Auch ein Kunde ist ein Mensch!

Wie könnten Training und Personalentwicklung der Zukunft aussehen?

Von Renate Müller und Ulf Posè

Der Kampf um die Kunden wird immer härter. Um im gnadenlosen Wettbewerb bestehen zu können, werden Vertriebsmitarbeiter zu Rhetorikprofis gedrillt, die dem Käufer auch noch den letzten Euro aus der Tasche locken sollen. Eine fatale Strategie - der Kunde fühlt sich in seiner Individualität nicht ernst genommen. Handlungstrainings dagegen setzen auf Selbstverantwortung und darauf, den Menschen hinter dem Kunden zu sehen. Dabei hilft der Trainer der Zukunft seinen Schützlingen nur noch, eigene Wege zu gehen - und macht sich ganz bewusst überflüssig.

Die Kunden von heute sind kaum mehr loyal. Selbst wenn sie mit Angebot und Leistung zufrieden sind. Von verzweifelten Niedrigpreisaktionen lassen sie sich zwar vorübergehend locken, aber nicht langfristig binden. Kurz: Die Beziehungsstabilität zwischen Kunden und Anbietern wankt. Woran liegt das, und was kann ein Unternehmen dagegen tun?
Unsere These: Es liegt an der Aus- und Weiterbildung. Klassische Verhaltenstrainings versagen immer mehr. Der Kampf um den letzten Kunden wird auf eine Art und Weise geführt, die den Kunden funktionalisiert, ihn erschreckt, ja abschreckt. Das rein methodische Training von Vertriebsmitarbeitern oder auch das Training von Führungskräften führt zu einer Perversion des Reiz-Reaktions-Musters.
Der Kunde oder Mitarbeiter sagt etwas. Darauf muss dann der Vertriebsmitarbeiter oder Chef auf eine bestimmte Art und Weise antworten. Das ist eine Art von Einwandbehandlung, die den Kunden oder Mitarbeiter argumentativ fertig macht. Und der wehrt sich natürlich. Der Kunde tut dies, indem er den Preis in den Mittelpunkt seiner Argumentation setzt; der Mitarbeiter tut dies, indem er sich heimlich verweigert. Dienst nach Vorschrift, die den Chef verzweifeln lässt. Und so wird zum Schluss nur noch Druck ausgeübt. Der Kunde versucht den Preis zu drücken oder der Vertriebsmitarbeiter senkt den Preis so sehr, dass der Kunde nicht mehr nein sagen kann. Dem Mitarbeiter wird mit Entlassung oder dem Damoklesschwert des Sozialplanes gedroht. Wenn das nicht hilft, dann greift so mancher zum Mobbing. Diese Art von Verhaltensdressur nutzt keinem.

Das Verschwinden des Menschen.


Das Problem ist die totale Funktionalisierung der Beteiligten. Der Kunde wird funktionalisiert zum reinen Käufer und damit Geldlieferanten, der Mitarbeiter wird funktionalisiert zum reinen Leistungserbringer. Dabei verschwindet der Mensch. Der Mensch und die Beziehung zu ihm wird, wenn sie denn gesehen wird, reduziert auf Nutzengrößen. "Was kann der andere mir bringen, wozu dient er mir?" Darauf läuft es hinaus. Die Prämissen des Handelns sind dabei nach funktionalen Ergebnisgrößen sortiert.
Helfen kann eine performante Handlungskompetenz, die stabile Beziehungen zwischen Kunden und Anbietern, zwischen Führungskräften und Mitarbeitern erzeugt. Umfragen im Führungsbereich zeigen, dass Mitarbeiter sich von ihrem Chef zwei Dinge wünschen. Erstens: Mein Chef vertraut mir, und ich kann ihm vertrauen. Zweitens: Er hat Zeit für mich und nicht nur für meine Aufgaben oder Ergebnisse.

Die Schwächen des Verhaltenstrainings.


