Kapitale Plage
Invasion der Heuschrecken - das neue Buch von Werner Seifert und Hans-Joachim Voth.
Von Winfried Kretschmer
2005 war das Jahr der Heuschrecke. Internationale Finanzinvestoren, angeführt von einem Hedge-Fonds mit Sitz auf den Cayman-Inseln, griffen die Deutsche Börse AG an und erzwangen den Rücktritt des Managements. Nun packt Ex-CEO Werner Seifert aus. In einem Kriegstagebuch erzählt er vom Angriff der Heuschrecken.
Zehn Plagen, so steht es in der Bibel, kamen über das Land Ägypten; die achte waren Heuschrecken, die alles fraßen, was im Lande wuchs. Heute haben internationale Finanzinvestoren die Rolle der Landplage übernommen - sie "fallen wie Heuschreckenschwärme über Unternehmen her, grasen sie ab und ziehen weiter". So der damalige SPD-Chef Franz Müntefering im April 2005 vor dem Deutschen Bundestag. Münteferings Heuschrecken-Vergleich war Öl ins Feuer der Kapitalismusdebatte, die sich im angeheizten Politklima der Berliner Republik schnell verselbständigte. Ursprünglich auf ausländische Hedge-Fonds gemünzt, die sich in deutsche Unternehmen einkauften, mutierten die Heuschreckenschwärme bald zum Sinnbild für den Kapitalismus schlechthin - nach den Raubtieren Neues aus dem Metaphernzoo.

Seiferts Kriegstagebuch.


Hält man sich die politische Geschichte des Heuschreckenschwarms vor Augen, so kann man es doch einigermaßen erstaunlich finden, wenn nun, ein Jahr danach, der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Börse AG Werner Seifert ein Buch mit dem Titel Invasion der Heuschrecken veröffentlicht. Was mag den Ex-CEO bewogen haben, mit dem Ex-Parteichef gemeinsame Sache zu machen? Das Schielen auf den Beifall der Kapitalismuskritiker links von Müntefering wohl kaum. Eher das Buhlen um die Aufmerksamkeit der Fachpresse, die mit einem Tagebuch über das Scheitern eines CEO kaum zu locken ist, wohl aber mit einer kalkulierten Provokation wie dem Heuschrecken-Vergleich. Diese Rechnung ist aufgegangen. Von der Financial Times bis zum Handelsblatt, vom Wirtschaftsteil der Süddeutschen bis zu dem der Frankfurter Allgemeinen hat Werner Seiferts Kriegstagebuch über den Angriff feindlich gesinnter Hedge-Fonds und Investmentbanken auf die Deutsche Börse AG Wellen geschlagen.
Gestützt auf seine Tagebuchaufzeichnungen aus der Zeit der Übernahmeschlacht ist Seifert und seinem Co-Autor ein spannendes Buch gelungen, das das Zeug zum Bestseller hat: ein Wirtschaftskrimi, der minutiös den Angriff der Hedge-Fonds rekonstruiert und schier nebenbei viel lehrreiches Börsenwissen vermittelt. Es ist eine spannende Geschichte, wie sich die Hedge-Fonds zunächst in die Deutsche Börse einkauften, dann die geplante Übernahme der traditionsreichen Londoner Börse vereitelten, um schließlich aus einer Minderheitenposition heraus den Abgang von CEO Seifert und Aufsichtsratschef Breuer zu erzwingen. "Wie eine kleine Gruppe entschlossener Investoren die Unternehmensstrategie zum eigenen, kurzfristigen Vorteil grundlegend verändern kann, ohne über die Mehrheit der Anteile zu verfügen", hat den Kapitalismus in Europa verändert, meint der von seiner eigenen Rolle nicht wenig eingenommene Seifert.

Zunehmend schwere Beute.


Für ihn sind die Rollen eindeutig: Er ist das Opfer. Von Selbstkritik keine Spur. "Ich bedauere keine meiner Entscheidungen. Hätte ich die Wahl, würde ich heute wieder genauso handeln", schreibt Seifert. An seinem Widersacher, dem Fondsmanager Chris Hohn, lässt er hingegen kein gutes Haar: Er zeichnet ihn als einen ungehobelten Burschen, unsympathisch, launisch, aggressiv und "unberechenbar wie eine unbefestigte Kanone auf einem Schiffsdeck", bedenkt aber nicht, dass Sätze mitunter auf ihren Schreiber zurückfallen. Letztlich nimmt man Seifert den netten Onkel von nebenan, als den er sich darstellt, nicht mehr ab.
Ähnliches gilt für die Retterrolle, die er sich zugedacht hat. Seifert geht es nicht (nur) um Wiedergutmachung für seinen Sturz. Nein, es geht um mehr: um die Rettung des kontinentaleuropäischen Kapitalismus. Das Vermögen der Hedge-Fonds sei in einem Maße gewachsen, dass sie "zunehmend schwere Beute erlegen können", warnt Seifert, befürchtet gar "eine massive Heuschreckeninvasion". Denn die vielfach unterbewerteten Aktien deutscher Unternehmen seien ein gefundenes Fressen für hungrige Heuschrecken: "Sie sind eine große Bedrohung für viele Unternehmen und sogar Staaten, an deren üppigen Feldern sie sich so lange schadlos halten werden, bis nur noch ein paar abgenagte Halme übrig sind."

Ende der Deutschland AG.


Am Ende erliegt Seifert der Wucht seiner Heuschrecken-Metapher. Das Schreckensgemälde, das er zeichnet, gerät zu grob, lässt jede inhaltliche Differenzierung vermissen. Die aber wäre dringend geboten, denn Hedge-Fonds ist nicht gleich Hedge-Fonds und internationales Finanzkapital längst in die Bresche gesprungen, wo Banken Unternehmen Kredite verweigern. Das Bild von den bösen Fondsmanagern ist eine Karikatur. Seifert indes will man die Läuterung zum Kapitalismuskritiker nicht recht abnehmen. Zu lange war er selbst Insider des Finanzkapitalismus und hat vehement für die Liberalisierung der Finanzmärkte gekämpft, um heute die Kritikerrolle glaubhaft spielen zu können. Was treibt ihn? Vielleicht ist es die Wehmut über das Ende einer Ära: der Deutschland AG, für die jener 9. Mai 2005, als Seifert seinen Hut nehmen musste, eine Art historischer Schlusspunkt war.

Winfried Kretschmer, Journalist und Autor, arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.

Werner Seifert / Hans-Joachim Voth:
Invasion der Heuschrecken.
Intrigen - Machtkämpfe - Marktmanipulationen,

Econ Verlag, Berlin 2006,
266 Seiten, 19.95 Euro,
ISBN 3-430-18323-5
www.econ.de

© changeX [13.04.2006] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.


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: Invasion der Heuschrecken. . Intrigen - Machtkämpfe - Marktmanipulationen. . Econ Verlag, Berlin 1900, 266 Seiten, ISBN 3-430-18323-5

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Winfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.

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