Eine Idee, die die Welt verändern wird

changeX berichtet vom Vision Summit in Berlin. Unser dritter Bericht.
Test: Anja Dilk

Der Vision Summit. Nach den Auftaktveranstaltungen nun am Sonntag das große Event, das sich am Tag vor dem Jahrestag des Mauerfalls ein großes Motto gegeben hat: „Another Wall to fall.“ Another Wall: Der Hunger. Die Armut. Eine Konferenz glaubt an die Kraft einer großen Idee: Social Business kann die Welt verändern.

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Die Steilvorlagen an diesem diesigen Sonntag Vormittag sind gewaltig. Von einer „Idee, die wie kaum je in der Geschichte die Welt verändern wird“ spricht der Chef des Genisis-Instituts Peter Spiegel. Ein „entscheidendes Instrument“ auf dem Weg zur Neuinterpretation von Wirtschaft und der machtvollen Begrifflichkeiten, die unser Denken und Handeln prägen, nennt es Club of Rome-Mann Franz Josef Radermacher. Und Götz Werner, Vater der Drogeriemarktkette DM und Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens, erinnert daran, dass das Thema dieses Tages letztlich zum Grundsätzlichsten führt, über das wir nachdenken können: „Warum und wozu leben wir? Als was für ein Mensch wollen wir sterben?“
Der Zeitpunkt fürs Grundsätzliche ist gut gewählt: Am Vorabend des zwanzigsten Jahrestages des Mauerfalls, der einst den eisernen Vorhang für immer heruntergerissen hatte, versammeln sich im Henry-Ford-Bau der Freien Universität Berlin (FU) knapp tausend Menschen, um darüber zu diskutieren, wie sich die nächste Mauer der Menschheit einreißen lässt: die Armut. „Another Wall to Fall“ heißt der dritte Vision Summit, zu dem Genisis-Institut und FU geladen haben. Es geht um nicht weniger als dies: Einen entscheidenden Hebel zum Umbau unseres Wirtschaftssystems umzulegen, kraftvolle Schritte weg vom Homo Oeconomicus hin zu einer Ökonomie, die tut, was sie seit jeher eigentlich tun sollte – dem Menschen und seinen Bedürfnissen dienen, nicht der Profimaximierung einzelner Anteilseigner.


"Es macht mir Spaß. Ich habe mich entschieden."


Spätestens seit der Verleihung des Friedensnobelpreises an Mohammad Yunus hat der Name eines wirkungsvollen - vielleicht des entscheidenden - Hebels zu diesem Wandel aus den Expertenkreisen herausgefunden, strömt, sich Tag für Tag zu einem größeren Strom verbreiternd, um die Welt: Social Business. „Social Business is a business which is totally dedicated to solving the problems of the people. Not to make money“, sagt Mohammed Yunus und lächelt. Richtig verstanden, war das in seinen Augen schon immer die Aufgabe von Wirtschaft: „Business has to solve the problems.“ Um die Wirtschaft zu dieser ihrer eigentlichen Bestimmung zurückzuholen, gelte es nun, das Menschliche in der bestehenden Ökonomie zu finden und zu beleben.
Mohammed Yunus weiß, wie schwer das ist. Er kommt aus einem Land, „in dem man sehr leicht frustriert werden kann“. Aus Bangladesch, einem der ärmsten Länder der Welt. Doch er weiß auch, wie viel man tun kann, wenn man will, wenn man sich dafür entscheidet. Für Yunus selbst ist es so etwas wie ein Reflex. „Wenn nebenan das Haus brennt, gehe ich auch nicht schauen, ‚na wie brennt‘s denn da?‘ Ebenso wenig gehe ich in die Bibliothek, um mich über die Geschichte des Brandes zu informieren. Sondern ich hole Wasser und versuche so schnell wie möglich, das Feuer zu löschen – ist doch klar.“ Klar ist es für viele nicht, das merkt der Chef der Grameen-Bank immer wieder, in Gesprächen mit Unternehmern, Wirtschaftsbossen oder Institutionen, die sich für seine Arbeit interessieren. Dann sagt er knapp und freundlich: „Es macht mir Spaß. Ich habe mich entschieden.“
Es ist an der Zeit sich zu entscheiden: Welchen Weg wollen wir gehen, in welche soll sich das globale Haus weiterentwickeln? Nach Yunus haben Unternehmen ebenso wie Individuen zwei Optionen: Wirtschaften, um Geld zu machen. Oder wirtschaften, um soziale Probleme zu lösen. Methodisch zieht Yunus zwischen beiden Entscheidungen eine klare Grenze, auch wenn er von interessierten Wirtschaftslenkern immer wieder gefragt wird: Kann man nicht doch ein „tiny little bit“ Profit machen? Natürlich kann man, doch „als Social Entrepreneur ist es wichtig, sich grundsätzlich zu entscheiden, um sich vom Profitdruck zu befreien“. Sozialunternehmen arbeiten kostendeckend, vor allem aber treten sie an, um soziale Probleme zu lösen. „Beide Entscheidungen sind völlig legitim, wir müssen uns nur darüber im Klaren sein.“ Sagt Yunus.


