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Wandel gestalten

Wie man Veränderungen erfolgreich gestaltet - ein Interview mit Kora Kristof
Text: Annegret Nill

Gesellschaftlicher Wandel passiert nicht einfach. Er wird gestaltet. Ob Veränderungen gelingen oder nicht, liegt auch in der Hand der Akteure, die sie vorantreiben. Entscheidend ist der souveräne Umgang mit Widerständen und anderen Meinungen: Menschen, die anders denken, nicht als böswillig zu begreifen. Sondern sich bewusst zu sein, dass die Gedankenwelt in den Köpfen anderer Menschen anders aussieht als im eigenen.

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"Warum glücken manche Veränderungsprozesse und warum scheitern andere?" Das war die Frage, die Kora Kristof angetrieben hat, sich mit der Dynamik gesellschaftlicher Veränderungen zu beschäftigen. In ihrer Habilitationsschrift zeichnet sie ein komplexes Modell gesellschaftlichen Wandels.
Kora Kristof arbeitete als Leiterin des Themenbereichs "Materialeffizienz und Ressourcenschonung" am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Seit Kurzem leitet sie die Grundsatzabteilung am Umweltbundesamt in Dessau.
 

Frau Kristof, Sie haben aus verschiedenen wissenschaftlichen Ansätzen ein Modell entwickelt, wie Veränderungsprozesse erfolgreich verlaufen. Warum sollen wir uns überhaupt verändern? 

Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen gibt es viele Probleme, die zu lösen sind. Wir zerstören unsere Umwelt, Verteilungsfragen führen zu Konflikten, wir produzieren und konsumieren nicht nachhaltig - kurz: Wir sind noch weit entfernt von einer weltweiten nachhaltigen Entwicklung. Viele Ziele gibt es in diesem Bereich, und wir wollen damit viele Menschen erreichen, erreichen aber meist nur eine kleine Gruppe. Damit stellt sich die Frage: Wie erreicht man die Mehrheit? Wie setzt man Veränderungen erfolgreich um? Ich habe mich immer gefragt: Warum glücken manche Veränderungsprozesse und warum scheitern andere? Und gibt es Gesetzmäßigkeiten und wichtige Erfolgsbedingungen?
Der andere Grund ist der Wunsch, etwas zu verändern. Darin drückt sich zum einen der Gestaltungswille dieser Menschen aus, zum anderen eine Vision - sei sie persönlich oder gesellschaftlich -, die sie haben.
 

Wie laufen Veränderungsprozesse ab? 

Veränderungsprozesse verlaufen sehr unterschiedlich und uneinheitlich: Die "Brezelbackmaschine" dafür gibt es nicht. Wir leben in einer hochkomplexen und mit vielen Unsicherheiten versehenen Welt. Wir können uns deshalb nicht vollständig orientieren. Daher sind immer nur Aussagen möglich wie: Bei diesem Prozess ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass er klappt, bei einem anderen ist sie niedrig, da wichtige Erfolgsfaktoren vernachlässigt wurden. Von zwei Ideen sollten wir uns grundsätzlich verabschieden: Erstens von der Idee der absoluten Machbarkeit und zweitens von der Idee, dass alles Chaos ist und damit nicht zu beeinflussen. Die Wahrheit liegt - wie meistens - dazwischen. Eins ist klar: Widerstand entsteht bei fast jedem Veränderungsprozess. Man muss sich klarmachen: Wir haben alle dieselben Veränderungsstrukturen - keiner möchte sich in allen Bereichen ganz schnell komplett verändern. Die Bereiche, in denen Veränderungswille da ist, unterscheiden sich aber von Mensch zu Mensch. Wichtig ist daher, dass man Widerstand nicht als "bösartig" begreift, sondern ihn aufgreift und sich fragt: Ist der konkrete Vorschlag, meine Idee umzusetzen, der richtige Weg? Stimmt mein Prozess, in dem ich meine Zielgruppe erfolgreich mitnehmen möchte?
 

