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Neues vom Schwan

Nassim Nicholas Talebs neuer Essay über die Konsequenzen aus der Krise.
Text: Dominik Fehrmann

Kaum ein Buch hat zuletzt in der Finanzwelt für mehr Aufsehen gesorgt als Nassim Nicholas Talebs Der Schwarze Schwan. Nun meldet sich der Essayist und Forscher erneut zu Wort. Mit weiteren Tipps zum Überleben in einer Welt des Unvorhersehbaren.

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Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Und ein Schwarzer Schwan öffnet noch lange nicht jedem Blinden die Augen. Also hat Nassim Nicholas Taleb nachgelegt. Nach seinem Bestseller Der Schwarze Schwan, in dem der New Yorker Professor für Risikoforschung - noch vor der Banken- und Wirtschaftskrise 2008 - vor desaströsen Folgen einer verbreiteten Risikoblindheit gewarnt und nebenbei einige wissenschaftstheoretische Traditionen umgekrempelt hatte, präsentiert einen weiteren Essay, in dem er gegen Ignoranz und Irrlehren zu Felde zieht. Das der amerikanischen Ausgabe von Der Schwarze Schwan als Nachwort angefügte Stück ist auf Deutsch nun als gesondertes Werk erschienen. Das Büchlein eignet sich als Ergänzung, weniger dagegen zum Einstieg in die eigenartige talebsche Gedankenwelt. 

Im Zentrum dieser Welt steht weiterhin die Idee, dass Theorien im Sinne von Kausalmodellen zur Erklärung und Vorhersage von Phänomenen stark überschätzt werden. Viele Menschen, so wird Taleb nicht müde zu betonen, schließen allzu unbekümmert von Vergangenem auf Künftiges, ohne die Möglichkeit des bisher nie Dagewesenen zu berücksichtigen. Um dann immer wieder aus allen Gewissheitswolken zu fallen. Ganz so, wie die Menschen einst überrascht feststellen mussten, dass es schwarze Schwäne gibt. Diese Berechenbarkeitsgläubigkeit ist in der Praxis vor allem dort ein Problem, wo unvorhersehbare Ereignisse unabsehbar große Folgen haben können. Talebs Paradebeispiel dafür sind die Finanzmärkte. Die ihre riesigen Risiken bis zum bitteren Ende kalkulieren zu können glaubten.


Besser früh sterben lassen


Dabei will Taleb den dominosteinartigen Bankenkollaps von 2008 gerade nicht als Auftreten eines Schwarzen Schwans verstanden wissen. Vielmehr sieht er darin "das Ergebnis der Fragilität von Systemen, die auf Nichtwissen im Hinblick auf das Konzept der Ereignisse vom Typ des Schwarzen Schwans - und seiner Leugnung - aufgebaut waren". Diese gefährliche Fragilität aber hält Taleb keineswegs für zwangsläufig. Im Gegenteil. Der Großteil seiner neuen Ideen kreist um die Frage, wie komplexe Systeme hinreichend robust gemacht werden können, um gegen Schwarze Schwäne gewappnet zu sein. 

Hier nun erweist sich Taleb als Naturliebhaber. Nehmen wir uns doch, rät er, die Natur - da sie schon so lange "gut funktioniert" - zum Vorbild. Zumindest in zweierlei Hinsicht. Zum einen leistet sich die Evolution offenbar gewisse Redundanzen, etwa doppelte Organe, als Vorsichtsmaßnahme gegen unvorhergesehene Schäden. Zum anderen "mag die Natur nichts, was zu groß ist", insofern sie keinen einzelnen Organismus schafft, dessen Tod das ganze Ökosystem ins Verderben stürzen würde. Was die Akteure der Finanzwelt daraus lernen können? Zum einen: Finanzielle Reserven anlegen und Versicherungen abschließen sowie alle Optimierungs- und Effizienzbestrebungen kritisch beäugen. Zum anderen: Banken nicht "systemrelevant" werden lassen, also zu bedeutend, um sie gegebenenfalls ihrem Untergang zu überlassen. Geradezu radikaldarwinistisch plädiert Taleb dafür, "früh sterben zu lassen, was keine Stressoren überlebt". 

Taleb selbst jedenfalls mangelt es offenbar nicht an Robustheit: Wie ehedem teilt er ordentlich aus, gegen etliche Manager und Wissenschaftler, die er auch beim Namen nennt und wahlweise "arrogant", "dumm" oder "möchtegerngroß". Ab und an trüben diese persönlichen Scharmützel seine Argumentation. Wie Taleb es seinen Lesern überhaupt nicht immer leicht macht, ihm bei seinen Gedankengängen zu folgen. Kreuz und quer geht es hier von einer intellektuellen Baustelle zur nächsten, im Gepäck ein sperriges Fachvokabular aus Stochastik, Wirtschaftswissenschaften und Wissenschaftstheorie.


Besser nichts tun als Schädliches


Am Ende ist schwer zu ermessen, wie plausibel hier für einen Paradigmenwechsel geworben wurde. Vor allem, da unklar bleibt, in welchen Bereichen und in welchem Maß ein Denken und Handeln nach herkömmlichen Erklärungs- und Vorhersagemustern nicht nur harmlos, sondern immer noch geboten oder gar unabdingbar ist. Wie weit also andersherum die Berücksichtigung des Unvorhersehbaren theoretisch wie praktisch sinnvoll ist. Wer an dieser Stelle ohne klare Erkenntnis bleibt, den mag ein weiterer zentraler Gedanke Talebs trösten: Es liegt in der Natur der Sache, dass unser begrenzter Verstand bisweilen vor der Komplexität der Welt kapitulieren muss. Und in Fällen, in denen unser Wissen an Grenzen stößt, gilt die Klugheitsregel, "dass es entschieden vorzuziehen sein kann, nichts zu tun, statt etwas zu tun, was schädlich sein könnte".
 


changeX 29.09.2010. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Zum Buch

: Der Schwarze Schwan. Konsequenzen aus der Krise. Carl Hanser Verlag, München 2010, 131 Seiten, ISBN 978-3-446-42410-4

Der Schwarze Schwan

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Autor

Dominik Fehrmann
Fehrmann

Dominik Fehrmann ist freier Journalist in Berlin. Er schreibt als freier Mitarbeiter für changeX.

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