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Marketing in der Anerkennungsökonomie – ein Essay von Nora S. Stampfl.
Text: Nora S. Stampfl

Werbung ist nicht länger exklusives Spielfeld von Marketingabteilungen. Immer mehr Internetnutzer produzieren eigene Werbeclips und verbreiten sie im Web. Sie suchen Anerkennung, machen aber den Unternehmen die Hoheit über ihre Werbebotschaften streitig. In der neuen Ökonomie der Anerkennung ist Marketing keine Einbahnstraße mehr. Unternehmen müssen Kunden auf Augenhöhe begegnen und mit ihnen ins Gespräch kommen.

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Auf der Webseite „The Sheep Market“ versammeln sich 10.000 Schafe. Innerhalb von 40 Tagen entstand diese digitale Schafherde, gezeichnet von Tausenden über den gesamten Globus verstreuten Menschen, für zwei US-Cent pro Stück. Ermöglicht hat dieses ungewöhnliche Projekt der vom Internethändler Amazon betriebene Webservice Mechanical Turk. Dieser Internetmarktplatz ermöglicht es Unternehmen, Arbeitskräfte zu finden, die simple Tätigkeiten verrichten, welche nicht automatisierbar sind: etwa Identifizieren von Objekten auf Fotos, Anfertigen kurzer Produktbeschreibungen, Verfassen von Textzusammenfassungen, die Niederschrift von Podcasts – oder eben das Zeichnen von Schafen. „Draw a sheep facing to the left“, lautete der leicht nachvollziehbare Arbeitsauftrag.
Je nachdem, durch wessen Brille man blickt, fällt die Würdigung dieses Projekts unterschiedlich aus: Für seinen Initiator, Aaron Koblin, bedeutet The Sheep Market eine kritische Auseinandersetzung mit der Arbeitswelt der Zukunft, während Amazon das Projekt als großartig gelungenes Beispiel dafür sieht, wie man eine Unmenge von Menschen dazu bringen kann, schnell, ohne großen Aufwand und billig Aufträge zu erfüllen. Aber es bleibt immer noch die Frage, aus welchen Gründen Menschen erhebliche Zeit aufwenden, um Schafe zu zeichnen – für einen Stundenlohn von ungefähr 0,69 US-Dollar?


