Folge 6 der changeX-Serie über die neue Arbeitswelt.
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Zwischen Privatvergnügen und Erwerbsarbeit.
  Nicht jeder rutscht so erfolgreich
  wie Ulrike Kalb in den Online-Handel, aber für immer mehr
  Menschen sind virtuelle Marktplätze wie eBay ein Sprungbrett in
  die Selbständigkeit. Schätzungen zufolge leben mittlerweile etwa
  64.000 Deutsche hauptberuflich von und mit eBay, in Europa sollen
  es 170.000 sein, in den USA sogar mehr als 700.000. Zuzüglich der
  Online-Händler, die sich mit ihren Auktionen ein zweites
  Einkommensstandbein geschaffen haben, dürften sich diese Zahlen
  noch mal verdoppeln. Dass die Erwerbsquelle Online-Handel so
  beliebt ist, wundert nicht, denn in kaum einem Business sind die
  Eintrittsbarrieren niedriger. Jeder, der einen Computer mit
  Netzzugang und etwas zu verticken hat, kann mitmachen, und nicht
  wenige eBay-Karrieren starten mit ein paar Sachen aus der
  Kruschelkiste. Ob aus den Auktionen dann auch wirklich ein
  existenzsicherndes Geschäft wird, ergibt sich - wie bei Ulrike
  Kalb - dann oft eher zufällig. Aber gerade diese
  Unverbindlichkeit, diese fließenden Übergänge zwischen
  Privatvergnügen und Erwerbsarbeit scheinen den besonderen Reiz
  des Online-Handels auszumachen. Im Gegensatz zu fast allen
  anderen Existenzgründungsarten kostet Ausprobieren dort so gut
  wie nichts. Und lästige Formalitäten wie Gewerbeanmeldung,
  Geschäftskontoeröffnung oder Buchführung fallen erst an, wenn
  sich das spielerische Verkaufsexperiment zur ernsthaften
  Einkommensquelle mausert. Dazu kommt, dass rund um die virtuellen
  Marktplätze mittlerweile ein weit verzweigtes
  Dienstleistungsnetzwerk entstanden ist, das den Online-Verkäufern
  kostengünstig und maßgeschneidert Rat und Hilfe anbietet - von
  der Schulung über Versanddienste oder Rechtsberatung bis hin zu
  spezialisierten Marketingagenturen. Auch dieses neue
  Service-Biotop ist fruchtbarer Nährboden für allerlei
  Existenzgründungen und Zusatzverdienste. Während sich immer mehr
  Menschen ihre Arbeitsplätze auf den virtuellen Marktplätzen
  selbst schaffen, ist der Hype um eBay längst verebbt.
  
Die Zahl der Nutzer ist ebenso gesunken wie der Aktienkurs,
  das charmante Flohmarktimage der Gründertage ist einer Armada von
  Profi-Händlern gewichen, und die Tage des Monopols sind für immer
  vorbei. Wer keine Lust mehr auf "drei, zwei, eins - meins" hat,
  kann mit seiner Handelsware auf andere Internet-Marktplätze wie
  Amazon, Hood oder Auvito überwechseln - oder gleich einen eigenen
  Online-Shop aufmachen. Die softwaretechnischen Lösungen dafür
  sind heute für jedermann erschwinglich, außerdem steigt durch die
  blühende Empfehlungs- und Community-Kultur die Chance, dass
  Käufer und Verkäufer im Dickicht des Webs zueinanderfinden. Noch
  werden hierzulande etwa 35 Prozent des Online-Handels über eBay
  abgewickelt. Offenbar ist das astronomische Käuferpotenzial von
  weltweit über 200 Millionen Nutzern nach wie vor ein guter Grund,
  dort zu bleiben - erst recht, wenn man sich über Monate oder
  Jahre harter Arbeit ein lupenreines Bewertungsprofil zugelegt
  hat. Trotzdem stehen die Zeichen in der Welt des Online-Handels
  auf Veränderung. Denn auch hier gilt, was seit einiger Zeit
  überall im Web zu beobachten ist: Weniger die großen Firmen
  prägen das Geschehen als vielmehr die vielfältigen Bedürfnisse
  und Vorlieben der Nutzer.
Maschen-Plattform der Häkel-Omas.
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Ultraschall-Babys boomen im Netz.
  Kurz vor Weihnachten 2004 sucht
  Johann Ehmann verzweifelt ein Geschenk für seine Frau, die mit
  Zwillingen schwanger ist. Er bittet einen befreundeten Künstler,
  sich etwas Tolles, Buntes einfallen zu lassen und das Kunstwerk
  ist pünktlich zum Fest fertig: Ein Ultraschallbild der Zwillinge
  - nach Andy-Warhol-Manier farbig verfremdet und auf großformatige
  Leinwände gedruckt. Ehmanns Frau ist anfangs nicht so recht
  begeistert, wohl aber einige Kunden, die zufällig im Atelier des
  Künstlers auf die Probedrucke aufmerksam werden. Also beschließt
  Ehmann, das Kunstkonzept auf Dawanda.de zu stellen. Parallel dazu
  entwickelt er einen eigenen Webshop, bei dem werdende Eltern ihr
  persönliches Ultraschall-Baby-Kunstwerk ordern können - je nach
  Große für 29 bis 59 Euro. Inzwischen wird das Angebot so gut
  angenommen, dass Ehmann eine Mitarbeiterin eingestellt hat. "Wir
  hätten nicht gedacht, dass daraus mal ein eigenes Unternehmen
  wird", meint der Münchner, der nun drei berufliche Standbeine
  hat. Hauptberuflich arbeitet er bei einer Agentur für Handels-
  und Eventmarketing, daneben verkauft er ein selbst entworfenes
  Designer-Regalsystem. Und nun auch noch das Geschäft mit den
  Ultraschallbildern, für das er 30 Prozent seiner Arbeitszeit
  abzweigt. Von der Idee, den Bilderservice auch im stationären
  Handel anzubieten, ist Ehmann indes schnell wieder abgekommen:
  "Zu zeitintensiv und zu geringe Gewinnmargen. Dann müssten wir
  teuerer werden und das wollen wir nicht." Besonders aber schätzt
  der junge Vater die zeitliche und räumliche Unabhängigkeit des
  Online-Handels, dank der es ihm einigermaßen gut gelingt, seine
  drei Jobs unter einen Hut zu bringen und mit dem Familienleben
  auszubalancieren.
  
