Auf der Suche nach dem dritten Weg
Eine 40-teilige Reportage über die Wirtschaftskanzlei Osborne Clarke. | Folge 19 |
Die Fußballer machen derzeit vor, was ein gutes Team bewirken kann. Doch gedeiht solcher Teamgeist vielleicht auf dem Weltmeisterschaftsrasen. In den Betrieben hingegen sieht es häufig anders aus. Endlose Meetings, sich produzierende Egomanen, ungleich verteilte Arbeit und abgeschobene Verantwortung, das ist die dunkle Seite der viel strapazierten Teamarbeit. Bei Osborne Clarke glaubt man dennoch daran, dass Teamarbeit auch in der Arbeitswelt eine Chance hat.
  
  WM-Fieber bei Osborne Clarke. Nicht nur
  vor Videoprojektionswand (Köln) oder Fernseher (Frankfurt)
  fiebern Anwälte und Mitarbeiter mit den Kickern. Natürlich gibt
  es auch eine Wettgemeinschaft. 53 Mitarbeiter haben je fünf Euro
  auf ihren Tipp gesetzt. Dem Sieger winkt ein Freiflug über Köln
  oder "weltmeisterlich essen gehen" für 265 Euro - sollte England
  gewinnen, könne man sich ja noch immer für den Flug entscheiden,
  heißt es süffisant in der Ausschreibung für das Gewinnspiel. Die
  Spannung wächst, und mancher Mitarbeiter wird es am Samstag
  bedauert haben, dass der Achtelfinalauftritt des deutschen Teams
  nicht auf einen normalen Arbeitstag fiel. WM-Begeisterung wie in
  anderen Betrieben auch? Bei Osborne Clarke indes scheint immer
  auch der Glaube mitzuschwingen, dass sich etwas von dem
  Mannschaftsgeist auf dem grünen Rasen auch in der Arbeit
  realisieren ließe. So, wie für die Kicker das Spiel ein Job ist -
  warum sollte dann, umgekehrt, der Job kein Spiel sein können? Mit
  Teamplayern wie auf dem Rasen? Doch ist Osborne Clarke keine
  Internet-Firma und auch keine Werbeagentur, sondern eine
  Anwaltskanzlei. Und in der Branche weht traditionell ein anderer
  Wind.
Zwischen Ausbeutung und Selbstausbeutung.
  Die Mehrzahl der deutschen
  Sozietäten ist immer noch geprägt vom Einzelanwalt, auch wenn
  sich mehrere Partner in einer Gemeinschaftskanzlei zusammengetan
  haben. Nach wie vor bearbeitet dort jeder Partner 
  seine Mandate und zieht sich 
  seinen Stamm von Zuarbeitern heran. Die Gemeinsamkeit
  erschöpft sich in der gemeinsamen Nutzung der
  Kanzleiinfrastruktur. In den großen Lawfirms hingegen herrscht
  eine Art tayloristischer Arbeitsorganisation: hier die
  Star-Anwälte, dort die Nachwuchsjuristen, die als Sachbearbeiter
  die Knochenarbeit machen. Sie sind nicht mehr als Wasserträger.
  Selten bekommen sie den Fall als Ganzes - geschweige denn einen
  Mandanten - zu Gesicht.
  
Osborne Clarke sucht einen dritten Weg zwischen
  Einzelanwalt und Lawfirm, zwischen individualisierter und
  tayloristischer Organisation, zwischen Selbstausbeutung und der
  Ausbeutung anderer. Es geht indes nicht allein um die Form, einen
  Betrieb zu organisieren. Im Grunde wurzelt die Suche nach einer
  anderen Organisationsform in einem anderen Verständnis von
  Arbeit.
  
