Gegen den Willen der Oetkers
Die Oetkers - Rüdiger Jungbluths neues Buch über "Geschäfte und Geheimnisse der bekanntesten Wirtschaftsdynastie Deutschlands".
Von Winfried Kretschmer
"Oetker?" Meist lässt die Antwort nicht lange auf sich warten: "Klar, Backpulver, Pudding, Pizza!" Für die meisten Deutschen steht ihre bekannteste Marke noch immer für den Nahrungsmittelkonzern alter Prägung. Doch längst ist aus dem Familienunternehmen ein weit verzweigter Mischkonzern geworden, dessen Portfolio von Bier über Honig, Sekt und Erdnüsse bis zur Schifffahrt und zu Versicherungen reicht. Ein Buch blickt hinter die Kulissen des Clans und spart dabei die dunklen Kapitel der Familienchronik nicht aus.
Vielen Unternehmen gilt Diversifizierung als Erfolgsstrategie. Dem Familienunternehmen Oetker war sie gewissermaßen in die Wiege gelegt. Marzipan und Seide waren die ersten beiden Geschäftsideen, mit denen Mitglieder der Familie ihr eigenes Unternehmen gründeten. Albert Ferdinand Oetker wurde 1870 Mitinhaber einer Seidenweberei in Krefeld. Und ebenfalls in den Jahren der Gründerzeit baute sein Bruder Louis Carl seine kleine Konditorei, in der er in handwerklichem Maßstab Marzipan produzierte, zu einer "Dampf-Marzipanfabrik" aus und stellte die süße Masse in industriellem Maßstab her.
Als die beiden Brüder bereits zu erfolgreichen Fabrikanten geworden waren, ging der Familienspross, der später als Gründer des Unternehmens Oetker gefeiert werden sollte, noch zur Schule. August Oetker wollte auch nicht in den Fabriken seiner Onkel lernen, sondern entschied sich für das Studium der Pharmazie, schloss mit dem Doktortitel ab und eröffnete eine Apotheke in Bielefeld. Dort, in einem Hinterzimmer, soll er in Geheimversuchen jenes Pulver entwickelt haben, das den Aufstieg der Oetkers begründete: Backpulver. So will es die offizielle Unternehmenshistorie - doch vermutlich ist das eine Legende, meint der Autor Rüdiger Jungbluth, der soeben eine Sammelbiographie über "die bekannteste Industriellenfamilie in Deutschland" vorgelegt hat. Nicht in der Erfindung des Backpulvers, das damals als englisches Exportprodukt auf dem deutschen Markt schon erhältlich war, sondern in der geschickten Vermarktung dieses Produkts lag, so der Autor, die "eigentliche Großtat des jungen Unternehmers August Oetker".
Der Apotheker nämlich gründete seine Werbestrategie auf Gesundheit und Qualität, für die er sich als "Dr. Oetker" verbürgte. Unablässig suchte er nach neuen Wegen, sein Produkt bekannt zu machen. Noch zu seiner Zeit als Apotheker entstanden das Firmenlogo, ein weißer Frauenkopf auf schwarzem Grund, und die geniale Idee, das Produkt über Rezepte an die Frau zu bringen. Oetker schaltete Inserate in Rezeptform, veröffentlichte Rezepthefte und Backbücher und ließ an den Geschäften, die seine Produkte im Sortiment hielten, Blechtafeln mit dem Firmenlogo anbringen und begründete damit den heutigen Ruf der Marke, die nach wie vor zu den bekanntesten in Deutschland zählt. "Backen macht Freude", dieses Motto tradierte ein Bild der Frau, deren Selbstbestätigung sich in erster Linie aus dem gelungenen Kuchen speist.

Dr. Oetker heute: ein weit verzweigter Mischkonzern.


