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Die Infrastruktur von morgen

Living at Work-Serie | Folge 37 | - Stephan Zinser über flexible Arbeitswelten.

Die Grenzen der Unternehmen lösen sich auf. Gearbeitet wird überall, ob im Zug, am WLAN-Hotspot im Flughafen, beim Kunden oder auf Wunsch auch daheim. Nur noch zum Wissensaustausch der Mitarbeiter untereinander braucht ein Unternehmen noch eigene Büros. Dort spiegeln flexible Arbeitsplätze den Work-flow in heutigen Unternehmen am besten wider - doch bei den Mitarbeiter sind sie nicht immer beliebt.

"Wir arbeiten in Strukturen von gestern, mit Methoden von heute an Problemen von morgen, vorwiegend mit Menschen, die Strukturen von gestern gebaut haben und das Morgen innerhalb der Organisation nicht mehr erleben werden", bringt der bekannte Managementautor Knut Bleicher die Situation in Deutschland auf den Punkt. Eins ist klar: Wir brauchen dringend Innovationen. Und zwar in drei Bereichen: bei den Produkten, bei den Prozessen und bei den Strukturen. Zu Letzterem zählen auch neue Bürostrukturen und -prozesse, denn diese fördern indirekt Produktinnovationen.

Büros und die Wissensgesellschaft.


Doch in diesem Bereich ist noch viel zu tun. Denn die Wirtschaft wandelt sich stark, während die Büros in vielen Unternehmen sich kaum verändern. Unternehmen sind heute keine isolierten Organisationen, sondern wandeln sich zu einem Knoten in einem Netzwerk interner und externer Leistungszentren.
Dabei lösen sich Unternehmensgrenzen auf. Die eigenen Mitarbeiter bewegen sich zunehmend aus dem Unternehmen heraus, gleichzeitig bewegen sich temporäre Mitarbeiter wie Freelancer, Consultants oder Zeitarbeitskräfte, aber auch Kunden und Lieferanten zunehmend in das Unternehmen hinein. Dies bedeutet, dass es drei Unternehmenszonen geben wird: die interne Unternehmenszone (geschlossene Bürozone), sowie semiöffentliche (zum Beispiel das "Home-Office") und öffentliche Zonen (wie zum Beispiel Flughafen-Lounges). Dazu müssen Lösungen geschaffen werden, die neben den räumlichen, technologischen und sozialen Bedürfnissen im Netzwerk der Arbeitsplätze auch zunehmende Sicherheitsbedürfnisse erfüllen.
Das Büro ist heute nicht mehr ein Ort der Aufgabenerfüllung, sondern trägt als Werkzeug zur Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens bei. Es ist eine Produktionsstätte, bei der immateriell mit Daten und Informationen umgegangen wird, die einen wesentlichen Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten. Innovative Bürostrukturen müssen diese geistigen Arbeitsprozesse genauso abbilden, wie in Fabriken Fertigungsprozesse optimiert wurden.
Heute müssen Bürostrukturen daher vor allem flexibel sein. So wie sich die Unternehmen der veränderten Wirtschaft anpassen, so müssen sich auch die Büros verändern. Schnelligkeit, Wandel, Kreativität und Innovation - dies sind die Wettbewerbsfaktoren, die Büros in der heutigen Wissensgesellschaft unterstützen sollten. Und doch sind nur wenige Beispiele erfolgreicher Einführungen von flexiblen Bürolösungen bekannt. Oft zeigt es sich, dass neue Bürokonzepte von Mitarbeitern nicht immer akzeptiert und die Ziele, die damit verbunden sind, nicht erreicht werden. Dabei steht fest, dass durch die Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Bürokonzept Arbeitsprozesse, Verhaltensweisen, Effizienz und Wohlbefinden der Mitarbeiter entscheidend geprägt werden. Doch der Wechsel von Einzelbüro hin zu flexibleren, offeneren und transparenteren Strukturen ist in vielen Fällen mit Widerstand verbunden. Und das, obwohl Management und Mitarbeiter meist einsehen, dass sich Bürostrukturen den veränderten Arbeits- und Organisationsstrukturen anpassen müssen. Mobilität, Kommunikation, Team- und Projektarbeit entlang ganzheitlicher Prozesse sind nur einige der Treiber, die innovative Bürostrukturen fordern.
Gerade durch zunehmende Mobilität der Mitarbeiter und Komplexität der Arbeitsinhalte wird sich der Büroarbeitsplatz zu einem Netzwerk von Arbeitsplätzen entwickeln. Die Grenzen zwischen Arbeit, Zuhause und Reisen verschwimmen. Der Büroarbeitsplatz wird durch weitere Arbeitsplätze ergänzt: Büro im Auto, Büro im Zug, Büro zu Hause, Büro beim Kunden et cetera. Letzten Endes wird das Internet zum "Arbeitsraum" und das Büro zum Knotenpunkt im Netzwerk der Arbeitsplätze und -prozesse. Die Büroimmobilie wird zum Ort der Kommunikation, der Teamarbeit, der kooperativen Planung und des informellen Austausches: Ort der sozialen Interaktion und Heimat für ständige als auch temporäre Büronutzer. Also auch für Kunden.

