Im Zeichen des Panthers
Eine Fortsetzungsreportage über die Wirtschaftskanzlei Osborne Clarke. | Folge 1 |
Kann man ein modernes, hocheffektiv arbeitendes Dienstleistungsunternehmen aufbauen - und zugleich auf seine Mitarbeiter achten, auf ein menschliches Miteinander und ein Leben jenseits des Jobs? Die 2001 gegründete Anwaltssozietät Osborne Clarke ist davon offenbar überzeugt. Sonst hätte sie changeX wohl nicht gebeten, ihre Entwicklung zu begleiten. Wir sind gespannt - und halten Sie jeden Montag auf dem Laufenden.
Ein Fax aus Österreich, abgeschickt im Hotel Almrausch in Lech am Arlberg. "Sehr geehrter Herr Kollege, aus meinem Schiurlaub eine Fax-Kopie des Urteils im Fall Roland Meier. Trotzdem einen schönen Tag", schreibt Rechtsanwalt Ruedi Garbauer an seinen Kollegen Stefan Rizor in Köln. "Trotzdem" will sagen: eine Niederlage. Es sieht nicht gut aus für den Schweizer Radprofi Roland Meier. Das gut 20 Seiten umfassende Urteil des obersten internationalen Sportgerichts TAS, das der Schweizer Anwalt an seinen Kollegen am Rhein faxte, stellt fest: Meier war gedopt. EPO, nachgewiesen im Urin des Sportlers im Anschluss an den Radklassiker Fléche Wallone, zu Deutsch "Flämischer Pfeil", im vergangenen Frühjahr.
Präzedenzfall Meier.
Ruedi Garbauer ist Anwalt des Radrennfahrers, Stefan Rizor von der Kölner Anwaltskanzlei Osborne Clarke nahm an dem Verfahren als Prozessbeobachter teil. Er vertritt die Sportartikelkette Coast, die zwischen Wuppertal und Aachen mit 22 Filialen präsent ist. Coast sponsert den gleichnamigen Profirennstall und ist Arbeitgeber von Roland Meier. Rizor ist im Sportrecht durchaus bewandert, in erster Linie aber ist er Wirtschaftsanwalt. Und um wirtschaftliche und arbeitsrechtliche Fragen geht es auch im Verfahren Meier, neben dem sportrechtlichen Kern zumindest. Denn im Arbeitsvertrag des Radprofis steht, dass ein Verstoß gegen das Dopingverbot Grund für die fristlose Entlassung ist. Für den 33-jährigen Meier, der ohnehin nur noch wenige Jahre als Radprofi vor sich hat, wäre dies vermutlich das Ende seiner Karriere. Nach dem positiven Test hielt Coast zunächst zu seinem Fahrer, der versicherte, keine unerlaubten Mittel genommen zu haben. Meier wurde suspendiert, aber nicht entlassen. "Bis zum Beweis des Gegenteils gilt die Unschuldsvermutung", beharrt Rizor auf dem ehernen Grundsatz unseres Rechtsverständnisses. "Ich bin gegen jede Art von Vorverurteilung oder Verdächtigungen aufgrund von fragwürdigen wissenschaftlichen Testmethoden", stellte sich auch Coast-Inhaber Günter Dahms hinter seinen Fahrer. Ziel der Kritik war das neue Testverfahren, für das Meier zu einer Art Präzedenzfall werden sollte.
Urinprobe positiv.
Der 33-jährige Schweizer Radprofi
war einer der ersten Rennfahrer, die nach einem neuen
EPO-Nachweistest "positiv" getestet worden waren. Keine drei
Wochen nach der Zulassung der neuen Nachweismethode hatten
Dopingfahnder Meier nach dem Rennen am 18. April 2001 zur
Urinprobe gebeten, nachdem seine Blutprobe einen auffallend hohen
Wert an roten Blutkörperchen ergeben hatte. Die neue Methode, die
erstmals den direkten Nachweis von gentechnisch hergestelltem EPO
erlauben sollte, erbrachte einen positiven Befund, ebenso die auf
Antrag des Sportlers untersuchte B-Probe: künstliches EPO im
Blut. Damit war Meier fällig; der Radsportverband UCI verhängte
im Sommer eine vorläufige Sperre gegen den Athleten, die Meier
und sein Anwalt wiederum anfochten. Ihre Verteidigungsstrategie:
Sie stellten das neue Analyseverfahren, das der
Weltradsportverband eben erst eingeführt hatte, in Frage.
