Das Haus an der Inneren Kanalstraße

Eine 40-teilige Reportage über die Wirtschaftskanzlei Osborne Clarke. | Folge 40 |

Von Winfried Kretschmer

Folge 40, die letzte der Serie. Ein Rück- und Ausblick. Wir haben uns mit Kanzleimanager Stefan Rizor getroffen, an einem nebligen Novembertag, und uns mit ihm über die ersten eineinhalb Jahre der Kanzlei unterhalten. Und über die Zukunft.

"Upstairs, downstairs" ist der Originaltitel jener Fernsehserie, die in den 70er Jahren hierzulande unter dem Titel "Das Haus am Eaton Place" über die Fernsehbildschirme flimmerte. Das Haus mit seinen Stockwerken und Treppen bildete nicht nur den realen Schauplatz einer Familiengeschichte, sondern zugleich ein Bild für die englische Gesellschaft um das Jahr 1900. "In den verschiedenen Stockwerken eines englischen Bürgerhauses spiegeln sich ganz wunderbar die Beziehungen zwischen den Schichten der Gesellschaft", erläutert Stefan Rizor. Er hat dieses Beispiel gewählt, um deutlich zu machen, was Osborne Clarke nicht sein will: eine Organisation mit einer stark abgestuften Hierarchie. Ein "Treppauf-treppab" wie zwischen Herrschaftszimmer und Gesindekammer im Haus am Eaton Place soll es in der Kanzlei nicht geben. "Wir arbeiten auf zwei Etagen, der zehnten und der elften, aber das sind keine Ebenen in der Wertigkeit", schmunzelt Rizor. Osborne Clarke gibt sich als schlankes Unternehmen.

Filmklassiker an der Wand.


Dass Rizor die englische Fernsehserie, die es auf 68 Folgen brachte - 52 davon wurden in Deutschland gesendet -, als Beispiel heranzieht, ist kein Zufall. Denn Rizor ist Filmfan. Drei großformatige Filmplakate, die an der Wand seines Büros, unmittelbar gegenüber seinem Schreibtisch hängen, bezeugen es. Drei Klassiker sind es: Orson Welles' Citizen Kane, Hitchcocks Das Fenster zum Hof und Fritz Langs Metropolis. Und unter der Computer-Maus auf seinem Schreibtisch schielen Altmeister Alfred Hitchcock nebst Raben hervor - das Mauspad ziert die berühmte Abbildung zu dem damaligen Schocker Die Vögel.
Rizor bemüht gern Filme zur Illustration dessen, was er ausdrücken will. Zum Beispiel die rührselige Geschichte von dem kleinen Jungen, der sich zum Geburtstag wünscht, sein Vater möge einen einzigen Tag lang nicht lügen - was zu katastrophalen Verwicklungen führt, als der Wunsch in Erfüllung geht, denn der Vater ist Anwalt; ein Prozessanwalt, dem jede Lüge recht ist, sofern sie ihn seinem Ziel näher bringt. LiarLiar - eine Anspielung auf Lawyer - heißt der Film aus dem Jahr 1997, in dem Jim Carrey den smarten Filmanwalt gibt. Und der ist seinem realen Kölner Kollegen gar nicht unähnlich. Würde der Schauspieler seine Haare dunkelblond färben und sie in die Stirn fallen lassen, statt sie streng nach hinten zu frisieren, wie in seiner Filmrolle, könnte man ihn beinahe mit Stefan Rizor verwechseln.

Unternehmen mit moralischem Motor.


