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Spielräume gefragt

Living at Work-Serie | Folge 28 | - Gottfried Richenhagen über gesünderes Arbeiten.

Früher bedeutete Gesundheitsschutz, dass man den Mitarbeitern die richtigen Arbeitshandschuhe und Schutzhelme zur Verfügung stellte. Heute bedeutet es, für moderne Arbeitsstrukturen zu sorgen, in denen die Mitarbeiter ihrer Kreativität freien Lauf lassen können und in denen sie nicht vom Stress zermürbt werden.

Der Faktor Gesundheit bei der Arbeit hat für die Unternehmen strategische Bedeutung bekommen, ist entscheidend für die Wettbewerbsfähigkeit. In einer Gesellschaft, in der immer mehr Menschen mit hochkomplexen, wissensintensiven Produkten zu tun haben, kommt es immer stärker auf die "Ressource Mensch", auf die Köpfe der Mitarbeiter an. Und eine der wichtigsten Vorbedingungen, um gute Arbeit zu leisten, ist eben Gesundheit.

An den Arbeitsprozessen ansetzen.


Die zu gewährleisten ist gar nicht so leicht. Zwar müssen immer weniger Menschen befürchten, dass ihnen bei der Arbeit ein Finger abgetrennt werden könnte, sie verschüttet werden oder ihnen ein Ziegelstein auf den Kopf fällt. Aber es bringt neue Probleme mit sich, dass der Trend immer stärker zu einseitiger "Kopfarbeit" geht. Bisher war der Fokus darauf, ob der Mitarbeiter die richtigen Arbeitshandschuhe und Schutzhelme zur Verfügung gestellt bekommt. Inzwischen gibt es einen Wandel des Belastungsspektrums in Richtung Rückenleiden (einer der Hauptursachen von Krankenständen), Stress, mangelnder Handlungsspielraum und Zeitdruck. Mit solchen Krankheitsursachen muss man natürlich anders umgehen als mit den klassischen Gefährdungen physischer Art. Es gilt, an den Arbeitsprozessen anzusetzen.
Dazu gehört zum Beispiel, in der Arbeitszeit Phasen der Ruhe einzuplanen, die Tätigkeit abwechslungsreich zu gestalten und durch Teamarbeit die sozialen Ressourcen, die im Betrieb stecken, hervorzuholen. Aus der Arbeitswissenschaft wissen wir, dass eine Belastung - zum Beispiel Stress - nicht notwendigerweise zu Krankheiten führen muss. Wenn man in einem Team arbeitet, in dem sich die Mitglieder gegenseitig unterstützen und zusammenhalten, kann man Stress ganz anders bewältigen als ein Einzelkämpfer. Wichtig sind auch Spielräume. Wenn jemand Handlungsspielräume hat, um auftretende Probleme - ob mit dem Kunden oder mit Kollegen - umschiffen zu können, dann empfindet er Belastungen weniger stark. Zeit- und Entscheidungsspielraum (also einmal selber etwas entscheiden zu können, ohne jedes Mal den Vorgesetzten fragen zu müssen) wirken also positiv. Man hat nachgewiesen, dass Leute, die beispielsweise zeitlichen Spielraum hatten, weniger krank wurden als Leute, die unter Zeitdruck arbeiten mussten.
Leider ist es unterschiedlich, wie Unternehmen mit solchen Fragen umgehen. Beispiel Bildschirmarbeit. Es ist wichtig, bei dieser eindimensionalen, stark fokussierten Belastung öfter mal eine kurze Pause einzulegen. Manche Unternehmen ziehen das von der Arbeitszeit ab. Doch Mitarbeiter, die solche Pausen machen, sind unterm Strich effektiver als die, die keine machen.
Ähnlich kurzsichtig ist es, Personal abzubauen und den verbleibenden Mitarbeitern mehr Arbeit aufzubürden denn je. Man wird zwar kurzfristig Kräfte mobilisieren und Erfolge vorweisen können, wenn man sozusagen mit der Peitsche dasteht und Leistung erzwingt. Aber langfristig ist eine solche Taktik nicht sinnvoll. Wer strategisch und langfristig denkt, der will auch seine Marktposition halten und ausbauen. Dazu braucht man Innovation, also auch innovative Mitarbeiter, für die man entsprechende Arbeitsbedingungen schaffen muss.

Prävention ist Trumpf.


