Der amerikanische Freund
Die Amerikanisierungsfalle. Kulturkampf in deutschen Unternehmen - das neue Buch von Ulrike Reisach.
Von Ulrike Fokken
Sie sind fixiert auf Kennzahlen und Statistiken, streben nach Effizienzsteigerung und sind ausschließlich an kurzfristigen Gewinnen und schnellem Wohlstand interessiert: Manager des amerikanischen Typs gewinnen auch hierzulande immer mehr an Einfluss. Aber die Amerikanisierung der deutschen Wirtschaft hat auch eine wenig beachtete andere Seite: Amerikanische Firmen haben in Deutschland mehr investiert als in irgendeinem anderen Land der Welt. / 20.03.07
Wenn amerikanische Manager in ein deutsches Unternehmen kommen, befürchten die Mitarbeiter nur das Schlechteste. Denn "der Amerikaner" - ob Unternehmensberater, Analyst oder Investmentbanker - wird das Unternehmen rationalisieren, Abläufe optimieren, die Effizienz steigern, Kosten senken und Gewinne maximieren. Und damit kalt kalkulierend alle die Werte und Charakteristika in Frage stellen, mit denen deutsche Arbeitnehmer und Unternehmer die hiesige Wirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut haben: von der sozial ausgleichenden Gewinnverteilung über Sozialgesetzgebung und Krankenversicherung bis hin zur gesellschaftlichen Verantwortung der Unternehmen, die zuverlässig und solide an langfristigen Beziehungen zu ihren Mitarbeitern und Kunden interessiert waren.
Diese auf moralischen Werten basierenden zivilisatorischen Errungenschaften scheinen immer dann nicht mehr viel zu gelten, wenn die besagten amerikanischen Freunde aus den Consulting-Firmen oder Investmentbanken mit ihrer Effizienzfixierung in die Unternehmenswelt von "old Europe" kommen. Dabei ist es ziemlich gleichgültig, ob der amerikanische Manager aus Wisconsin oder aus Westfalen stammt, ob er in Massachusetts oder München studiert hat. Denn: "Der begeisterten Übernahme des American Way of Life in weiten Teilen des Alltags folgt nun die unreflektierte Einführung des American Way of Management in den Unternehmen", hat Ulrike Reisach beobachtet. Ihre langjährigen Erfahrungen mit Deutschen und Amerikanern in der "Amerikanisierungsfalle" hat sie nun detailliert in ihrem gleichnamigen Buch beschrieben. Die promovierte Betriebswirtin Reisach weiß, wovon sie schreibt, wenn sie die Amerikanisierung der Wirtschaft geißelt: Sie ist Direktorin der Strategieabteilung eines deutschen Großunternehmens.

Fluch des Kurzfristdenkens.


Reisach verbreitet keine antiamerikanischen Ressentiments, wenngleich ihre Analyse des amerikanischen Managements gnadenlos ist. Aber Fakten sprechen nun einmal für sich - und Amerikaner lieben harte Fakten, wie Reisach feststellt: Amerikanische Manager stützen sich auf Kennzahlen und Statistiken, sind fixiert auf die Effizienzsteigerung, ausschließlich an kurzfristigen Gewinnen und schnellem persönlichem Wohlstand interessiert, sind machtorientiert, strebsame Karrieristen, keine verantwortungsbewussten Mitunternehmer der Firma. Der von Reisach beschriebene Typ des amerikanischen Managers ist rein an individuellen Zielen orientiert - und damit gleichsam eine gesellschaftliche Pest und ein wirtschaftlicher Fluch - auch wenn die Autorin es in dieser Deutlichkeit nicht schreibt, sondern differenziert und sachlich argumentiert. Dennoch: Wer nur kurzfristig mit einem Dreijahresvertrag für ein Unternehmen arbeitet, muss in dieser Zeit für sich rausholen, was geht. Er entwirft keine langfristige Strategie für das Unternehmen, der er seine Planung unterwirft und nach deren Maßgabe er seine Mitarbeiter führt. Da Amerikaner extrem mobil sind und für ihre Karriere alle paar Jahre umziehen, entwickeln sie auch kein nennenswertes Verantwortungsgefühl für die Umwelt oder Gesellschaft. Soziale Ungleichheiten muss der freie Markt ausgleichen.
Reisach zufolge wurzeln diese Mentalität und das kurzfristige Denken des US-Managements in der Geschichte der USA. Die USA wurden erobert, das Land wurde der Natur und den Ureinwohnern ohne Kompromisse abgerungen. Wer nicht kämpfte, ging unter. Der jahrhundertelange Existenzkampf war zudem durch einen protestantischen Fundamentalismus religiös abgesichert. Denn die Puritaner wie all ihre nachfolgenden protestantischen Religionsgemeinschaften sehen Arbeiten und Ansammeln von Geld als gottgefällig an. Ja, die Jagd nach Erfolg ist geradezu kollektiver Auftrag der US-Amerikaner, wie schon die Gründungsväter der USA in der Unabhängigkeitserklärung festgelegt haben. Zu den von Gott gegebenen unveräußerlichen Rechten eines jeden Amerikaners gehören demnach das Recht auf Leben, auf Freiheit und der "pursuit of happiness" - das persönliche Streben nach Glück.

