Nicht nur Luftideen

#idm11 - die Konferenz Ideenmanagement 2011 beweist Mut zu neuen Veranstaltungsformaten
Text: Dominik Fehrmann und Winfried Kretschmer

Abkehr vom erschöpfenden Frontalvortrag, hin zu dynamischen, interaktiven Formen von Wissensvermittlung und Erfahrungsaustausch - das war Programm. Die diesjährige Ideenkonferenz machte Ernst mit neuen Gesprächskonstellationen und Lernarrangements. Ein Twitter-Report auf der Grundlage der Tweets von der Veranstaltung.

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Die Aufgabe lautet: Papierflieger falten. Jeder einen möglichst guten, schnittigen, wendigen. Sogleich macht sich die Runde ans Werk. Konzentration und freudiger Eifer sind mit Händen zu greifen. Erwartungsvoll blicken die Damen und Herren schließlich auf den Sack in der Mitte, in dem Holger Scholz ihre Ergebnisse gesammelt hat. Doch dann der Schock: Scholz trampelt auf dem Sack herum, tritt ihre Papierflieger mit Füßen, lächelnd, mit einem Schulterzucken. Stille im Saal. Dann empörtes Murmeln. Und dann dämmert es ihnen.


Von Luftideen und Papiertigern


Willkommen in der Gefühlswelt missachteter Ideenlieferanten. "Kommt Ihnen das bekannt vor?", fragt Scholz in die Runde. Allseitiges Nicken. Ja, die enttäuschten Papierfliegerfalter kennen das nur zu gut: Wenn Ideen ignoriert werden oder ungeprüft entsorgt. Das geschehe, so berichten sie einhellig, in Unternehmen vielleicht subtiler, aber die Folgen seien gleich: Frustration und zunehmende Gleichgültigkeit bei den Mitarbeitern, die - durch Vorgesetzte womöglich noch leichtfertig ermutigt - ihre Ideen eingebracht haben. 

"Von Luftideen und Papiertigern ..." hat Holger Scholz seine Irritation genannt. Es ist der Einstieg in die Tagung "Ideenmanagement mit Mut und Emotionen", veranstaltet vom Zentrum Ideenmanagement. Zusammengekommen sind hier, in Berlin, Ideenexperten aus den verschiedensten Bereichen, aus Wirtschaft, Wissenschaft und Unternehmensberatung. Sie alle kennen sich aus im Umgang mit Ideen. Und sie alle treibt die Frage um, wie Ideen für Verbesserungen in Unternehmen hervorgebracht und fruchtbar gemacht werden können.


Ausdruck des Andersseins


Denn Ideen sind für Unternehmen lebenswichtig. Das betont Dietrich Bartelt in einem gemeinsam mit Barbara Gronauer gehaltenen Vortrag. Wie die Anpassung an wechselnde Umweltbedingungen entscheidend sei für die evolutionäre Entwicklung des Menschen, kämen auch Unternehmen nicht ohne innovativen Wandel aus. Dafür aber brauche es Ideen, einen neuen Blick auf alte Muster und Normen. Frei nach Albert Einsteins Devise: "Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind." 

> Die Idee ist Ausdruck des Andersseins. Des Abweichens von der Norm. Dietrich Bartelt
> Ideen sind für Unternehmen überlebenswichtig. Dietrich Bartelt
> Anpassungsfähigkeit ist evolutionär entscheidend; Entsprechendes gilt für Unternehmen. Dietrich Bartelt
> Den Fehler als Quelle der Innovation anerkennen lernen. Dietrich Bartelt  

Doch neue Denkweisen zuzulassen, Unzeitgemäßes über Bord zu schmeißen, fällt Menschen schwer. Schwerer noch fällt es einem System, das - wie ein Unternehmen - auch auf gewisse Routinen im Denken und Handeln angewiesen ist. Da gilt es, Widerstände zu überwinden, bei Chefs, Controllern und Berufsskeptikern. Sowie Anreizsysteme zu schaffen, für die Mitarbeiter, damit sie über die alltägliche Routine hinausdenken. Und jene ansteckende Begeisterung zeigen, die für erfolgreiches Ideenmanagement unabdingbar sei, wie es Christiane Kersting vom Zentrum Ideenmanagement in ihrer Begrüßungsrede formuliert hatte.  

> Ideenmanagement braucht Mut und Emotionen. Unter den Emotionen ist es vor allem Begeisterung, die IDM erfolgreich macht. Christiane Kersting


Themenfindung, selbst organisiert


Wie schwierig das ist, davon wissen die Teilnehmer ein Lied zu singen. Was ihnen besonders unter den Nägeln brennt, tragen sie in die sogenannte Open Arena. In selbst organisierten Kleingruppen tauscht man sich hier aus, zu Themen wie "Integration nachhaltiger Ideenentwicklung in den betrieblichen Alltag", "Nutzung von Social Media im Ideenmanagement" oder auch "Erfahrungen mit der Einführung einer betriebsinternen Ideenmanagement-Software". Die anschließenden Ergebnisberichte im Plenum münden in eine breite Palette von teils allgemeinen, teils ganz konkreten Vorschlägen und Anregungen.  

