontroversen um die Chancen und Risiken der "grünen Gentechnik" ist jedoch zumindest für Europa nur mit einer schleppenden Durchsetzung von gentechnisch erzeugtem Pharma und Functional Food zu rechnen.

Klein, schnell, fix und fertig.


Mit Functional Food versucht der Konsument gezielt, die eigenen körperlichen und geistigen Ressourcen zu optimieren. Convenience Food stellt demgegenüber eine schnelle, unkomplizierte Alternative zur herkömmlich zubereiteten Mahlzeit dar. Der Grundgedanke besteht darin, sich schnell, mit möglichst geringem Aufwand und ohne besondere Vorkenntnisse eine warme Mahlzeit zuzubereiten. In Deutschland ist laut einer GfK-Studie jeder Fünfte ein Convenience-Fan. Von Fertiggerichten, Konserven und Tiefkühlkost bis zu Imbissbuden wird jede Möglichkeit gern genutzt, das Zeitmanagement im Alltag zu vereinfachen. Kleine, schnelle und einfache Fix & Fertig-Mahlzeiten werden auch in Zukunft eine Rolle spielen, denn den meisten Konsumenten fehlt inzwischen nicht nur die Zeit, sondern auch das Wissen, sich eine aufwändige Mahlzeit zuzubereiten.
Das Biokonzept wird dabei weiterhin bedeutungsvoll bleiben, da es durch positive Rahmenbedingungen wie sinkendes Vertrauen in Massentierhaltung, intensivierte Anbaumethoden, industriell verarbeitete Lebensmittel und auch politisches Umdenken ("Agrarwende") gestützt wird. Die Zahl der Verbraucher, die ausschließlich Bio-Lebensmittel einkaufen, wird jedoch gering bleiben. Dem Bio-Gedanken tut dies keinen Abbruch, er wird nur funktionaler verstanden. Biologische Lebensmittel behalten ihren moralischen Wert und ihren guten Ruf, kommen jetzt jedoch mit gesundheitlichem Zusatznutzen versehen oder als Fertiggericht auf den Tisch.

Sanity Food - und alles wird gut.


Die Synthese der drei Trends - Convenience, Functional und Bio - mündet in ein neues, ganzheitliches Konzept von Ernährung, das so genannte Sanity Food. Sanity Food soll deren Vorteile vereinen und entspricht damit dem wachsenden Bedürfnis der Konsumenten angesichts des Überangebotes, der gestiegenen Ansprüche an eine Work-Life-Balance und an das individuelle Zeitmanagement, mit ihrem Ernährungsverhalten einen Einklang zwischen Gesundheit, Geist, Umwelt, Genuss und Alltagstauglichkeit herzustellen. In Zukunft werden sich die Konsumenten also vermehrt Lebensmitteln zuwenden, die mehrere Aspekte gleichzeitig beinhalten: die schnelle, kleine und einfach zuzubereitende biologische Fertigmahlzeit, das biologische Produkt mit Betonung des Gesundheitsaspekts oder Functional Food im praktischen Convenience-Format. Es kristallisieren sich also - basierend auf den beschriebenen Entwicklungen - zwei wesentliche Verbrauchertrends heraus. Erstens: Die Ansprüche der Verbraucher an ihre Nahrungsmittel steigen und es wird versucht, möglichst viele Benefits - vom Zeitsparen bis hin zur Optimierung der eigenen Physis - in einer Mahlzeit zu vereinen.
Es wird ein pragmatischerer Umgang mit dem Essen gepflegt und unterschiedliche Konzepte wie Bio oder Functional Food schließen sich nicht mehr gegenseitig aus. In Zukunft werden also Kombinationen von Ernährungstrends und multifunktionale Nahrungsmittelangebote zunehmen. Zweitens: Mit wachsendem Gesundheitsbewusstsein und einer zunehmenden Individualisierung findet auch in der Ernährung eine Entwicklung hin zu stärkerer Selbstentfaltung statt. Die Konsumenten können hierbei aus einer Vielzahl an Handlungsoptionen und Produkten wählen, die es ihnen ermöglichen, unterschiedliche Motive zu integrieren. Ernährung ist nicht mehr nur reine Aufnahme von Nährstoffen, sondern Teil des individuellen Selbstkonzeptes.

Nahrungssicherheit durch kontrolliertes Hightech-Food.


Allerdings hat der Konsument mit seinem Essverhalten keinen Einfluss auf die Lebensmittelsicherheit. Auch beim vermeintlich sauberen, gesunden Sanity Food ist er vor Krankheitserregern nicht sicher. Seit den Skandalen um BSE, Schweinepest, Maul- und Klauenseuche, Salmonellen, Cholera und mit Pestiziden belastete Lebensmittel ist die Nahrungssicherheit zum zunehmend brisanten Thema in der Öffentlichkeit geworden.
Erreger von Lebensmittelinfektionen verbreiten sich über die globalen Transportwege über immer weitere Distanzen. Durch den Ballastwasseraustausch von Schiffen, verstärkte Migration und Tourismus werden Mikroorganismen in die entlegendsten Regionen der Erde verschleppt. Hinzu kommen Bevölkerungsfaktoren wie Alterung, Fehl- und Unterernährung sowie Krankheiten wie HIV und Krebs, die allesamt zu einem schwachen Immunsystem führen, wodurch sich das Risiko einer Lebensmittelinfektion erhöht. Auch die Bedrohung durch terroristische Aktivitäten, wie zum Beispiel gezieltes Einschleusen von Krankheitserregern in die Nahrungskette, hat laut WHO zugenommen.