Unter dem Primat des Shareholder-Value.


Wirtschaftlich sind die Amerikaner mit dieser Haltung erfolgreich. Doch die Frage ist, wie lange ein Wirtschaftssystem bestehen kann, das einzig auf Ausbeutung von menschlichen und natürlichen Ressourcen basiert. Statt eine naheliegende globale Antwort zu geben, zeigt Ulrike Reisach, dass bereits einzelne Firmen unter dem kurzfristigen Handeln amerikanischer Manager leiden. Da sie sich ausschließlich am Kapitalmarkt orientieren, optimieren sie Unternehmen, bis deren Aktienkurs auf höchste Höhen gestiegen ist - um dann eine marktuntaugliche Unternehmensleiche zurückzulassen. Aber warum in die Ferne schweifen? Erst jüngst erlebte die deutsche Öffentlichkeit, wie amerikanische Managementmethoden die Handy-Sparte von Siemens in die BenQ-Katastrophe schlittern ließen. "Die langfristige Ausrichtung an einem sinn- und identitätsstiftenden Unternehmensziel ist nur noch ein Relikt von gestern", schreibt Ulrike Reisach - und meint damit wohl auch ihren Arbeitgeber, der in ihrem Buch selbstverständlich nur am Rande auftaucht.
Gerade in den großen Konzernen laufen die Manager seit Jahren in die Amerikanisierungsfalle, übernehmen unreflektiert die Methoden ihrer US-Kollegen und zerstören die aus der deutschen Mentalität erwachsenen Werte. Dabei bringt das Abgucken von fremdländischen Managementmethoden eigentlich nie langfristig nennenswerte Erfolge. Erinnert sich noch jemand an Kaizen? Das ist die Futon-Rolle des Managements. Japanische Manager hatten mit dieser Methode der permanenten Verbesserung ihre Industrie nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut. Kaizen ist dabei weniger eine Erfindung der Japaner gewesen als vielmehr Produkt der japanischen Mentalität und der zenbuddhistischen Geisteshaltung. Japanische Manager und Arbeitnehmer kannten nichts anderes, für sie ist die ständige Verbesserung so normal wie für deutsche Handwerker die ehrbare Tradition. Amerikanische und europäische Manager erhoben die Methode dann einige Jahre später zum Kult und verpflanzten sie in die Fertigungshallen ihrer Fabriken - und bekamen unternehmerische Bandscheibenvorfälle. Denn weder Kaizen noch Futon-Matratzen passen zu den europäischen Lebensgewohnheiten.

Das Beste aus zwei Welten.


Da die USA den Deutschen traditionell näher sind, als Japan es je sein wird, werden die amerikanischen Manager noch länger in der deutschen Wirtschaft mitreden. Wie gesagt - der amerikanische Manager kann auch aus Frankfurt stammen. Die Aufgabe für wirklich unternehmerisch denkende Führungskräfte liegt also darin, das Beste aus zwei Welten zu vereinen: Die deutsche Gründlichkeit mit dem amerikanischen Pragmatismus verbinden, die hiesige Expertenkultur mit der US-Flexibilität vereinen, das deutsche Verantwortungsbewusstsein und die amerikanische Risikofreude zusammenbringen. Deutsche Manager könnten aus einem riesigen Fundus aus Wissen und Erfahrung schöpfen, wenn sie sich von der kritiklosen Bewunderung des entfesselten Kapitalismus amerikanischer Prägung verabschieden würden. Um eine derartige eigenständige Denkleistung zu schaffen, sollten sie sich allerdings auf eine Tradition ihrer amerikanischen Freunde besinnen: den Stolz auf das eigene Land. Die Amerikaner wissen auf jeden Fall genau, was sie an Deutschland haben, wie Ulrike Reisach in ihrer lesenswerten und klaren Analyse des heutigen Managements in deutschen Konzernen schreibt. One more fact: "Zwar werden die boomenden Märkte in China und Indien hoch gelobt, faktisch aber fließen mehr als doppelt so viele amerikanische Investitionen nach Deutschland. Amerikanische Firmen haben in Deutschland mehr investiert als in irgendeinem anderen Land der Welt."

Ulrike Fokken ist freie Mitarbeiterin bei changeX.

Ulrike Reisach:
Die Amerikanisierungsfalle.
Kulturkampf in deutschen Unternehmen,

Econ Verlag, Berlin 2007,
282 Seiten, 19.95 Euro,
ISBN 978-3-430-20007-3
www.econ.de

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: Die Amerikanisierungsfalle. Kulturkampf in deutschen Unternehmen.. Econ Verlag, Berlin 1900, 282 Seiten, ISBN 978-3-430-20007-3

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