Anerkennung wird zur neuen Währung


Angesichts des vielerorts im Internet zu beobachtenden Tatendrangs, dem oftmals keine oder eine äußerst geringe monetäre Vergütung gegenübersteht, wird augenscheinlich: Es muss andere Gründe abseits von Geld geben, warum Menschen tätig werden. Die freiwilligen Arbeitsdienste, wie etwa das Verfassen von Buchrezensionen auf Amazon.com, das Verfassen von Produktbeurteilungen auf Bewertungsplattformen, die Hilfestellungen in Foren für diverse Problemstellungen, all dies folgt anderen Gesetzmäßigkeiten, als wir es von der herkömmlichen Geldökonomie kennen.
Der Wirtschaftsnobelpreisträger Herbert A. Simon benannte schon 1971 die Informationsüberflutung als wesentliche Ursache für das Entstehen der Aufmerksamkeitsökonomie: Ein Überfluss an Information schaffe einen Mangel an Aufmerksamkeit. Dadurch entstehe das Bedürfnis, die Aufmerksamkeit unter den Informationsanbietern, die die Aufmerksamkeit aufsaugen, effizient zu verteilen. (1) Georg Franck (2) und Michael H. Goldhaber (3) gingen in den 1990er-Jahren weiter und stilisierten Aufmerksamkeit zur neuen Währung: Aufmerksamkeitstransaktionen würden in unserem Wirtschaftssystem neben finanzielle Transaktionen treten und diese sogar verdrängen.
Die Mitmach-Kultur des heutigen Internets befördert jedoch nicht nur die Suche nach Aufmerksamkeit, sondern mehr noch: Anerkennung wird zur neuen Währung. In unserer Welt werden soziale Bindungen schwächer, industriegesellschaftliche Lebensformen wie Klasse, Geschlechterrolle, Familie lösen sich auf und werden abgelöst durch solche, in denen Individuen ihren Lebenslauf selbst wählen und zusammenstellen. Wenn früher viele Lebens- und Konsumentscheidungen sozial determiniert waren, so müssen sie heute aktiv getroffen werden. Die Identitäts- und Sinnfindung wird zur individuellen Leistung. Identität entsteht immer nur im Zusammenwirken mit der Umwelt; die Anerkennung, die wir von anderen erhalten, schärft unser Eigenbild.
Aber die natürlichen Orte der Anerkennung schwinden. Was früher den Kitt zwischen Familienmitgliedern, Freunden oder auch Kollegen ausmachte, holt man sich heute beim digitalen Freundeskreis. Die Anzahl von Google-Treffern, von Lesern eines Blogs, von „Freunden“ auf Facebook oder StudiVZ und von Kontakten auf professionellen Networking-Plattformen wie Xing oder LinkedIn sind Maßgrößen für Anerkennung. Nicht nur ist das Netz eine beinahe unerschöpfliche Quelle von Anerkennung, auch kann der Nutzer großen Einfluss darauf nehmen, in welcher Form und Menge Anerkennung zu erhalten ist. Heute wird nicht mehr nach Identität gesucht, sie wird konstruiert. Angesichts des andauernden Rufes nach Eigenverantwortung, Flexibilität und Individualität sind Konsumenten heute getrieben von der Optimierung des Ich.
Zwar war Anerkennung immer schon eine Triebfeder für Menschen: Sie bestimmt in hohem Maße, was wir tun, wie wir es tun, und nicht zuletzt auch unser Denken. Jedoch führen neue Wege der Kommunikation immer auch zu neuen Möglichkeiten, Anerkennung zu erhalten. In diesem Sinne ist jedes gezeichnete Schaf ein Beitrag im Ringen um Anerkennung, das nicht zuletzt auch im Internet tobt. Nie zuvor existierten mehr Optionen der medialen Kommunikation und Unterhaltung als heute: Fernsehen, Computer, Spielkonsolen, Mobiltelefone und vieles mehr. Der primäre Fokus der Aufmerksamkeit indessen konzentriert sich auf das Internet: Surfen, Chatten oder das Spielen von Onlinespielen haben das Fernsehen als wichtigstes Unterhaltungs- und Informationsmedium verdrängt. Unternehmen müssen dieser Verlagerung der Interessen folgen: Insbesondere Werbung muss Kunden erreichen, wo, wann und wie diese es wollen.
Die Schafezeichner sind ein gutes Beispiel dafür, was gemeinhin mit Mitmach-Kultur des Web 2.0 umschrieben wird: Das Zeichnen von Schafen verleiht ein Gefühl der Partizipation, der Zeichner möchte dabei sein, mitgestalten, Teil einer gemeinsamen Sache sein. All dies sind Mittel zur Selbstdarstellung und Wege, dem wachsenden Bedürfnis nach persönlicher Bedeutsamkeit Ausdruck zu verleihen. Anerkennung wird somit zu einem ökonomischen Wert an sich. Dies hat zur Folge, dass Menschen Dinge tun, einzig und allein, weil sie um die Anerkennung anderer Menschen buhlen, und nicht etwa, weil sie vorrangig Geld verdienen möchten.


