Großraum vs. Denkzelle
Eine 40-teilige Reportage über die Wirtschaftskanzlei Osborne Clarke. | Folge 26 |
Ob sich die Menschen bei der Arbeit wohl fühlen, hängt nicht zuletzt auch mit der Gestaltung ihres individuellen Arbeitsplatzes zusammen. Einzelbüro oder Großraum oder gar ein Büronomaden-Dasein mit fahrbarem Trolley? Welches die beste Lösung ist, das ist in der Business-Welt umstritten. Jeder schwört auf seine Lösung. Bei Osborne Clarke ist das nicht anders.
Frankfurt hat einen Ruf zu verteidigen. Als die eben gegründete deutsche Dependance von Osborne Clarke im April 2001 ihre Büroräume in der Fürstenberger Straße bezog, war das eine Deutschlandpremiere: die erste Anwaltssozietät im Großraumbüro. Wer das geräumige Büro im zweiten Stock besucht, glaubt nicht, eine Anwaltskanzlei zu betreten. Eine Redaktion, eine IT-Firma oder ein anderes junges Unternehmen der Dienstleistungsbranche - das ja, aber keine Kanzlei. Zwar kokettieren die Anwälte von Osborne Clarke nicht ungern mit dem Image des Andersseins, für die Entscheidung, ein Großraumbüro einzurichten, war das jedoch nicht der bestimmende Grund. Sie fiel eher unter pragmatischen und ästhetischen Gesichtspunkten.
Null Kommunikationsverluste.
"Der helle und großzügige Raum hätte seinen Charme verloren", erinnert sich Peter Bert. Was weiter für eine offene Lösung sprach, war die Teamstruktur, die man umsetzen wollte. Positive Erfahrungen mit "Open Plan" gibt es in England, wo die Osborne-Clarke-Niederlassungen in Bristol, Thames Valley und London in offener Architektur gestaltet sind. Gemeinsam entschieden sich die Gründer, das Experiment zu wagen. Bereut haben sie es nicht. "Die Kommunikationsverluste gehen gegen Null", resümiert Bert, "und man hat auch das Gefühl, im Team zu arbeiten." Als Bestätigung werten die Frankfurter Anwälte die Reaktion neu hinzugekommener Kollegen. Die hätten anfangs eingewandt, sie würden ungern im Großraumbüro arbeiten. "Aber nachdem sie uns besucht hatten, waren sie Feuer und Flamme", erzählt Peter Bert. Dass es auch Nachteile gibt, verschweigt er nicht: Die Akustik sei etwas problematisch, sagt er. Gleichwohl wertet er das Experiment als Erfolg.
Köln: Open Doors statt Open Plan.
Stefan Rizor, Managing Partner des Kölner Büros, ist da anderer Meinung. Er ist ein Verfechter der Einzelbüros. In Köln war die Ausgangssituation ähnlich wie in Frankfurt. Auch die dortige Büroetage war leer, ein Rohbau, der sowohl Großraum- wie auch Einzelbüros zuließ. Vielleicht hätten ästhetische Gründe durchaus für die Open-Plan-Variante gesprochen, denn aus der zehnten und elften Etage die Stadt am Rhein nach zwei Seiten hin überblicken zu können, hätte durchaus seinen Reiz gehabt. Dennoch entschied man sich für die Einzellösung. Ein umlaufender Flur umschließt einen zentralen Funktionsbereich mit Sanitärräumen, Küche und Technik. An den beiden Fensterfronten sind die Arbeits- und Besprechungszimmer aufgereiht - die eine Seite mit Morgen- die andere mit Abendsonne. Jeder Anwalt hat einen eigenen Raum. Meist stehen die Türen zu den kleinen Zimmern offen. Wer in Ruhe telefonieren möchte oder ungestört sein will, schließt die Tür.
Denkzellen mit Rückzugsmöglichkeit.
Dies ist für Rizor auch der schlagende Grund für die "Denkzellen", wie er die Einzelzimmer nennt. "Anwälte telefonieren berufsbedingt viel", sagt er, "im Großraum sind sie gezwungen, untypisch leise zu sprechen, oder sie stören permanent die anderen." Weitere Argumente kommen hinzu: "Die Sozialkontrolle ist hoch", gibt der Kanzleimanager zu bedenken, vor allem jüngere Kollegen empfänden die offene Situation nicht selten als unangenehm: Keine Möglichkeit zu vertraulichen Gesprächen, keine Rückzugsmöglichkeit, dafür ständig unter Beobachtung. "Wer aus dem Fenster schaut und nachdenkt, der wird diesen Prozess des Nachdenkens schwer als Arbeit vermitteln können", fürchtet Rizor, der freilich auch zugesteht, dass die Mitarbeiter und Kollegen in Frankfurt mit der Großraumlösung zufrieden sind. Gleichermaßen gilt das für die Kölner Anwälte, die ihre Arbeits-Separées nicht mit dem Großraum tauschen möchten.
Der Umzug als Nagelprobe.
Vice versa gilt dies für ihre
Frankfurter Kollegen, die ebenfalls von ihrer Lösung überzeugt
sind. Für sie überwiegen die Vorteile der offenen Büroarchitektur
beim Teamwork. "Es macht einfach Spaß, hier zu arbeiten", lautet
das Fazit von Peter Bert. Und "Denkzellen" habe Frankfurt
schließlich auch, betont der Anwalt: Für Telefonkonferenzen,
ungestörte Gespräche oder Telefonate gibt es dort mehrere "Silent
Rooms", in die man sich auch zurückziehen kann, um ungestört zu
arbeiten. Wie Hassan Sohbi zum Beispiel, der in dieser Woche
mehrere Tage dorthin verschwunden ist, um einen Kommentar fertig
zu stellen.
Die Bewährungsprobe für das anwaltliche Großraumbüro steht
indes noch aus. Denn der Mietvertrag für die bisherigen Räume
läuft nur bis zum Frühjahr 2003. Und mit der Auswahl eines neuen
Büroobjekts steht die Frage "Großraum vs. Denkzelle" erneut zur
Entscheidung an. Für Peter Bert und die Frankfurter Anwälte ist
das indes keine Grundsatzfrage. Einen Antagonismus der beiden
Büromodelle sehen sie nicht, sondern wollen pragmatisch
entscheiden, wenn die neuen Räume zur Auswahl stehen. Denn dabei
spielen auch andere Faktoren eine Rolle. Die Höhe der Miete zum
Beispiel. Oder die Ästhetik. Und vielleicht ist ja der Zuschnitt
der Räume nicht das Entscheidende, sondern der Geist, der sich in
ihnen entfaltet.
Winfried Kretschmer, Journalist und Autor, arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.
Die nächste Folge erscheint kommenden Montag.
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Autor
Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Chefredakteur und Geschäftsführer von changeX.