Zum Beispiel Hassan Sohbi. Der 39-jährige Anwalt arbeitete
  bei einer renommierten Frankfurter Kanzlei, hatte einen guten Job
  und gute Karrierechancen. Letztlich jedoch war ihm diese Karriere
  zu vorhersehbar. Als sich die Chance bot, zusammen mit drei
  Kollegen die Gründung des Frankfurter OC-Büros zu wagen, war er
  dabei. Was ihn reizte, das war die Möglichkeit, etwas Neues
  auszuprobieren: eine andere Art zu arbeiten und eine ziemlich
  grundlegende Veränderung der Arbeitsstrukturen. Ihm geht es um
  die Bildung von "echten Teams", er will "wirklichen Teamgeist"
  etablieren und die Ellenbogenmentalität, die einer
  Spezialisierung im Wege steht, zurückdrängen.
Gleiche Augenhöhe.
Teamarbeit als modernistisches Aushängeschild eines Kanzlei-Start-ups kommt für ihn nicht in Frage, schon aus Gründen der Offenheit gegenüber den Mandanten. "Persönlich hätte ich ein Problem damit, Mandanten zu überzeugen, die selbst in Teamstrukturen arbeiten, wenn wir nur nach außen verkaufen würden, ein Team zu sein, wären es aber dann doch nicht." Es geht somit auch um das Verhältnis von Innenwelt und Außenwelt: Die Kanzlei als geschützten Binnenraum kann es nicht geben: "In einer arbeitsteiligen Welt muss auch eine Sozietät arbeitsteilig organisiert sein", fordert Sohbi. Dies gilt zumal dann, wenn sich diese Sozietät mehr an jungen Unternehmen in wachstumsstarken Branchen ausrichtet als am traditionellen Mittelstand. Der residierende Einzelanwalt alter Schule mag zum autokratischen Mittelständler passen, aber nicht zu einem Start-up, das eben den Börsengang vorbereitet (oder sich Rat holt, ob es damit nicht noch ein paar Monate warten sollte). Die gleiche "Augenhöhe" zu den Mandanten zu haben ist den OC-Anwälten wichtig, nicht nur organisatorisch, sondern auch im Hinblick auf die technische Ausstattung mit Laptop, E-Mail und Dokumentenmanagementsystem.
Lernen, Wissen zu teilen.
  Schließlich geht es auch um eine
  andere Form der Wissensorganisation. Wer seinen Mandantenstamm
  hütet wie die Glucke die Küken, der schottet sie ab - auch vor
  dem Wissen der Kollegen. Doch auch in der Juristerei erfordert
  wachsende Komplexität eine Spezialisierung. Abschottung und
  Einzelkämpfertum führen letztlich zu sinkender Qualität.
  "Durchlässigkeit" ist deshalb ein häufig zitiertes Wort bei
  Osborne Clarke. Es meint, dass nicht nur ein Anwalt an einem
  Mandat arbeitet, sondern mehrere. Und nicht nur der, der es
  akquiriert hat, sondern derjenige, der über die meiste Kompetenz
  verfügt. "Es ist völlig gleichgültig, wer das Mandat bearbeitet",
  sagt Matthias Terlau, promovierter Jurist aus dem Kölner Büro,
  "wir müssen sehen, dass wir auf dem höchsten Qualitätsstand sind,
  der möglich ist."
  
In der Regel sind stets zwei Anwälte mit einem Mandat
  vertraut und können sich wechselseitig vertreten. Zudem wird
  teamübergreifend Wissen nutzbar gemacht. Für den Mandanten hat
  das den Vorteil, dass er schnell einen kompetenten
  Ansprechpartner an der Strippe hat. Und die Formulierung "Da muss
  ich mich erst einlesen" nicht mehr zu hören bekommt. Von den
  Anwälten erfordert das eine Fähigkeit, ohne die man auch auf dem
  Fußballfeld nicht weit kommt. "Man muss lernen abzugeben", sagt
  Imping. Als Mittelfeldspieler weiß er, was das heißt.
Winfried Kretschmer, Journalist und Autor, arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.
Das Bild oben zeigt Hassan Sohbi.
Die nächste Folge erscheint kommenden Montag.
Zur Übersicht aller erschienenen Folgen.
© changeX [17.06.2002] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
changeX 17.06.2002. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.
Artikeltags
Osborne Clarke / Serie
Weitere Artikel dieses Partners
Eine 40-teilige Reportage über die Wirtschaftskanzlei Osborne Clarke. | Folge 40 | zum Report
Eine 40-teilige Reportage über die Wirtschaftskanzlei Osborne Clarke. | Folge 39 | zum Report
Eine 40-teilige Reportage über die Wirtschaftskanzlei Osborne Clarke. | Folge 38 | zum Report
Autor
Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Autor, Redakteur & Macher bei changeX.



