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Eva statt Evi
Oben ohne. Warum es keine Frauen in unseren Chefetagen gibt - das neue Buch von Barbara Bierach und Heiner Thorborg.
Von Winfried Kretschmer
Warum sind in der deutschen Wirtschaft weibliche Führungskräfte so rar? In anderen Ländern gibt es deutlich mehr Topmanagerinnen. Schuld ist das tradierte Frauenbild, sagen eine Publizistin und ein renommierter Personalberater. Ihre unbequeme These: Die populäre Meinung, wonach der Platz der Frau zu Hause sei, blockiert die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit. Der Mütterkult wird zur Wachstumsbremse. Ein Plädoyer für eine frauenfreundliche Berufswelt, in der die Förderung weiblicher Führungskräfte Chefsache ist.
Irgendwann muss Leo Kanner, in die USA ausgewanderter, österreichischer Arzt und Begründer der Autismusforschung, stutzig geworden sein: Die Mütter, die mit ihren autistischen Kindern in seine Praxis kamen, ähnelten sich auf auffällige Weise: Sie waren energisch, intelligent und beruflich engagiert - emanzipierte Frauen in heutiger Diktion. Ihr Wesen ähnelte sich derart, dass Kanner den Schluss zog: Berufstätige Frauen sind kalt, und das macht Kinder autistisch. Kanner prägte den Begriff der "Kühlschrankmutter" als Bezeichnung für die Mütter autistischer Kinder.
Verborgen blieb ihm jedoch ein anderer Zusammenhang: Es waren gerade die durchsetzungsfähigen, energischen Mütter, die den Weg in seine Praxis fanden und dafür lange und beschwerliche Reisen oftmals quer durch die USA auf sich nahmen - nicht die Hausmütter, die ihre seltsamen Kinder vor den Nachbarn versteckten. Diese kamen nicht in die Praxis und fielen demzufolge durch das Raster. Ein klassisches Beispiel für eine wissenschaftliche Fehlinterpretation - aber auch dafür, wie Vorurteile Forschungsergebnisse beeinflussen können. Und nicht zuletzt ein Beispiel für ein hartnäckiges Vorurteil, mit dem sich berufstätige Mütter immer noch konfrontiert sehen: eine Rabenmutter zu sein.

Erfreulich klare Absage.


Dieses Beispiel erzählen Barbara Bierach und Heiner Thorborg in ihrem neuen Buch, das scheinbar einem ganz anderen Thema gewidmet ist: dem Mangel an weiblichen Führungskräften in den Vorstandsetagen deutscher Wirtschaftsunternehmen. "Von den deutschen Frauen ist in den Schaltzentralen der Wirtschaft nach wie vor nicht viel zu sehen", lautet das ernüchternde Fazit der Autoren. Oben ohne lautet der Titel, und der zeigt an, dass dieses Thema eine gewisse Mehrdeutigkeit besitzt.
Fakt ist: Unter den Vorständen der 30 im DAX notierten Unternehmen ist nur eine einzige Frau zu finden. Und nur jeder zehnte Chef im mittleren Management ist eine Frau. Obwohl mittlerweile 47 Prozent der abhängig Beschäftigten in Deutschland weiblich sind, gehören die Entscheidungsträger "in einer erdrückenden Mehrheit" dem anderen Geschlecht an. Die Frage ist nur, wie diese erdrückende Bilanz zu interpretieren und wie sie zu werten ist. Im öffentlichen Interpretationsbemühen ist die Diskriminierungsthese schnell bei der Hand: Weil Frauen nicht die gleichen Chancen haben wie ihre männlichen Kollegen, schaffen sie nicht den Aufstieg in die Toppositionen, lautet das Standardargument.
Die Frage der Wertung führt mitten in die aktuelle Debatte: Denn seit sich mit Heim-an-den-Herd-Phrasen Auflagenrenner produzieren lassen, steht die Berufstätigkeit von Frauen gesellschaftlich wieder zur Disposition. Und mit der beginnenden Renaissance des Glaubens könnte sich das Dreigestirn Kinder, Küche, Kirche wieder in den Zenit der weiblichen Lebensbestimmung schieben. Beidem, der herrschenden Interpretation des weiblichen Führungskräftemangels wie dem wertkonservativen Versuch, die Emanzipationsschraube zurückzudrehen, erteilen Bierach und Thorborg eine erfreulich klare Absage.