Aber eine solche Kompetenz und Haltung lässt sich mit den klassischen Methodentrainings nicht erreichen. Also ist die Frage: Wie nun kann sie durch Personalentwicklung erzielt werden? Heute werden im Training zwei Grundmuster unterschieden. Es gibt Verhaltenstrainings und es gibt Handlungstrainings. Beim Verhaltenstraining geht es überwiegend darum, bestimmte Methoden "drauf" zu haben. Also beschäftigt man sich überwiegend mit dem Lernen und Anwenden von rhetorischen Mitteln und Methoden. Dabei ist es gleichgültig, welcher Mensch sich hinter den Methoden verbirgt. Also klassisches Reiz-Reaktions-Muster. Der Umgang zwischen Menschen ist jedoch von mehr Dingen beeinflusst als nur vom Verhalten. Das Verhalten ist sozusagen die Wirkung verschiedener Ursachen.
Wer nur Verhalten trainiert, der doktert an den Wirkungen herum, er negiert die Ursachen. Das wäre zu vergleichen mit einem Menschen, der ein Hühnerauge hat. Zufällig tritt ihm jemand auf die Füße. Nun hat er zwei Möglichkeiten. Er kann Medikamente gegen den Schmerz einnehmen oder dafür sorgen, dass sein Gegenüber wieder vom Fuß heruntergeht. Anschließend kann er sein Hühnerauge beseitigen. Das macht mehr Sinn.
Es ist enorm wichtig zu bedenken, dass das Verhalten seine Ursache in der Art der Persönlichkeit hat. Es ändert sich nachhaltig als überzeugendes Handeln erst, wenn sich der Mensch, seine Motive und seine Werte entwickeln. Dadurch verändern sich Einstellungen. Diese Veränderung führt zu einer glaubwürdigen und anhaltenden Verhaltensentwicklung.

Handlungstraining - ein Ausweg?


Handlungstraining berücksichtigt das Zusammenspiel von vier Bereichen:

  • Die Person - jeder Mensch ist unverwechselbar. Seine Einmaligkeit und Einzigartigkeit wird im Handlungstraining immer berücksichtigt. So wird auch immer die Individualität einer Beziehung eine Rolle spielen. Es ist bekannt und es wird immer berücksichtigt, dass eine konkrete Situation auf eine andere nicht übertragbar ist.
  • Die Tat - jeder Mensch handelt auf eine ganz spezielle, unverwechselbare Art. Das Besondere beim Handlungstraining ist, dass nicht ständig Regieanweisungen gegeben werden, sondern dass im Einzelnen geprüft wird, welche Verhaltensweisen im Überzeugungsprozess eher schädlich sind.
  • Die Motive - hinter den Taten stecken die Beweggründe des Einzelnen. Hier findet der Mensch eine erste Antwort auf das "WARUM?" seiner Taten. Im Handlungstraining beschäftigt man sich nicht mit den vordergründigen Zielen, sondern mit übergeordneten Zielen eines Menschen. Wenn ein erfolgreicher Autohändler seinem Kunden ein Auto verkauft, dann ist sein vordergründiges Ziel, möglichst schnell und ohne Rabatte ein Fahrzeug zu verkaufen, also Umsatz und Gewinn zu machen. Sein übergeordnetes Ziel ist es vielleicht, ein finanziell möglichst unabhängiges Leben führen zu können.
  • Die "basic beliefs" - der vierte Bereich ist der Bereich der Werte, der Grundüberzeugungen. Hier sind die Orientierungen eines Menschen zu Hause. Hier sitzen die Werte, die ein Mensch in seinem Leben realisieren möchte. Hierher gehören die unaufgebbaren Überzeugungen eines Menschen. Wer als höchsten Wert die Geborgenheit schätzt oder die Sicherheit, wird kaum etwas tun, das gegen diese Werte verstößt, und sei es noch so intensiv.

Alle Motive berücksichtigen.


Wie erwähnt: Handlungstraining umfasst alle vier Bereiche. Verhaltenstraining dagegen nur den Bereich der Tat. Handlungstraining verzichtet bewusst auf ausschließliche Verhaltenskorrektur. Reines Verhaltenstraining führt nur dazu, dass sich der Trainingserfolg blitzschnell wieder abnutzt und die Trainingsarbeit zu einer Dressurleistung verkommt. Nur die Taten eines Menschen ändern, nicht jedoch die Einstellungen entwickeln, führt nur zu kurz greifender Verhaltensänderung.
Verändert sich das Wertesystem eines Menschen, arbeitet jemand konsequent an seiner Entwicklung als Person, werden Motive kritisch reflektiert und entwickelt, dann verändert sich automatisch das Verhalten. Korrekturen sind jetzt an der Person orientiert und damit stimmig und glaubwürdig. Diese Korrektur passt zur Person, zum Motiv und zum Wertesystem. Und damit ist eine solche Entwicklung konsequent dynamisch. Der Mensch bleibt in seinem Handeln authentisch.
Es gibt noch einen zweiten Unterschied zwischen Handlungstraining und Verhaltenstraining. Das Verhalten eines Menschen folgt weitgehend vorgegebenen Regeln, und ist damit fremdgesteuert. Handeln fordert dagegen Selbstverantwortung des Einzelnen. Den Taten liegt eine verantwortete Entscheidung zugrunde. Und diese Entscheidung fordert den ganzen Menschen ein.

