Keine Verschnaufpause für den Smart
Das Projekt Combicar ist ein gelungener Kompromiss zwischen öffentlichem Nahverkehr und eigenem Auto.
Autos, so weit das Auge blickt. Zugeparkte Firmenparkplätze, auf denen die Karossen den ganzen Tag nur herumstehen. Ein neues Mobilitätskonzept will diese Ressourcenverschwendung beenden und den Pendlern eine auf sie zugeschnittene Form des Carsharings schmackhaft machen. Denn, so sind sich Experten einig, der öffentliche Verkehr muss individueller und der individuelle Verkehr öffentlicher werden.
Wie Millionen anderer Pendler im
Ruhrgebiet lebt die Marketingassistentin Andrea E. etwas außerhalb,
im Grünen. Wo leider auch der öffentliche Nahverkehr nicht allzu
häufig vorbeikommt. Jeden Tag fährt sie deshalb mit dem Auto nach
Dortmund in die Firma. Auch an diesem Freitag unterdrückt sie ein
Gähnen, holt den Smart aus der Garage und macht sich auf den Weg in
die Stadt. Parkprobleme hat Andrea E. nicht, sie stellt den Wagen
auf einem reservierten Platz am Hauptbahnhof ab und lässt den
Schlüssel - mit voller Absicht - im Auto. Während sie geistig schon
durchgeht, was heute alles im Büro ansteht, fährt sie mit dem Bus
die paar Haltestellen bis zu ihrer Firma.
 Im Gegensatz zu anderen Pendlerautos steht der Smart nicht
den ganzen Tag untätig auf dem Parkplatz herum. Kurz darauf hält
ein Andrea unbekannter Herr eine Codekarte an die
Windschutzscheibe. Die Zentralverriegelung springt auf. Zwei
Stunden später bringt er das Auto wieder zurück. So geht es den
ganzen Tag. Für den Smart gibt es keine Verschnaufpause, er ist
voll ausgebucht.
 Als Andrea E. Feierabend macht, steht "ihr" Auto wieder vor
dem Hauptbahnhof und wartet. Unschuldig, als wäre es nie weg
gewesen. Auf dem Heimweg fährt Andrea B. noch schnell am
Einkaufszentrum vorbei, danach zum Badmintontraining. Sie überlegt,
ob sie mit ihrem Freund am Wochenende mit dem Smart einen Ausflug
machen soll, in eine Therme vielleicht - wer kein eigenes Auto,
sondern ein Combicar hat, kann es sich eben leisten, für andere
Dinge Geld auszugeben!
Konkurrenz für Park & Ride.
  Combicar ist ein Konzept, das
  speziell für Pendler entwickelt wurde. "Im Ruhrgebiet gab es
  einige Park & Ride-Anlagen, die aber nicht ausreichten",
  erinnert sich Wuppertal-Projektleiter Georg Wilke daran, wie
  alles anfing. "Der Verkehrsverbund überlegte, ob man die Anlagen
  erweitern sollte, und ist dann auf die neue Nutzungsidee
  gekommen. Angedacht war ein öffentliches Auto für Berufspendler."
  Da es eine sinnvolle Kombination aus öffentlichem Nahverkehr und
  eigenem Auto ist, bekommt Combicar in ökologischer Hinsicht gute
  Noten. Nicht zufällig, denn entwickelt wurde das Konzept vom
  Verkehrsverbund Rhein-Ruhr in Zusammenarbeit mit dem Wuppertal
  Institut. Auch die Dortmunder Stadtwerke sind im Boot. Getestet
  wird Combicar im Ruhrgebiet vom Carsharing-Betreiber stadtmobil
  Dortmund. Der Pilotversuch wird vom Ministerium für Wirtschaft
  und Mittelstand, Energie und Verkehr in NRW gefördert. Vor allem
  deshalb, weil Modellrechnungen des Wuppertal Instituts zeigten,
  dass das Konzept wirtschaftlich machbar war. Allein im Ruhrgebiet
  gibt es Millionen Pendler. Potentielle Interessenten sind also
  reichlich vorhanden. Deshalb ging das Institut in einem Szenario
  von etwa 2.500 Combicars aus, die in Zukunft durch Stadt und
  Umland düsen.
  