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Nicht ohne meine Familie.
  "Ohne meine Familie wäre dieser Job
  nicht zu bewältigen", sagt dann auch die Powersellerin Ulrike
  Kalb und bringt auf den Punkt, was für viele Webhändler gilt: Sie
  sind keine Einzelkämpfer, sondern arbeiten eng mit vertrauten
  Mithelfern zusammen - Partner, Eltern, Kinder, Verwandte,
  Kollegen, Freunde. Dabei ist dieses unterstützende Netzwerk oft
  auch räumlich weit verzweigt. Ulrike Kalb etwa arbeitet im
  bayerischen Dingolfing, die Lagerhalle für ihre Baumaschinen
  befindet sich auf dem Hof des Bruders in der Nähe von Bad
  Hersfeld und ihre mithelfenden Eltern leben ebenfalls in Hessen.
  Dass hinter ihrem Online-Werkzeugshop ein eingespielter
  Familienbetrieb wirkt, betrachtet die Jungunternehmerin übrigens
  als Hauptgrund für ihren außergewöhnlichen Erfolg: "Wir können
  schnell reagieren, sind immer einsatzbereit und halten zusammen.
  Mein Vater ist der große Berater im Hintergrund, der sich in der
  Werkzeugbranche auskennt. Und meine Mutter ist das fleißige
  Bienchen, das überall hilft, wo Arbeit anfällt." Als Ulrike Kalb
  mit dem Online-Handel angefangen hat, wussten ihre Eltern "noch
  nicht einmal, wie man einen Computer startet". Mittlerweile aber
  hat sich ihre Mutter alles rund um PC, Internet und eBay selbst
  beigebracht - mit Ende 40 und aus dem Stand heraus.
  
Ganz so weit ist Häkel-Oma Schmidt noch nicht, aber ihr
  Enkel will sie bald am Rechner einweisen. "Da geht es weniger
  darum, dass sie den Online-Handel versteht - das tut sie ohnehin
  bereits -, sondern eher darum, dass sie sich mit den anderen
  austauschen kann", meint Manfred Schmidt. Er selbst betrachtet
  seine virtuelle Geschäftstätigkeit als permanentes Learning by
  Doing. Das Betriebswirtschaftliche hat er sich angeeignet, das
  Gespür für die richtigen Marketingideen kam mit der Zeit und die
  Präsentation der Handarbeiten wird laufend optimiert. Minutiöse
  Planung oder strenge Konzepte allerdings sind Schmidts Sache
  nicht. Lieber experimentiert er mit verschiedenen Ideen und
  Aktionen und schärft seinen Blick für den Bedarf durch
  Beobachtungen und Begegnungen: "Seit ich mit diesem Webshop
  begonnen habe, gehe ich mit anderen Augen durch die Welt - nicht
  nur was den Markt, sondern auch was den Austausch zwischen Jung
  und Alt betrifft." Deshalb hat Schmidt kurz nach der Gründung von
  Oma Schmidts Masche begonnen, aktiv in einem Stuttgarter
  Mehr-Generationenhaus mitzuarbeiten, demnächst will er dort
  Computerkurse für Senioren anbieten. Die Begegnung von Alt und
  Jung betrachtet er auch als den tieferen Sinn seines
  Unternehmens: "Ich möchte damit bewirken, dass die Senioren die
  junge Welt kennenlernen, und umgekehrt, dass sich die
  Generationen wieder mehr verbinden und dass das gesellschaftliche
  Leben wieder mehr ins Gleichgewicht rückt."
Entwicklungslabor für Talente, Ideen und Beziehungen.
  Dieser Wunsch, mit dem eigenen
  Business mehr zu bewegen als einfach nur Waren gegen Geld,
  schwingt auch bei Johann Ehmann mit. Seit der Gründung von
  Ultraschall-Babys.de spendet er einen Teil der Einnahmen für
  karitative Zwecke: "Ich finde es wichtig, etwas Gutes zu tun.
  Dieses Geschäft rein kommerziell zu betreiben ist mir einfach zu
  kalt. Schließlich bieten wir ein sehr persönliches und liebevoll
  gemachtes Produkt an." Das ist auch der Grund, warum er dem
  Wachstum seines Unternehmens mit gemischten Gefühlen
  gegenübersteht. Auf der einen Seite, so Ehmann, würde er sich
  über den richtig großen Erfolg freuen. Auf der anderen Seite aber
  würde es gar nicht zum familiären Flair von Ultraschall-Babys.de
  passen, wenn sich das Geschäft zum Big Business entwickeln
  sollte.
  