Tatsächlich war der neue Dopingtest, den UCI-Präsident Hein
Verbruggen bei der Einführung am 1. April 2001 vollmundig als
"Sieg im Krieg gegen EPO" gefeiert hatte, schnell in Verruf
geraten. So musste der ebenfalls positiv getestete Radprofi Bo
Hamburger freigesprochen werden, zwei weitere Fahrer wurden
rehabilitiert, nachdem sich Unstimmigkeiten in den Tests gezeigt
hatten.
Darauf hatte Meiers Anwalt gesetzt - und erlitt nun eine
herbe Niederlage. Denn das Schiedsgericht, das am 8. Januar
sieben Stunden lang Zeugen und Sachverständige gehört hatte,
schloss sich den Bedenken gegen den Test nicht an. Das Verfahren
sei genügend ausgereift, wissenschaftlich gesichert und führe zu
verlässlichen Ergebnissen, so der Tenor des Urteils vom 28.
Januar. Meier war gedopt, die Sperre rechtmäßig, so die
Überzeugung des Gerichts. Lediglich bei den Verfahrenskosten kam
das Schiedsgericht dem Familienvater, der seitdem über kein
Einkommen mehr verfügt, entgegen. Meier muss nicht für die
Gerichtskosten der Gegenseite aufkommen, und seine Sperre wurde
zurückdatiert, so dass er schon im Mai wieder an den Start gehen
und bei den wichtigen Rennen der Saison mitradeln könnte. Wenn
sich ein Team findet, das ihn lässt. Das Trikot von Coast
jedenfalls wird er abgeben müssen. "Das Kapitel Roland Meier ist
bei uns abgeschlossen", sagte Coast-Teamchef Wolfram Lindner,
"bei positiver A- und B-Probe erfolgt bei uns automatisch eine
Kündigung."
Im Spannungsfeld der Interessen.
Eine klare Sache möchte man meinen.
Ganz so eindeutig ist der Schuldspruch des internationalen
Schiedsgerichts für Rechtsanwalt Stefan Rizor indes nicht. Er
sieht den Fall in einem Spannungsfeld von Interessen angesiedelt:
auf der einen Seite der Sportler, der eine Familie zu versorgen
hat, auf der anderen Seite der Radsportverband, der durch die
Dopingskandale der Vergangenheit aufgeschreckt wurde und nun
Erfolge im "Krieg gegen EPO" vorweisen muss. "Da muss die
Möglichkeit, Blutdoping im Urin nachzuweisen, wie ein Geschenk
des Himmels erschienen sein", meint der Anwalt, der nach wie vor
Zweifel an der nicht eben mit Bedacht eingeführten Analysemethode
hegt. Letztlich sei ein Gericht, bestehend aus Juristen, schlecht
vorbereitet, um zu beurteilen, ob eine Analysemethode
wissenschaftlichen Ansprüchen genüge. Zumal gesetzliche Vorgaben
fehlen. "Die Richter behelfen sich hier mit ihrer Überzeugung",
sagt Rizor.
Nicht zuletzt geht es auch um das Vertrauensverhältnis
eines Arbeitgebers zu seinem Angestellten, der stets versichert
hat, keine verbotenen Substanzen zu sich genommen zu haben. Und
es geht um wirtschaftliche Interessen - um das Image einer Marke.
Ein Dopingskandal wäre Gift für das Image des Rennstalles, der in
der Radsportszene ohnehin mit Argusaugen beäugt wird, seit er
einen Teil des ehemaligen Festina-Teams unter seine Fittiche
genommen hat. Denn die Festina-Fahrer waren die Hauptakteure der
Skandal-geschüttelten Tour de France im Jahr 1998. Einen
Dopingfall kann sich der Coast-Rennstall nicht leisten, zumal er
sich gegen starke Konkurrenz im eigenen Land behaupten muss. In
Deutschland war Coast im Radsport bislang Nummer Zwei hinter dem
Team Telekom. Doch dann hatte Gerolsteiner-Chef Peter Trautmann,
der mit seinem Sprudelwasser 200 Millionen Euro im Jahr umsetzt,
sein Engagement deutlich aufgestockt. Nach dem Motto "Geld hat
man, darüber spricht man nicht" will sich Gerolsteiner als zweite
Radsportmarke hinter Telekom etablieren. Dafür, dass dem
finanziellen Engagement auch sportliche Erfolge folgen, soll der
italienische Profi Davide Rebellin sorgen, der im vergangenen
Jahr Fünfter der Weltcupwertung wurde und mit seinen
Wasserträgern soeben zu Gerolsteiner gewechselt ist. Ob der
Sponsoringmarkt drei deutsche Spitzenteams verträgt, ist indes
mehr als fraglich. Wie gesagt: ein Dopingskandal hätte da gerade
noch gefehlt.
