Social Business 2009

Vor dem Vision Summit: ein Rückblick auf ein Jahr im Social Business. Folge 4: Entrepreneurship ahoi!
Text: Annegret Nill

Das Soziale neu begreifen. Nicht als Schwamm, der Spenden und Transferleistungen aufsaugt, sondern als Aktionsfeld unternehmerischer Verantwortung: Das ist der Kern von Social Business. Das Ziel: Soziale Projekte tragen sich selbst. In Deutschland differenziert sich dieses Feld mehr und mehr aus. Annegret Nill hat für changeX die Diskussionen ein Jahr lang begleitet. Hier ihr Report.

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Dezember 2008. Wiederum einen anderen Ansatz verfolgt Günter Faltin, Professor für Entrepreneurship an der Freien Universität Berlin (FU), beim Folgeworkshop des zweiten Vision Summit im Dezember 2008. Die Zielgruppe sind Studenten und Interessierte, die mehr darüber wissen wollen, was Entrepreneur-Sein bedeutet. Wie denkt und handelt ein Entrepreneur? Und wie wird man eigentlich selbst ein Entrepreneur – speziell: ein Social Entrepreneur – wenn man nur wenig Ressourcen und noch weniger Ahnung hat? Dies sind die Fragen, die bei Faltins Veranstaltung im Henry-Ford-Bau der FU den Tagesplan bestimmten.


Entrepreneurship ahoi.


Experte Faltin macht dem potenziellen Entrepreneur-Nachwuchs erst einmal Mut. Seit Mitte der 1980er-Jahre nimmt die Zahl kleiner Unternehmen zu, sagt er in seiner Keynote Speech im großen Hörsaal, der etwa zur Hälfte gefüllt ist. Größe werde in Zukunft nicht mehr so wichtig sein. Was zählt, ist das Konzept, das hinter einer Gründung steht. Die Anfangsidee kann daher nur das allererste Ausgangsmaterial sein – für einen sich anschließenden Denkprozess, bei dem die Idee dann Gestalt annimmt. Das Ziel: herauszufinden, ob dies wirklich genau das ist, was der zukünftige Entrepreneur machen möchte. Weitere Ideen um die Ursprungsidee herum zu entwickeln. Originell zu sein. Die Sichtachse zu erweitern. Ein Beispiel: Ein Teilnehmer möchte etwas mit Hunden machen. Okay, was fällt allen dazu ein? Gassi gehen natürlich, der erste Gedanke. Aber was ist noch möglich? Man könnte Reisen für Hundehalter anbieten. Ein Fest. Oder vielleicht eine Geschichte des Hundes schreiben.
Genau das ist gemeint mit der erweiterten Sichtachse: die Grundidee aus anderer Perspektive zu betrachten. Weitere Unternehmensstandbeine können die Folge sein. Vielleicht entfernt sich das Konzept dabei auch weit von der Anfangsidee. Erst wenn die Idee voll entwickelt ist, folgt der nächste Schritt: zu schauen, welche Konkurrenten es schon auf diesem Gebiet gibt. Was machen sie, was kann man selbst anders machen?
Faltin meint: Die Funktion ist das, was zählt – nicht der übliche Vertriebsweg, nicht die bisherige Konvention. Beispiel Teekampagne, Faltins Gründung, die ihm den Gründerpreis 2009 eingebracht hat: Die Aufgabe ist, den Tee von der Plantage zum Verbraucher zu bringen. Konventionell läuft dies über Teehandlungen. Aber sind die wirklich notwendig? Nein, erklärt Faltin. Heute geht vieles auch direkt über das Internet. Die Frage ist: Aus welchen Komponenten setzt sich die Geschäftsidee zusammen? Welche davon sind wirklich notwendig für das eigene Business? Lassen sie sich vielleicht neu kombinieren? An welchen Stellen kann man andere Dienstleister punktuell nutzen, beispielsweise in den Bereichen Buchhaltung oder Logistik?


Entrepreneurship für jedermann.