Ähnlich vorsichtig betrachtet Ulrike Kalb die Expansion
  ihres Webshops: "Mehr Wachstum, das bedeutet mehr Artikel, mehr
  Angestellte und weniger Beweglichkeit." Statt einfach nur größer
  zu werden, möchte sie ihren Markt lieber geschickt verbreitern,
  etwa indem sie sich stärker auf das Auktionsgeschäft konzentriert
  und den Warenversand auslagert. Ihr wichtigstes Wachstumsziel
  betrifft ohnehin weniger den eigenen Umsatz als vielmehr die
  Zufriedenheit ihrer Kunden. "35.000 positive Bewertungspunkte bei
  eBay - das ist es, worauf ich hinarbeite."
  
Auch Manfred Schmidts Wachstumsvisionen zielen eher auf den
  immateriellen Zugewinn. Demnächst will er zwar einen Laden in
  Stuttgart eröffnen, gleichzeitig aber schiebt er weitere
  Generationenprojekte an und baut den Online-Shop weiter aus.
  Neben den Häkel-Omas können künftig auch Werkel-Opas mitmachen
  und irgendwann in der Zukunft soll OmaSchmidtsMasche.de der
  zentrale Marktplatz im Web sein, wo Senioren ihre Kreativtalente
  anbieten - "aber nicht als reiner Online-Handelsplatz, sondern
  auch als Kommunikationsplattform. Die Senioren sollen erfahren,
  dass ihre Arbeit einen Wert hat, dass ihre Fähigkeiten gefragt
  sind und dass sie darüber generationenübergreifend ins Gespräch
  kommen können."
  
Vielleicht ist genau das die Quintessenz der neuen Qualität
  des Online-Handels: Der virtuelle Marktplatz ist ein ideales
  Entwicklungslabor für Talente, Ideen und Beziehungen - offen für
  jedermann, für jedes Produkt, für jedes Geschäftsmodell, für
  jeden Geldbeutel, jeden Bildungsstand und jede Lebenslage.
  Innerhalb weniger Jahre hat sich im Internet ein Handelsplatz
  etabliert, der anders tickt als die Massenwarenwelt -
  vielfältiger, lockerer, persönlicher, menschlicher. Nicht immer,
  aber immer öfter betrachten Gründer ihren Webshop nicht als
  seelenlosen Vertriebskanal, sondern als lebendigen Tausch- und
  Umschlagplatz für Fähigkeiten und Fertigkeiten, Kommunikation und
  Kreativität, Leidenschaften und Wertvorstellungen. Nicht immer,
  aber immer öfter geht es nicht einfach nur darum, etwas über das
  Internet zu verkaufen, sondern es anders zu verkaufen:
  vertrauensvoll, glaubwürdig, warm und individuell. Und nicht
  immer, aber immer öfter spielt auf dem virtuellen Marktplatz
  neben dem materiellen auch der immaterielle Zugewinn eine
  gewichtige Rolle, ganz gleich, ob er sich in Form von
  Selbstentfaltung, Selbstbestätigung, Dienst an der Gemeinschaft
  oder schlicht nur als Spaß an der Freud auszahlt. Dennoch ist
  das, was Web-Shop-Betreiber wie Ulrike Kalb, Johann Ehmann oder
  Manfred Schmidt tun, Geschäft. Es ist Erwerbsarbeit, die dazu da
  ist, Umsatz und Einkommen zu erbringen - aber eben nicht nur und
  nicht ausschließlich. An diesen Nischengeschäften zeigt sich der
  Charakter der gewandelten Erwerbsarbeit besonders klar: Sie ist
  vielfältig, selbstbestimmt und alles andere als eindimensional.
  Nicht nur Arbeit, aber auch.
Gundula Englisch, Journalistin, Autorin und Filmemacherin, arbeitet als freie Redakteurin für changeX.
  
  http://stores.ebay.de/UK-Werkzeugshop
  
 
  www.omaschmidtsmasche.de
  
 
  www.ultraschall-babys.de
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