Über Verantwortung.


Der zukünftige Vertriebsmitarbeiter, der zukünftige Chef handelt also, er verhält sich nicht.
Was ist aber der Unterschied? Wenn wir von Handeln sprechen wollen, dann sollten fünf Prinzipien erfüllt sein. Diese fünf Prinzipien unterscheiden Handeln von Verhalten:

  • Verantwortung - die Übernahme der Verantwortung in den überschaubaren Folgen des Handelns!
  • Kontingenzprinzip/Alternativprinzip - ich kann auch anders handeln!
  • Finalitätsprinzip - das Handeln hat ein Ziel!
  • Effizienzprinzip - es muss etwas verändert werden, es muss ein Ergebnis geben!
  • Responsibilitätsprinzip - ich muss es begründen können!

Damit stellt sich die Frage nach der Verantwortung.
Als die Niedersachsenwahl und die Hessenwahl für die SPD in einem Fiasko endeten, stellte sich unser Bundeskanzler vor die Mikrophone und Kameras der Medien und sagte: "Ich übernehme die volle Verantwortung!" Schön gesagt. Nur kam offensichtlich keiner der anwesenden Journalisten auf die Idee, unseren Kanzler zu fragen: "Herr Bundeskanzler, worin drückt sich denn nun ihre Verantwortung aus?" Beim zukünftigen Manager wäre die Übernahme der Verantwortung immer dann gegeben, wenn er für die überschaubaren Konsequenzen seines Handelns geradesteht. Gibt es in der Verantwortung kein Handeln, dann handelt es sich bei dem Satz: "Ich übernehme die volle Verantwortung" ausschließlich um Verbalakrobatik, sonst nichts.
Verantwortung kommt von "antworten". Die Frage ist, wem muss man antworten? Was ist also die Verantwortungsinstanz? Wir definieren vier Instanzen: zunächst einmal Verantwortung vor mir selbst. Wenn ich Verantwortung vor mir selbst wahrnehmen möchte, dann muss ich beobachten, wie ich mit anderen Menschen umgehe, welche Interaktionsformen ich anbiete und wie ich mit Interaktionsangeboten umgehe. Man kann sich seiner Selbstverantwortung also nicht durch Nachdenken nähern, sondern durch Analyse seiner Interaktionen mit anderen Menschen.
Hinzu kommt noch die Verantwortung gegenüber einem oder mehreren definierten Menschen und die Verantwortung vor der Zukunft - was verändere ich jetzt in Zukunft?
Verantwortung klärt damit die Zulässigkeit des Handelns. Aus den Werten eines Menschen kommen Fragen und aus den Handlungen eines Menschen kommen Antworten. Somit ist Verantwortung also eine Antwort.

Handeln und Verantwortung.


Wenn wir von Verantwortung sprechen, was genau können/müssen wir verantworten? Einerseits werden wir durch Dritte zur Verantwortung gezogen. Dazu zählt die Verantwortung vor dem Gesetz, die Verantwortung vor dem Unternehmen, die Verantwortung vor dem Mitarbeiter, die Verantwortung vor dem Kunden. Noch wichtiger ist jedoch die Verantwortung vor sich selbst. Ich muss mich also fragen: Zu welcher Verantwortung bin ich bereit? Ich kann das Ergebnis des Handelns, die Intention des Handelns und meine Vorgehensweise verantworten.
Das ist Aufgabe des Managers, des Vertriebsmitarbeiters der Zukunft. Er kann nun feststellen, ob seine Handlung wirklich verantwortet ist. Sie ist sicher verantwortet, wenn sie Menschen hilft, sich in ihren Möglichkeiten zu entfalten, und sie nicht an der Entfaltung hindert. Damit kann ich Handeln von Verhalten unterscheiden. Dem Verhalten fehlt die Verantwortungsbereitschaft. Wenn von Handeln gesprochen wird, dann besteht für den Handelnden also immer die Wahlmöglichkeit, das heißt, er hätte sich auch anders entscheiden können. Handlung unterscheidet sich von Verhalten auch dadurch, dass negative Folgen des Handelns bedacht werden und, falls sie in Kauf genommen werden müssen, in einer verantworteten Güterabwägung gegen die Handlung abgewogen werden.
Wenn einer der vorgenannten Punkte fehlt, dann sprechen wir schon von Verhalten.

Die Personalentwicklung der Zukunft.


