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Mut zur Ermutigung

Führung muss Menschen ermöglichen, zu wachsen - ein Gespräch mit Winfried Berner
Interview: Winfried Kretschmer

Führung ist oft organisierte Entmutigung. Da ist nicht nur der verbreitete Führungsstil des permanenten Meckerns, Nörgelns und Kritisierens. Auch in Zielvereinbarungs- und Entlohnungssysteme ist die implizite Botschaft eingebaut: Du bist nicht gut genug. Doch eine andere Führungspraxis ist möglich: ermutigende Führung. Führung, die Menschen nicht klein macht, sondern ihr persönliches Wachstum fördert. Ein Berater und Buchautor sagt: Auch miese Chefs können zu einem anderen Führungsstil finden.

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"Die Qualität einer Führungskraft bemisst sich danach, ob Menschen in der Zusammenarbeit kleiner oder größer werden." Etwa in der Mitte unseres Gesprächs zitiert Winfried Berner den Jesuitenpater und Managementberater Rupert Lay. Das ist der Punkt: Ermutigende Führung will Menschen persönliches Wachstum ermöglichen. 

Winfried Berner ist Diplom-Psychologe, Managementberater und Coach mit den Schwerpunkten Change Management, Kulturveränderung und Post-Merger-Integration mit eigener Firma "Die Umsetzungsberatung" in Mitterfels/Bayern. Zusammen mit Regula Hagenhoff, Thomas Vetter und Meik Führing hat er das Buch Ermutigende Führung verfasst, das bei Schäffer-Poeschel erschienen ist.
 

Herr Berner, Führungskonzepte gibt es zuhauf: positive, mixed, tribal, shared oder servant Leadership - respektive radikal, emotional, liebevoll, traditionell, modern oder mit neuer Autorität führen. Wozu noch ein Ansatz? 

Es ist gar kein neuer Ansatz, sondern ein sehr traditionsreiches Konzept, das sich in Erziehung, Partnerschaft und Zusammenarbeit sehr bewährt hat. Nur auf den Bereich der Führung ist es seltsamerweise nie übertragen worden.
 

Sie sprechen von Ermutigung. 

Genau.
 

Wie sind Sie darauf gekommen, diesen Brückenschlag von der Individualpsychologie, wo das Konzept herkommt, zur Führung zu machen? 

Ich finde, dass der Ansatz der Individualpsychologie sehr gut zu den neueren Erkenntnissen der empirischen Psychologie und der evolutionären Psychologie passt. Zudem besitzt er gerade für den Bereich der Zusammenarbeit im Beruf einen ungleich höheren Erklärungswert als die meisten anderen psychologischen Modelle. Das war der eher theoretische Weg.  

Der praktische war ein größeres Beratungsprojekt im Privatkundenvertrieb der Commerzbank. In diesem Geschäftsfeld ist es schwierig, Wettbewerbsvorteile aufzubauen. Eine ermutigende Führungskultur erschien uns da als die Chance, einen nicht leicht imitierbaren Vorteil gegenüber anderen Anbietern zu schaffen. Das haben wir dann trotz Finanzkrise in die Praxis umgesetzt. Aus diesem Kontext heraus ist dann auch unser Buch entstanden.
 

In Ermutigung steckt das Wort "Mut". Was verstehen Sie unter Mut? 

Individualpsychologisch verstanden, ist Mut sozialer Mut: Mut im Umgang mit anderen Menschen - beispielsweise den ersten Schritt machen, konstruktiv auf andere Menschen zugehen, sich in schwierige Gespräche hineintrauen und so weiter. Das unterscheidet sich deutlich vom Mut im Alltagsverständnis: "Mut beweisen" meint immer, einen Zweifel auszuräumen, den man selber hat oder in der Umgebung vermutet. Wirklicher Mut heißt aber nicht, beweisen zu wollen, wie tapfer man ist, sondern schwierige soziale Situationen auf konstruktive Art und Weise zu gestalten.
 

Mangel an Mut beschränkt die eigenen Möglichkeiten. Welchen Einfluss haben Mutlosigkeit, Selbstzweifel und Minderwertigkeitsgefühle auf das Befinden und die Leistungsbereitschaft von Menschen? 

