Aus Risiken Chancen machen
Europäer beraten Europäer.
| Folge 21: Jens Krämer über Issues Management. |
Von Jens Krämer
Pleon ist ein neues europäisches Beratungsunternehmen. Seine Vision ist ungewöhnlich: Die Intelligenz der einzelnen Länder und Regionen für eine gemeinsame Netzökonomie nutzen. Aus vielen mentalen und kulturellen Knoten soll ein gemeinsames, länderübergreifendes Netzwerk entstehen. Ohne Hierarchie und Dominanz von oben. Ein europäisches Unternehmen, das den sprichwörtlich ehrgeizigen Versuch unternimmt, ein Omelett zu backen, ohne Eier zu zerschlagen. In den nächsten Monaten begleiten wir diese einmalige Mission mit Reportagen und Essays. Aus einem Europa, in dem zusammenwächst, was zusammengehört.
Kati Müller
Jens Krämer, Partner bei Pleon Kohtes Klewes und Leiter der Practice Crisis Communication & Issues Management.
Sie werden immer dicker. Stopfen sich voll mit Gummibären und Kuchen, Chips, Eis und Schokolade. Greifen, verzweifelt, süchtig, hilflos, nach Low-Fat- und Light-Produkten. Und landen doch in der Sackgasse: Fettleibigkeit. Wo an allen Ecken über die richtige Ernährung diskutiert, wo Gesundheit immer wichtiger und zum Streitpunkt finanz- und sozialpolitischer Debatten wird, gerät die Prävention ins Blickfeld. Und damit das Thema Fettleibigkeit. Aus den USA ist die Fettleibigkeitswelle nach Europa geschwappt. Fettleibigkeit ist ein Krisenthema. Wie einst die Tabakindustrie stehen jetzt Süßwarenhersteller und Fastfood-Produzenten mit dem Rücken zur Wand, müssen sich fragen lassen, ob ihre Burger, Softdrinks, Schokoriegel und Bonbons nicht die Gesundheit gefährden, süchtig machen, und das womöglich mit Kalkül. Für die Unternehmen bedeutet das: Sie werden angegriffen, ihre Reputation bekommt Schrammen, der Absatz bröckelt, das Geschäftsmodell ist gefährdet.
Das muss nicht sein. Unternehmen, die solche Entwicklungen frühzeitig erkennen, können darauf reagieren und Vorkehrungen treffen. Sie können Themen selbst aufgreifen, mit den Interessengruppen in einen Dialog treten, Strategien entwickeln und so die Zukunft selbst mitgestalten. Das ist heute wichtiger denn je. Denn mit der Transparenz der globalisierten Wirtschaft steigt die Bedeutung der Stakeholder. Die Öffentlichkeit fordert mehr Nachhaltigkeit, Verbraucherrechte, mehr "Good Corporate Citizenship", mehr Corporate Governance. Reputation wird zur erfolgskritischen Schlüsselgröße. Zunehmend beeinflussen Themen, die von verschiedenen Interessengruppen der Gesellschaft aufgegriffen und debattiert werden, die Handlungsmöglichkeiten von Unternehmen. Ist Handystrahlung krebserregend? Erlebt die Atomkraft ihr Comeback? Wo liegen die Chancen des demografischen Wandels? Wer hier die richtigen Antworten kennt, ist im Vorteil: im Wettbewerb um Kunden, Investoren, beste Mitarbeiter und Wähler, kurz - um die öffentliche Meinung. Denn immer noch gilt: Nur wer künftige Entwicklungen voraussieht, kann erfolgreich agieren.

Wohldurchdachte Strategie.