Somit ist ein völlig anderer Trainingsansatz gefordert. Dieser neue Ansatz hilft, selbst verantwortet Wege zu finden, mit einem Minimum an Aufwand gestellte Aufgaben optimal zu bewältigen, und gleichzeitig ein System aufzubauen, in dem Menschen menschlich miteinander umgehen und nicht dressiert werden. Das hat noch einen weiteren Vorteil: Die Entwicklungen im Verhalten der einzelnen Teammitglieder sind viel stabiler. Der Mitarbeiter wird seltener "rückfällig".
Für die Zukunft wird die Sorgfalt immer wichtiger, mit der Menschen miteinander umgehen. Oder um es mit Rupert Lay zu sagen: "Handle und entscheide dich stets so, dass durch dein Handeln und durch dein Entscheiden sich das personale Leben in dir und in der Person eines jeden anderen Menschen eher entfaltet denn mindert."
Diese Philosophie in der Personalentwicklung möchte Menschen helfen, ein selbst verantwortetes Leben zu führen. Also noch unabhängiger und noch sicherer in ihrer Lebensführung zu werden. Es ist wichtig, Menschen zu helfen, größer zu werden und nicht kleiner. Das geht nur dann, wenn man sich auch täglich fragt: "Was hast du heute getan, damit die Menschen um dich herum größer werden?" Die moderne Personalentwicklung will dazu beitragen.
Entwickelt sich jedoch das Wertesystem eines Menschen, arbeitet jemand konsequent an seiner Entwicklung als Person, werden Motive kritisch reflektiert und entwickelt, dann verändert sich automatisch das Verhalten. Da ist dann kaum noch eine Korrektur notwendig. Und diese Korrektur passt dann zur Person, zum Motiv und zum Wertesystem. Und damit ist eine solche Entwicklung konsequent dynamisch.
Solch eine verantwortungsvolle Personalentwicklung macht einen weiteren Unterschied zwischen Handlungstraining und Verhaltenstraining deutlich. Das Verhalten eines Menschen folgt weitgehend vorgegebenen Regeln, und ist damit fremdgesteuert. Und so wehren sich auch viele Menschen gegen Misserfolge mit einem: "Was kann ich dafür? Ich sollte es doch so machen. Hat mir mein Chef aber so gesagt" oder Ähnlichem. Handeln fordert dagegen Selbstverantwortung des Einzelnen. Er kann sich nicht mehr hinter Vorgaben anderer verstecken. Den Taten liegt eine verantwortete Entscheidung zugrunde. Und diese Entscheidung fordert den ganzen Menschen ein. Jetzt kann er sich nicht mehr verstecken.

Vom Guru zum Coach.


Der alte Trainer hat ausgedient. Die Guru-Mentalität: "Frage mich nur, ich weiß genau, wie es geht", funktioniert nicht mehr. Der Trainer ist mehr ein Coach, der den Teilnehmern hilft, eigene Wege zu gehen. Allenfalls fehlerdiagnostisch wird ermittelt, welche Verhaltensweisen schädlich sind. Die Suche nach Verhaltensweisen, die nützlich sind, orientiert sich an den Grundeinstellungen eines Menschen, gegebenenfalls sogar an einer Neuorientierung.
Zum Beispiel macht es wenig Sinn, den kooperativen Führungsstil als Allheilmittel zu verkünden. Selbst der autoritärste Chef hält sich für kooperativ, die anderen machen ja nur nicht mit, wie er genau weiß. Und zum Zweiten ist solch eine Verhaltensdressur zum kooperativen Führungsstil unsinnig, weil es durchaus Führungssituationen gibt, in denen dieser Führungsstil schadet.
So wird also der neue Personalentwickler weniger Guru als vielmehr Geburtshelfer sein. Er hilft dem Teilnehmer, eigene Wege zu gehen, nicht die Wege des Trainers. Er hilft ihnen, selbstverantwortlich Wege zu finden, mit einem Minimum an Aufwand gestellte Aufgaben optimal zu bewältigen und gleichzeitig ein System in einem Unternehmen aufzubauen, in dem Menschen menschlich miteinander umgehen und nicht dressiert. Diese Art von Trainertyp und diese Trainingsart haben noch für Unternehmen einen weiteren, vielleicht sogar den entscheidenden Vorteil: Da der Trainer den Guru-Status verliert, und nicht mehr pausenlos seine Weisheiten durchpaukt und die Teilnehmer dressiert, sind Entwicklungen im Verhalten des Einzelnen viel stabiler. Damit wird der Trainer nach kurzer Zeit überflüssig.

Renate Müller und Ulf Posé sind freie Unternehmensberater.

Kontakt:
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Institut für angewandte Netzlogik in Unternehmen
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Autorin

Renate Müller

Autor

Ulf D. Posé

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