Ein Beispiel: Ein Arbeitsfeld, das eine Menge Mut erfordert, ist Vertrieb. Vertrieb heißt, auf Menschen zuzugehen, von denen man nicht weiß, wie sie auf das eigene Angebot reagieren werden. In jedem Vertrieb gibt es einfache Kunden und schwierige Kunden. Einfache Kunden sind nett, man bekommt einen Kaffee und hat ein angenehmes Gespräch - deswegen drängen sich dort die Wettbewerber. Schwierige Kunden hingegen sind anspruchsvoll, fordernd, harsch und ungeduldig - aber das sind genau die Kunden, bei denen die Geschäftspotenziale liegen. Wenn es einem Vertriebsmanager gelingt, seine Mitarbeiter dazu zu ermutigen, gerade zu solchen schwierigen Kunden Geschäftsbeziehungen aufzubauen, dann erschließt sich dort ein Terrain mit weniger Wettbewerb und höherer Wertschöpfung. Der Mut, der dafür erforderlich ist, macht sich also auch ökonomisch bezahlt.
 

Es geht also im Grunde um das Selbstbild, das Menschen von sich haben? 

Ja, Ermutigung hat viel mit dem Selbstbild zu tun: Was traue ich mir zu? Was erwarte ich von mir? Wie gehe ich in schwierigen Situationen mit mir selber um? Hier zeigt sich der Unterschied zwischen einem statischen Selbstbild und einem dynamischen Selbstbild. Statisches Selbstbild heißt: "Ich weiß, dass ich bestimmte Sachen nicht kann." Dynamisches Selbstbild bedeutet: "Das habe ich noch nie ernsthaft versucht. Aber bin sicher, dass ich es lernen kann, wenn ich mich dahinterklemme." Also: Einfach beherzt an Dinge rangehen. Und davon überzeugt sein, dass die eigenen Möglichkeiten größer sind als das, was man im Moment daraus macht.
 

Wenn wir zum Thema Führung gehen: Was bedeutet Ermutigung im Unterschied zu Lob und Anerkennung oder "Motivierung"? 

Zunächst zu Lob und Anerkennung - Motivierung ist noch mal eine kompliziertere Baustelle: Lob bezieht sich immer auf eine bereits erbrachte Leistung und ist damit vergangenheitsorientiert. Ermutigung hingegen bezieht sich auf eine Aufgabe, die man noch vor sich hat, sie ist zukunftsorientiert.
 

Und in der Praxis? 

Wenn jemand eine gute Leistung erbracht hat, sind Lob und Anerkennung sicher eine willkommene Bestätigung, sie bringen den Betreffenden aber nicht unbedingt einen Schritt weiter. Ganz anders, wenn jemand vor einer schwierigen Aufgabenstellung steht und zögert: "Soll ich diesen Kunden jetzt anrufen?", "Soll ich es mit dieser Aufgabe noch mal probieren?" Bekommt man gerade in solchen Pendel-Situationen einen wohlwollenden Schubs, dann kann das genau der Impuls sein, der den nächsten Versuch auslöst. Und der einen weiterbringt auf dem Weg zum Erfolg.
 

"Motivierung" ist eine kompliziertere Baustelle, sagen Sie - das heißt? 

Man kann nicht Motivation in jemanden hineinpflanzen, wenn sie nicht in der betreffenden Person drinsteckt. Man kann allenfalls versuchen, zusätzliche soziale oder materielle Anreize zu geben. Ermutigung aber bewegt sich auf einer ganz anderen Ebene. Ermutigung bezieht sich wie gesagt auf Aufgaben, die Menschen vor sich haben und bei denen sie unsicher sind, ob sie sie angehen sollen und ob sie sie schaffen können. Es ist ein Impuls, sich der Aufgabe zu stellen, beharrlich dranzubleiben und ein Stück weit voranzukommen.
 

Zielt Ermutigung also auf die intrinsische Motivation? Und versucht, sie zu stärken? 