Fließende Übergänge.


Es ist diese Klarheit und Unaufdringlichkeit, mit der Muhammad Yunus in den vergangenen Jahren eine Bewegung hat entfachen können, deren Geist auf dem Vision Summit fühlbar war. Andererseits aber gab es seit Gründung der Grameen-Bank vor knapp 30 Jahren mit der Idee von Mikrokrediten für Arme, sicher kaum eine Zeit, in der Yunus´ Gedanken auf einen so fruchtbaren Boden fielen wie derzeit. Wo nach Finanzkrise und globalem Wirtschaftskollaps, angesichts von Klimawandel und knappen Energiereserven, die alten Gewissheiten zersplittern, suchen die Menschen nach neuen Denkmustern und Handlungsstrategien, um die Welt wieder in die Angeln zu heben. Wo allmählich auch an den Rändern der etablierten Wirtschaftswissenschaft und an den Business Schools der Homo Oeconomicus allmählich vom Sockel gestoßen wird und sich der Blick auf die Ökonomie durch Disziplinen wie der behaviouristischen Wirtschaftswissenschaft verändert, trifft die Idee des Social Business ins Schwarze. Genisis-Chef Peter Spiegel hat das bereits vor zwei Jahren erkannt, als er nach der Begegnung mit Yunus auf dem Summit 2007 entschied: „Das ist der entscheidende Ansatz, um die zwei Drittel der Weltgemeinschaft, die bisher außen vor stehen, endlich zu integrieren.“
Wie unscharf freilich de facto die Grenzen zwischen Social Business, Corporate Social Responsibility oder Social Impact Business sind, macht Stephan Breidenbach, Professor an der Humboldt-Viadrina School of Governance deutlich. Und zeichnet sie um so klarer nach, indem er eine Art Stufenmodell zum Social Business entwirft. Während etwa bei einfachen CSR-Modellen Unternehmen etwas für das soziale Leben tun wollen, gehen integrierte CSR-Modelle weiter, indem sie soziale und ökologische Verantwortung zum Teil der Unternehmensstrategie machen. Social Impact Business wiederum hat zwar die Lösung sozialer Probleme im Sinn, will damit aber noch Rendite machen. Social Business schließlich geht von einer nachhaltigen Organisation aus, deren Zweck es ist, soziale Probleme zu lösen und sich langfristig selbst tragen zu können.


“Was Arbeit antreibt, ist die Liebe zu den Mitmenschen.“


Dass es sich dabei nicht um hohle Begriffshülsen handelt, sondern gerade die Macht der Sprache, der semantische Gehalt von Begriffen ein wichtiges Instrument für Veränderung sein können, macht Franz Josef Radermacher vom Club of Rome deutlich. Indem man den Mauerfall als „Sieg der Freiheit“ interpretierte, konnte man den „freien Markt“ als Heilsbringer der Zukunft verkaufen – auch wenn dieser alles andere als frei war. Sondern eben ein Markt, der so organisiert ist, dass er Unternehmen belohnt, wenn sie plündern, ausbeuten, abräumen. Wo Begriffe wie Shareholder Value und Renditemaximierung zur Leitlinie des Handelns werden und CEOs sogar rechtlich zur Verantwortung gezogen werden können, wenn sie diese Anforderungen nicht gerecht erfüllen, haben „Unternehmen keine Chance, sich vernünftig zu verhalten“. Radermacher: „Wir brauchen andere Begriffe und Konzepte, damit Unternehmen wieder für das eigentliche Ziel arbeiten können: den Menschen zu nützen.“ Social Business und Sozialunternehmertum haben das Zeug dazu, eine wichtige Rolle zu spielen.
Wie wichtig das ist, macht Götz Werner, Chef des Drogeriegiganten DM deutlich. Denn im Kern gehe es doch nicht um Arbeit, um Geld zu verdienen. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Geld verdienen, um arbeiten zu können. Werner: „Arbeit ist, andere Menschen zu versorgen. Was Arbeit antreibt, ist die Liebe zu den Mitmenschen.“ Wenn Werner von Liebe in der Ökonomie spricht, von der respektvollen Liebe zu den Mitmenschen, zu den Kunden, klang das einen Augenblick lang fast wie eine Provokation. Und doch war es, ganz sachlich, ernst gemeint. „Es ist die Aufgabe von Gesellschaft: für Bedingungen zu sorgen, dass alle Menschen sich entwickeln können: zu Lebensunternehmern.“


changeX 08.11.2009. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Anja Dilk
Dilk

Anja Dilk ist Berliner Korrespondentin, Autorin und Redakteurin bei changeX.

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