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Beste Bohne

Ein teuflisches Zeug - das neue Buch von Stewart Lee Allen.

Von Petra Günzel

Auf den Spuren der Kaffeebohne bereiste der Abenteurer und Journalist Stewart Lee Allen die halbe Welt. Mitgebracht hat er eine ebenso amüsante wie fesselnde Story, die zwischen sorgfältig recherchierter Kulturgeschichte und unterhaltsamen Anekdoten den Bogen von der Blütezeit bis zum Niedergang des Kaffees schlägt.

Für viele ist er nicht mehr als ein teuflisches Gesöff, für andere hat er schlichtweg die Bedeutung eines Lebenselixiers. Wer sich als passionierter Kaffeetrinker outet, hat unter Umständen nicht nur bei Teetrinkern einen erschwerten Stand, eilt dem schwarzen Gebräu doch ein durchaus zweifelhafter Ruhm voraus: von stimulierender bis hin zur bewusstseinserweiternden Wirkung wird da gesprochen, von Koffeinsucht und gesundheitsschädlichen Reizstoffen. Kaum einer, der den beliebten Mozart-Kanon nicht kennt, in dem gebetsmühlenartig gewarnt wird: "C-a-f-f-e-e-, trink nicht zu viel Caffee, nichts für Kinder ist der Türkentrank, schwächt die Nerven, macht dich blass und krank ..."
Kurz, Stewart Lee Allen wäre nicht Abenteurer und Journalist, wenn er - immer getrieben von der Suche nach einer guten Tasse Kaffee - dem phänomenalen Siegeszug der Kaffeebohne nicht auf den Grund gehen würde.
Für einen wie ihn, der viel herumgekommen ist und sein bisheriges Leben auf vier Kontinenten und in elf verschiedenen Städten verbrachte, ist es ein Leichtes, seinen Rucksack zu packen und der Frage nachzugehen, wann die Europäer anfingen, den Kaffee für sich zu entdecken und was sie davor tranken. Die Suche nach der Antwort führte ihn fast um den ganzen Erdball, mehr als 30.000 Kilometer per Zug Rikscha, Frachter und sogar auf einem Esel nimmt er auf sich, um das Geheimnis des aromatischen Getränks zu lüften.

Faszinierende Fakten und Zusammenhänge.


Mitgebracht hat er spannend erzählte Geschichten, die den roten Faden dort aufnehmen, wo die Menschen schon Kaffee getrunken haben, als die Europäer noch Bier zum Frühstück schlürften, nämlich in Äthiopien, wo der kleine Schwarze auch heute noch zähflüssig wie Likör in einem Schnapsglas serviert wird. Was Allen an Fakten und umfangreichem Wissen zusammengetragen hat, legt den Blick frei auf eine faszinierende Entwicklungsgeschichte mit fein gesponnenen Zusammenhängen historischer, gesellschaftlicher und politischer Dimension und liest sich außerdem noch unterhaltsam.
So erfährt der Leser von den Oromo-Nomaden, die den Kaffee nicht tranken, sondern ihn aßen, nachdem sie die Bohnen zerstoßen, sie mit Fett vermischt und zu golfballgroßen Happen geformt hatten - am liebsten, bevor sie sich hemmungslos in die Schlacht warfen. Oder von religiösen Ritualen, bei denen Kaffeebohnen gekaut wurden, um die spirituellen Kräfte aus der Reserve zu holen und zu stärken. Da ist der Schritt zu geschäftlichen Besprechungen, bei denen eine Kanne Kaffee zu den internationalen Gepflogenheiten gehört, nicht mehr allzu weit.

Kaffee statt Alkohol.


Doch zunächst wartet Allen mit Bildern auf, die zu 1001 Nacht gehören könnten, und erzählt vom Islam, nach dessen Entstehung sich der Genuss des Kaffees rasch in den arabischen Ländern verbreitete. Denn die religiös bedingte Alkohol-Abstinenz sorgte dafür, dass man sich dem aromatischen Getränk dort mit Leidenschaft zuwandte. Dass die islamische Sufi-Sekte um 1480 sogar den Kaffeegenuss in ihren Gottesdienst mit einbezog, muss damals allerdings so gewirkt haben, als "würde man sich heute im Vatikan einen Joint anzünden", erklärt Allen. Und so ließen die ersten Repressalien gegen Kaffeetrinker nicht lange auf sich warten, sein Genuss wurde in ganz Mekka verboten, die Bohnen wurden säckeweise auf den Straßen verbrannt. Diese islamische Kampagne mündete übrigens später in einen Kompromiss: Die Gläubigen durften ihren ersten Kaffee erst nach dem Morgengebet zu sich nehmen. So waren sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht von den angeblich teuflischen Stimulanzien aufgestachelt und das Wort des Propheten konnte ihre "unvergifteten Herzen" ungehindert erreichen. Schon damals galten Kaffeehäuser als Treffpunkte nicht nur von Mystikern und Müßiggängern, sondern auch von Gelehrten, hatten sie doch den Ruf, einen Treffpunkt zu bieten, der nicht nur zu politischen Debatten einlud, sondern auch den Ungehorsam förderte. Murad IV. löste dieses Problem beispielsweise, indem er alle Kaffeehäuser Istanbuls dem Erdboden gleichmachte, den Kaffeegenuss unter Prügelstrafe stellte und Schiffe mit den gefährlichen Bohnen an Bord noch vor ihrer Einfahrt in den Hafen versenkte.