Sie zielt auf die intrinsische Motivation, aber auch auf die Hindernisse, die im Weg stehen. Wenn jemand ohnehin im Begriff ist, eine Aufgabe mit Energie anzupacken, dann braucht er keine Ermutigung. Dann verfügt er über die Motivation und die Zuversicht, diese Aufgabe auch bewältigen zu können. Ermutigung kommt dann ins Spiel, wenn diese Zuversicht nicht da ist. Ermutigung greift dort am besten, wo jemand an der Schwelle steht und überlegt, ob er eintreten soll oder nicht. Wenn allerdings jemand eine Aufgabe völlig aufgegeben hat, dann ist es kaum noch möglich, ihn zu ermutigen.
 

Ermutigung hat auch eine andere Seite, und ich vermute, in der Führungspraxis heute ist das die vorherrschende: Entmutigung. Führung kann klein machen und sie kann groß machen ... 

Das ist der entscheidende Unterschied: Macht Führung klein oder macht Führung groß? Der Philosoph, Managementtrainer und Jesuitenpater Rupert Lay hat einmal wunderbar gesagt: "Die Qualität einer Führungskraft bemisst sich danach, ob Menschen in der Zusammenarbeit kleiner oder größer werden." Im Alltag gibt es unglaublich viel, was klein macht: vor allem dieses ständige Meckern, Nörgeln und Kritisieren, das sowohl in beruflichen wie privaten Beziehungen sehr verbreitet ist. Damit aber konfrontiert man Menschen immer wieder mit ihrer Unzulänglichkeit, demütigt sie und reduziert sie auf das, was sie nicht können. Man konfrontiert sie damit, wie sie eigentlich sein müssten, und gibt ihnen das Gefühl: "So, wie du bist, bist du nicht gut genug!"  

Der Weg der Ermutigung führt genau in die andere Richtung: Ermutigung bedeutet, jemanden so zu akzeptieren, wie er ist. Ermutigung bedeutet, den Mut zu haben, in dem anderen zu sehen, was sein nächster Schritt sein könnte, wohin sein Weg gehen könnte - auch wenn der Betreffende selbst noch nicht daran glaubt.
 

Dieses "Du bist nicht gut genug" steckt implizit drin in den ganzen Zielvereinbarungs- und Gehaltssystemen in Unternehmen. 

Ja. Hinter Controllingsystemen, Messsystemen, Vergütungssystemen steht ein Menschenbild, dessen implizite Unterstellung lautet: "Wir wissen, dass du nur so viel tust, wie unbedingt notwendig. Deswegen wollen wir dich motivieren, damit du mehr von dem, was du an Leistung bringen könntest, auch tatsächlich ablieferst." Wer Menschen so behandelt, bekommt Menschen, die sich so behandeln lassen und vielleicht so behandelt werden wollen.
 

Setzt ermutigende Führung voraus, dass man von solchen Systemen Abstand nimmt? 

Nein, aber man würde sie in einem anderen Geist einsetzen. Variable Vergütung beispielsweise kann ein faires Instrument sein, einen Mitarbeiter am Erfolg eines Unternehmens teilhaben zu lassen. Das wäre eine partnerschaftliche Umgehensweise mit variabler Vergütung: eine, die auf der Basis von Gleichwertigkeit stattfindet. In diesem Sinne ist sie durchaus mit ermutigender Führung vereinbar.  

Aber natürlich gibt es etliche betriebliche Funktionen, wo individuelle Incentives hochgradig kontraproduktiv sind. Wo beispielsweise eine starke bereichsübergreifende Zusammenarbeit erforderlich ist, schafft man ziemlich verquere Interessenlagen, wenn die einen für Erfolge eine Gratifikation erhalten, während andere, die dazu beitragen, dass diese Erfolge überhaupt zustande kommen, nichts bekommen.
 

... abgesehen von dem grundsätzlichen Problem, dass in sozialen Systemen Erfolge nicht individuell zurechenbar, sondern eine Gesamtleistung des Systems sind. Nach allem, was Sie sagen, ist ermutigende Führung mehr als ein Führungskonzept, dahinter steht eine Haltung, ein Menschenbild. Richtig? 

