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Verleiht Flügel
Ehrenamtliches Engagement ist in einer demokratischen Gesellschaft unverzichtbar - ein Gespräch mit Jean Pütz und Martina Grote.
Von Alexandra Hildebrandt
Was treibt Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren? Zum Beispiel für den Erhalt der Narzissentäler in der Rureifel. Der frühere Fernsehmoderator Jean Pütz ist seit einem Jahrzehnt Pate für die Wiesen mit den gelben Frühlingsblühern. Im Gespräch mit Alexandra Hildebrandt und Martina Grote berichtet er, was ihn treibt: Neugier, Lust und der Glaube an eine humane Gesellschaft, in der jeder zum Erhalt des Ganzen beiträgt. / 08.12.06
Fotos: 
� KarstadtQuelle AG, Fotograf: Christian Klose
Martina Grote und Jean Pütz.
Martina Grote, Jahrgang 1960, war nach dem Studium der Geschichte, Politik und Publizistik als Referentin beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe tätig. Nach einer Zwischenstation im Rheinland, wo sie als Volontärin und Redakteurin arbeitete, suchte sie ein Betätigungsfeld, das ihr am Herzen lag: Natur, Heimat und Kultur sind die Themen, denen sie sich seit 16 Jahren als Geschäftsführerin des Fördervereins NRW-Stiftung widmet.
Jean Pütz, geboren 1936, ist Wissenschaftsjournalist und Fernsehmoderator. Nach einer Ausbildung zum Elektromechaniker absolvierte er zunächst ein Studium der Nachrichtentechnik, dann der Physik und Mathematik, Soziologie und Volkswirtschaft. Fast 30 Jahre lang moderierte Jean Pütz die von ihm mitentwickelte "Hobbythek", aber auch "Die Welt des Fernsehens", die "Wissenschaftsshow" "Globus" und "Dschungel". Seine Fernsehsendungen trugen seine persönliche Handschrift. Sie machten die Wissenschaft des Alltags verständlich und sorgten dafür, dass "wir die Welt besser verstehen" (Bettina Böttinger).
Herr Pütz, Sie haben in den vergangenen Jahrzehnten Ihren Zuschauern Wissenschaft spannend und amüsant vermittelt. "Ich hab da mal was vorbereitet" wurde Teil des allgemeinen Sprachgebrauchs. Dabei haben Sie selbst umgesetzt, was Sie kommunizierten, und bezogen Gleichgesinnte mit ähnlichen Zielen ein. Was hat Sie in Ihrem Leben angetrieben?

Jean Pütz: Neugier und Lust - aber niemals auf Kosten anderer und nur so viel, dass ich morgen noch Lust haben kann. Ich sage immer: Ich hatte die Gnade der frühen Geburt! So wäre mir eine Karriere beim WDR 25 Jahre später sicher nicht möglich gewesen. Als Kind habe ich davon geträumt, das zu werden, was ich geworden bin. Ja, ich hatte Glück im Leben, habe das Glück aber auch im rechten Moment erkannt, so dass ich es ergreifen konnte. Außerdem habe ich meine Seele nie verkauft oder mir etwas eingebildet. Denn wer sich etwas auf sich einbildet, ist primitiv. Mir kam es immer darauf an, selbstkritisch und nie fertig zu sein, Dinge zu hinterfragen. Ich bin stolz auf das, was ich gemacht habe, wobei ich betonen möchte, dass meine beste Produktion mein siebenjähriger Sohn Jean ist!
Sie sagten einmal, dass Sie sehr davon profitiert hätten, keinen geraden Ausbildungsweg gemacht zu haben. Bei allem, was Sie taten und waren - Handwerker, Elektromechaniker, Lehrer -, waren Sie immer auch "Überzeugungstäter", Problemlöser und Generalist. Weshalb sind Grenzgänger, die sich an den Rändern des Wissens bewegen, wichtiger als praxisferne Spezialisten?

Jean Pütz: Weil sie innerlich begeistert sind und komplex denken können. Das ist auch ein Grund, weshalb ich mich Künstlern so verbunden fühle: Sie sind ihrer Zeit weit voraus, denn sie sind sensibel und haben eine Ader für die Dinge, die uns umgeben. Sie zeigen uns noch eine andere Dimension. Das ist vielleicht auch eine Erfahrung des Alters, denn je älter man wird, desto mehr erkennt man, dass sich allein durch Rationalität und Wissenschaft nicht alles erklären lässt. Das zu wollen führt in eine Sackgasse. Es lohnt sich also, gelegentlich die Vernunft einzuschalten und mit Gefühl zu kombinieren. Was mich betrifft, so habe ich etwas gegen selbsternannte Eliten und bin immer allein losgezogen und habe gemacht, was ich aus innerem Antrieb tun musste. Vielleicht habe ich auch zu viel gemacht, aber ich wollte immer Problemlösungen finden, um das Leben zu erleichtern.
Frau Grote, in Anlehnung an den National Trust in England unterstützt die "Nordrhein-Westfalen-Stiftung Naturschutz, Heimat- und Kulturpflege" den bürgerschaftlich getragenen Einsatz für Natur und Landschaft. Weshalb ist und bleibt das Ehrenamt für unsere Gesellschaft unverzichtbar?

