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Zynische Alte
Einspruch 9: Alterszynismus oder das Ende der Motivation.
Von Erich Feldmeier
Erich Feldmeier über Alterszynismus als logische Folge falscher Personalarbeit. Einspruch! heißt seine monatliche Kolumne - ein konstruktiv-kritisches Format, das die oft unreflektierten, scheinbar unabänderlichen Selbstverständlichkeiten humorvoll und ketzerisch-herausfordernd in Frage stellt.
Erich FeldmeierGlücklicherweise habe ich über mehr als 15 Jahre eine sehr intensive Freundschaft zu einer Studienkollegin halten können. Nach ihrem Berufseinstieg bei einem großen Konzern haben wir uns oft intensiv über naturwissenschaftlich-fachliche Themen, über Statistik, Forschungsstudien, IT-Werkzeuge und Arbeitsabläufe unterhalten und Literatur-Tipps ausgetauscht. Das ging etwa zwei Jahre - bis wir eines Tages feststellen mussten, dass sich unsere Gesprächsthemen grundlegend gewandelt hatten: Auf einmal standen nicht mehr die inhaltlichen Dinge im Vordergrund. Nun ging es in erster Linie - und bald nur noch - um Personalia, also die Wer-mit-wem-und-mit-wem-nicht-Beziehungsgeschichten, Sex, Intrigen und Machtkämpfe, also die Gründe für Entscheidungen. Und darüber sind wir uns einig: Das wird sich die nächsten 30 Jahre des Berufslebens nicht mehr ändern. Wir haben uns von den Inhalten verabschiedet.

Innovation durch Motivation.


Bei Naturwissenschaftlern und Ingenieuren stellt sich hier eine gewisse Fassungslosigkeit ein. (1) Denn das Wesen der Naturwissenschaft ist ja der Erkenntnisgewinn. Und der speist sich aus dem Drang und der Leidenschaft zum Forschen. Und wenn dieses Feuer ausgebrannt ist, dann herrscht Stillstand. Dann erlischt auch die Motivation. Und dann kann man den Gewinn aus milliardenschweren Forschungsinvestitionen, also die Arbeit von Jahren und Jahrzehnten, abschreiben.
Überhaupt, nachdem Leistung auch bei Fußballtrainern keine Rolle mehr spielt (2), fragen wir uns, wie Menschen motiviert bleiben können, wenn ihr unmittelbarer individueller Leistungsbeitrag praktisch keine Rolle mehr spielt. Das ist auf dem Fußballplatz nicht anders als in Wirtschaft und Gesellschaft: Erst der unmittelbare Bezug, das sofortige Feedback schafft Motivation. Menschen denken und empfinden eben ausschließlich in individuellen, zeit- und ortsnahen Zusammenhängen - was sonst?
Nur: Der Beitrag zur Binnenkonjunktur ist eh für die Katz, weil seit mehr als 30 Jahren nur noch die Hälfte an Konsumenten nachwächst. (3) Der Katzenjammer zeigt sich praktisch in allen Branchen und bei allen Produkten, am Bau und im Handwerk, bei Kühlschränken, Autos, CD-Verkäufen, Kino- und Theaterkarten. Und: In globalisierten Märkten entsteht das Gefühl, dass es letztlich egal sei, ob man etwas tut oder ob man nichts tut. Die Menschen verstehen nicht, was sie wofür tun, und die Entscheidungen werden woanders getroffen: in der Führungsetage, "hinten, weit in der Türkei" oder sonst wo. Innovationen werden gefordert und proklamiert, faktisch besteht aber keine Nachfrage danach - das könnte man das erste Innovationsparadoxon nennen.

Innovation durch Personalarbeit.