Genau. Es beginnt mit der Frage: Wie betrachte ich andere Menschen? Eine ermutigende Haltung ist mit dem Motivierungsansatz und dem beschriebenen Menschenbild nicht vereinbar. Vielmehr steht ein Menschenbild dahinter, das auf Gleichwertigkeit basiert: Menschen sind zwar nicht gleich, aber sie sind gleichwertig; niemand steht höher oder tiefer. Dazu gehört auch die Überzeugung, dass jeder Mensch, der sich akzeptiert und zugehörig fühlt, willens ist, seinen Beitrag zum Ganzen zu leisten. Wenn ein Mitarbeiter sich in einem Unternehmen wohlfühlt - also das Gefühl hat, angenommen zu sein, respektiert zu sein und einen anerkannten Platz in der Gemeinschaft zu haben -, dann ist es für ihn das Normalste der Welt, sein Möglichstes zum Erfolg dieses sozialen Systems beizutragen.
 

Ich höre zwei Schlüsselbegriffe heraus: "Zugehörigkeit" und einen Begriff, den Sie im Buch auch benutzen: "Augenhöhe". Das sind die zentralen Ideen? 

Es sind zwei ganz zentrale Ideen. Gleichwertigkeit ist genau das, was man heute mit dem Begriff "auf Augenhöhe" bezeichnet. "Gleichwertigkeit" ist nur knappe 50 Jahre älter. Der Begriff geht auf Rudolf Dreikurs zurück, der 1968 im hohen Alter von 70 Jahren ein Buch mit dem Titel geschrieben hat: Soziale Gleichwertigkeit. Die Forderung unserer Zeit.  

Der andere Begriff ist "Zugehörigkeitsgefühl". Dahinter steht ein Kerngedanke der Individualpsychologie: Wir Menschen sind als soziale Wesen nur lebensfähig, wenn wir irgendwo dazugehören. Menschen sind als Einzelne nicht lebensfähig, zumindest nicht auf Dauer. Sinn haben Leben und Tätigsein nur in Bezug auf andere Menschen. Da geht es ganz stark um das Dazugehören, um Zugehörigkeit.
 

Das korrespondiert mit zwei anderen Begriffen, die heute en vogue sind: "teilhaben" und "beitragen". 

"Teilhabe" geht in die Richtung von Zugehörigkeit, auch wenn es nicht die ganze Bedeutung des Begriffs widerspiegelt. Und "beitragen" trifft genau den Punkt: Wenn jemand dazugehört und sich für ein soziales System mitverantwortlich fühlt, dann ist seine erste Frage nicht: "Was bekomme ich dafür?", sondern: "Wo kann ich etwas beitragen, damit das System funktioniert?"
 

Schön gesagt. Gehen wir in die Praxis: Wie geht das, Menschen ermutigen? 

Im Grunde fängt es bei einem selber an. Mit der Frage: Was für ein Menschenbild habe ich denn eigentlich? Glaube ich daran, dass Menschen sich entwickeln können? Doch gerade auf obersten Führungsebenen findet man häufig ein sehr "digitales" Menschenbild: "Das ist ein guter Mann, das ist kein guter Mann." Das ist unglaublich statisch: Jemand ist entweder so oder so, gleichsam naturgesetzlich. Hinter Talentmanagement und dem "War for Talents" steht dieselbe Haltung: Die einen haben es drauf, die anderen nicht. Welch ein entwicklungsfeindliches, statisches Menschenbild!  

Ein dynamisches Menschenbild fragt danach, was jemand sich zutraut und welche Entwicklung er für möglich hält. Theo Schoenaker hat das so ausgedrückt: "Einmal angenommen, ich wäre mutiger, dann würde ich …" - und wenn man darüber nachsinnt, fällt einem sicher das eine oder andere ein, wo man sagt: "Mensch, das wäre doch eine Möglichkeit für mich. Warum tue ich das eigentlich nicht?" 

Jetzt habe ich mich ein bisschen verlaufen. Wo waren wir gerade?
 

Die Frage war: Wie geht das, Menschen ermutigen? 