Mehr als eine gewisse Ähnlichkeit im Aussehen verbindet die beiden jedoch nicht. Mit dem zappeligen Winkeladvokaten aus dem Film mag Rizor sich nicht identifizieren, eher schon mit dem moralischen Credo der Story, an deren Happy End der geläuterte Held zwar kein besserer Anwalt, aber ein besserer Mensch geworden ist. Dass man auch mit Ehrlichkeit zum Ziel kommen kann, ist so etwas wie Rizors moralische Grundhaltung. "Vielleicht ist es doch möglich, ein guter Anwalt und ein anständiger Mensch zu sein", formuliert er - wobei das "Vielleicht" eine rhetorische Figur ist, denn Rizor ist zutiefst davon überzeugt, dass es geht. Dieses Credo ist so etwas wie der moralische Motor, der ihn antreibt. Hinzu kommt der aufklärerische Glaube an die Macht der Vernunft. "Vernünftig" ist denn auch das Adjektiv, das Rizor am häufigsten benutzt, um etwas als positiv und wünschenswert darzustellen. "Vernünftig", das ist das, was die besseren Argumente für sich hat.
Das sind auch die Grundlagen des Projektes Osborne Clarke, dem Rizor unermüdlich humane Konturen zu geben versucht. Mit Erfolg, ist sich der 41-jährige Kanzleimanager sicher. "Wir sind angetreten, einen Ausgleich herzustellen zwischen einem anspruchsvollen beruflichen Leben und einem menschlichen Miteinander, wir wollen eine andere Atmosphäre im Unternehmen schaffen." Und das sei in der Tat umgesetzt worden, lautet Rizors Resümee 18 Monate nach der Gründung der Kanzlei. "Es hat nicht alles hundertprozentig geklappt, wir haben Fehler entlang des Weges gemacht, es hat Irrungen und Wirrungen gegeben, aber die Leitlinie haben wir konsequent durchgehalten."

Alle drei Monate was Neues.


Die größte Aufgabe nach der Gründung war sicher die Einführung der neuen Teamstruktur, die nicht nur eine veränderte Arbeitsweise mit sich brachte, sondern auch ein verändertes Verhältnis zu den Mandanten, die nun nicht mehr nur mit einem, "ihrem" Anwalt zu tun hatten, sondern mitunter mit mehreren Ansprechpartnern in der Kanzlei. Die Teams bei Osborne Clarke sind nicht Projektteams im herkömmlichen Sinne; hinter ihnen verbirgt sich eine flexible Arbeitsorganisation, die gewährleisten soll, dass das vorhandene Wissen möglichst effektiv eingesetzt wird. Das sei wie auf dem Fußballfeld, betont Rizor, "ein Star im Mittelfeld reicht nicht, auch die Außenpositionen müssen gut besetzt sein". Deshalb bildete die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter einen deutlichen Schwerpunkt unter den weiteren Neuerungen, die nach und nach eingeführt wurden. Mit beachtlichem Tempo. Im Schnitt alle drei Monate eine Innovation hat sich das Management als Leitlinie vorgenommen. Das sei in etwa der Zeitraum, der notwendig sei, um eine Neuerung vernünftig und sinnvoll umzusetzen, ohne die Mitarbeiter zu überfordern. Zunächst waren das die selbst organisierten "Dienstagmittagseminare", bei denen Anwälte seit nunmehr einem Jahr ihr Wissen an die Kollegen weitergeben; dann die abendlichen Inhouse-Seminare, die (potentiellen) Mandanten die Möglichkeit geben, am Wissen der Kanzlei zu partizipieren und zugleich in einem informellen Rahmen Kanzlei und Personal kennen zu lernen. Die Einführung des Rotationsverfahrens bei der Ausbildung junger Mitarbeiter war die dritte wichtige Neuerung des zurückliegenden Jahres; die Auszubildenden sitzen nun nicht mehr auf einer bestimmten Stelle, sondern lernen die verschiedenen Teams und Rechtsbereiche kennen.

Erfolgreicher Start, erfolgreiches Start-up.


Hinzu kommen neue Mandanten, die man gewinnen konnte, und neue Mitarbeiter, die eingestellt wurden. Rizor sträubt sich ein wenig dagegen, bestimmte Ereignisse als Meilensteine auf der Kanzleiagenda festzunageln. Für ihn ist es ein Prozess, ist es "eine Vielzahl von Elementen, die sich zu dem Gesamtbild eines erfolgreichen Starts - oder Start-ups - zusammenfügen".
Der Mitarbeiterzuwachs stützt die Erfolgsthese, die Kanzlei ist deutlich gewachsen. 20 neue Mitarbeiter sind binnen eines Jahres hinzugestoßen; die Zahl der Anwälte erhöhte sich von neun auf 14 in Frankfurt und von 21 auf 26 in Köln. Gleichwohl bekommt auch Osborne Clarke die prekäre wirtschaftliche Lage zu spüren. "Die Unternehmen sparen, wo sie können, und das natürlich an den Rechtsberatungskosten", bringt Rizor die Situation auf den Punkt. Die rezessive Lage hat auch zu Verschiebungen im Tätigkeitsbereich geführt. Während das M&A-Geschäft (Mergers & Acquisitions), das sind Unternehmenszusammenschlüsse und -beteiligungen - weitgehend zusammengebrochen ist, haben die Arbeitsrechtler jede Menge zu tun. Sie sind das Team, das mit am schnellsten gewachsen ist - neben dem Bereich Technologie, Medien und Telekommunikation (TMT), der trotz Krise so viel zu tun hat, dass zwei neue Anwälte und drei Assistentinnen in das Team geholt wurden.

