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Lustvoll lesen
Warum Jungen nicht mehr lesen und wie wir das ändern können - das neue Buch von Katrin Müller-Walde.
Von Nina Hesse
Endlich mal jemand, der es offen auszusprechen wagt - das "gute" Buch ist meistens langweilig oder schwer verdaulich. Besonders für Jugendliche, und speziell für solche, die sowieso lieber vor dem Computer oder der Videospielkonsole hängen. Also, liebe Eltern, werft den bildungsbürgerlichen Ballast über Bord und gebt euren Jungs Bücher, die Spaß machen, die lustig oder spannend sind. Dann trauen sie sich irgendwann auch an schwierigere Sachen heran.
Leseratten sind, so verrät die Statistik, meist weiblich. Mädchen fällt es leichter, sich in Schicksale und Figuren einzufühlen - Jungs mischen lieber selbst beim rauen Kampf ums Dasein mit. Statt sich mit einem Buch zurückzuziehen, ballern sie auf LAN-Partys Aliens ab, toben sich auf dem Bolzplatz aus oder surfen im Internet. 46 Prozent der Jungen gaben in einer Umfrage an, "nur zu lesen, wenn sie müssen" - bei den Mädchen antworteten das nur 26 Prozent. Hinzu kommt, dass Lesen in der männlichen Peergroup oft als "weibisch" verpönt ist.
Doch gerade Jungen würde es gut tun, öfter mal die Nase in ein Buch zu stecken. In der Schule werden sie von den Mädchen überflügelt, auch an den Hochschulen sind sie inzwischen in der Minderzahl. In der Wissensgesellschaft, in der es mehr auf Sozialkompetenz und Bildung ankommt als auf Körperkraft, landen immer mehr Männer im Abseits. "Jungen fördern, Mädchen sind schon stark genug!", appelliert Müller-Walde denn auch eindringlich. Alarmiert davon, dass ihr Sohn nicht mehr lesen mochte, hat sie sich auf eine Suche nach den Ursachen der Leseunlust gemacht - in der schwierigen Altersgruppe der 13- bis 17-Jährigen, in der es die meisten Buchverweigerer gibt. Herausgekommen ist ein informatives, oft witziges und sehr praxistaugliches Buch für Eltern, Lehrer und alle, denen die Leseförderung am Herzen liegt.

Worthunger wecken - rechtzeitig.


Eins ist Katrin Müller-Walde bei ihren Recherchen immer klarer geworden: "Es kostet Mühe, ein Kind worthungrig werden zu lassen." Es ist nun mal anstrengend, Zeichen zu entziffern und eine Welt im Kopf entstehen zu lassen. Unser Gehirn ist dafür eigentlich nicht vorgesehen, deshalb muss man sich das Lesen hart erarbeiten. Fernsehen oder Videospiele verschaffen den gleichen Kick, nur schneller und einfacher. Das Problem dabei ist, dass das Gehirn dadurch anders und längst nicht so umfassend beansprucht und trainiert wird. Lesen erhöht die Sprachkompetenz und fördert die Persönlichkeitsentwicklung - vom Fernsehen hat das noch niemand behauptet.
Ein Teil der Antwort natürlich: fördern, fördern, fördern. Ganz wichtig ist dabei der richtige Zeitpunkt. Für jede Fähigkeit gibt es bestimmte Phasen, in denen man etwas besonders gut lernen kann. Das "Sprachfenster" zum Beispiel, in dem ein Kind sich mühelos seine eigene und andere Sprachen aneignet, schließt sich zwischen dem fünften und dem achten Lebensjahr. Zwischen dem 13. und dem 15. Lebensjahr geht dann das "Lesefenster" zu - meist für immer. Wer sich in Toleranz üben und warten will, bis sich die Ballerspiel-Phase des Sohns von alleine ausgewachsen hat und man ihm Bücher schmackhaft machen kann, der verpasst eine wichtige Chance. "Wer bis zur fünften Klasse das Lesen von Büchern in seiner Freizeit nicht gelernt hat zu genießen, wird auf dem Weg zur Leselust ohne Hilfe von außen kaum noch auskommen", gibt Müller-Walde zu bedenken. "Jetzt zählt jeder Tag!"
Schule und Elternhaus, beide müssen dabei an einem Strang ziehen. Im Moment sind sie vor allem damit beschäftigt, sich gegenseitig Unfähigkeit zu attestieren - während der Nachwuchs nach dem Motto "Streit ruhig weiter, ich seh derweil fern" mal wieder vor der Glotze landet. Dabei können beide Seiten eine Menge tun, wie Müller-Walde mit einer Fülle von Tipps, viele davon aus den USA übernommen, demonstriert. Dazu zählen ganz einfache Maßnahmen - zum Beispiel, im Unterricht nicht nur fiktionale Literatur zu besprechen, sondern auch dem Sachbuch einen Platz einzuräumen. Denn das wird von Jungen stärker genutzt als von Mädchen.

Das "gute" Buch.