Marketing im Mitmach-Netz


Die Ablösung der Ökonomie des Geldes durch die Ökonomie der Anerkennung ist auch im Marketing angekommen und eröffnet neue Möglichkeiten der Kundenbeziehung, birgt jedoch auch viele neue Herausforderungen in sich. Der Drang der Internetnutzer zum Mitmachen und zur Selbstdarstellung führt zur zunehmenden Ablösung einseitiger Informationsaussendung durch medienvermittelte Interaktionen. Internetnutzer sind nicht länger nur Empfänger von Inhalten, sondern produzieren diese auch selbst. Dabei bezieht sich die Produktion und Verbreitung von digitalen Inhalten auch immer stärker auf ein ureigenes Metier von Unternehmen: Werbebotschaften über deren Produkte und Dienstleistungen.
Tatsächlich gibt es mittlerweile eine Unmenge von Werbefilmen im Netz, die von privaten Internetnutzern produziert und veröffentlicht wurden. Das sogenannte Consumer Generated Advertising (CGA) entsteht, indem existierende Werbeclips manipuliert oder neue Botschaften gestreut werden, weil die Filmer ihre – positive oder negative – Meinung zu Unternehmensleistungen kundtun wollen.
Konsumenten werden technisch immer versierter. Nie zuvor war es für Privatpersonen einfacher, Botschaften über Kanäle, die herkömmlich der Medienindustrie vorbehalten waren, einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen: Werkzeuge zur Herstellung von digitalen Inhalten in Bild, Video und Ton sind kostenlos im Internet verfügbar und kinderleicht zu bedienen. Gleichzeitig werden Videosharing-Plattformen wie YouTube immer populärer, wo zunehmend auch selbst produzierte Werbefilmchen – nicht selten subversiver oder satirischer Art – zur Schau gestellt werden. Solche Plattformen bieten völlig neue Möglichkeiten für Mundpropaganda und potenzieren deren Wirkung: Denn im Zeitalter des Internets bildet nicht mehr lediglich der persönliche Freundes- und Bekanntenkreis das Publikum für Lobgesänge oder Schimpftiraden, sondern potenziell die weltweite Öffentlichkeit. Für Unternehmen erhöht die gewachsene Macht der Mundpropaganda den Zwang, die unaufgeforderte und unbezahlte Kommunikation in die gewünschten Kanäle zu lenken.
Unternehmen können die selbst erkorenen Werbefilmer und ihre Botschaften im Netz nicht einfach ignorieren. Und viele Unternehmen wollen dies auch nicht. In einer Zeit, in der die Skepsis gegenüber Werbung zunimmt und die Aufnahmefähigkeit und -willigkeit der Umworbenen schwindet, suchen Marketingabteilungen nach neuen Wegen, ihre Botschaften an den Mann oder an die Frau zu bringen. In vielen Teilen der Welt werden wahre Feldzüge gegen Werbung entfacht; so verbannen etwa immer mehr Städte Werbetafeln aus ihrem Stadtbild: Im brasilianischen São Paolo, in den US-Bundesstaaten Vermont, Maine, Hawaii und Alaska sowie im norwegischen Bergen wurde der Schilderwald abgeholzt, in Paris ist jegliche Werbung auf historischen Gebäuden und Plätzen verboten. Und im Internet, wo ein großer Teil des Werbebudgets um die Aufmerksamkeit der Kunden wirbt, scheinen diese weitgehend immun gegen die dort gebräuchlichste Werbeform, den Banner. Dieser verleitet immer weniger Internetsurfer zum Klick, ganz im Gegenteil: Bannerwerbung wird von etlichen Internetnutzern als immenser Störfaktor beim Surfen empfunden.
Da Kunden offensichtlich müde sind, sich ständig und bei jeder Gelegenheit von Werbung berieseln zu lassen, eröffnet die Mitmach-Kultur des Internets neue Wege, einen effektiven Kontakt mit Kunden aufzubauen. Immer öfter gehen Unternehmen den ersten Schritt in diese Richtung: Anstatt abzuwarten und darauf zu hoffen, dass Internetnutzer mit einem strategiekonformen Werbefilm kostenlos die Werbetrommel für ihr Unternehmen rühren, werden Unternehmen selbst aktiv oder schaffen Anreize etwa in Form von Wettbewerben, damit selbst gestrickte Werbung Aufmerksamkeit auf das Unternehmen lenkt.