Unternehmen suchen händeringend nach Frauen.


Auf die Eva-Frage, warum Frauen denn überhaupt arbeiten respektive in Führungspositionen aufsteigen sollten, geben die Autoren eine eindeutige, ökonomische Antwort: Weil es wirtschaftlich notwendig ist. Wer die weibliche Hälfte der Kunden ansprechen will, braucht weiblichen Esprit in den Führungspositionen. Zweitens stellen Frauen die Hälfte des Kompetenzpools gut ausgebildeter Nachwuchskräfte, aus dem die Wirtschaft schöpfen kann. Unternehmen können es sich schlichtweg nicht leisten, dieses Potenzial zu ignorieren. Und deshalb suchen sie bereits heute "händeringend nach Frauen", wie der Personalberater und Co-Autor Heiner Thorborg in seinem Vorwort schreibt.
Fragt sich nur, warum sich dann so wenige Frauen in Toppositionen finden? Das wiederum ist ein deutsches Phänomen - überall im Ausland gibt es mehr weibliche Führungskräfte als hierzulande. Während in Deutschland der Frauenanteil im mittleren Management gerade mal zehn Prozent beträgt, sind es bei unseren europäischen Nachbarn 30 und in den USA sogar 50 Prozent - zu allem Überfluss bei höheren Geburtenraten! Die Frage ist also anders zu stellen: "Warum gibt es inzwischen sogar hinter dem Ural mehr weibliche Chefs als bei uns?" Wenn Deutschland in Männerhand verharrt, dann liegt das offensichtlich nicht so sehr an der ungleichen Chancenverteilung, sondern in erster Linie am tradierten Frauenbild. "Überall da, wo Frauen keinen Widerspruch zwischen ihrem Geschlecht und Topkarrieren sehen, finden diese auch statt."

Mütterkult als Wachstumsbremse.


Verantwortlich für den deutschen Sonderweg ist ein kulturelles Phänomen: "Es geht um das ganz tief in der deutschen Volksseele verankerte Bild, was im Leben einer Frau wichtig ist, was in ihrem Dasein Glück bedeutet, und vor allem geht es um die 'adäquate' Rolle der Frau." Immer noch ist eine Mehrheit der Bevölkerung der Meinung, dass Karriere und Kinder nicht zusammenpassten, dass eine Fremdbetreuung den Kinderseelen schade und Ganztagsschulen die Familien zerstörten. Dass Frauen eigentlich zu Heim, Herd und Kindern gehörten. Verantwortlich ist jener von den Nationalsozialisten nicht erfundene, aber ebenso erfolg- wie folgenreich okkupierte Muttermythos, der im kulturellen Substrat der Gesellschaft hartnäckig weiterlebt. Jenes archaische Frauenbild, das als "Eva-Prinzip" gerade Verkaufserfolge feiert. Bierach und Thorborg analysieren den Mütterkult und seine Folgen ebenso klar wie den verbreiteten Karriereunwillen vieler Frauen, die sich nach dem ersten Kind lieber dem Rollenklischee ergeben, als sich eine Rabenmutter schimpfen zu lassen.
Ihr Argument ist glasklar: Der Mütterkult wird zur Wachstumsbremse. Denn dieses kulturell verankerte Rollenbild spiegelt sich in dem Angebot an Betreuungseinrichtungen und Hilfestellungen, die Staat und Wirtschaft Frauen anbieten, die Beruf und Kinder unter einen Hut bringen möchten: Das Angebot ist mau, eben weil das tradierte Rollenbild Kinder und Haushalt als primären Frauenjob definiert. Und weil es mau ist, bleibt rollenkonformes Verhalten der einfachere, der bequemere Weg. Wer das ändern will, der muss an beiden Seiten anpacken: an den Angeboten und Rahmenbedingungen wie am Rollenbild.