Martina Grote: Menschen, die sich über das normale Maß hinaus engagieren, sind ein Gewinn für die Gemeinschaft. Ohne sie wäre die Gesellschaft ärmer. Für sie selbst ist dieses "Doppelleben" nach Feierabend oftmals auch Selbstverwirklichung und ein neuer Sinn - für die NRW-Stiftung Naturschutz, Heimat- und Kulturpflege ist es das Fundament der Arbeit für ein liebens- und lebenswertes Zuhause. Wer einmal eines unserer Projekte erlebt und gesehen hat, mit wie viel Herzblut, Kreativität und Ideenreichtum die Ehrenamtlichen sich für ihre Themen engagieren, kann auch ermessen, wie wichtig ehrenamtliche Arbeit für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft ist, in der jeder Einzelne einen Teil beiträgt.
Woher bezieht die NRW-Stiftung das Geld für ihre Aufgaben?

Martina Grote: Die NRW-Stiftung finanziert sich aus den Erträgen der Rubbellos-Lotterie und den Mitgliedsbeiträgen und Spenden ihres Fördervereins. Insgesamt haben wir so jährlich gut sechs Millionen Euro zur Verfügung.
In Ihrem Jubiläumsbuch zum 20-jährigen Bestehen der NRW-Stiftung, Liebenswertes NRW, schreiben Sie: "Wer Steine ins Rollen bringen will, sollte keinen Anstoß nehmen, sondern Anstöße geben." Das kann in der Regel nur jemand, der zuweilen auch einmal aneckt, der die Trennung zwischen Beruf und Privatleben als Konstrukt empfindet, der alles, was er tut, mit Leidenschaft macht, der einer Idee folgt, neue Gelegenheiten sucht und jederzeit quer denkt, also Grenzgänger ist. Weshalb sind Menschen mit Eigeninitiative, Risikobereitschaft und sozialer Kompetenz für eine Gesellschaft unverzichtbar?

Martina Grote: "Wer nichts macht, macht auch nichts verkehrt." Zugegeben, diese etwas flapsige Haltung hat schon manch einem durch seinen Büroalltag geholfen, aber wer so denkt, bewegt nichts! Er kennt nicht das Gefühl, für eine Idee, eine Sache, eine Vision zu kämpfen, Misserfolge "verdaut" zu haben und mit neuer Kraft sein Ziel weiterzuverfolgen. Was er auch nicht kennt, ist das gute Gefühl, andere zu begeistern und mitzunehmen und gemeinsam etwas zu erreichen. Menschen, die so denken und sind, trennen in der Regel nicht Privatleben und Beruf, sie sind hier wie dort leidenschaftlich und engagiert.
Mit ihren mehr als 1.500 Förderungen hat die NRW-Stiftung Menschen immer wieder darin unterstützt, ehrenamtliches Engagement zu zeigen. Es wird aus Überzeugung getan. Dazu bedarf es echter "Überzeugungstäter". Was hat Sie veranlasst, gerade Jean Pütz als Paten zu gewinnen?

Martina Grote: Jean Pütz war nach Hanns Dieter Hüsch und Wendelin Haverkamp der Dritte im Bunde, der als Pate für ein Projekt der NRW-Stiftung gewonnen werden konnte. Jean Pütz war hier unsere Wunschbesetzung, weil er begeistert ist und begeistern kann, komplizierte Themen anschaulich vermitteln kann und als gebürtiger Luxemburger bei einem grenzübergreifenden Projekt eine besondere "Vorbildung" hat. Dass er sich über nun fast zehn Jahre mit so viel Überzeugung und Leidenschaft für sein Patenkind, die Narzissentäler der Rureifel, einsetzt, hatten wir uns gewünscht und erhofft.
Herr Pütz, weshalb engagieren Sie sich seit 1996 als Pate für die Nordrhein-Westfalen-Stiftung?

Jean Pütz: Es lohnt sich, für Nordrhein-Westfalen zu kämpfen. Es ist ein wunderbares Land mit wunderbaren und fröhlichen Menschen. Und die NRW-Stiftung hat in den vergangenen 20 Jahren wesentlich zu seiner Identität beigetragen. Zum Paten bin ich von der Stiftung gemacht worden. Ich erinnere mich noch gut daran, wie mich 500 Menschen dort erwarteten und mir plötzlich applaudierten. Ich wusste in diesem Moment gar nicht, wie mir geschah. Jedenfalls kann man in solch einer Situation nicht nein sagen. Als Pate hätte ich mir rückblickend kein besseres Projekt wünschen können. Es passt zu mir, denn die Bäche, die die Narzissenwiesen durchziehen, fließen durch belgisches Gebiet und setzen ihren Weg in Deutschland fort. Mit solchen Grenzgängern fühle ich mich seelenverwandt. Auch hat die wild wachsende Gelbe Narzisse, die schöne Schwester der Osterglocke, 150 Jahre Preußenherrschaft gut, aber im Untergrund überwunden. Übrigens: Ein bisschen giftig ist sie schon - man darf nicht auf die Wiese, wenn sie blüht!
Hanns Dieter Hüsch, bis zu seinem Tod selbst Pate in der NRW-Stiftung, sprach von der Trias Fühlen, Denken und Tun: "Auf dass die Erde Heimat wird." Wie wichtig ist Ihnen Heimat, das Verwurzeltsein?