Eine neue Infrastruktur entsteht.


So, wie für die Industriegesellschaft eine Infrastruktur in Form von Straßen, Raststätten, Tankstellen, Eisenbahnnetzen und Bahnhöfen aufgebaut worden ist, ist nun die Herausforderung, eine der so genannten Wissensgesellschaft angepasste Infrastruktur zu konzipieren und umzusetzen. Lösungsansätze liegen darin, dass das Netzwerk der Arbeitsplätze durch räumliche, digitale und soziale Infrastrukturen verbunden wird.
Räumliche Infrastrukturen sind die physischen Arbeitsplatzangebote (im eigenen Bürogebäude, beim Kunden, im Zug ...). Jeder dieser Arbeitsplätze bietet eine bestimmte Infrastruktur und erfüllt für den jeweiligen Nutzer unterschiedliche Bedürfnisse und Anforderungen. Aber auch unterschiedliche Arbeitsplatztypen in einem Firmengebäude, die den Anforderungen der jeweiligen Tätigkeit entsprechend genutzt werden, fallen in diese Kategorie. Digitale Infrastrukturen erlauben den Zugang zu allen digitalen Informationen zu jeder Zeit an jedem Ort der Welt. Dazu zählt beispielsweise auch der Aufbau so genannter Wireless Hotspots, wie sie zum Beispiel in den Lounges der Deutschen Bahn und der Lufthansa sowie verschiedenen Hotels bereits vorhanden sind. Der Nutzer hat dabei über seinem WLAN-fähigen Laptop kabellosen Zugang zu Internet und seinen E-Mails.
Soziale Infrastrukturen bedeutet das bewusste Bilden so genannter Communities, in denen die Mitarbeiter ein Identitäts- und Zugehörigkeitsbewusstsein zu ihren Teams oder zum Unternehmen entwickeln können. Aber auch Dienstleistungen, vor allem wenn diese zentral im Unternehmen erbracht werden, erweisen sich als stabilisierender Faktor bei Veränderungen, schaffen Identität und sind ein Ruhepol für die Mitarbeiter. Denn die Mitarbeiter brauchen Konstanten und Kontinuität im Unternehmen. Dezentrale Lösungen beinhalten oft keine einheitliche Standards (wie zum Beispiel Telefon- und Raumlisten) - das kann zu ungewollten Subkulturen führen.
Wichtig ist beim Thema Infrastruktur auch, dass es genug Rückzugsmöglichkeiten gibt. Da sich die Arbeit immer weiter verdichtet und beschleunigt, sind Ruhephasen und damit auch -zonen unverzichtbarer Bestandteil flexibler Arbeitswelten und müssen in flexiblen Konzepten berücksichtigt werden.
Teil des Netzwerks von Arbeitsplätzen sind Telearbeitsplätze. Das Institut für Arbeitsforschung und Organisationsberatung hat die grundsätzliche Bereitschaft sowie die Schlüsselkriterien für die Einführung von Telearbeit an einem konkreten Fall untersucht, dem Urserntal in der Schweiz. Damit sollte geklärt werden, unter welchen Voraussetzungen in der Region solche standortunabhängigen Arbeitsplätze geschaffen werden könnten. Denn solche neuen Möglichkeiten könnten die Bewohner des Urserntals motivieren, trotz immer knapperer Arbeitsplätze in der Region zu bleiben und aktiv an der Gestaltung ihrer Wohnumgebung teilzunehmen. Die grundsätzliche Bereitschaft für Telearbeit erwies sich als hoch: Für 64,6 Prozent der antwortenden 231 Personen (27,3 Prozent der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter) ist Telearbeit durchaus vorstellbar, allerdings lieber daheim als in einem Telearbeitscenter. Mit zunehmendem Alter jedoch sinkt die Bereitschaft etwas ab. Personen, die ihre Soft- und Hardwarekenntnisse als weniger gut einschätzen, zeigten auch weniger Bereitschaft für Telearbeit. Die Studie zeigt zudem auf, dass man bei der Einführung von Telearbeit zu Hause berücksichtigen sollte, ob sich das häusliche Umfeld des zukünftigen Telemitarbeiters überhaupt dafür eignet und es dort nicht zu viele störende Einflüsse gibt.