Kunden machen Werbung


Auf eine Gratwanderung zwischen Glaubwürdigkeit und Täuschung begeben sich Unternehmen mit „Astroturfing“-Produktionen. Mit dieser Methode springen sie auf den Zug der selbst gemachten Werbung auf und ahmen das Amateurhafte nach, das den von Internetsurfern gemachten Clips anhaftet. Diese Art von Werbung soll den Anschein einer spontanen Graswurzelaktion hervorrufen, ohne dass die Unternehmen freilich das Heft aus der Hand geben. (Der Name dieser Methode leitet sich vom Markennamen eines Kunstrasens – „Astro Turf“ – ab, wie er beispielsweise in Sportstadien verwendet wird: „Astroturfing“ soll also eine künstliche Graswurzelbewegung bezeichnen.) Riskant ist ein solches Vorgehen deshalb, weil die Linie zwischen akzeptablem Vortäuschen und inakzeptablem Betrug hauchdünn ist und – insofern der Eindruck des Letzteren bei den Kunden entsteht – mit unvorhersehbaren Folgen zu rechnen ist.
Dahingegen wartet eine ganz andere Art von Risiko auf Unternehmen, die den anderen Weg gehen und Internetnutzer dazu anhalten, eigene Werbeclips zu erstellen: Bestimmt der Konsument die Werbebotschaft, geht die Kontrolle darüber verloren. Es gibt keine Garantien, dass Internetnutzer nur solche Werbefilme produzieren, deren Botschaften der Unternehmensstrategie entsprechen – ganz im Gegenteil zeigt die Erfahrung, dass auf diesem Weg immer wieder auch vernichtende Produkturteile im Netz landen.
Eine Reihe von Unternehmen haben sich nichtsdestotrotz auf dieses unsichere Terrain gewagt. Sie haben vorgemacht, dass das aktive Zugehen auf die werbefilmschaffende Internetgemeinschaft ein wirkungsvoller Weg sein kann, Kundensegmente anzusprechen, die durch traditionelles Marketing äußerst schwer zu erreichen sind, und sich darüber hinaus das hohe Verbreitungspotenzial kundengenerierter Werbung zu sichern, die sich nicht selten lawinenförmig im Internet ausbreitet. Von Kunden ins Rampenlicht gesetzte Werbebotschaften garantieren zudem ein hohes Maß an Authentizität und Glaubwürdigkeit, da der von einem anderen Nutzer abgegebenen Empfehlung mehr Objektivität zugesprochen wird.
Frühe Beispiele für die neue Werbeform kommen aus den USA. Als der Sportschuhhersteller Converse 2004 Amateure wie auch professionelle Filmemacher einlud, ein 24 Sekunden langes Video zu produzieren, in dem sie sich mit ihren Converse-Sneakers zeigen sollten, erhielt das Unternehmen 750 Einsendungen, von denen eine Auswahl in Fernsehen und Internet gezeigt wurde. Diese Clips stellten sich als Zuschauermagnet heraus. Dass Firmen beim Einsatz von kundengenerierter Werbung die Kontrolle über die Marketingbotschaft aus der Hand geben und dass keinesfalls immer nur mit positiven Werbeclips aus Kundenhand zu rechnen ist, musste indessen die Automobilfirma Chevrolet erfahren. Der Autobauer erhielt im Jahr 2006 bereits 30.000 Einsendungen, als er Nutzer aufforderte, Werbefilme für ein neues SUV-Modell zu erstellen. Dabei standen vorgefertigte Videoclips, Soundtracks sowie ein Editierprogramm zur Verfügung. Zwar erhielt der Autohersteller auch unzählige Clips, die das Fahrzeug nicht im besten Lichte präsentierten und die ökologischen Mängel anprangerten, jedoch war sich Chevrolet dieses Risikos durchaus bewusst und nahm es in Kauf. Auch wusste man um die Macht der Blogosphäre und war sich darüber im Klaren, dass Zensur einen erheblichen Imageschaden verursachen würde.