Wetten im Coffeehouse.


Allens sorgfältige Recherche führt natürlich auch nach London, im 17. Jahrhundert die Kaffeehauptstadt schlechthin. Nicht nur, weil sich die abstinenten Puritaner geradezu auf den "schwarzen Wein" stürzten, sondern auch, weil die Kaffeehäuser den debattierfreudigen Briten eine echte Alternative zur Kneipe boten. Da war zum Beispiel das Londons Turk's Coffeehouse, wo sich die demokratische Gesinnung am kraftvollsten etablierte, stellte man doch dort zum ersten Mal eine Wahlurne auf, damit die Gäste ihre Meinung zu kontroversen politischen Themen ungefährdet kundtun konnten. Lloyds Kaffeehaus hingegen entwickelte sich zum Treffpunkt für Hochseekapitäne und Kaufleute. Dort entwickelte sich über zunächst humorig abgeschlossene Wetten, welche Schiffe wohl den Hafen erreichen würden, aus dem einstigen Kaffeeausschank die erste moderne Version eines Versicherungsbüros. Andere Kaffeehäuser mauserten sich zu wahren Zentren der Kunst und der Wissenschaft und zählten zu ihren Stammgästen so illustre Persönlichkeiten wie Newton, Swift und Hogarth. Um die Gesprächsinhalte und Neuigkeiten aus diesen Treffpunkten nach außen zu transportieren, etablierten sich dort die ersten Korrespondenten-Schreibtische.
Interessant auch zu erfahren, wie sich der Kaffee in den anderen europäischen Ländern durchsetzte. In Frankreich fand Ludwig XIV. das schwarze Gesöff scheußlich, schätzte aber die abführende Wirkung. Dies mag, so die Mutmaßung Allens, die Vorliebe der Franzosen für einen Espresso als Digestif nach dem Essen erklären. Doch auch in Frankreich waren die Cafés Mitte des 18. Jahrhunderts Zentren der damaligen Reformbewegung. Dort wurden flammende Reden gehalten und im Umkreis der Cafés des Palais Royal geschah es dann auch, dass Camille Desmoulins am 12. Juli 1789 auf einen Tisch sprang und die Menge dazu aufrief, die Waffen gegen die Monarchie zu erheben. Der Rest ist Geschichte, doch einige Gesellschaftskritiker der damaligen Zeit sahen im Kaffee das Stimulans, das sowohl die Aufklärung in Gang gesetzt als auch die erste Revolution Europas hervorgebracht habe.

Kaffee mit Milch = Lepra?


Heftet man sich weiter an die Fersen des Autors, so erfährt man, dass man es in den ersten Wiener Kaffeehäusern vergleichsweise gediegener und entspannter liebte. So fand die Sitte, den Kaffeesatz mit auszuschenken, dort ein jähes Ende. Und damit nicht genug - in Wien wurden die stimulierende Wirkung und der aromatische Geschmack erstmals durch Milch und Sahne gedrosselt. Ein Unding übrigens für jeden Türken, glaubte man dort doch lange Zeit, mit Milch versetzter Kaffee erzeuge Lepra.
Was die deutsche Auseinandersetzung mit dem Getränk betrifft, stößt der Autor auf die Geschichte von Friedrich dem Großen, der 1777 ein Kaffeeverbot verhängte und auch nicht davor zurückschreckte, Veteranen anzuheuern, die dem Geruch frisch gerösteten Kaffees nachgehen sollten. Dies zog die Entstehung des Zichorienkaffees, dem so genannten Muckefuck (ursprünglich "Mocca faux"), nach sich. Dabei ging es dem Preußenkönig weniger um die Gesundheit seines Volkes als vielmehr darum, mit dem Kauf des echten Kaffees nicht die Taschen der französischen und holländischen Feinde zu füllen.

