Bollywood im Gründerfieber
Wirtschaftsmacht Indien. Chance und Herausforderung für uns - das neue Buch von Oliver Müller.
Von Marie Meyer-Miethke
Indien boomt. In Rekordzeit hat sich die Nation mit der zweitgrößten Bevölkerung der Welt von einer rückständigen Agrargesellschaft in eine wissensbasierte Dienstleistungswirtschaft verwandelt. Seine junge, motivierte Bevölkerung versetzt das Land ins Gründerfieber. Für uns aber birgt der sagenhafte Aufstieg des zweiten asiatischen Riesen nicht nur eine Herausforderung, sondern auch Chancen. So ist die Globalisierung.
Yoga-Kurse in den Fitness-Centern, ayurvedische Tees und Lotionen, Punjab-Pop und Bollywood-Romanzen waren nur die Vorboten. Indien boomt. Mit Macht drängt das Land auf die Weltmärkte. Und schiebt sich in den Wahrnehmungshorizont: Indien, das Land, das vor nicht allzu langer Zeit noch mit Schlangenbeschwörern, Slums und Überbevölkerung identifiziert worden war, zeigt sich als wirtschaftliche Boomnation. Lange schien Indien in politischer und ökonomischer Stagnation gefangen, schreibt der Buchautor Oliver Müller, der in Neu-Delhi lebt und als Süd- und Südostasienkorrespondent beim Handelsblatt arbeitet. "Doch in den vergangenen 15 Jahren hat es Wirtschaftsgeschichte geschrieben: Die Nation mit der zweitgrößten Bevölkerung der Welt hat sich in Rekordzeit von einer rückständigen Agrargesellschaft in eine wissensbasierte Dienstleistungswirtschaft verwandelt." Wachstumsraten von sieben bis acht Prozent im Jahr machen es zu einem Motor der Weltwirtschaft. Experten sagen voraus, dass das Land in 15 Jahren wirtschaftlich zu China aufschließen und den mächtigen Nachbarn nach 30 Jahren sogar überholen könnte. "Fasziniert beobachtet die Welt nun das Erwachen des zweiten asiatischen Riesen."

Land im Gründerfieber.


Doch in die Faszination mischt sich Furcht. Zu rasant ist der wirtschaftliche Aufstieg, zu unübersichtlich sind Chancen und Risiken. Und zu bedrohlich erscheint die doppelte asiatische Herausforderung durch Indien und China. Denn der Aufstieg der beiden asiatischen Schwergewichte nimmt Europa "nun von zwei Seiten in die Zange: bei Muskel- und bei Hirnarbeit, bei Massenproduktion und bei Forschung und Entwicklung". Neben der Werkstatt der Welt entsteht ihr Dienstleistungszentrum.
Die erstaunliche Wissensrevolution, die Indien zum "verlängerten Büro der Welt" macht und das größte Erfolgsgeheimnis des Landes darstellt, bildet einen Schwerpunkt in Oliver Müllers lesenswertem und kenntnisreichem Buch. Gerade im Hinblick auf die mathematischen und analytischen Fähigkeiten scheint Indien in seinem Element zu sein - nicht umsonst nannten die Araber die Mathematik lange Zeit "Hindsat", die indische Wissenschaft. Diese Tradition kommt dem Land heute zugute. Nicht zuletzt liegt hierin auch der Grund dafür, warum Indien nicht mit arbeitsintensiver Massenproduktion in den Weltmarkt eintritt, sondern mit Dienstleistungen und Hochtechnologien.
Zur Wissenstradition tritt der überschäumende Leistungswille einer Gesellschaft, in der jeder Vierte unter 25 Jahre alt ist. Die Inder sind jung, innovativ und motiviert - und wild entschlossen, den Weltmarkt zu erobern. Indien ist "ein Land im Gründerfieber", so Oliver Müller. Die ehrgeizigen jungen Inder brennen darauf, sich selbständig zu machen und führen reihenweise Technologiefirmen wie Wipro oder HCL aus dem Nichts zur wirtschaftlichen Blüte. Diese unternehmerische Dynamik ist allerdings erst durch politische Umwälzungen möglich geworden. Indien gilt als die größte Demokratie der Erde, allerdings auch als großes politisches Abenteuer: Denn nie zuvor wurde ein sozial, ethisch, religiös und sprachlich so heterogenes Land durch eine Demokratie geeint. Wenn das politische System auch auf den ersten Blick unübersichtlich und chaotisch wirkt, und die hohe Analphabetenrate nicht nur bei den Wahlen große Probleme verursacht, so gilt das demokratische System dennoch als gefestigt. Neun von zehn Indern halten ihre Demokratie für die beste Staatsform und stehen voll hinter ihr.

Chancen und Herausforderungen.


Doch steht das Land auch vor gewaltigen Herausforderungen, die Müller ebenso gründlich beschreibt wie die Chancen. Dazu gehören die Dauerkrise im Ackerbau, die rückschrittliche Infrastruktur, die die wirtschaftliche Entwicklung hemmt, und die drohende Umweltkrise, auf die das Land scheinbar unaufhaltsam zutreibt.
Chance und Herausforderung ist der Aufstieg Indiens auch für uns, sagt Oliver Müller. Die Herausforderung: Mit dem Land erwächst uns ein neuer schlagkräftiger Wettbewerber. Die Chance: "Wer das Land richtig nutzt, dem wird es zum Partner für den Erfolg auf dem Weltmarkt." In einem eigenen Unterkapitel "Rezepte für den Erfolg auf dem indischen Markt" deutet der Autor an, wie das aussehen könnte. Müllers Resümee: "Unterschätzen wir das Ausmaß der Herausforderung oder fürchten wir sie, können wir die ebenso großen Chancen nicht nutzen, die uns Indiens Aufstieg bietet."

Marie Meyer-Miethke ist freie Mitarbeiterin bei changeX.

Oliver Müller:
Wirtschaftsmacht Indien.
Chance und Herausforderung für uns,

Carl Hanser Verlag, München 2006,
302 Seiten, 19.90 Euro,
ISBN 3-446-40675-1
www.hanser.de

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: Wirtschaftsmacht Indien. Chance und Herausforderung für uns. Carl Hanser Verlag, München 2006, 302 Seiten, ISBN 3-446-40675-1

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