Was sind die Erfolgsbedingungen für einen gelungenen Veränderungsprozess? 

Es gibt eine Vielzahl von Erfolgsbedingungen. Ich habe bewusst nur die zentralen Erfolgsfaktoren ausgewählt, also diejenigen, bei denen man mit geringstem Aufwand am meisten Effekt erzielen kann. Ein Erfolgsfaktor ist eben der souveräne Umgang mit den Widerständen: Sie aktiv zu nutzen und nicht als Stolperstein zu begreifen. Das verlangt eine gewisse Flexibilität im Umgang mit der konkreten Umsetzung der eigenen Idee und mit dem Veränderungsprozess. Man muss einfach damit rechnen, dass die Vorstellungen zum Veränderungsprozess in den Köpfen der anderen Menschen anders aussehen als in meinem Kopf.
Ein Erfolgsfaktor für die Change Agents selbst ist auch, dass sie sich an Effizienz und Effektivität orientieren, sich also fragen: Mit welchem Einsatz kann ich was erreichen? Oft ist es so, dass mit "20 Prozent Einsatz 80 Prozent der Wirkung" zu erzielen sind. Empirisch ist gesichert, dass das Promotorenmodell für Erfolge der Change Agents wichtig ist: Sie haben die Fach-, Prozess-, Macht- und Beziehungspromotorenrolle zu spielen. Diese vier Promotorenrollen sollten in ihrer Gruppe vereint sein, damit die richtige Mischung an Kompetenzen vorhanden ist.
 

Ein einzelner Mensch, der etwas verändern will, hat also keine Chance? 

Ein Veränderungsprozess kann auch mit einer Person oder einer sehr kleinen Gruppe beginnen. Die vier Promotorenrollen sind nicht unbedingt identisch mit vier Personen. Einer kann auch mehrere Promotorenrollen in sich vereinigen.
Wenn ein Change Agent eine einzelne Person ist, ist es schwierig, alles zu adressieren, da die Ressourcen fehlen. Fokussierung ist dann notwendig. Niemand ist Superman oder Superwoman. Dass eine Person viele bewegt, kann im Einzelfall aber auch gelingen - so nach dem Motto "Wenn einer Feuer schreit, wird er damit erreichen, dass tausend Leute aus dem Gebäude fliehen". Es kommt also nicht nur darauf an, was man will, sondern auch, was man zum jeweiligen Zeitpunkt mit den gegebenen Möglichkeiten gerade erreichen kann. In der Regel wird der erste Schritt darin bestehen, andere für seine Idee zu gewinnen. Dazu muss man analysieren, welche Potenziale und Qualifikationen man hat: Wie viel Zeit, wie viel Geld hat man zur Verfügung, welche Promotorenrollen kann man selbst einnehmen? Danach kommt die Frage nach der Zielgruppe. Ich muss mir gezielt überlegen: Suche ich mir erst einmal Bündnispartner oder wende ich mich gleich direkt an die Zielgruppe? Also: Wer ist meine erste Zielgruppe? Ein Umweltverband, die lokale Abgeordnete oder ein eigenes Netzwerk? Die Vision entscheidet darüber, wer meine Endzielgruppe ist. Wichtig ist auch, welche Player es auf diesem Feld gibt, wer davon potenziell Unterstützer oder Gegner sein könnte, wer hat die nötige Fachkompetenz? Es ist von Bedeutung, ob ich mich souverän im Akteursnetzwerk bewegen kann.
 

Gibt es weitere Faktoren? 

Die Idee, natürlich. Sie ist handlungsleitend und bestimmt auch die ersten Vorschläge zu ihrer Umsetzung. Möchte ich eine NGO von meinem Anliegen überzeugen, an die Politik herantreten oder erreichen, dass ein Unternehmen nachhaltige Produkte entwirft?
 

Nehmen wir mal an, unser Change Agent ist eine NGO, die erreichen möchte, dass mehr Bioprodukte angeboten werden. 

