Ein kleiner Anflug von Sozialismus
Eine 40-teilige Reportage über die Wirtschaftskanzlei Osborne Clarke. | Folge 30 |
Bei Osborne Clarke empfindet man das Mandat als Mandat des Hauses und nicht als Mandat des einzelnen Anwalts. So hatte Henry Dawidowicz in der vorangegangenen Folge seine Erfahrungen mit der Kölner Anwaltskanzlei zusammengefasst. Das ist freilich kein Zufall, sondern hängt zusammen mit der Form der Gewinnverteilung. Und darum geht es in der heutigen Folge.
Ein Mandat solle nicht von dem Anwalt bearbeitet werden, der es akquiriert hat, sondern von dem jeweils kompetentesten. Die im Haus verteilte Kompetenz solle in die Arbeit einfließen. Die Anwälte sollten kooperieren, einander unterstützen und sich gegenseitig vertreten. Das sind in Kurzform die Grundprinzipien, nach denen die Teamarbeit bei Osborne Clarke ablaufen soll. Zudem gilt das nicht nur für die Büros in Frankfurt und Köln, sondern über die Standorte hinweg. Hehre Ziele? Nicht nur. Offensichtlich funktioniert das Modell ganz passabel.
Eat what you kill.
Funktionieren kann es freilich nur,
weil man bei der Gründung der Kanzlei das in Deutschland
weitgehend übliche umsatzbezogene Gewinnverteilungsmodell über
Bord geworfen hat. Beim alten, ebenso unschön wie treffend mit
"Eat what you kill" umschriebenen System kassiert der Anwalt, der
ein Mandat akquiriert hat, auch die Honorare. "Jeder Partner
nimmt das, was er verdient, abzüglich der Unkosten, mit nach
Hause", umreißt Hans-Rudolf Ebel, Senior-Anwalt bei Osborne
Clarke, dieses verbreitete Modell. Die Folgen liegen auf der
Hand: Wer einen Großteil der Gewinne auf seinem Konto verbucht,
wird nur wenig Neigung verspüren, ein Mandat abzugeben. Er wird
vielmehr (um im Bild zu bleiben) den Braten für sich sichern.
"Jeder Partner versucht die Fälle bei sich zu behalten und nicht
an andere Dezernate abzugeben, weil er ja die Gewinne erntet",
resümiert Ebel. "Jeder wirtschaftet in die eigene Tasche, der
Zusammenhalt untereinander ist gering, der Teamgeist wenig
entwickelt", fügt er hinzu. "Die Sozietät ist im Prinzip ein Club
von Individualisten." Ebel muss es wissen. Denn der 66 Jahre
alte, erfahrene Anwalt kennt die Branche wie seine Westentasche.
Weil er mit den tradierten Strukturen keine Zukunft sah, hat er
sich seinen jungen Kollegen angeschlossen, um Osborne Clarke zu
gründen (Folge 8).
Die Fachwelt ist sich denn auch weitgehend einig, dass
durch eine umsatzbezogene Gewinnverteilung die
Ellenbogenmentalität gefördert wird und ein kanzleiinterner Kampf
um die lukrativsten Mandate entbrennt - das schreibt zum Beispiel
der Münchner Rechtsanwalt Peter Eller im Fachmagazin
jumag. Die Gründungsziele von Osborne Clarke - mehr
Teamgeist, mehr Zusammenarbeit über die Fälle und Mandate hinweg,
Nutzung der verteilten Kompetenz - erforderten eine Änderung des
Gewinnverteilungssystems.
Step für Step nach oben.
Das Rad muss jedoch nicht neu
erfunden werden. Ein Modell, das all das ermöglichte, gab es
bereits: das in englischen und amerikanischen Kanzleien übliche
Lockstep-System, das sich auch hierzulande zunehmend verbreitet.