Denn die Wertschätzung und damit die Motivation der Mitarbeiter sind in höchstem Maße davon abhängig, wie viel Zeit die Vorgesetzten mit persönlicher Kommunikation mit ihren Mitarbeitern verbringen. Dabei wachsen Verständnis und Vertrauen und somit die reibungslose Zusammenarbeit bereits mit der Häufigkeit der Kommunikation. Fehlt diese Zuwendung, stellt sich Gleichgültigkeit ein. Doch welche Führungskraft hat Zeit?
Mit dem inhaltlichen Feedback ist es nicht besser. Jeder weiß, dass das "betriebliche Vorschlagswesen" meist ein kümmerliches Dasein fristet. Dies gilt trotz oder wegen der erheblich ausgeweiteten Praxis der - anonym - auszufüllenden Qualitätsmanagement-Fragebögen. Die Ironie dabei: Es wird schlichtweg übersehen, zeitnahes Feedback an den Vorschlagenden respektive Kritiker zurückzugeben. Aber nur wenn dieses individualisierte und zeitnahe Feedback erfolgt, kann die gesamte Prozedur überhaupt erfolgreich sein. Und genau deswegen ist Toyota zum führenden Autobauer aufgestiegen. Wenn bei Toyota heute ein Mitarbeiter einen Missstand benennt, ist morgen ein Manager zur Stelle und kümmert sich um das Problem. Kein Vorschlag wird ignoriert, keine Kritik bestraft. Hierzulande riskiert man in manchen Firmen Abmahnung oder Rausschmiss.

"Loyalität geht vor Kompetenz."


"Loyalität geht vor Kompetenz", hat Bundeskanzlerin Angela Merkel einmal gesagt und damit Unverständnis provoziert. (4) Doch weil der Mensch sich menschlich verhält, riskiert jede Chefin die Regierbarkeit, wenn sie sich anders verhalten würde, insofern ist diese Aussage politisch und menschlich natürlich logisch und nachvollziehbar. Doch das Wesen der Innovation, inklusive des Dilemmas der möglichen Führungskrise (!), beruht genau darauf, abweichende Meinungen zu fördern und konstruktiv zu nutzen, in der Politik wie in den Unternehmen. (5) Der Glücksfall Querdenkertum entwickelt sich zum ungelösten, sprich auszusitzenden Problemfall, obwohl Problemstellung und -lösung hinlänglich bekannt sind.
Und weil diese Wesenszüge zutiefst im Menschen und der Evolution verwurzelt sind, ist es unwahrscheinlich, dass sich diese Probleme von selber lösen. In der Bildungsdiskussion müssen genau diese menschlichen Aspekte zuvorderst gefordert werden. Weil es ungelöste Probleme mit Personalführung, Autorität und Hierarchiegockeleien gibt, beinhaltet das zweite Innovationsparadoxon somit: Gut 300.000 gut ausgebildete Ü-40-Ingenieure und -Wissenschaftler drehen Däumchen, obwohl "händeringend" Ingenieure gesucht werden, um das Innovations angebot im Hochlohnland vorantreiben zu können, so dass die Anderen - Marketing, Vertrieb und Controlling - überhaupt etwas haben, was sie verkaufen und verwalten können. Außer Grafiken, Tabellen und warmen Worten.

Der Schweinsteiger-Effekt oder neue Besen kehren gut.