Jean Pütz: Ja, es ist wichtig zu wissen, wo man seine Wurzeln hat, aber man kann auch verpflanzt werden. Wichtig ist bei alledem der Einheitsgedanke, das Wissen um die konzentrischen Kreise, die zusammengehören: Individuum, Familie, Freundeskreis, Gemeinde und Weltbürger.
Seit wann engagieren Sie sich für den fairen Handel, der größten und aktivsten kontinuierlich arbeitenden entwicklungspolitischen Bewegung in Deutschland?

Jean Pütz: Ich engagiere mich aktiv seit Beginn der 90er Jahre im fairen Handel, weil es mir darauf ankommt, den Menschen in der Dritten Welt Hilfe zur Selbsthilfe zu geben. Übrigens bin ich auch Pate für "faire Kamelle"! Seit es meine Sendereihe, die "Hobbythek", nicht mehr gibt, werden die beliebtesten Produkte für Kosmetik, Körperpflege und gesunde Ernährung unter www.jean-puetz-produkte.de angeboten. Ich verdiene daran nichts, sondern bürge lediglich für die Qualität der Produkte und bestimme, was verkauft wird.
Weshalb ist es wichtig, sich mit der Wertethematik auseinanderzusetzen?

Jean Pütz: Werte sind Leitplanken, an denen wir uns orientieren können. Der christliche Glaube gehört zum Beispiel dazu. Ich habe mich auch mit Immanuel Kant auseinandergesetzt, der den kategorischen Imperativ formuliert hat: "Handle so, dass die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne." Zusammengefasst meint das: "Was du nicht willst, das man dir tu, das füge keinem andern zu." Leider wird Moral heute nicht mehr vermittelt, und Zivilcourage ist die Courage, die am wenigsten vorkommt. Vieles wird lustlos gemacht, und Vorurteile verhindern Erkenntnis. Freundschaft und Achtung sollten zählen - ebenso das, was den Menschen positiv vom Tier unterscheidet: Der Mensch kann sich emotional in die Lage eines anderen versetzen. Auch Mitleid ist menschlich. Mein Weltbild ist humanistisch geprägt - im Sinne von menschenfreundlich. Vieles davon findet sich auch bei den von mir verehrten Autoren wie Erich Kästner, Christian Morgenstern, Joachim Ringelnatz oder Heinrich Böll. Es kommt darauf an, sich im Leben nicht korrumpieren zu lassen. Wenn ich zum Beispiel an die Versprechen der Politiker vor der Wahl denke, spreche ich gern vom kollektiven Alzheimer-Syndrom � Trotz allem: Wir brauchen eine optimistische Sichtweise in unserem Leben, das stärkt auch das Immunsystem!
Frau Grote, in einem Nebensatz Ihres NRW-Buches heißt es: "Wer die Flügel nicht hängen lassen will, muss welche besitzen." Können Sie diese Aussage näher erläutern? Und was können Unternehmen davon lernen?

Martina Grote: Nur wer Flügel hat, kann fliegen, beziehungsweise andere Perspektiven erleben, abheben, zu neuen Zielen aufbrechen. Für Unternehmen könnte dies bedeuten: Man braucht Flügel, um aufzusteigen, kein Aufstieg ist jedoch ohne Risiko, denn es kann in höheren Lüften auch Turbulenzen geben, aber ohne Flügel passiert gar nichts.
Die KarstadtQuelle AG ist Mitglied im Kuratorium des Fördervereins der NRW-Stiftung.
Fotos: � KarstadtQuelle AG, Fotograf: Christian Klose
Dr. Alexandra Hildebrandt ist Leiterin Kommunikation Gesellschaftspolitik bei der KarstadtQuelle AG.
Kontakt:
KarstadtQuelle AG
Dr. Alexandra Hildebrandt
Leiterin Kommunikation Gesellschaftspolitik
KarstadtQuelle AG
Theodor-Althoff-Straße 2
D-45133 Essen
Tel.: +49 (0)201 / 727-96 62
Fax: +49 (0)201 / 727-69 96 62
E-Mail: alexandra.hildebrandt@karstadtquelle.com
Web: www.karstadtquelle.com/nachhaltigkeit
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Alexandra Hildebrandt

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