Maloche auf der Plantage.


Natürlich führt die Recherche rund um den Kaffee Stewart Lee Allen auch nach Brasilien, wo Sklaverei und Kaffee seit jeher Hand in Hand gingen: "Die bitterste Ironie war es dann aber wohl, dass die afrikanischen Sklaven in die Neue Welt verschleppt wurden, um eine Pflanze abzuernten, die genau wie sie aus Afrika gestohlen worden war. Südamerikanische Kaffeeplantagen schufen eine Nachfrage für Sklavenarbeit, die sowohl das Gesicht Afrikas als auch das der Neuen Welt für immer veränderte." Ebenso kritisch beleuchtet er die Tatsache, dass der Kaffeeanbau in Monokultur eng verknüpft ist mit der Zerstörung des brasilianischen Regenwaldes und dem damit verknüpften Einschnitt in das Ökosystem: "Den meisten Kaffeekonsumenten ist gar nicht klar, welchen Anteil ihre Versorgung mit diesem Suchtstoff daran hat."
Allens kaffeezentrierte Geschichte, mit einem wohltuenden Augenzwinkern erzählt, versucht schlussendlich eine fundierte Beweislage für die These zu präsentieren, der Siegeszug der Kaffeebohne gehe einher mit zivilisatorischen Blütezeiten. Damit stützt er sich da auf den Historiker Jules Michelet, der meint, die Entstehung einer aufgeklärten westlichen Gesellschaft gehe im Grunde genommen auf den Wandel der Europäer zu Kaffeetrinkern zurück. Dies relativiert sich, als Allen auf den deutschen Soziologen Dr. Josef Joffe trifft, dessen Theorie lautet: "Schlechter Kaffee steht für Expansionspolitik, Imperialismus und Krieg; guter Kaffee tröpfelt einher mit Höflichkeit, Pazifismus und Schlaffheit."

Eine koffeinsüchtige Nation.


Um nach all den Geschichten aus der Blütezeit des Kaffees den Ort seines Niedergangs auszumachen, begibt sich Allen auf den Weg ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten, von dem er behauptet: "Die Vereinigten Staaten waren der erste westliche Staat, der schon koffeinsüchtig auf die Welt kam." Interessant seine Behauptung, dass Amerika erst nach seiner ersten größeren militärischen Niederlage gelernt habe, trinkbaren Kaffee zu kochen. Die Verwendung von frisch gerösteten Kaffeebohnen sieht Allen direkt verknüpft mit der Rebellion der 60er Jahre. Entwickelt hat sich aus dieser anfänglichen Spezialitätenkaffee-Bewegung dank Coffee Connection oder Starbuck's eine Industrie, die mittlerweile sechs Milliarden Dollar umsetzt.
Doch was Allen wirklich sucht, ist dort nicht zu finden. Und so macht er sich in einem Cadillac in schönster Roadstory-Manier auf den Weg, um die miserabelste Tasse Kaffee zu finden, die Amerika zu bieten hat. Ein Höllentrip, der bezeichnenderweise erst in Texas endet, der Allen aber zu der Erkenntnis bringt, dass jedes Zeitalter es verstanden habe, die Kaffeebohne gemäß seines eigenen Weltverständnisses zu nutzen. Sahen die früheren Kaffeekulte in Äthiopien und im Nahen Osten in der Droge ein Tor zum Geist Gottes, benutzten die säkularen Humanisten im Europa des 18. Jahrhunderts den Kaffee als Hilfsmittel zum Aufbau einer vernunftgeleiteten Gesellschaft. Das wehmütige Fazit eines ebenso fesselnden wie kurzweiligen Buches: "Wir Bürger der Schönen Neuen Welt, die wir Effizienz und Geschwindigkeit anbeten, machen einfach ein Aufputschmittel daraus, um noch ein wenig an Tempo zuzulegen, ein bisschen schneller anzukommen und uns etwas besser zu fühlen. Zur Hölle mit den Folgen."

Stewart Lee Allen:
Ein teuflisches Zeug.
Auf abenteuerlicher Reise durch die Geschichte des Kaffees,

Campus Verlag, Frankfurt/New York 2003,
230 Seiten, 19.90 Euro,
ISBN 3-593-37290-8
www.campus.de

Petra Günzel ist freie Mitarbeiterin von changeX.

© changeX Partnerforum [14.10.2003] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.


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Zum Buch

: Ein teuflisches Zeug. . Auf abenteuerlicher Reise durch die Geschichte des Kaffees. Campus Verlag, Frankfurt/Main 1900, 230 Seiten, ISBN 3-593-37290-8

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Petra Günzel

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