Das große Grübeln
99 moralische Zwickmühlen - das neue Buch von Martin Cohen.
Ob das überdimensioniertes Wechselgeld an der Supermarktkasse, die verlockende Schwarz-Kopie der neuesten Software oder aber das spontane Abtauchen hinter einer schnell gestrickten Notlüge ist - unser Leben ist voll von moralischen Zwickmühlen, die uns tagtäglich klare Entscheidungen abverlangen.
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Denken statt Smalltalk.
  Wer nun meint, dieses Buch ohne
  Atempause verschlingen zu können, um beim nächsten Smalltalk in
  illustrer Runde mit philosophischer Schlagfertigkeit brillieren
  zu können, befindet sich eigentlich schon auf dem ultimativen
  Holzweg. Cohen ermuntert vielmehr dazu, sich Zeit zu nehmen, sich
  auf "Gedankenexperimente" einzulassen. Zudem fordert er
  nachdrücklich, sein Buch mit kritischem Geist zu lesen, die
  aufgestellten Behauptungen zu hinterfragen und die gelieferten
  Argumente in Zweifel zu ziehen.
  
Der vorangeschickten Mischung von 99 wahren sowie
  erfundenen Geschichten folgen im zweiten Teil des Werkes die
  entsprechenden Problemdiskussionen und Erörterungen, die -
  konsequent durchnummeriert - sofort zuzuordnen sind. Wer
  allerdings direkt nach jeder Problemstellung die dazugehörige
  Erläuterung sucht, der bringt sich um das eigentliche Vergnügen.
  Denn nach dem Motto "Selber denken macht schlau!" ziehe man den
  größten Nutzen aus dem Buch, so der Tipp des Autors, wenn man die
  Zwickmühlen als die Vorspeise und die entsprechenden
  Erläuterungen als die Nachspeise betrachte, sich die Auflösung
  aber als Hauptgang selbst vorbehalte, "... besteht doch hierin
  nicht nur der wichtigste, sondern auch der interessanteste Teil
  der Aufgabe".
Biblische Zwickmühlen.
  Ob es nun die Fragen sind, die
  bereits Kant, Rousseau und Aristoteles umtrieben, oder aber die
  aus der Bibel entliehenen "Zwickmühlen", mit denen sich schon
  Abraham oder Hiob auseinander setzen mussten, sie führen uns auch
  heute noch in die tiefen Strukturen persönlicher Auffassung von
  Gerechtigkeit, Pflichtgefühl und Wahrheitsempfinden. Doch auch
  die jüngere Vergangenheit oder unsere Gegenwart hat genügend
  Zwickmühlen zu bieten: Am Beispiel eines "Life-Boat-Szenarios"
  die Fragen festzumachen: "Wie dosiert man Altruismus?", ist
  spannend, die Diskussion, ob Altruismus die Stabilität der
  sozialen Systeme gefährdet, eine echte Herausforderung.
  
Ist der freie Wille mehr als nur bloße Fiktion oder werden
  nicht vielmehr die moralischen Überzeugungen den äußeren
  Umständen angepasst? Dass dieser Ansatz seine ernüchternde
  Berechtigung hat, ist seit dem Milgram-Experiment oder aber
  Zimbardos Versuch mit Studenten an der Stanford University
  weitreichend bekannt.
  
Während die Philosophen der Antike die Ethik als das
  Nachdenken darüber verstanden, wie man die Welt organisieren
  müsse, um größtmögliche Harmonie zu erreichen, wartet die
  Psychologie gleich mit vier Erklärungsmodellen für moralisches
  Verhalten auf: Entweder geht es darum, Anerkennung in sozialen
  Bezugsgruppen zu finden oder aber die Forderungen des ureigenen
  Gewissens zu erfüllen. Weitere Möglichkeit: Es basiert
  schlichtweg auf einer Erziehung, die moralisch gutes Verhalten
  belohnt und schlechtes bestraft hat. Und - last, not least - kann
  das im sokratischen Sinne rationale Individuum zu der Einsicht
  kommen, moralisch gutes Verhalten sei einfach die beste Art, sein
  Leben in dieser Welt zu führen.
Humorvolle Häppchen.
  Cohens Buch bietet keine klaren
  Verhaltensregeln und versetzt auch nicht in die Lage, die
  Probleme von Fall zu Fall souveräner zu lösen. Auch wenn es Cohen
  gelingt, sich der Zwickmühlen humorvoll und unterhaltsam
  anzunehmen, so tut man gut daran, sein Werk häppchenweise zu
  verdauen, damit es nicht allzu schwer im Magen liegt.
  
Hilfreich für alle, die sich in der Welt und der Geschichte
  des tiefgründigen Philosophierens nicht ganz so zu Hause fühlen,
  ist das angefügte Glossar, in dem ansatzweise die gängigsten
  philosophischen Ansätze und Lehren angerissen sind und Begriffe
  wie Unternehmensethik oder Gerechtigkeit unter die Lupe genommen
  werden. Alle, die noch intensiver in dieses Thema eintauchen
  wollen, werden dankbar sein für die weiterführenden
  Literaturempfehlungen.
  
  Martin Cohen:
  
99 moralische Zwickmühlen.
  
Eine unterhaltsame Einführung
  
in die Philosophie des richtigen Handelns,
  
Campus Verlag, Frankfurt/New York 2004,
  
343 Seiten, 19.90 Euro,
  
ISBN 3-593-37408-0
  
 
  www.campus.de
Petra Günzel ist freie Mitarbeiterin von changeX.
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Martin Cohen: 99 moralische Zwickmühlen.. Eine unterhaltsame Einführung in die Philosophie des richtigen Handelns.. Campus Verlag, Frankfurt/New York 1900, 343 Seiten, ISBN 3-593-37408-0
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