Lohnen würde es sich für die Nutzer allemal, auf ein
  solches halb-öffentliches Auto umzusteigen. Denn bisher war
  Carsharing für Pendler viel zu teuer. Für einen Smart von
  Combicar zahlen Pendler dagegen nur 105 Euro im Monat und 14 Cent
  je gefahrenen Kilometer, Sprit schon inbegriffen. Golfs und
  Toyota-Corolla-Kombis stehen für 180 Euro monatlich zur
  Verfügung. Tagesnutzer, die den Wagen spontan einige Stunden
  buchen, zahlen fünf bis zehn Euro Monatsgebühr und 1,50 bis drei
  Euro je nach Autotyp. Alles in allem gar nicht so wenig. Doch ein
  eigenes Auto geht noch viel mehr ins Geld, und wenn es auch noch
  defekt ist, schmerzt das den Besitzer besonders in der
  Portemonnaiegegend. Combicar legt die Kosten wie Anschaffung,
  Versicherung, Steuer und Reparaturen, die normalerweise am
  Besitzer hängen bleiben, auf mehrere Nutzer um - und kann deshalb
  auch einen deutlichen Preisvorteil bieten. Um Pflege und Wartung
  braucht sich der Pendler nicht zu kümmern, das übernimmt alles
  der Betreiber.
  
Ein Konzept, das auch für Business-Kunden attraktiv ist.
  Während der Pendler das Auto nicht braucht, kann das Unternehmen
  es in der Variante "Combicar Direct" anderen Mitarbeitern als
  Firmenwagen zur Verfügung stellen. Stadtmobil Dortmund kommt
  individuellen Wünschen entgegen und richtet größeren Unternehmen
  auf Wunsch einen eigenen Combicar-Stellplatz auf dem
  Firmengelände ein. "Zur Zeit achten die Unternehmen sehr auf die
  Kosten, deshalb haben wir einige Geschäftskunden dazugewonnen,
  die mit unseren Autos Bedarfsspitzen ausgleichen", erklärt Gaia
  Hänsch von der stadtmobil Dortmund GmbH.
Ein Versuch von vielen.
  Ob sich Combicar einmal richtig
  durchsetzen wird, ob das Szenario der Machbarkeitsstudie
  Wirklichkeit wird, weiß auch ein Jahr nach dem Beginn des
  Pilotversuchs niemand zu sagen. Bisher läuft die Akquisition
  neuer Nutzer eher schleppend. Fünf Standorte und ein paar Dutzend
  Fahrzeuge gibt es. Nur 17 Pendler, 52 Business-Kunden - allein
  die Stadt Unna hat für ihre Angestellten sieben Codekarten
  angeschafft - und ein paar Dutzend Carsharer haben sich bisher
  angemeldet. Obwohl das stadtmobil-Team mit seinem Werbewagen
  präsent ist, wo immer in der Region Veranstaltungen stattfinden.
  "Viele Leute zögern, ihr eigenes Auto aufzugeben - diese
  Entscheidung dauert teilweise mehrere Jahre", ist die Erfahrung
  von Gaia Hänsch. "Oft braucht es Anlässe. Ich höre oft: 
�Jetzt
  mache ich das noch nicht, aber wenn mein Auto es nicht mehr über
  den TÜV schafft - dann steige ich um.'"
  
Doch selbst wenn Combicar der Durchbruch nicht gelingt,
  schafft es möglicherweise einer der anderen vielversprechenden
  Versuche, Autonutzung vom -besitz zu entkoppeln. In Berlin
  experimentiert man beispielsweise mit "CashCar": Man least ein
  Fahrzeug und überlässt es in der Zeit, in der man es nicht
  braucht, einem Carsharing-Betreiber zum Ausleihen. Neben dem
  ökologischen Effekt, den das hat, hilft das Auto in diesem Modell
  quasi mit, seinen Unterhalt zu verdienen. Ein anderes Experiment
  ist das "Kilometerleasing", ein ökologisch sinnvolles neues
  Geschäftsmodell für Autohäuser: Man könnte, so der Gedanke dabei,
  Vorführfahrzeuge auch in den Carsharing-Betrieb nehmen. Der Kunde
  könnte dann "Kilometerpakete", zum Beispiel 2.000 oder 3.000
  Kilometer, erwerben und dann nach und nach "abfahren". Eine Idee,
  die offensichtlich von der Geld- oder Telefonkarte inspiriert
  ist.
www.wupperinst.org
 
www.stadtmobil.com
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