Wirtschaftsrecht kann spannend sein.
Der Dopingfall zeigt:
Wirtschaftsrecht kann durchaus spannend sein. Wirtschaftsanwälte
sind nicht die langweiligen Paragrafenreiter, die erst dann tätig
werden, wenn die spannenden Geschäfte längst gelaufen sind. Ihr
Job besteht nicht darin, Vertragswerke rechtlich wasserdicht zu
machen und Prozesse um die Auslegung von Worten zu führen. Das
auch, sicher. Aber ihre Rolle beschränkt sich längst nicht mehr
auf die juristische Nachbearbeitung. Vielmehr sitzen sie selbst
mit am Verhandlungstisch, wenn es um die großen Deals geht, sie
sondieren im Vorfeld, beraten Unternehmen - und spielen
Feuerwehr, wenn etwas anzubrennen droht.
Ein Wirtschaftsanwalt muss vielseitig sein.
Markenrechtsverfahren, Verhandlungen über die Übernahme oder den
Verkauf von Unternehmen, arbeitsrechtliche Streitigkeiten,
Tüfteln an seitenlangen Verträgen et cetera gehören zum täglich
Brot in einem Rechtsgebiet, das ständig an Bedeutung gewinnt. Und
je höher die Taktfrequenz der Wirtschaft, desto kürzer werden die
Reaktionszeiten der juristischen Berater. Meist muss schnell
gehandelt werden. Etwa, wenn auf einem Messestand einer kleinen
Firma aus Fernost ein Produkt auftaucht, das dem des Marktführers
gleicht wie ein Ei dem anderen - von einem kleinen, aber feinen
Unterschied abgesehen, zwei Streifen statt deren drei auf dem
Turnschuh zum Beispiel. Oder wenn der Inhaber einer
mittelständischen Firma auf die Idee kommt, den Kaufvertrag über
eine wertvolle Immobilie doch noch anwaltlich prüfen zu lassen -
am Nachmittag vor der Unterzeichnung des Kaufvertrags. Oder eben
ein Dopingfall mit wirtschaftlichen Begleiterscheinungen.
Nicht zuletzt ist das Recht selbst ein wirtschaftlich
interessanter Markt. Und der deutsche wiederum einer der
interessantesten in Europa. Auf rund 20 Milliarden Mark im Jahr
wird sein Volumen geschätzt. Klar, dass sich diese Summe nicht
die deutschen Anwälte unter sich aufteilen. Der Sog der
Internationalisierung hat auch das Geschäft um das Recht erfasst
- und den deutschen Anwaltsmarkt gehörig durcheinander gewirbelt.
Spektakuläre Übernahmen, Abspaltungen und Fusionen haben den
ehemals beschaulichen Zirkel der großen Wirtschaftskanzleien
durcheinander geschüttelt. Zunehmend tauchen dabei englisch
klingende Namen in den Spalten der einschlägigen Branchenbücher
auf, manchmal in Kombination mit deutschen, wie etwa bei Clifford
Chance Pünder oder aber ohne deutschen Anhang wie im Falle
Osborne Clarke, einer englischen Sozietät, die erst seit dem
vergangenen Jahr mit Büros in Frankfurt und Köln vertreten ist.
Stefan Rizor managt das Kölner Büro und sitzt im Managing Board
des deutschen Ablegers.
Ziel: erfolgreich, zukunftsorientiert und menschlich.
Um Osborne Clarke geht es in der neuen Serie von changeX. In Form einer Fortsetzungsreportage wollen wir die Entwicklung dieser Kanzlei über mehrere Monate hinweg beobachten. Warum gerade diese und keine andere Sozietät? Nun, Osborne Clarke will einiges anders machen als andere Kanzleien. In einem Beruf, in dem die 70-Stunden-Woche eher die Regel als die Ausnahme ist, will man allen Mitarbeitern ein Leben außerhalb des Jobs ermöglichen. "Wir wollen eine zukunftsgerichtete Anwaltssozietät begründen, in der es gleichwohl möglich ist, ein menschliches Miteinander zu schaffen", beschreibt Stefan Rizor die Ziele des neu gegründeten Unternehmens. Man geht eigene Wege und versucht, das Berufsbild des Anwalts zu modernisieren und an die modernen Arbeits- und Berufswelten anzupassen. Wir wollen sehen, ob dies gelingt.
Winfried Kretschmer, Journalist und Autor, arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.
Zur Übersicht aller erschienenen Folgen.
Mit einer Grafik von Limo Lechner.
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Autor
Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Chefredakteur und Geschäftsführer von changeX.