Im Fußball wie in den Firmen sind es die Jungen, die mit großem Elan zur Sache gehen - neue Besen kehren gut, heißt es. Deshalb sind wir wie selbstverständlich geneigt, die Besen-Idol-Geschichten aus Sport und Pop auf wirtschaftliche Leistungen anzuwenden, selbst wenn zahlreiche negative Erfahrungen und Bankrotte dem widersprechen. Das Zeit-Dilemma von jung-dynamischen Führungskräften haben wir in Einspruch 7 ausführlich diskutiert. Daneben gibt es - seit jeher - ein Generationsproblem zwischen Jung und Alt. Die auf dem Arbeitsmarkt überflüssigen über 40-Jährigen verhalten sich natürlich strikt logisch, indem sie an Pfründen fest-, beziehungsweise Wissen zurückhalten. Wie sollten sie sich auch sonst verhalten? Sich selbst schädigen?
Ein klassisches Beispiel: Frau Meier verärgert Herrn Müller, was Herrn Müller nicht zwingt, die nächsten 20 Jahre konstruktiv mit Frau Meier zusammenzuarbeiten - sondern immer recht freundlich Verständnis signalisieren, die Kollegin mit E-Mails zumüllen (Stichwort "Datenfriedhof") und die eigentlich wichtigen und entscheidenden Informationen für sich behalten. Und niemand wird dies je kritisieren können. Dies genau ist die Crux und der Knackpunkt jeglichen Wissensmanagements.
Die Älteren lassen in bester, erlernter Familientradition die Jüngeren ihre Macht spüren, die Jüngeren hingegen fühlen sich gegängelt und können ihrer Doppelrolle als fachlicher Entwickler und Führungskraft nicht gerecht werden. Die Konsequenz: Die "jungen Wilden" stoßen sich die Hörner ab, wie es so schön heißt. Die Folge ist wiederum Frustration. Die ersten zwei Jahre steht die fachliche Arbeit im Vordergrund, danach für den Rest des Arbeitslebens - 30 Jahre lang! - Nebenkriegsschauplätze, Beziehungsgeschichten, also Dinge, die mit dem eigentlichen Geschäftsbetrieb nichts zu tun haben.
Dieser Konflikt führt zu der hinlänglich bekannten "Ist-mir-egal-" und "Hauptsache-nicht-auffallen"-Mentalität. Schleift sich diese über Jahre hinweg ein, ist Alterszynismus mit logisch sich anschließender Frühpensionierung die notwendige Folge.

Innovation, Autorität und Altersstarrsinn.


Eine Vorkehrung gegen Alterszynismus wäre ein entscheidender Beitrag zur Steigerung der Produktivität. Doch warum gilt der als nicht behandelbar, wenn stets nach Produktivitätszuwachs gelechzt wird und Unternehmensberater Prozessoptimierungen stets im zweistelligen Prozentbereich ansiedeln? Und warum wird gebetsmühlenhaft, mit quasi-religiösem Gestus die Wichtigkeit von lebenslanger beruflicher Weiterbildung und Qualifizierung betont - also fachlicher Qualifizierung und deren logischer Fortsetzung, sprich: Leistung - wenn zugleich jede Innovation am Altersstarrsinn scheitert? Denn der ist der Zwillingsbruder des Alterszynismus!
Es ist kaum nachzuvollziehen, dass in einer Zeit, in der Aus-, Fort- und Weiterbildung - also: Wissen = Information + Erfahrung + Bewertung - in immer größerem Maße den geschäftlichen Erfolg von Unternehmen bedingen, es immer noch im großen Maßstab Frühpensionierung gibt! Kapitalvernichtung wäre treffender. (6) Die Gründe hierfür müssen also jenseits von Wissen, Erfahrung, Leistung angesiedelt sein. Lapidar heißt es meist: Wir haben kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem. Das besteht offenbar darin, dass niemand die Erkenntnisse zur Umsetzbarkeit umsetzt.
Aus volkswirtschaftlicher Sicht hat dieses Durchwursteln auch einen positiven Aspekt, weil die Ineffektivität - als heiße Luft in Worthülsen-Ballons abgefüllt - einen deutlichen Beschäftigungseffekt zeitigt und somit das Bruttoinlandsprodukt erhöht. Gewissermaßen als "Kollateral-Schaden" werden nicht nur Kreativität, Motivation und Innovation, sondern vernünftiges Arbeiten insgesamt systematisch verhindert. (7) Evolutionär bewegen wir uns nicht, sondern verharren in der Steinzeit! Von Fortschritt und Innovation ist gerade im menschlichen Umgang überhaupt nichts zu erkennen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Dies gilt - nicht erst seit Machiavelli - auch für das "gutnachbarschaftliche" private Umfeld.
Aus betriebswirtschaftlicher Sicht muss man sich hingegen fragen, warum es sich Unternehmen - zum chronischen Leidwesen des Humankapitals - leisten wollen, die tägliche Ineffektivität im menschlichen Umgang in Kauf zu nehmen und Mitarbeiterführung so unprofessionell zu gestalten - obwohl jahrein, jahraus die immergleichen milliardenschweren Erkenntnisse in der Managementforschung und -beratung immer wieder und immer noch publiziert, aber nicht umgesetzt werden. (8)
Dabei bestehen keine ernsthaften Zweifel, dass Menschen sich für Aspekte der Evolution, Verhaltensbiologie, Arbeits- und Sozialpsychologie, für das Verhalten von Menschen in Gruppen sensibilisieren lassen. Es gilt, die zum Teil jahrtausendealten Erfahrungen mithilfe angewandter Philosophie in die Praxis umzusetzen, statt systemimmanente Lösungen von gestern für Probleme von morgen zu propagieren.