Die NGO sollte überlegen, auf was sie aufbauen kann. Wenn sie beispielsweise früher schon eine Kampagne zum Thema "Nachhaltige Klamotten kaufen" gemacht hat, ist es sinnvoll zu überlegen, ob es dazu Anknüpfungspunkte gibt. Es ist oft leichter, wenn die Akteure an Unternehmen herantreten, mit denen sie schon erfolgreich zusammengearbeitet haben, oder wenn sie die Vorarbeiten aus diesen Aktionen nutzen können. Bei der Umsetzungslösung für die Idee kommt es darauf an, sie nicht "im stillen Kämmerlein fein ziseliert auszuformulieren" und sich dann daran festzukrallen. Es bietet sich an, nur eine etwa 80-Prozent-Lösung zu konzipieren und dann Raum für die Entwicklung zu lassen, damit im Prozess Interessen und Know-how anderer Beteiligter einbezogen werden können. Und in einer komplexen Welt ist es außerdem wichtig, dass die Lösungen fehlertolerant und reversibel sind.
 

Wie wichtig ist der Faktor Zeit? 

Sehr wichtig, auf mehreren Ebenen. Der Zeitpunkt ist wichtig. Wenn die Idee gerade nicht anschlussfähig ist, bemüht man sich meist vergebens. Das Zeitfenster, in dem Veränderung möglich ist, ist häufig pfadabhängig. Beispiel Fukushima: Der GAU hat einen schnelleren Atomausstieg wieder möglich gemacht. Da die Zeitfenster aber oft nur sehr klein sind, ist es auch sinnvoll, die Idee und Lösungen zu ihrer Umsetzung zunächst als Blaupause zu entwickeln, die man dann "aus der Schublade ziehen" kann. Andererseits kann eine Einführung im falschen Moment, auch wenn sie glückt, zum Pyrrhussieg werden, für den man später die Rechnung präsentiert bekommt. Wenn der richtige Zeitpunkt da ist, kommt es auf das Timing an. Ein Veränderungsprozess sollte für die direkt Betroffenen in der Regel nicht länger als etwa ein Jahr dauern; Anpassungsprozesse werden so möglich, ohne dass sich der Prozess zu lange hinzieht. Und es sollte klar sein, was wann geschieht und wann der Prozess zu Ende ist. Zusätzlich spielen auch noch die Zeitressourcen eine wichtige Rolle - und zwar sowohl die eigenen als auch die der Zielgruppe des Veränderungsprozesses.
 

Was muss ich tun, um einen Veränderungsprozess so richtig vor die Wand zu fahren? 

Da gibt es viele schöne Möglichkeiten: Erstens, ich wähle eine Idee, die viel zu groß ist und meine eigenen Möglichkeiten bei Weitem übersteigt. Zweitens, ich gebe einen starren Prozess vor und stoße die betroffenen Menschen vor den Kopf, indem ich ihnen vermittle, dass sie "schlecht" oder "böse" sind, wenn sie sich nicht so verändern, wie ich es will. Drittens, meine Idee passt nicht zu den Rahmenbedingungen. Viertens, ich habe zu wenig Zeitressourcen. Fünftens, ich ärgere mich über Widerstände, begreife sie als bösartig und reagiere entsprechend. Auf diese Weise vergrätze ich gekonnt diejenigen, die mir helfen und die Veränderung unterstützen könnten.
 


changeX 03.06.2011. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Zu den Büchern

: Models of Change. Einführung und Verbreitung sozialer Innovationen und gesellschaftlicher Veränderungen in transdisziplinärer Perspektive. vdf Hochschulverlag, Zürich 2010, 584 Seiten, 64 Euro, ISBN 978-3-7281-3315-1

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: Wege zum Wandel. Wie wir gesellschaftliche Veränderungen erfolgreicher gestalten können. oekom Verlag, München 2010, 131 Seiten, 19.90 Euro, ISBN 978-3-865-812049

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Autorin

Annegret Nill
Nill

Annegret Nill arbeitet als freie Journalistin, Autorin und Moderatorin in Berlin. Sie schreibt als freie Autorin für changeX.

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