Der zweite Stolperstein auf dem Weg zur Leselust ist das vermeintliche "gute Buch". Über dieses Thema hat Katrin Müller-Walde viel zu sagen, und das wenigste davon fällt schmeichelhaft aus für den Kanon der Klassiker. Wer seinen Nachwuchs gleich zu Anfang mit pädagogisch wertvollen Werken traktiert, der hat meistens verloren. Besonders die Bücher, die in der Schule gelesen werden, sind eher dazu geeignet, Schülern die Lust am Lesen zu vermiesen. Über die Bücher dagegen, die den Jugendlichen selbst gefallen oder die sie cool finden, rümpfen die Erwachsenen oft die Nase.
Kein Wunder - seit der Aufklärung teilt man hierzulande das Lesen in "gutes" oder "schlechtes" ein, wobei unter dem "guten" das schöngeistige, bildende Lesen schwer verdaulicher Bücher verstanden wird. Lesen zum Spaß? Igitt. Lustvolles Fabulieren und Geschichtenerzählen? In der deutschen Literaturtradition höchst suspekt, das riecht geradezu nach Trivialroman und Kulturverfall. Müller-Waldes Ansatz ist: "Erst kommt die Lust, dann die Bildung." Es ist herzerwärmend, wie sie sich für alle Bücher in die Bresche wirft. Ihr Tipp ist: Bildungsbürgerliche Maßstäbe über Bord werfen, beherzt zum Herrn der Ringe oder zu Play Zone greifen und so beim Nachwuchs mit positiven Erlebnissen erst mal die Lust am Lesen wecken. Ist die fest etabliert, dann wagt er sich auch an schwierigere Werke und ist nicht mehr so leicht abzuschrecken. Erwischt jedoch der Leseneuling ein paarmal Bücher, die ihm nicht gefallen, lässt das Leseinteresse schnell wieder nach. Es muss mit den richtigen Büchern immer wieder neu angefacht werden.

Das coole Buch.


Aber welche Bücher machen Jungen wirklich Spaß? Die meisten Eltern stehen ratlos vor dem Wust der Neuerscheinungen - und greifen dann doch wieder zu manchmal schon etwas angestaubten Klassikern, die sie aus ihrer eigenen Kindheit kennen. Deswegen besteht fast die Hälfte von Müller-Waldes Buch aus 50 Buchtipps, die sie aus einer Umfrage unter lesenden Jungen herausdestilliert hat. Hier finden sich Bücher, die einen "reinziehen", die spannend oder lustig sind und einen nicht loslassen, bis man die letzte Seite gelesen hat. Die süchtig machen auf das nächste Buch, auf die nächste Geschichte. "Hohe" Literatur sucht man hier vergebens, dafür findet man hier Bücher, die von Gleichaltrigen empfohlen werden - was besonders für Jungs ein ganz wichtiges Kriterium ist. Sind diese Bücher dann auch noch düster, drastisch und abstoßend, dann umso besser.
Der Hit unter Jugendlichen sind die irrsinnig witzigen Bert-Bände von Jacobsson und Olsson, aber auch Klassiker wie Michael Ende sind noch nicht abgemeldet. Gern gelesen wird aber auch Fantasy wie Nicholsons Windsänger oder der Herr der Ringe, Science-Fiction wie das Kultbuch Per Anhalter durch die Galaxis oder Spannend-zeitgeschichtliches wie Klaus Kordons Krokodil im Nacken. Jedes Buch bewertet Müller-Walde nach Spannung, Humor, Action, Tiefe und Leselevel, dann gibt's einen ausführlichen Kommentar dazu. Schon ihre Zusammenfassungen der Handlung machen Lust darauf, in die Bücher, die man noch nicht kennt, hineinzuschmökern. Sogar die Reaktionen der männlichen Testleser auf Cover oder Klappentext bezieht die Autorin mit ein, damit es gar nicht erst zur Enttäuschung kommt oder man auf Abwehrreaktionen vorbereitet ist, wenn man den entsprechenden Titel daheim anschleppt.

Kein erhobener Zeigefinger.


Die 14- bis 15-Jährigen lesen dann schon Bücher wie Gordons Medicus, lassen sich von Michael Crichton mitreißen und von Grisham vorübergehend in einen Gerichtssaal versetzen. Auch Dieter Bohlen befindet sich unter den Lesetipps - man kann sich den Aufschrei der Bildungsbürger förmlich vorstellen. Doch wer reingelesen hat, weiß, dass Bohlen erfrischend direkt erzählt und dass keineswegs das Abendland untergeht, wenn man sich von seinen aberwitzigen Anekdoten aus der Musikbranche unterhalten lässt.
Erfreulich, wie Katrin Müller-Walde es schafft, bei ihren Tipps fast völlig auf den erhobenen Zeigefinger zu verzichten. Einzig mit Stephen King konnte sie sich nicht recht anfreunden, sie tut ihn nach der Lektüre von Cujo mit spitzen Fingern ab. Dass er ein geschickter Geschichtenerzähler ist, der sein Handwerk versteht und schon viele Klassiker wie Shining hervorgebracht hat, müssen die Kids eben selbst herausfinden.
Wichtig ist, aus dieser Liste - und den Regalen von Bibliothek und Buchhandlung - das herauszusuchen, was zu den Interessen des Kindes passt. Das geht oft nur, wenn man es erst mal selbst liest, statt blindlings Empfehlungen von Buchhändlerinnen zu folgen.
"Haben Sie sich erst einmal eingelassen auf das Abenteuer 'Ich lese auch die Bücher meiner Kinder', werden Sie Texte und Bücher finden, die wie ein Schlüssel ins Schloss passen", verspricht Katrin Müller-Walde.
Bei ihr jedenfalls hat es funktioniert. Ihr Sohn, der inzwischen in die elfte Klasse geht, liest wieder.

Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.

Katrin Müller-Walde:
Warum Jungen nicht mehr lesen und wie wir das ändern können.
Mit 50 Lesetipps von Jungs für Jungs,

Campus Verlag, Frankfurt/New York 2005,
239 Seiten, 19.90 Euro
ISBN 3-593-37582-6
www.campus.de

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: Warum Jungen nicht mehr lesen und wie wir das ändern können. . Mit 50 Lesetipps von Jungs für Jungs. . Campus Verlag, Frankfurt/New York 1900, 239 Seiten, ISBN 3-593-37582-6

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