Warum flexible Arbeitswelten?


Bei der Einführung flexibler Arbeitswelten gibt es drei Zielebenen:

  • Strategische Ziele: dynamisches, schlagkräftiges Image.
  • Operative Ziele: Erhöhung der Kommunikation und Flexibilität.
  • Finanzielle Ziele: Senkung der Kosten pro Arbeitsplatz.

Auch andere Ziele gibt es: Das Telekommunikationsunternehmen Orange oder der Automobilzulieferer Brose beispielsweise setzen ihr Arbeitsplatzkonzept gezielt als Rekrutierungsargument für neue Mitarbeiter ein. Andere Unternehmen sehen flexible Arbeitswelten als Instrument der lernenden Organisation.
Genau dieser Wissenserwerb durch Lernen gibt den Ausschlag, warum Unternehmen, die eigentlich komplett virtuell arbeiten könnten, trotzdem ein Büro aufbauen. Die wertvollsten Informationen sind nicht diejenigen, die in Lehrbüchern stehen, sondern Erfahrungen, die andere schon gemacht haben und weitergeben. Und genau diese Erfahrungen werden überwiegend persönlich ausgetauscht. Wir gehen ins Büro, weil wir wissen, dass wir dort Menschen treffen, von denen wir etwas lernen können. Es entwickelt sich zunehmend zum Lernort und zur Wissensbörse. Flexible Arbeitswelten unterstützen das Lernen am Arbeitsplatz, da die Kontaktquote mit verschiedenen Mitarbeitern höher ist als in starren Strukturen. Eine Studie hat nachgewiesen, dass die Einarbeitungszeit neuer Mitarbeiter nach der Einführung einer flexiblen Arbeitswelt um rund ein Drittel gesunken ist.
Doch flexible Arbeitswelten bringen auch neue Probleme, Unzulänglichkeiten und Kritik mit sich. Entscheidend ist der Saldo: Wiegen die Vorteile die Nachteile auf? Wer Veränderung will, sollte daher immer auch ihren Erfolg evaluieren und schnelles und direktes Feedback ermöglichen, um das System immer wieder anzupassen. Ein Office Change Management, das sowohl die Führungskräfte als auch die Mitarbeiter einbezieht, muss als permanenter Begleitprozess verstanden werden. Denn in allen Veränderungsprozessen ist festzustellen: "Nie war die bisherige Lösung so akzeptiert wie in dem Moment, in dem sie abgeschafft werden sollte."

Übersicht aller bereits erschienenen Beiträge der "Living at Work-Serie".

English version: PDF-File.

Stephan Zinser lehrt Organisationslehre und Innovationsmanagement an der Fachhochschule Heidelberg. Daneben forscht und berät er als Partner am Institut für Arbeitsforschung und Organisationsberatung in Zürich und Nürtingen.

www.iafob.com

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Vom 19. bis 23. Oktober 2004

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