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Als die beiden Brüder bereits zu erfolgreichen Fabrikanten geworden waren, ging der Familienspross, der später als Gründer des Unternehmens Oetker gefeiert werden sollte, noch zur Schule. August Oetker wollte auch nicht in den Fabriken seiner Onkel lernen, sondern entschied sich für das Studium der Pharmazie, schloss mit dem Doktortitel ab und eröffnete eine Apotheke in Bielefeld. Dort, in einem Hinterzimmer, soll er in Geheimversuchen jenes Pulver entwickelt haben, das den Aufstieg der Oetkers begründete: Backpulver. So will es die offizielle Unternehmenshistorie - doch vermutlich ist das eine Legende, meint der Autor Rüdiger Jungbluth, der soeben eine Sammelbiographie über "die bekannteste Industriellenfamilie in Deutschland" vorgelegt hat. Nicht in der Erfindung des Backpulvers, das damals als englisches Exportprodukt auf dem deutschen Markt schon erhältlich war, sondern in der geschickten Vermarktung dieses Produkts lag, so der Autor, die "eigentliche Großtat des jungen Unternehmers August Oetker".
Der Apotheker nämlich gründete seine Werbestrategie auf Gesundheit und Qualität, für die er sich als "Dr. Oetker" verbürgte. Unablässig suchte er nach neuen Wegen, sein Produkt bekannt zu machen. Noch zu seiner Zeit als Apotheker entstanden das Firmenlogo, ein weißer Frauenkopf auf schwarzem Grund, und die geniale Idee, das Produkt über Rezepte an die Frau zu bringen. Oetker schaltete Inserate in Rezeptform, veröffentlichte Rezepthefte und Backbücher und ließ an den Geschäften, die seine Produkte im Sortiment hielten, Blechtafeln mit dem Firmenlogo anbringen und begründete damit den heutigen Ruf der Marke, die nach wie vor zu den bekanntesten in Deutschland zählt. "Backen macht Freude", dieses Motto tradierte ein Bild der Frau, deren Selbstbestätigung sich in erster Linie aus dem gelungenen Kuchen speist.
Dr. Oetker heute: ein weit verzweigter Mischkonzern.
  Für die meisten Menschen ist "Dr.
  Oetker" noch immer gleichbedeutend mit Backpulver und Pudding.
  Doch dieses tradierte Bild des Herstellers von Backzutaten und
  Instant-Nachspeisen stimmt schon lange nicht mehr. Längst ist aus
  dem Nahrungsmittelhersteller ein verzweigter Mischkonzern
  geworden, dessen Portfolio von Bier über Honig, Sekt und Erdnüsse
  bis zur Schifffahrt und zu Versicherungen reicht. Etliche
  bekannte Marken zählen zum Imperium der Oetkers. Zum
  verbreitetsten Produkt, das unter dem eigenen Label vertrieben
  wird, ist die Tiefkühlpizza geworden; hier ist der Konzern
  Marktführer in den meisten Ländern Europas. "Der Oetker-Konzern
  ist ein ungewöhnlich breit gefächertes Konglomerat, wie es keine
  zweite Unternehmerfamilie in Deutschland errichtet hat",
  resümiert Jungbluth. Die Firmengruppe besteht aus 332
  Unternehmen, von denen 132 ihren Sitz im Ausland haben,
  beschäftigt mehr als 20.000 Menschen und erzielt einen
  Jahresumsatz von geschätzten 5,5 Milliarden Euro.
  
Rüdiger Jungbluth rollt die Geschichte der
  Unternehmerdynastie recht anschaulich auf, verheddert sich aber
  gelegentlich in dem verzweigten Stammbaum des Clans. Auch bleibt
  die Gewichtung des Stoffs bisweilen unklar. Als sei er froh, sich
  endlich auf gut recherchiertem Terrain zu befinden, breitet er
  den Entführungsfall Richard Oetker, der 1976 die Republik
  aufwühlte, detailversessen auf 28 Buchseiten aus. Anderes
  hingegen wird denkbar knapp abgehandelt. Zum Beispiel die
  Entscheidung des derzeitigen Firmenlenkers August Oetker, die
  Firmengruppe umzubauen, in zwei knappen Sätzen: "Das Stammhaus,
  die Tiefkühlsparte und das Markengeschäft mit Langnese-Honig und
  Ültje-Erdnüssen verfügten jeweils über eigene
  Vertriebsorganisationen. August Oetker hielt diese Aufstellung
  für ineffizient und sorgte dafür, dass die Geschäfte in einem
  einzigen Unternehmen zusammengelegt wurden." Da hätte man sich
  mehr Informationen über die strategischen Überlegungen gewünscht.
  Das jedoch scheiterte an der Weigerung der Oetkers, mit dem Autor
  zusammenzuarbeiten.
Die SS - das dunkle Kapitel in der Firmengeschichte.
"Dieses Buch entstand gegen den Willen der Familie Oetker", stellt Jungbluth in seinem Quellennachweis fest. Er erhielt weder Einsicht in das Firmenarchiv, noch gewährte man ihm Interviews. Umsonst, denn das dunkle Kapitel in der Firmengeschichte, dessen schwärzester Punkt in der "vielgestaltigen Verbindung von Familie und Firma zur SS des Heinrich Himmler" liegt, wird von dem Autor trotzdem gut recherchiert aufgearbeitet. Dennoch umgibt Jungbluths Buch die Aura des Vorläufigen. Es ist zu hoffen, dass die wechselhafte Geschichte des Familienkonzerns einmal unter Berücksichtigung aller verfügbaren Quellen geschrieben werden kann. Bis dahin hat der Konzern vielleicht auch begriffen, dass auch in der Wirtschaft die Zeichen mittlerweile auf Offenheit und Transparenz stehen.
  
  Rüdiger Jungbluth:
  
  Die Oetkers.
  
Geschäfte und Geheimnisse der
  
bekanntesten Wirtschaftsdynastie Deutschlands,
  
Campus Verlag, Frankfurt/New York 2004,
  
406 Seiten, 24.90 Euro,
  
ISBN 3-593-37396-3
  
 
  www.campus.de
Winfried Kretschmer, Journalist und Autor, arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.
© changeX Partnerforum [18.10.2004] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
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Zum Buch
Rüdiger Jungbluth: Die Oetkers. . Geschäfte und Geheimnisse der bekanntesten Wirtschaftsdynastie Deutschlands.. Campus Verlag, Frankfurt/New York 1900, 406 Seiten, ISBN 3-593-37396-3
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Autor
Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.