Wie die Beispiele zeigen: Hier geht es nicht nur darum, die Idee von Social Entrepreneurship zu verbreiten – sondern die Idee von Entrepreneurship allgemein. Es geht darum, unternehmerisches Denken nicht als abgehobenes Ding der großen Akteure zu sehen, sondern es runterzubrechen auf die alltägliche Ebene von jedermann. So verliert es seinen Nimbus, verändert seine Bedeutung, und wird dadurch handhabbar. Es wird zu etwas, was man lernen und üben kann – wie in Faltins Labor für Entrepreneurship, das während des Semesters fast wöchentlich tagt.
Wichtiger als die Theorie ist für die aktionshungrigen Teilnehmer des Follow-up-Workshops dabei das Basteln in kleinen Grüppchen an der eigenen Idee. Dies geschieht in den kleineren Praxis-Workshops zu Ideenfindung und Ideenentwicklung, die sich in den verschiedenen Hörsälen durch den Tag ziehen, unterbrochen von kleinen Input-Referaten. Sich kennenlernen, sich über die Ideen unterhalten und sich an einer festbeißen, das alles braucht Zeit. Nachmittags geht es dann richtig zur Sache. Die Grüppchen, die sich gefunden haben, arbeiten konzentriert daran, ihre Ideen so weiterzuentwickeln, dass sie im Abschlussplenum vorgestellt werden können. Dazu haben sich die Teilnehmer über das gesamte Gebäude verteilt. Die beiden Lehramtsstudierenden Manuel und Roy steigen langsam die Treppe zum kleinen Hörsaal D hoch. Ihre Idee: Sie möchten die Kampfkunst an die Schulen herantragen, als Mittel zur Konzentration und Entspannung für die Schüler inmitten ihrer Stoffberge. Sie überlegen, wie sie ihre Idee so vorstellen können, dass sie damit Eindruck bei den anderen schinden: „Wir wollen ja, dass die Idee hängen bleibt“, sagt Manuel zu Roy, dem Karate-Experten, „und das erreicht man durch Aktion. Welche Karate-Aktion geht schnell?“
Im Foyer sitzt derweil eine große Gruppe im Kreis vor einem Flipchart, auf dem die verschiedenen Aspekte zum Thema dezentrale Energieversorgung zusammengetragen werden. Sie wenden Faltins Vortrag vom Morgen gleich an und unterscheiden zwischen der Funktion, der Konvention und den Komponenten, die die Idee enthält. Plötzlich schallt ein lauter Schrei durch den Henry-Ford-Bau, alle halten inne und drehen die Köpfe. Dann ist es wieder ruhig, die Köpfe kehren zum Flipchart zurück. Der Schrei kam von oben, von Roy, der das Karate-Kunststück geprobt hat, das er gleich auf der Bühne wiederholen wird. „Gesunder Geist“ haben die beiden ihre Schulidee genannt, und die Teilnehmer des Abschlussplenums sind begeistert.


Eine Idee breitet sich aus.


Bei allen Unterschieden in Herangehensweise und Publikum, die die Veranstaltungen des letzten Jahres auszeichnen, wird doch eins klar: Hier verfestigt sich ein neuer Ansatz. Social Entrepreneurship hat im Lande Einzug gehalten. Als Forschungsgegenstand der Wissenschaft, als Lehrfach an den ersten Hochschulen – Grameen richtet gerade einen Lehrstuhl für Social Business an der European Business School in Oestrich-Winkel ein –, als interessanter Ansatz für soziale Akteure und solche, die es werden wollen. Auf Veranstaltungen wie denen von Ashoka und GETIDOS trifft man Stiftungsvertreter, die nach lohnenswerten Förderprojekten suchen und bereit sind, die Unterstützung zu geben, die Social Entrepreneure anfänglich brauchen.
Der unternehmerische Ansatz im Sozialen breitet sich also aus, Netzwerke und eine Infrastruktur entstehen. Und das ist genau das, woran sie trotz Differenzen alle arbeiten: die Macher vom Grameen Creative Lab ebenso wie Ashoka, das selfHUB und das Genisis Institute, das zusammen mit der Stiftung für Entrepreneurship von Günter Faltin am Wochenende den dritten Vision Summit in Berlin steigen lässt. Wir sind gespannt.


changeX 07.11.2009. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Annegret Nill
Nill

Annegret Nill arbeitet als freie Journalistin, Autorin und Moderatorin in Berlin. Sie schreibt als freie Autorin für changeX.

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