Vor allem in den großen Wirtschaftskanzleien ist Lockstep
mittlerweile Standard. Bei diesem angelsächsischen Modell fließen
alle Gewinne in einen gemeinsamen Topf und werden nach einem
festgelegten Schlüssel, der mit der Dauer der
Kanzleizugehörigkeit ansteigt, an alle Partner ausgeschüttet. "Es
spielt keine Rolle mehr, wer das Mandat akquiriert und wer es
abarbeitet", beschreibt Kanzleimanager Stefan Rizor den Effekt
des Modells, das auch bei Osborne Clarke gilt. "Alle sind
insofern gleich", fügt Rizor an. Und frotzelt: "Ein kleiner
Anflug von Sozialismus" sei das.
Keiner hängt an einem Mandat, eine möglichst effektive weil
qualifizierte Bearbeitung liegt in der Logik des Systems. Und der
persönliche Aufstieg ist kalkulierbar: Im Lockstep geht es Step
für Step nach oben.
Umsatz als Maßzahl.
Es bleibt freilich beim kleinen
Anflug von Sozialismus. Gewinn und Umsatz bleiben natürlich
wichtige Maßzahlen, und klassenlos ist die Anwaltsgesellschaft
indessen auch nicht. Das Gewinnverteilungssystem gilt für die
Partner der Sozietät, die angestellten Anwälte erhalten - wie
alle anderen Arbeitnehmer auch - ihr monatliches Gehalt. Klar ist
damit auch ihr oberstes Karriereziel: Partner werden. Das
erreichen freilich nur die Besten, und die Maßzahl für die
Qualität eines Anwalts sind eben nicht zuletzt die Umsätze, die
er erzielt. Im Kreis der Partner wird offen über diese Themen
gesprochen. "Man muss erst einmal die Erfahrung gemacht haben,
was es heißt, 250.000 oder 300.000 Euro Umsatz zu machen", sagt
beispielsweise einer der Partner. Da sind Einsatz und Engagement
gefragt, gerade bei der Akquisition neuer Mandate. Denn man
schaut schon darauf, ob die Umsätze, die einer bringt, aus selbst
akquirierten oder aus übertragenen Mandaten stammen. Dennoch gibt
es kein definiertes Umsatzlimit für die Partnerschaft.
"Voraussetzung ist die Fähigkeit, sich und andere zu organisieren
und hochkarätige Mandanten zu betreuen", betont Stefan Rizor, "es
spielt aber keine Rolle, ob ein bestimmter Umsatz erreicht wird."
Dennoch ist es nicht ganz egal, wer ein Mandat bearbeitet.
Zwar hängt daran nicht das Einkommen, wohl aber die Reputation
des Anwalts und seine Position in der sozialen Hierarchie der
Kanzlei. Wer Ansprechpartner für einen Mandanten ist, der ist
eben auch derjenige, der Arbeiten verteilt und nicht nur Aufträge
empfängt.
Entscheidend ist die Kultur.
Kurzum: Das System ist nicht alles. Das eine Modell mag die Ellenbogenmentalität fördern, das andere den Teamgeist, letztlich entscheidet aber die gelebte Kultur im Unternehmen, was die Oberhand gewinnt. Das ist der Grund, weswegen eigentlich alle Organisationsmodelle bei Osborne Clarke immer wieder zu dem einen Grundgedanken zurückkehren: das menschliche Miteinander, das auf gegenseitigem Vertrauen aufbaut. Funktionieren könne das Gewinnverteilungssystem nur, "wenn man sich aufeinander verlassen kann", sagt Stefan Rizor. Deshalb legt er großen Wert auf Teamfähigkeit und charakterliche Bildung. Und auf die Bereitschaft, Gemeinschaftsaufgaben jenseits der anwaltlichen Arbeit zu übernehmen. Rizor: "Eine Sozietät lebt davon, dass jeder sich nach seinen Möglichkeiten und seinen Kräften für die Gemeinschaft einsetzt und das in seinem Bereich Notwendige tut." Ob das Konzept aufgeht, wird auch davon abhängen, ob alle Mitarbeiter diesen Anspruch einlösen.
Winfried Kretschmer, Journalist und Autor, arbeitet als freier Mitarbeiter für changeX.
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Autor
Winfried KretschmerWinfried Kretschmer ist Chefredakteur und Geschäftsführer von changeX.