Zwei Seiten der Spirale.


Die "notwendige Spirale", die nicht nur Frauen berufliche Chancen verschafft, sondern auch der Gesellschaft Kinder, sieht so aus: "Erst wenn die Betreuungseinrichtungen (und später auch die Ganztagsschulen) flächendeckend so gut sind, dass die Mütter sich nicht zu sorgen brauchen, bleibt eine kritische Masse auch nach der Geburt des ersten Kindes berufstätig. Erst wenn eine kritische Masse berufstätig bleibt, ändert sich das Klima in der Gesellschaft und in den Unternehmen. Erst wenn sich das Klima ändert, wird es vielen Frauen leichter fallen, im Unternehmen zu bleiben. Erst wenn mehr Frauen trotz Kindern im Betrieb bleiben, wird der Pool an vorhandenem Talent größer, aus dem Personalchefs Führungskräfte rekrutieren." Und dann werden sich auch Frauen entscheiden, mitzureden und mitzugestalten. "So entstehen am Ende weibliche Chefs und auch die bislang so vermissten weiblichen Rollenmodelle."
Betreuungsstätten und Ganztagsschulen sind nur zwei von mehreren Stellhebeln, mit denen sich die Situation berufstätiger Mütter entscheidend verbessern lässt - unsere europäischen Nachbarländer beweisen es. Neben die politisch anzustoßenden Veränderungen tritt ein Wandel in den Unternehmen - und den anzustoßen ist Sache des Topmanagements, so Bierach und Thorborg: Den Unternehmensführern muss klar werden, dass auf die Wirtschaft dramatische Probleme zukommen, wenn es nicht gelingt, Frauen in Toppositionen zu bringen. "Die Unternehmen müssen begreifen, was ihnen blüht, wenn sie weiterhin auf die Hälfte des Führungspotenzials verzichten." Der Weg dahin führt letztlich über eine Veränderung der Arbeitskultur in den Unternehmen. Prägnant zeigt das Buch auf, wie sich für Frauen der Weg in die Toppositionen der Wirtschaft ebnen lässt.

Wer Veränderungen will, muss sie selbst vorantreiben.


Dennoch funktioniert die Spirale auch vom anderen Ende her: Indem Frauen sich für Karriere und Kinder entscheiden, bringen sie Veränderungen selbst voran, anstatt nur darauf zu warten. Dass es funktioniert, dafür sind die 18 Topmanagerinnen, die im Buch vorgestellt werden, lebender Beweis. "Wer Veränderungen will, muss sie selbst vorantreiben", schreibt das Autorenduo am Ende. "Denn mal im Ernst: Wer soll die Frauen in Wirtschaft und Gesellschaft repräsentieren, wenn nicht die Frauen selbst?"

Barbara Bierach / Heiner Thorborg:
Oben ohne.
Warum es keine Frauen in unseren Chefetagen gibt,

Econ Verlag, Berlin 2006,
251 Seiten, 18 Euro,
ISBN 3-430-30002-9
www.econ.de

Winfried Kretschmer ist leitender Redakteur und Co-Geschäftsführer bei changeX.

© changeX Partnerforum [05.10.2006] Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.


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Zum Buch

: Oben ohne. . Warum es keine Frauen in unseren Chefetagen gibt. . Econ Verlag, Berlin 1900, 251 Seiten, ISBN 3-430-30002-9

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Autor

Winfried Kretschmer
Kretschmer

Winfried Kretschmer ist Chefredakteur und Geschäftsführer von changeX.

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