Ich steig' jetzt ein, ich bin jetzt da
Gerhard Lux kritisiert den gedankenlosen Umgang mit dem Mobiltelefon.
Telefoniert wird immer und überall. Sogar auf dem stillen Örtchen. Der Informationsgehalt vieler Handygespräche tendiert gegen null - aber mithören müssen trotzdem alle Anwesenden. Für manche ist das ganz klar akustische Luftverschmutzung.
Ein lauer Sommerabend, irgendwo an einem See. Die Wellen plätschern leise, die Boote am Ufer wiegen sich im Auf und Ab des Wassers. An den Tischen des Seelokals sitzen die Gäste und unterhalten sich. Plötzlich klingelt ein Handy. "Hallo? Ach du bist es", schallt es vernehmlich durch den Garten. "Ja, bestens. Du, wir sitzen hier gerade im Seelokal und die Wellen plätschern ans Ufer." Und alle hören mit.
"Akustische Luftverschmutzung."
  Eine fiktive Geschichte. Gleichwohl
  passiert dergleichen Tag für Tag, man hat sich beinahe schon
  daran gewöhnt. Nicht so Gerhard Lux, der Chef der Münchner Lux
  Kultur Agentur. Er erzählt die fiktive Begebenheit, um seine
  These über den rücksichtslosen Gebrauch von Mobiltelefonen zu
  untermauern: "Das ist akustische Luftverschmutzung!", schimpft
  er.
  
Doch ist Lux kein Handyhasser; er besitzt selbst eines und
  nutzt es auch. Ja, er hält es sogar für eine "geniale Erfindung",
  die vieles leichter mache. Und ein Feind der Technik ist er schon
  gar nicht. Sein neues superflaches Notebook zeigt er stolz vor;
  und am Ende eines Arbeitstages klappt er es vorsichtig zusammen
  und verstaut es im sicheren Schub. Auch die Ausstattung der
  Arbeitsplätze in der Agentur ist auf dem Stand der Technik,
  Flachbildschirme sind Standard. Er ist auch kein Mobilfunkgegner,
  der sich gegen die potenzielle Strahlenbelastung durch den
  Mobilfunk wendet. Diese Frage hält Lux für nicht entschieden -
  aus der Debatte hält er sich heraus. Was ihn ärgert, ist der
  gedankenlose Umgang mit dem Mobiltelefon und die schleichende
  Veränderung von Verhaltensweisen und Konventionen, die sie
  bewirkt. "Ich will das Handy nicht verdammen, sondern mir geht es
  darum, wie wir damit umgehen", betont er. So gesehen ist Lux
  Kritiker der Handykultur, wenngleich er den Begriff "Kultur" in
  diesem Zusammenhang mit der Vorsilbe "Un-" versehen würde.
Allgegenwärtige Telefoniererei.
  Es mag ja sein, dass mobiles
  Telefonieren die persönliche Identität mehr stärke als andere
  Formen der Kommunikation, wie Psychologen meinen - doch für den
  unfreiwilligen Mithörer bewegt sich diese Lebensäußerung meist
  zwischen Nonsens und Zumutung. "Die meistgehörten Sätze am
  Flughafen sind: 
�Ich steig' jetzt ein' und 
�Ich bin jetzt da'",
  registriert Lux belustigt. Weniger lustig freilich findet er es,
  ständig die privaten Gespräche anderer Menschen mitzuhören. "Wo
  ist die Privatsphäre geblieben?", fragt er. Zumal die privaten
  Gespräche bei den unfreiwilligen Zuhörern nicht selten als
  Belästigung ankommen und die Telefonierleidenschaft der
  Zeitgenossen anderen die wohlverdiente Ruhe vergällt.
  
Zum Beispiel nach einem anstrengenden Business-Tag. "Du
  sitzt am Abend im Hotel und willst in Ruhe etwas trinken und dann
  läuten permanent Handys um dich herum." Für Gerhard Lux eine
  Zumutung. Er ist ein Mensch, der auf Toleranz und Rücksichtnahme
  großen Wert legt; Höflichkeit ist für ihn kein aus dem Gebrauch
  gekommenes Wort. Umso mehr stört ihn die allgegenwärtige
  Telefoniererei seiner Mitmenschen, die auch vor öffentlichen
  Sanitäreinrichtungen keinen Halt macht. "Bei jedem vierten
  Toilettenbesuch am Flughafen hört man jemanden auf dem stillen
  Örtchen telefonieren", sagt Lux kopfschüttelnd.
Die Handynummer als Geheimsache.
  Das könnte man alles noch als
  Begleiterscheinung des modernen Business hinnehmen, wenn die
  mobile Telefonierleidenschaft tatsächlich Effektivität und
  Produktivität erhöhen würde. Doch Gerhard Lux hat da seine
  Zweifel. Er hält die permanente Erreichbarkeit für
  kontraproduktiv, weil sie von den wichtigen Dingen ablenke. "Das
  hat einen gravierenden Einfluss, auch wenn wir das nicht
  wahrhaben wollen. Wir werden zur Marionette, werden
  fremdbestimmt." Lux selbst hat einen Weg gefunden, sich von dem
  Gerät möglichst wenig nerven zu lassen. "Ich will einfach nicht,
  dass ich immer erreichbar bin", beharrt er, "das ist eine ganz
  bewusste Entscheidung." Das Ziel: seine persönliche
  Unabhängigkeit zu wahren. "Ich will nicht, dass jemand anderes
  darüber bestimmt, wann ich mit ihm zu telefonieren habe." Deshalb
  gibt es in der Agentur eine klare Regelung: Die Handynummer des
  Chefs wird nicht herausgegeben. "Wir werden Herrn Lux
  verständigen und er wird Sie zurückrufen", ist die
  Standardantwort, wenn jemand nach der Handynummer fragt. Und wenn
  der Chef im Büro ist, bleibt das Mobiltelefon ausgeschaltet, denn
  er ist ja über Festnetz erreichbar.
  
Sich Zeit nehmen, nicht erreichbar sein, die Unabhängigkeit
  wahren - nach einer Phase der Beschleunigung und der
  Rastlosigkeit im Business steht diese Haltung auch für eine
  Trendumkehr. Ruhe, Besinnung und Langsamkeit erfreuen sich neuer
  Wertschätzung, Tempo ist out. Während es vor nicht allzu langer
  Zeit noch als schick galt, ständig online und erreichbar zu sein,
  scheint sich das nun umzukehren: Gerade nicht erreichbar zu sein
  ist der wahre Luxus. Nicht nur für Gerhard Lux.
Winfried Kretschmer, Journalist und Autor, arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.
© changeX Partnerforum [26.08.2003] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.