Innovation durch Verhaltensänderungen.


Die entscheidend wichtigen Erkenntnisse für die Akzeptanz und Machbarkeit von Verhaltensänderungen sind bekannt und benannt:

  • echte (selbsterklärende) Bedienerfreundlichkeit aller technischen Innovationen,
  • direktes und kontinuierliches Feedback für alle individuellen Leistungsbeiträge,
  • ein Sinn für die psychologische Wahrnehmung von den Anderen, ihren Bedürfnissen, Interessen und Sichtweisen, Individuen im Licht der Evolution (9), Stichwort: Spieltheorie,
  • ein Sinn für die vergleichende Gerechtigkeit in unmittelbarer - jeweils individueller zeitlicher, räumlicher und organisatorischer - Umgebung und insbesondere auch ein Bewusstsein für die Bedeutung sozialer Zugehörigkeit (Gruppe, "Heimat", Wohlfühlrahmen) und das sich daraus ergebende Gruppendenken,
  • Etablierung von transdisziplinären Ausbildungs- und Studiengängen und Arbeitsplätzen statt Zeitverplempern beim "Spezialisten-Schaulauf" in Meetings,
  • fachliche Laufbahn statt fachlichen Aufstiegs,
  • Etablierung von hauptamtlichen Querdenkern jenseits von Abteilungen und Hierarchien,
  • gesunder Menschenverstand und Pragmatismus.

Sie müssen "nur" umgesetzt werden!

Die Einspruch!-Serie endet mit diesem Beitrag - Feedback ist herzlich willkommen!

Anmerkungen:

  1. Hans-Peter Beck-Bornholdt/Hans-Hermann Dubben: Der Hund, der Eier legt. Erkennen von Fehlinformationen durch Querdenken, Rowohlt Verlag, Reinbek 2001.
  2. In dem Beitrag "Allmählich zermürbt" zitiert die Süddeutsche Zeitung den Trainer Ralf Rangnick: "'Ich bin die politischen Possenspiele leid', sagte er so verbittert wie sichtlich bewegt, 'darauf habe ich keinen Bock mehr.'" Süddeutsche Zeitung vom 10. 12. 2005.
  3. "30 Jahre nach 12", Süddeutsche Zeitung vom 10. 12. 2005.
  4. Zitiert nach Süddeutsche Zeitung vom 17. 8. 2005.
  5. www.iiQii.de/gallery/Die-iiQii-Philosophie/ChesterBarnard_onepine_info
  6. "Schlankheitskur auf Staatskosten", Süddeutsche Zeitung vom 28. 11. 2005; vergleiche auch den Spruch von Henry Ford: "Nimm die Erfahrung und die Urteilskraft der Menschen über 50 heraus aus der Welt, und es wird nicht genug übrig bleiben, um ihren Bestand zu sichern."
  7. Corinne Maier: Bonjour Paresse; vergleiche auch: www.iiQii.de/gallery/Die-iiQii-Philosophie/PrimoLevi_inch_com
  8. Jeffrey Pfeffer: The Knowing-Doing Gap, www.changex.de/d_a00327.html
  9. Ernst Fehr: "The nature of human altruism", www.iew.unizh.ch; www.iiQii.de/gallery/VictimsOfGroupThink/RichardLayard_cep_lse_ac_uk

Weitere Informationen:
www.iiQii.de

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Erich Feldmeier

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