Die zukunftsbereite Organisation

Wie Unternehmen mit Komplexität besser zurechtkommen
Interview: Winfried Kretschmer

Wie muss eine Organisation beschaffen sein, damit sie auch in Zukunft bestehen kann? Damit sie bereit für die Zukunft ist? Sie muss vor allem in der Lage sein, mit Komplexität besser umzugehen. Ein Team von Innovationsberatern hat ein Modell entwickelt, das dies möglich macht: die vier Räume der Organisation.

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Was ist eine Organisation? Ein Team von Münchner Innovationsberatern beschreibt Organisationen als Gebilde mit vier zusammenhängenden Räumen, in denen unterschiedliche Themen verhandelt werden. Ihr Modell bietet vier Perspektiven an, die die Arbeit in, an und mit Organisationen leiten und strukturieren können. 

Florian Rustler, Nadine Krauss, Daniel Barth und Isabela Plambeck gehören zum Team der Münchner Innovationsberatung creaffective und sind Autoren des Buchs Future Fit Company, das bei Murmann erschienen ist.
 

Was zeichnet eine zukunftsbereite Organisation aus? 

Florian Rustler: Sie zeichnet aus, dass sie mit der gestiegenen Komplexität im Umfeld gut umgehen kann. Sie kann sich effektiv auf Veränderungen einstellen und sich kontinuierlich daran anpassen. Der zweite Punkt ist, dass es in der Art, wie in der Organisation gearbeitet wird, keinen Widerspruch gibt zwischen einem menschlichen Umgang miteinander und wirtschaftlichem Erfolg.
 

Was setzt das voraus? 

Isabela Plambeck: Eine Grundvoraussetzung ist, dass Unternehmen sich selbst hinterfragen und sich selbst reflektieren können. Sind unsere Prozesse sinnvoll? Ist unser Produkt sinnvoll? Ist unsere Arbeitsweise sinnvoll? Dieses ständige Hinterfragen fusst auf dem Bewusstsein, dass alles in Bewegung ist und auch immer in Bewegung sein wird.
 

Was heißt komplex im Zusammenhang mit Organisationen? 

Florian Rustler: Komplex heißt, dass es Ungewissheit gibt und wir nicht alles vorausplanen können. Selbst wenn wir alle einzelnen Elemente kennen, wird es Eigendynamiken geben, deren Entwicklung wir nicht vorhersehen können. In Organisationen ist das so, weil dort Menschen zusammenwirken. Wenn Menschen aufeinandertreffen, entstehen vielfältigste Dynamiken, die wir nicht planen oder antizipieren können.
 

Wie drückt sich Komplexität in einer Organisation aus? 

Isabela Plambeck: Auf verschiedenen Ebenen. Es gibt sie in sämtlichen Bereichen eines Unternehmens. Nadine Krauss: Um diese Komplexität zu beschreiben, verwenden wir das Modell der vier Räume. Es macht deutlich, dass Komplexität nicht nur den operativen und den strukturellen Raum betrifft, in denen Unternehmen meistens agieren, sondern auch den individuellen und den zwischenmenschlichen Raum, wo es um das menschliche Miteinander geht.
 

Es gibt ein Ungleichgewicht zwischen diesen vier Räumen? Was kennzeichnet die vier Räume im Einzelnen? 

Nadine Krauss: In unserer Arbeit stellen wir fest, dass die meisten Unternehmen sich nur um zwei dieser vier Räume kümmern: um ihre Strukturen, also den strukturellen Raum, und um ihre Prozesse und ihr Tagesgeschäft, also den operativen Raum. Im strukturellen Raum heißt das: Wie treffen wir Entscheidungen, wie sehen unsere Gehaltsmodelle aus? Im operativen Raum geht es um Fragen wie: Wie arbeiten wir zusammen, wie gestalten wir unsere Meetings? Um diese beiden Bereiche kümmern sich Unternehmen. Aber der zwischenmenschliche Raum, also der Umgang miteinander, und der individuelle Raum, wo es um die einzelnen Personen geht, bleiben ganz oft brach liegen.
 

Diese beiden Räume bleiben verschlossen? 