Ein zentrales Instrument dafür ist das Issues Management. Dahinter verbirgt sich mehr als modischer Schnickschnack. Issues Management bezeichnet eine wohldurchdachte Strategie. Sie lässt sich leicht definieren: Issues Management ist der koordinierte Einsatz verschiedener Instrumente, die es einem Unternehmen oder einer Institution erlauben, in einer stetig wachsenden Flut von Informationen relevante Themen zu erkennen, die Chancen und Risiken für das Unternehmen bergen, sie zu analysieren und schließlich die richtigen Schlüsse für strategische Entscheidungen und konkrete Handlungen zu ziehen. Das Ziel: dem Unternehmen eine Zukunft geben. In jedem Fall bewirkt es ein verbessertes Krisenmanagement, im Idealfall werden aus Risiken Chancen. Wie kann das aussehen?
Wenn eine Firma beispielsweise vor fünf bis zehn Jahren erkannt hätte, dass Gesundheitspflege und Krankheitsprävention ein großes gesellschaftliches Thema werden würden, wenn sie weiterhin erkannt hätte, dass dadurch ihr eigenes Produkt in die Kritik geraten könnte, hätte sie Handlungs- und Produktstrategien entwickeln können, um eine unternehmerische Krise zu vermeiden. Indem sie sich etwa fragt: Kann ich mein Produkt so verändern, dass es künftig nicht auf die schwarze Liste kommt? Kann ich mein Portfolio so variieren, dass ich mich in der Öffentlichkeit besser präsentieren kann? Indem ich etwa neue Angebote mache. McDonald's beispielsweise wirbt längst nicht mehr nur mit fetten Burgern, sondern auch mit leichten Salaten um seine Kunden. Deutlich wird hier: Durch die langfristige Beobachtung einer Entwicklung hat ein Unternehmen die Chance, sich vorausschauend zu verändern.

Eine Entwicklung voraussehen.


Manche Unternehmen nehmen diese Chance bereits heute wahr. Beispiel Schweizer Banken. Als vor einigen Jahren heftige Diskussionen über verkappte Nazi-Konten in Schweizer Banken entbrannten, entwickelte sich das für die Kreditinstitute des Alpenlandes zu einem ernsten Reputationsproblem. Schließlich hatten sie mit namenlosen Konten seit jeher Anleger gelockt. Kurz nach diesem öffentlichen Disput passierte etwas Ähnliches mit südafrikanischen Konten. Gelder von Profiteuren der Apartheid wurden bei Schweizer Banken geparkt. Das Kreditinstitut UBS sah im Gegensatz zu seinen Konkurrenten diese Entwicklung voraus. Nach der Nazi-Debatte hatte es sich systematisch überlegt: Wo könnten ähnliche Gefahren lauern? UBS fragte sich: Wo sind wir betroffen, wie ist die rechtliche Situation? Das Kreditinstitut nahm den Dialog zu den wichtigsten Interessengruppen auf. Gemeinsam mit elf anderen internationalen Großbanken entwickelte UBS die "Wolfsberg Principles", Regeln gegen die Geldwäsche, auf die sich die beteiligten Institute freiwillig verpflichteten. UBS war Initiator der Aktion. Danach stand die Bank besser da als ihre Wettbewerber.
Das hört sich einfach an. Doch um gute Erfolge erzielen zu können, bedarf es eines professionellen Issues Managements. Im ersten Schritt sollte sich ein Unternehmen daher über den Sinn des Issues Managements klar werden: Es geht darum, dass am Ende des Tages dem Vorstand in regelmäßigem Rhythmus kurze, präzise Berichte vorgelegt werden, die kommende Chancen und Risiken analysieren und Handlungsempfehlungen geben. Issues Management tastet dabei nicht nur die Umwelt eines Unternehmens ab, sondern ist auch ein Resonanzraum für unternehmensinterne Störungen. Im zweiten Schritt sollte sich eine Firma bewusst werden, dass Issues Management nur funktionieren kann, wenn die Unternehmenskultur entsprechend ausgerichtet ist. Es ist unerlässlich, nicht nur externe Quellen zu nutzen, sondern auch das Know-how der Mitarbeiter einzubinden. Dazu braucht es eine offene Kommunikationskultur, nur dann trauen sich Mitarbeiter, kritische, sensible Informationen weiterzugeben. Und: Es muss sich für den Mitarbeiter lohnen, das zu tun. Das Unternehmen sollte sich daher fragen: Wer erntet die Lorbeeren für die Weitergabe solcher Informationen? Wie schaffe ich Anreize?
Issues Management muss überdies alle Abteilungen integrieren. Nicht nur die Kommunikationsabteilung, auch die strategische Unternehmensplanung, Investor Relations, Recht und Human Resources müssen in das Netzwerk eingebunden werden. Nur wenn es "top-down" initiiert, aber quer zu den Hierarchieebenen organisiert und im ganzen Unternehmen verankert ist, kann es erfolgreich sein. Sinnvoll ist es beispielsweise, eine Plattform zum Informationsaustausch einzuführen, einen geschützten Bereich im Intranet etwa. Dort können Berichte abgelegt und alle Unternehmensmitglieder auf dem aktuellen Stand gehalten werden. Schließlich braucht ein Unternehmen einen Issues Manager, der alle Fäden in der Hand hält, die Informationen der Zuarbeiter auswertet und schließlich für die Vorstandsmitglieder schriftlich zusammenfasst.