Für die meisten Menschen ist "Dr. Oetker" noch immer gleichbedeutend mit Backpulver und Pudding. Doch dieses tradierte Bild des Herstellers von Backzutaten und Instant-Nachspeisen stimmt schon lange nicht mehr. Längst ist aus dem Nahrungsmittelhersteller ein verzweigter Mischkonzern geworden, dessen Portfolio von Bier über Honig, Sekt und Erdnüsse bis zur Schifffahrt und zu Versicherungen reicht. Etliche bekannte Marken zählen zum Imperium der Oetkers. Zum verbreitetsten Produkt, das unter dem eigenen Label vertrieben wird, ist die Tiefkühlpizza geworden; hier ist der Konzern Marktführer in den meisten Ländern Europas. "Der Oetker-Konzern ist ein ungewöhnlich breit gefächertes Konglomerat, wie es keine zweite Unternehmerfamilie in Deutschland errichtet hat", resümiert Jungbluth. Die Firmengruppe besteht aus 332 Unternehmen, von denen 132 ihren Sitz im Ausland haben, beschäftigt mehr als 20.000 Menschen und erzielt einen Jahresumsatz von geschätzten 5,5 Milliarden Euro.
Rüdiger Jungbluth rollt die Geschichte der Unternehmerdynastie recht anschaulich auf, verheddert sich aber gelegentlich in dem verzweigten Stammbaum des Clans. Auch bleibt die Gewichtung des Stoffs bisweilen unklar. Als sei er froh, sich endlich auf gut recherchiertem Terrain zu befinden, breitet er den Entführungsfall Richard Oetker, der 1976 die Republik aufwühlte, detailversessen auf 28 Buchseiten aus. Anderes hingegen wird denkbar knapp abgehandelt. Zum Beispiel die Entscheidung des derzeitigen Firmenlenkers August Oetker, die Firmengruppe umzubauen, in zwei knappen Sätzen: "Das Stammhaus, die Tiefkühlsparte und das Markengeschäft mit Langnese-Honig und Ültje-Erdnüssen verfügten jeweils über eigene Vertriebsorganisationen. August Oetker hielt diese Aufstellung für ineffizient und sorgte dafür, dass die Geschäfte in einem einzigen Unternehmen zusammengelegt wurden." Da hätte man sich mehr Informationen über die strategischen Überlegungen gewünscht. Das jedoch scheiterte an der Weigerung der Oetkers, mit dem Autor zusammenzuarbeiten.

Die SS - das dunkle Kapitel in der Firmengeschichte.


"Dieses Buch entstand gegen den Willen der Familie Oetker", stellt Jungbluth in seinem Quellennachweis fest. Er erhielt weder Einsicht in das Firmenarchiv, noch gewährte man ihm Interviews. Umsonst, denn das dunkle Kapitel in der Firmengeschichte, dessen schwärzester Punkt in der "vielgestaltigen Verbindung von Familie und Firma zur SS des Heinrich Himmler" liegt, wird von dem Autor trotzdem gut recherchiert aufgearbeitet. Dennoch umgibt Jungbluths Buch die Aura des Vorläufigen. Es ist zu hoffen, dass die wechselhafte Geschichte des Familienkonzerns einmal unter Berücksichtigung aller verfügbaren Quellen geschrieben werden kann. Bis dahin hat der Konzern vielleicht auch begriffen, dass auch in der Wirtschaft die Zeichen mittlerweile auf Offenheit und Transparenz stehen.

Rüdiger Jungbluth:
Die Oetkers.
Geschäfte und Geheimnisse der
bekanntesten Wirtschaftsdynastie Deutschlands,

Campus Verlag, Frankfurt/New York 2004,
406 Seiten, 24.90 Euro,
ISBN 3-593-37396-3
www.campus.de

Winfried Kretschmer, Journalist und Autor, arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.

© changeX Partnerforum [18.10.2004] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.


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: Die Oetkers. . Geschäfte und Geheimnisse der bekanntesten Wirtschaftsdynastie Deutschlands.. Campus Verlag, Frankfurt/New York 1900, 406 Seiten, ISBN 3-593-37396-3

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Winfried Kretschmer
Kretschmer

Winfried Kretschmer ist Chefredakteur und Geschäftsführer von changeX.

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