Der erste Schritt ist Selbstermutigung. Wer bislang wenig ermutigend geführt hat, sollte sich fragen: "Traue ich mir zu, meinen Führungsstil so umzustellen, dass ich weniger meckere, nörgle, kritisiere und stattdessen ein ermutigenderes Klima schaffe?" Ein erster Schritt ist, einfach aufzuhören mit reflektorischem Meckern und Quengeln. Dafür muss man an keiner Schulung teilgenommen haben, man braucht kein Studium und keine spezielle Ausbildung; es reicht ein einfacher Vorsatz, wie es Schoenaker so nett umschrieben hat: "Wenn du merkst, dass du gerade was Kritisches sagen möchtest, halte einfach den Mund." Das muss man nur ein paar Tage oder Wochen durchhalten, und das Verhältnis verändert sich.  

Der Hintergrund ist: Kritisch wird es immer dann, wenn die Menschen schon mit einer reflektorischen Defensivität auf eine Aussage reagieren. Motto: "Ich bin darauf vorbereitet, wieder eine auf den Deckel zu kriegen, aber dann kriegst du eine zurück." Wenn die Leute aber merken, dass sie sich nicht mehr verteidigen müssen, werden sie alleine dadurch schon entspannter. Das kann ein kleines Wunder bewirken.  

Der nächste Schritt ist das, was Schoenacker "indirekte Ermutigung" nennt. Das heißt noch gar nicht mal, einem anderen einen ermutigenden Impuls zu geben. Sondern einfach zu versuchen, ein Klima zu schaffen, in dem man sich wohler fühlen kann, in dem es entspannter und angenehmer ist.
 

Zum Beispiel? 

Ich arbeite gerade bei einem Kunden zum Thema interne Kundenorientierung. Die Teams zweier Abteilungen, die eine Schnittstelle zueinander haben, sollen sich treffen und über ihre Zusammenarbeit reden. Eine kleine Intervention kann dabei das interne Klima völlig verändern: Wir schauen, dass die Führungskräfte ein paar Minuten vor Beginn da sind; jede Führungskraft begrüßt dann als Erstes die Mitarbeiter der anderen Abteilung; sie geht auf sie zu, stellt sich vor, plaudert ein wenig. Das allein führt schon dazu, dass sich nicht mehr zwei Lager gegenüberstehen. Sondern die Fronten lockern sich auf, das Klima wird entspannter - man hat miteinander gelacht und erlebt, dass die anderen einem nichts Böses wollen. So kann man viel entspannter darüber reden, wo es klappt mit der Zusammenarbeit und wo noch Verbesserungspotenzial besteht.
 

Sie haben schon ein paar Schwierigkeiten gestreift. Welche Hindernisse stehen ermutigender Führung im Wege? 

Sicher das größte ist Entmutigung - auf beiden Seiten. Entmutigung beim Vorgesetzten, der vielleicht denkt: "Mein Gott, aus dieser Pfeife wird nie was!" Und umgekehrt bei dem Mitarbeiter: "Der Chef sülzt nett daher, aber früher oder später kriegt man doch wieder eine in die Fresse." So stabilisiert sich gegenseitige Entmutigung.
 

Wie kommt man da raus? 

Das verlangt von dem Vorgesetzten, über den Mitarbeiter nachzudenken: "Habe ich bei ihm Anzeichen einer Entwicklung wahrgenommen?" Und: "Welche guten Eigenschaften fallen mir zu ihm ein?" Erst dann, wenn eine Führungskraft es zumindest für möglich halten kann, dass ein Mitarbeiter Schritte der Weiterentwicklung tut, erst dann kommt aktives Ermutigen überhaupt infrage. Und auch der Mitarbeiter muss es für möglich halten, dass dieser Chef, der ihn schon so oft klein gemacht hat, vielleicht doch seine Haltung verändert hat. Also aufhören, immer wieder Salz in die Wunden zu streuen!
 

Verstehe ich das richtig: Sie halten es für möglich, dass auch Chefs, die Mitarbeitern schon viele Schläge versetzt haben, sich ändern und zu einem ermutigenden Führungsstil finden können? 