Frischetest durch Sensoren.


Die Bedeutung der Lebensmittelsicherheit wird für Konsumenten wie Produzenten auch in Zukunft weiter zunehmen. Gefordert ist eine maximale Sicherheit vom Feld bis auf den Teller. Neue Technologien werden Lebensmittel haltbarer machen und deren Qualität kontrollieren. Unterschiedliche Methoden wie zum Beispiel ionisierende Bestrahlung, hydrostatische Druckbehandlung oder Ultraschall sollen krankheitserregende Mikroorganismen abtöten und gleichzeitig schonender für Umwelt und Lebensmittel sein. Neuartige Testverfahren mit DNA- und Biochips oder Biosensoren ermöglichen eine schnelle, kostengünstige "real-time"-Analyse der Lebensmittel. In einigen Jahren werden Konsumenten Lebensmittel schon im Laden auf bestimmte Qualitätsmerkmale hin selber testen - zum Beispiel durch auf der Verpackung angebrachte Sensoren, die den genauen Reifestand angeben - und gezielter entsprechend ihrer körperlichen und geistigen Bedürfnisse einkaufen können.
Die genaue Überwachung der Wege, die unsere Nahrung von Ihrer Erzeugung bis zum Endverbraucher nimmt, könnte sich in Zukunft zu einem Seitenzweig der Logistik entwickeln, denn einheitliche und nachweisbare Qualitätsstandards werden für die Verbraucher und Händler wichtiger. Dezentrale Sicherheits- und Kontrollaufgaben könnten von einer zentralen Stelle gebündelt und koordiniert werden. Angesichts zunehmender Globalisierung der Nahrungsmittelproduktion würde jedoch eine verstärkte Kooperation über Ländergrenzen hinweg erfolgen müssen. Die Zukunft der Erzeugung und des Verbrauchs von Nahrungsmitteln wird gekennzeichnet sein von zunehmenden Versuchen und Aktivitäten, diese Vorgänge zu kontrollieren und gezielt zu beeinflussen. Je nach Akteursgruppe fallen die Motive allerdings unterschiedlich aus.

Kontrolle, Manipulation und Optimierung.


Da ist der Konsument, der die gesundheitsfördernde Wirkung von Nahrung gezielt kontrollieren möchte und sich dabei neuartiger Food-Konzepte wie Functional oder Sanity Food bedient. Synthetik und Natürlichkeit stellen keinen Widerspruch mehr dar, sondern bilden eine neue Kombinationsmöglichkeit. Die Lebensmittelindustrie ihrerseits wird versuchen, mithilfe neuer (Gen-)Technologien das Wirkungsspektrum einzelner Nahrungsmittel immer präziser zu beeinflussen. Nahrungsmittel werden künstlich mit spezifischem Zusatznutzen versehen, neue Produkte entwickelt sowie Anbau- und Produktionsverfahren optimiert. Vonseiten des Staates und seiner Kontrollinstanzen werden verstärkt neue und vereinfachte Testverfahren zur Qualitätskontrolle von Lebensmitteln zur Anwendung kommen. Angesichts der dramatischen Zunahme fehlernährungsbedingter Krankheiten und der daraus resultierenden Kosten für das ohnehin finanziell kränkelnde Gesundheitssystem wird der Staat darüber hinaus seine Anstrengungen verstärken (müssen), durch Aufklärung und Präventionsmaßnahmen Einfluss auf das Ernährungsverhalten seiner Bürger zu nehmen. Für die Entwicklungsländer bleibt abzuwarten, ob sie vor den im Zuge der Nutritional Transition entstehenden Belastungen kapitulieren oder durch Fortschritte in der Ernährungswissenschaft und präventive Kontrollmaßnahmen die fatale Verbindung zwischen Armut und Übergewicht durchbrechen können. Kommt es zu keiner grundlegenden Trendwende im Ernährungsverhalten der Verbraucher, wird sich die Kluft zwischen ernährungsbewussten Konsumenten und ungesunden Essern weiter vertiefen.
Die auf den ersten Blick gegensätzlichen Entwicklungen müssen sich dabei nicht zwingend widersprechen. Vielmehr wird immer mehr versucht, die Fehlernährung mit gesundheitsförderlichem Functional Food wieder auszugleichen. Wer sich im herkömmlichen Sinne falsch ernährt, kann gleichzeitig versuchen, seine Ernährung stärker zu kontrollieren und etwaige Mängel durch zielgenau wirkende, synthetische Ernährungsprodukte wieder auszugleichen. All diesen Entwicklungen ist der Versuch einer zunehmenden Kontrolle, Manipulation und Optimierung der Ernährung und ihrer Wirkungen gemein.

Nora Engel ist Mitarbeiterin des z_ punkt-Büros in Berlin.

Den ungekürzten Beitrag mit Illustrationen und Zitatbelegen können Sie herunterladen unter
http://www.z-punkt.de/download/z-spotlight0203.pdf

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