Unternehmen und Kunden auf Augenhöhe


Unternehmen sind gewohnt, ihre Marketingbotschaften zu diktieren und weitgehende Kontrolle über ihre Kommunikation zu behalten. Die Möglichkeiten des Internets, Inhalte zu verlinken, auf sie zu verweisen, Kommentare und Bewertungen abzugeben, sowie diverse andere Formen digitaler Mundpropaganda tragen aber dazu bei, dass sich Meinungen von Kunden über Produkte und Dienstleistungen in Windeseile verbreiten und nur schwer steuern lassen – wie dies bei herkömmlichen Kampagnen der Fall war. Die Kontrolle über die Kommunikation wandert von den Markenmanagern zu den Kunden ab. Dadurch entsteht die Gefahr, dass die ursprünglichen Produktbotschaften verwässert oder verfälscht werden.
Das Marketing muss daher lernen loszulassen. Denn eine Marke wird nur dann lebendig bleiben, wenn sie auf diese neuen Phänomene der Kundenkommunikation angemessen reagiert. Eine aktive Herangehensweise ist daher unumgänglich. Spätestens dann, wenn Consumer Generated Advertising im Netz auftaucht, wird sich der Markenmanager entscheiden müssen, wie das Unternehmen mit den Inhalten umgehen soll. Da Grundprämissen der neuen sozialen Medien Ehrlichkeit und Offenheit sind, verliert ein Unternehmen bei Kontrolle oder Zensur der Inhalte oder gar einer Klage wegen Verstoßes gegen das Markenrecht jegliche Glaubwürdigkeit. Spielt es hingegen auf Augenhöhe mit den Kunden, antworten die Markenverantwortlichen also in Foren oder Weblogs offen dem Urheber, dann akzeptiert das Unternehmen die neuen Spielregeln und zeigt, dass es seine Kunden ernst nimmt.
Es hängt daher stark von der Art der Reaktion ab, ob sich Imageschäden für Produkt und Unternehmen ergeben oder vermeiden lassen. Als ein Lehrer 2004 einen selbst gebastelten Werbeclip für Apples iPod auf seine Homepage stellte, der dann innerhalb von wenigen Tagen 37.000 Zuschauer fand, tat Apple wahrscheinlich genau das Richtige: Das Unternehmen reagierte überhaupt nicht. Mit einer Klage wegen Urheberrechtsverletzung hätte das Unternehmen wenig mehr gewonnen, als den Hohn und Spott der Internetgemeinde auf sich zu ziehen. Und damit auch jede Menge negative Publicity.
Genau diese Erfahrung musste der Softdrinkhersteller Coca-Cola machen, als auf YouTube ein Video zum Renner wurde, das die explosive Wirkung von Coke Light plus Mentos-Pfefferminzbonbons zeigte und eine Reihe von Nachahmern inspirierte, mit dieser Mischung zu experimentieren. Coca-Cola zeigte sich daraufhin wenig humorvoll: Eine Sprecherin des Unternehmens riet dazu, seine Produkte besser zu trinken, als damit Experimente zu veranstalten. Verrücktheiten mit Mentos würden nicht zur Markenpersönlichkeit passen. Mentos hingegen reagierte selbstbewusster, beobachtete die sich schnell ausbreitenden Tests mit den Cola-Fontänen, freute sich über die kostenlose Werbung, sponserte schließlich sogar eine Fortsetzung der Versuche und verbreitete deren Ergebnisse im Internet.
Indem Mentos den Kunden in den Marketingprozess einbezog, hat der Bonbonhersteller dem veränderten Selbstbild und Informationsverhalten des Verbrauchers Rechnung getragen. Der Konsument von heute ist nicht länger nur Empfänger, sondern ebenso Sender von Informationen. Der Kunde rückt stärker ins Zentrum von Marketingaktivitäten, und zwar nicht bloß im Sinne der Beobachtung dessen, was er tut, sondern durch den Aufbau von Dialogen. Weil Kunden selbst Inhalte schaffen, werden sie Teil der Marke: Dies erzeugt eine stärkere Bindung, bringt positive Empfehlungen und langlebige Kundenbeziehungen. Der Kunde auf der Suche nach Anerkennung zeigt größeres Engagement für eine Marke, weil er sich als Mitglied einer Gemeinschaft fühlt und nicht bloß als „Target“ von Marketingbemühungen.