Ja. Das zeigt sich auch empirisch, es ist nicht nur eine theoretische Ableitung. Die Verhältnisse können sich verändern! Das braucht natürlich Zeit. Vor allem Mitarbeiter brauchen angesichts ihrer Erfahrungen mit hierarchischer Überordnung meist eine Weile, bis sie einer Veränderung trauen. Aber sie ist möglich.
 

Was steht bei ermutigender Führung im Vordergrund? Das Ziel, Unternehmen menschlicher zu machen, Stichwort Augenhöhe, oder wettbewerbsfähiger? 

Ich würde es so formulieren: Es gilt zu zeigen, dass Menschlichkeit und geschäftlicher Erfolg kein Widerspruch sind, sondern miteinander vereinbar. Und dass ermutigende Führung den Erfolg sogar steigert: Schritt für Schritt - aber es potenziert sich.
 

Wenn Sie Augenhöhe mit Gleichwertigkeit übersetzen, ist diese Gleichwertigkeit überhaupt mit Hierarchie vereinbar? Ist ermutigende Führung ein hierarchiesprengendes Konzept? 

Nein, gar nicht. Es verändert die Hierarchie, aber es sprengt sie nicht. Gleichwertigkeit heißt nicht Gleichheit. Ein Chef hat eine andere Aufgabe als ein Sachbearbeiter, ein Vorstand hat eine andere Aufgabe als ein Abteilungsleiter. Trotzdem sollten die beiden - und zwar auch im Interesse des Hierarchiehöheren - auf Augenhöhe und mit einem großen Grad an Offenheit miteinander reden können.  

Einer der Schlüsselsätze in dem Buch Humble Inquiry von Edgar H. Schein lautet sinngemäß: "Wenn ich dabei bin, als Vorgesetzter einen schweren Fehler zu machen, kann ich mich darauf verlassen, dass Sie es mir sagen?" Das setzt natürlich ein Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern voraus, das es bei aller Hierarchie risikofrei möglich macht, solche kritischen Punkte auszusprechen.
 

Das Interview haben wir per Telefon geführt.
 

Quellenhinweis
Das Buch von Rudolf Dreikurs ist später unter dem (irreführenden) Titel Selbstbewusst. Die Psychologie eines Lebensgefühls beim Deutschen Taschenbuch Verlag erschienen.
Das Originalzitat von Edgar H. Schein lautet: "If I am about to make a mistake, will you tell me?" 


Zitate


"Mut heißt, schwierige soziale Situationen auf konstruktive Art und Weise zu gestalten." Winfried Berner: Mut zur Ermutigung

"Ermutigung bezieht sich auf eine Aufgabe, die man noch vor sich hat, sie ist zukunftsorientiert." Winfried Berner: Mut zur Ermutigung

"Die Qualität einer Führungskraft bemisst sich danach, ob Menschen in der Zusammenarbeit kleiner oder größer werden." Rupert Lay, zitiert in: Winfried Berner: Mut zur Ermutigung

"Ermutigung bedeutet, jemanden so zu akzeptieren, wie er ist." Winfried Berner: Mut zur Ermutigung

"Menschen sind zwar nicht gleich, aber sie sind gleichwertig; niemand steht höher oder tiefer." Winfried Berner: Mut zur Ermutigung

"Jeder Mensch, der sich akzeptiert und zugehörig fühlt, ist willens, seinen Beitrag zum Ganzen zu leisten." Winfried Berner: Mut zur Ermutigung

"Wir Menschen sind als soziale Wesen nur lebensfähig, wenn wir irgendwo dazugehören." Winfried Berner: Mut zur Ermutigung

"Es gilt zu zeigen, dass Menschlichkeit und geschäftlicher Erfolg kein Widerspruch sind, sondern miteinander vereinbar." Winfried Berner: Mut zur Ermutigung

 

changeX 04.03.2016. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Quellenangaben

Zum Buch

: Ermutigende Führung. Für eine Kultur des Wachstums. Verlag Schäffer-Poeschel, Freiburg 2015, 360 Seiten, 49.95 Euro, ISBN 978-3-7910-3465-2

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Autor

Winfried Kretschmer
Kretschmer

Winfried Kretschmer ist Chefredakteur und Geschäftsführer von changeX.

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