Kein Warten auf den nächsten Börsengang.


Von den Anwälten mit Arbeitsschwerpunkt Gesellschaftsrecht verlangt die veränderte Auftragslage indessen Anpassungsbereitschaft. "Es ruht sich niemand auf den Lorbeeren der Vergangenheit aus", sagt Rizor, es gehe vielmehr darum, seine Erfahrungen sinnvoll in neuen Aufgaben einzusetzen und zugleich neue Erfahrungen zu sammeln. Denn: "Es macht keinen Sinn, auf den nächsten Börsengang zu warten, denn kein Mensch weiß, wann der kommen wird." Lausige Zeiten, auch für Wirtschaftsanwälte.
Mit der rezessiven Grundstimmung in der Wirtschaft kam die Trendumkehr im Gesäusel der Managementauguren. Harte Zeiten erforderten harte Maßnahmen, lautet der Tenor, und alles, was sich "soft" nennt, hat schlechte Karten. "Es hat eine neue Ernsthaftigkeit Einzug gehalten", bestätigt Stefan Rizor, der gleichwohl seinen humanen Ansatz nicht über Bord werfen will. "Humanität und ein menschlicher Umgang miteinander haben nichts mit der Konjunktur zu tun, sondern sollten in den Unternehmen selbstverständlich sein, unabhängig von der wirtschaftlichen Lage." Natürlich sei in schwierigen Zeiten ein gesteigertes Maß an Führungskraft notwendig, "doch muss sich das nicht in autoritärem Gehabe, in knallharten Managementmethoden ausdrücken." Im Gegenteil: Viel wichtiger ist es, die Mitarbeiter mitzunehmen. Das erwarten sie und nur dann wird es auch gelingen, sie weiter zu motivieren."

Neue Pläne, neue Ziele.


Das ist auch notwendig, denn längst ist noch nicht alles umgesetzt, was sich die jungen Anwälte vorgenommen haben. Die nächsten Etappen sind aber schon markiert: Das Qualitätshandbuch muss eingeführt und umgesetzt werden, junge Anwälte werden in die Riege der Partner aufrücken, nicht zuletzt sollen die Teams stärker gelebt werden. Auch gibt es Überlegungen, nach dem Vorbild der Auszubildenden auch die jungen Anwälte durch das Haus an der Inneren Kanalstraße wandern zu lassen, treppauf, treppab. Schließlich steht die weitere Integration der Büros in den verschiedenen Ländern zu einer einheitlichen Kanzlei auf der Tagesordnung. Und man will die internationale Kooperation zwischen den Büros intensivieren. Beste Kontakte zur Kanzlei in Brüssel gibt es bereits; junge Anwälte, die einen Teil ihrer Ausbildung in Frankreich absolviert haben, wollen sie ausbauen. Nach dem Italian Team steht die French Connection in Aussicht.
Aufgaben genug. Die größte Herausforderung bleibt die Umsetzung des großen Zieles, im Unternehmen ein menschliches Miteinander, einen humanen Umgang zu verwirklichen. Das ist kein Meilenstein, nichts, was irgendwann abgeschlossen wäre. "Das ist eine Aufgabe, die sich Tag für Tag neu stellt", sagt Stefan Rizor.

Winfried Kretschmer, Journalist und Autor, arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.

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www.osborneclarke.de

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Winfried Kretschmer
Kretschmer

Winfried Kretschmer ist Chefredakteur und Geschäftsführer von changeX.

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