Im Bereich der klassischen Ergonomie hat sich in den letzten 20 Jahren zum Glück eine Menge getan. Früher gab es keine Diskussion darüber, wie ein guter Bildschirm aussieht. Heute sind aufgrund des starken privaten Markts Prüfsiegel und Qualitätsstandards entstanden. Allerdings differiert der Stand der Dinge in den Betrieben sehr stark: Es gibt immer noch Unternehmen, die auf diesem Feld relativ unbeleckt sind. Zum Glück beherrschen sehr viel mehr Betriebe die klassische Ergonomie sehr gut und verfügen über gute Schreibtische, Bildschirme et cetera. Der große weiße Fleck ist, wie erwähnt: Wie beherrsche ich die Arbeitsorganisation und die Kommunikation der Leute untereinander unter gesundheitlichen Aspekten?
Auch andere ungelöste Probleme gibt es noch. So bekommen nicht wenige Mitarbeiter, die am Bildschirm arbeiten, trotz ergonomischer Technik immer noch zu Beschwerden in den Händen. In diesen Fällen ist das Ursachenbündel groß und differenziert. Es hängt nicht nur mit der mechanischen Belastung durch die Benutzung der Maus zusammen, sondern auch damit, ob derjenige unter Stress, also verkrampft, oder entspannt arbeitet. Auch eine mangelnde Schulung kann Quelle für Belastungen sein. Diese Ursachen kann man nicht allein dadurch beeinflussen, dass man den Mitarbeitern eine gute Tastatur und einen Schreibtisch hinstellt.
Eine moderne Prävention muss sowohl bei den Verhältnissen als auch beim Verhalten ansetzen, das ist der Schlüssel zum Erfolg. Ein Unternehmen, das nur am Verhalten der Mitarbeiter herumdoktert, wird scheitern. Beispiel: Die Leute werden zu Anti-Stress-Seminaren geschickt, doch die Arbeit ist so organisiert, dass permanent Stress auftritt. So etwas funktioniert natürlich nicht. Umgekehrt geht es auch nicht: Wenn man die Arbeit vernünftig gestaltet, kann man trotzdem nicht darauf setzen, dass die Leute die Spielräume, die sie brauchen, für ihre eigene Gesundheit nutzen.

Die richtige Büroplanung.


Gute Prävention fängt schon bei der Planung der Büroräume an. Man sollte schon ganz zu Anfang überlegen, welche Arbeitsorganisation man im Unternehmen hat - dann kann man überlegen, welches die passenden Büroraumkonzepte dazu sind. Der zweite wichtige Punkt ist, dass man die Integration des Arbeits- und Gesundheitsschutzes direkt in der Planung berücksichtigen sollte. Wenn man weiß, dass nachher alles Bildschirmarbeitsplätze sein werden, sollte man die Räume auch entsprechend gestalten.
Nicht nur, wenn man ein neues Gebäude baut, auch wenn man nur die Anschaffung neuer Möbel plant, sollte man einen Experten hinzuziehen, der sich mit dieser Thematik auskennt und erläutern kann, was für Anforderung man an den Architekten oder Lieferanten der Möbel stellen sollte. Das ist einfacher und vor allem um den Faktor zehn billiger, als später nachzubessern. Solche Beratungen machen beispielsweise die Berufsgenossenschaften, es gibt aber auch reichlich freie Berater, die sich mit diesem Thema auskennen.
Ganz wichtig ist, bei der Büroplanung die Mitarbeiter zu beteiligen. Leider werden sie viel zu selten gefragt, was sie brauchen, um gut arbeiten zu können. Ein solches Prozedere muss nicht unbedingt teurer werden - oft entstehen die Kosten, wenn Mitarbeiter in Büros gesetzt werden, zu denen sie nichts sagen durften und in denen sie sich nicht wohl fühlen. Zudem wirken Veränderungen, die man selbst nicht beeinflussen kann, ganz anders als Veränderungen, die man selber mitgestaltet hat.
Leider ruft der Begriff "Wohlfühl-Büro" immer noch Kritiker auf den Plan, die sagen: "Wir sind hier doch nicht im Urlaub." Wie wichtig dieses Thema ist, zeigt sich jedoch daran, dass sogar in der Arbeitsschutzgesetzgebung steht, dass das "Wohlbefinden bei der Arbeit" ein ganz wesentliches Ziel der Bestimmungen ist. "Wohlbefinden" ist eine der Ingredienzien, die man in einer hoch industrialisierten Hochlohngesellschaft und -wirtschaft braucht, um permanent gute Produkte und Dienstleistungen erbringen zu können.
Diese Gesundheitsaspekte werden sich durchsetzen. Aber es wird ein langwieriger Prozess sein, denn die Vorteile für das Unternehmen entstehen nicht sofort. Studien haben gezeigt, dass betriebliche Gesundheitsförderung und Gesundheitsmanagement sich erst in einem Zeitraum von drei bis fünf Jahren rechnen. Viele Unternehmen haben leider eine kurzfristigere Perspektive. Das kann man verstehen, wenn diesem Unternehmen das Wasser bis zum Hals steht - aber eine solche Denkweise ist nicht gerade klug, wenn man eine langfristige Unternehmenspolitik machen will, die das Unternehmen weiterhin gut am Markt positioniert.

Übersicht aller bereits erschienenen Beiträge der "Living at Work-Serie".

English version: PDF-File.

Gottfried Richenhagen von der Gemeinschaftsinitiative Gesünder Arbeiten e. V. ist Referatsleiter im Ministerium für Wirtschaft und Arbeit des Landes Nordrhein-Westfalen.

www.well-atwork.de

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Vom 19. bis 23. Oktober 2004

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Gottfried Richenhagen

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