Daniel Barth: Häufig nehmen Unternehmen diese Raumstruktur gar nicht wahr. Den operativen Raum schon, weil sie dort Geld verdienen; auch den strukturellen Raum, wo es um Einfluss und Entscheidungen geht. Aber wo es um zwischenmenschliche oder persönliche Fragen geht, heißt es, die Leute sollten das unter sich ausmachen. 

Nadine Krauss: Aber wir sind alle Menschen, wir sind Individuen, die mit ihren Problemen und Sorgen in die Arbeit kommen. Können wir das besprechen? Geben wir uns Feedback? Nehmen wir uns auch als Personen wahr? Und bezogen auf den Einzelnen: Können wir uns mit unseren Themen und Ideen einbringen? Sind wir wertschätzend mit uns selbst und im Austausch miteinander? Das betrifft einen sehr komplexen Bereich in Unternehmen. Daher schauen wir auf die Ganzheit dieser vier Räume. 

Isabela Plambeck: Die Komplexität liegt auch im Zusammenspiel zwischen diesen vier Räumen. Die vier Räume sind sehr eng miteinander verbunden.
 

Haben Sie ein Beispiel? 

Florian Rustler: Ein Beispiel: Wenn ein Team auf einmal über seine Arbeitsweise selbst entscheiden soll, dann hat das zunächst mit dem strukturellen Raum zu tun - vielleicht führen sie einen Prozess ein, mit dem sie arbeiten. Gleichzeitig berührt das aber auch eine andere Ebene: Wenn niemand mehr allein entscheidet, wie etwas gemacht wird, dann können im Team ganz schnell Konflikte entstehen - und dann sind wir im zwischenmenschlichen Raum. Daran sieht man, wie eng die Dinge zusammenhängen. Das macht die Komplexität aus.
 

Die Herausforderung für Unternehmen besteht darin, in allen vier Räumen gleichzeitig zu agieren? 

Isabela Plambeck: Wir wollen bewusst machen, dass der individuelle Raum und der zwischenmenschliche Raum mit berücksichtigt werden müssen. Und wir liefern Werkzeuge für alle vier Räume. 

Florian Rustler: Und wir führen eine Reihe von Prinzipien ein, die aus unserer Erfahrung wichtig sind für zukunftsbereite Organisationen. Transparenz, Verantwortlichkeit, Fairness, Offenheit zum Beispiel.
 

Wie sieht eine zukunftsbereite Organisation aus? 

Florian Rustler: Zukunftsbereite Organisationen sind stärker selbstorganisiert als die meisten Organisationen heute. Sie arbeiten mit mehr Elementen von Selbstorganisation. Ganz einfach deswegen, weil selbstorganisiertere, dezentralere Organisationen mit steigender Komplexität besser umgehen können. Deshalb wird es in Unternehmen künftig deutlich mehr Elemente von Selbstorganisation geben.
 

Wie schafft es eine zukunftsbereite Organisation, einen Gleichklang herzustellen zwischen menschlichem Umgang und wirtschaftlichem Erfolg? 

Florian Rustler: Ich glaube, dies geschieht dadurch, dass zukunftsbereite Organisationen die Menschen im Unternehmen einerseits wirklich einbinden und sie anderseits mit ihren Talenten und Bedürfnissen wahrnehmen. Dadurch entsteht meist großes Engagement, weil Menschen sich wertgeschätzt fühlen und sich einbringen möchten. Andererseits können wir in stärker selbstorganisierten Unternehmen die Intelligenz der Vielen besser produktiv nutzen, weil Menschen, die von Entscheidungen betroffen sind, die Möglichkeit haben, diese zu beeinflussen und ihre Perspektive einzubringen. Diese Mischung sorgt dafür, dass menschlicher Umgang zum Katalysator für wirtschaftlichen Erfolg wird.
 

Das Interview ist die Kurzfassung eines längeren Gesprächs, das im Magazin erschienen ist. 


changeX 03.07.2020. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Quellenangaben

Zum Buch

: Future Fit Company. Individuelle Trainingspläne für Macher, Entscheider und Veränderer. Murmann | Haufe, Freiburg 2019, 311 Seiten, 29.95 Euro (D), ISBN 978-3-648-12559-5

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Autor

Winfried Kretschmer
Kretschmer

Winfried Kretschmer ist Chefredakteur und Geschäftsführer von changeX.

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