Märkte sind Gespräche


Das Beispiel des Consumer Generated Content zeigt, dass in der heutigen Anerkennungsökonomie gänzlich veränderte Spielregeln für das Marketing und die Kommunikation mit den Kunden gelten. Mehr denn jemals zuvor blenden Kunden alles für sie Irrelevante aus; Aufmerksamkeit wird bewusst ausgewählten Inhalten geschenkt. Diese Vorgehensweise ist auch nur schlüssig. Denn im Zeitalter der viel beklagten Informationsüberflutung muss eine Auswahl getroffen werden. Zudem verändert, ja demokratisiert sich die Informationslandschaft: Nicht mehr einige wenige konzentrieren die Macht des Informationsangebots auf sich, sondern jeder Internetnutzer kann auf einfache Art und Weise Informationen an ein breites Publikum aussenden. Damit verlieren die Massenmedien ihre Dominanz als Meinungsführer. Und Kunden billigen den Empfehlungen unbeteiligter Stimmen oftmals mehr Glaubwürdigkeit zu als Informationen aus den Marketingabteilungen.
Laut zu sein und durch aggressives Auftreten die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, wird im ständig dichter werdenden Informationsdschungel keinen Erfolg mehr versprechen. Monologe mit möglichst großer Reichweite sind ein Auslaufmodell des Marketings. Unternehmen müssen in der aufziehenden Ökonomie der Anerkennung andere Arten der Kundenansprache finden. „Märkte sind Gespräche“, stellte schon das Cluetrain Manifest (4), eine 1999 im Internet veröffentlichte Sammlung von 95 Thesen über das Verhältnis von Unternehmen und ihren Kunden im Zeitalter des Internets, in seiner Eingangsthese fest. In diesem Sinne sollte Werbung als Einladung zur Interaktion aufgefasst werden: Kunden wünschen Dialoge und suchen Anerkennung.

Literatur

(1) Simon, Herbert A. (1971): „Designing organizations for an information-rich world“. In: Greenberger, Martin (Hrsg.): Computers, communications, and the public interest, Baltimore, S. 37–72.
(2) Franck, Georg (1993): „Ökonomie der Aufmerksamkeit“. In: Merkur, 47. Jg., Heft 534/535, S. 748–761.
(3) Goldhaber, Michael H. (1997): „The attention economy and the Net“. In: First Monday, Vol. 2, Nr. 4. URL: http://firstmonday.org/htbin/cgiwrap/bin/ojs/index.php/fm/article/view/519/440. Stand: 24.02.2009.
(4) In gedruckter Fassung: Levine, Rick et al. (2000): The Cluetrain Manifesto. Cambridge, MA.


Zitate


"In der neuen Ökonomie der Anerkennung ist Marketing keine Einbahnstraße mehr. Unternehmen müssen Kunden auf Augenhöhe begegnen und mit ihnen ins Gespräch kommen.“ Nora S. Stampfl "Werbung zum Mitmachen"

"Werbung sollet als Einladung zur Interaktion aufgefasst werden: Kunden wünschen Dialoge und suchen Anerkennung.“ Nora S. Stampfl: Werbung zum Mitmachen

"Monologe mit möglichst großer Reichweite sind ein Auslaufmodell des Marketings.“ Nora S. Stampfl: Werbung zum Mitmachen

"Werbung muss Kunden erreichen, wo, wann und wie diese es wollen.“ Nora S. Stampfl: Werbung zum Mitmachen

"Die Mitmach-Kultur des heutigen Internets befördert jedoch nicht nur die Suche nach Aufmerksamkeit, sondern mehr noch: Anerkennung wird zur neuen Währung.“ Nora S. Stampfl: Werbung zum Mitmachen

 

changeX 12.03.2010. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Autorin

Nora S. Stampfl
Stampfl

Nora S. Stampfl studierte Wirtschaftswissenschaften in Österreich (Mag. rer. soc. oec.) und den USA (MBA). Sie arbeitet als Unternehmensberaterin und Zukunftsforscherin in Berlin. Den Arbeitsschwerpunkten strategische Unternehmensführung, gesellschaftlicher Wandel und Zukunftsfragen widmet sie sich auch als Autorin.

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