Die relevanten Issues identifizieren.


Was genau aber sind Issues? Ein Issue markiert eine Konfliktlinie zwischen mindestens zwei gesellschaftlichen Gruppen. Es ist kein punktuelles Ereignis, sondern hat eine Themenkarriere. Issues sind Sachverhalte, die für die Gesellschaft relevant sind und gleichzeitig Auswirkungen auf die Organisation des Unternehmens und dessen aktuelles oder zukünftiges Handlungspotential haben. Ob es um Umweltschutz geht, um Biotechnologie oder um Arbeitsbedingungen. Issues sind "Moving Targets", sie verändern sich ständig und erfordern deshalb Flexibilität.
Um die relevanten Issues für ein Unternehmen zu finden, muss sich der Issues Manager mit vielen verschiedenen Abteilungen austauschen. Aus den Informationen aus allen Unternehmensteilen lassen sich die relevanten Issues für das jeweilige Unternehmen identifizieren (Monitoring) und bewerten. Eine kurze "Priority-Liste" gibt einen Überblick über die drängenden Issues, eine "Watch List" liefert eine Übersicht über die Themen, die vermutlich in Zukunft wichtiger werden. Mit Hilfe von Szenarien lassen sich neue und latente Issues frühzeitig erkennen. Wenn sich in diesem Prozess Kern-Issues herauskristallisiert haben, müssen diese kontinuierlich beobachtet und daraus Handlungsempfehlungen entwickelt werden. Das Unternehmen sollte Ziele festlegen und daraus Maßnahmen ableiten, wie sich diese Ziele erreichen lassen. Damit Issues Management erfolgreich ist, sollten die Kampagnen und Aktionen, die daraus resultieren, kontinuierlich evaluiert werden.

Dem Kunden die Angst nehmen.


Es ist die Aufgabe von Beratern, diesen Prozess allen Beteiligten zu vermitteln, eine externe Sicht einzubringen und den Kunden bei der Entwicklung von Handlungsoptionen zu unterstützen. Dabei müssen Berater vor allem eines: dem Kunden die Angst nehmen, nur noch mehr Arbeit, noch mehr Gremien, noch mehr Informationen aufgehalst zu bekommen und am Ende vielleicht selbst an Reputation zu verlieren. Denn Issues Management verlangt von den Beteiligten, gerade auf der zweiten Führungsebene, Macht abzugeben. Ohne ein vertrauensvolles Zusammenspiel der Abteilungen, ohne ein ineinander verzahntes Networking aller Glieder der Organisation kann es nicht gelingen. Letztlich muss allen klar sein: Beim Issues Management geht es darum, die ohnehin auf das Unternehmen einstürzenden Informationen zu filtern, zu bewerten und überlegt darauf zu reagieren. Es geht um effizientere Prozesse, relevantere Informationen, bessere Handlungsoptionen und am Ende mehr Reputation.

Europäische Zusammenarbeit.


Seit mehr als zwei Jahren beschäftigt sich Pleon Kohtes Klewes in Deutschland mit Issues Management und berät Unternehmen, die sich mit diesen Fragen auseinander setzen möchten. An allen deutschen Standorten von Pleon Kohtes Klewes gibt es reichlich Know-how zu diesem Thema, Know-how, das wir bündeln und in regelmäßigen Treffen systematisch weiterentwickeln. Im November 2004 gab es ein erstes europaweites Meeting. Diese Zusammenarbeit werden wir ausbauen. Denn auf europäischer Ebene gilt einmal mehr, was auf nationaler Ebene enorm an Bedeutung gewonnen hat: Issues Management gehört zu den wichtigsten Herausforderungen der Zukunft. Der amerikanische Unternehmensberater J. F. Coates hat es auf den Punkt gebracht: "What is social today is political tomorrow and economic in costs and consequences the day after."

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Jens Krämer ist Partner bei Pleon Kohtes Klewes und Leiter der Practice Crisis Communication & Issues Management. Pleon ist ein in Europa führendes PR-Beratungsunternehmen und eine Tochter von BBDO Europe.

Weitere Informationen:
www.pleon.com

© changeX [22.02. 2005] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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