> Angst der Führungskräfte vor Verbesserungsvorschlägen durch ihre Untergebenen muss überwunden werden -> braucht Mut.
> Nicht nur die "Idee des Monats" prämieren/honorieren, sondern auch den "Fehler des Monats".
> Überhaupt eine neue Fehlerkultur etablieren - also das Bewusstsein dafür stärken, dass Fehler Erkenntnisquellen sind.
> Akquise von Ideengebern per Social Media, dann aber Face-to-Face-Kontakt.
> Nicht nur Ideen der Mitarbeiter einbeziehen, sondern auch Ideen der Kunden.  

Die fruchtbaren Diskussionen sind zweifellos auch Folge methodischen Muts. Des Muts zur Abkehr vom erschöpfenden Frontalvortrag, hin zu dynamischen, interaktiven Formen von Wissensvermittlung und Erfahrungsaustausch. Man geht hier buchstäblich aufeinander zu, schafft immer wieder neue Gesprächskonstellationen und Lernarrangements.  

> Hier ist nichts frontal, hier sitzt man im Kreis und keiner redet zu lange. Neue Veranstaltungsformate  


Ideenmanagement, eine Basisbewegung


Das gilt auch am zweiten Tag, als Holger Scholz seine Irritation "von Luftideen und Papiertigern" nochmals aufgreift. Abermals sind die Teilnehmer gefordert, Papierflieger zu bauen. Diesmal aber gehen sie eher murrend und unwillig ans Werk. Zu tief sitzt die Erfahrung vom Vortag. Zu Unrecht, denn der Moderator gibt der Aktion eine andere Wendung: Er ruft zum Papierfliegerweitflug-Wettbewerb auf und schafft damit eine heitere, gelöste Stimmung im Saal. Konferenzatmosphäre? Keine Spur! Nicht zuletzt schaffen die durch den Raum segelnden Flugobjekte ein symbolisches Bild für Ideen. So ist dies in jeder Hinsicht nicht nur eine Tagung über, sondern auch voller Ideen.  

Ideensplitter sind auch die Tweets, die während der Tagung über den Twitter-Kanal @z_idm des Zentrums für Ideenmanagement laufen. Sie reflektieren den Verlauf der Veranstaltung und bringen thesenartig die Kernaussagen der Beiträge auf den Punkt.  

> Es begann mit einem orangefarbenen Zettelkasten: 100 Jahre Ideenmanagement bei Siemens. Vortrag Conrad v. Reichenbach
> Heute 100.000 realisierte Ideen pro Jahr bei Siemens.
> v. Reichenbach zu Ideenmanagement: Es ist wichtig, ALLE dabeizuhaben. Der Mensch steht im Mittelpunkt.
> v. Reichenbach: Ideenmanagement ist eine Basisbewegung. Die Bereitschaft zu kämpfen und das Thema voranzubringen hat zugenommen.
> v. Reichenbach: IDM kann man auch Entscheidungsmanagement nennen: zwingt dazu, Entscheidungen zu treffen.


Denklandschaften: Ideen im Mittelpunkt


Auch am zweiten Tag gibt es keinen ermüdenden Vortragsmarathon. Nach dem Fachvortrag zum Ideenmanagement bei Siemens steht wieder selbst organisierte Kleingruppenarbeit im Mittelpunkt: die "Denklandschaften" zum Thema "Ideen im Mittelpunkt". Sie werden thesenartig vorbereitet durch "Bierdeckelstatements" der Impulsgeber.  

> Jens-Uwe Meyer: Unternehmen sind nicht dafür gebaut, Kreativität zu fördern, Fehler zu verzeihen, Menschen zu vernetzen, unvorhersehbare Probleme zu lösen, wir brauchen parallele Strukturen, einen Paradigmenwechsel in den Managementetagen.
> Ulf Loose: Geld kann nicht nur den Charakter verderben, sondern auch die Kultur für gute Ideen negativ beeinflussen.
> Einwurf: Studie zeigt: Mitarbeiter schätzen ein anerkennendes Geschenk höher als eine finanzielle Gratifikation. Das Plus dabei ist Anerkennung.
> Werner Schmidt: Erfolgreiches Ideenmanagement braucht mehr als Lippenbekenntnisse des Topmanagements!
> Gerd Zillmer: Es gilt, Synergien zwischen IDM und Wissensbilanz zu nutzen. UND: Organisationen dazu veranlassen, Wissen zu teilen.
> Zillmer warnt aber auch: Wissen kann auch gefährlich sein. Stichwort wikileaks.  

Es folgen angeregte Diskussionen an den 16 Fünfer-Tischen, die ringsum im Saal aufgebaut sind. Jeweils drei "Experten" und zwei "Botschafter", die an andere Tische wechseln und Fragen überbringen, fördern zutage, was die versammelten Ideenmanager umtreibt.


Reflexion Denklandschaften: Fragen an das Ideenmanagement


> Wie können wir sicherstellen, dass Innovationen erkannt werden - und wie, dass wir Innovationen erkennen?
> Wie sieht wertschätzende Anerkennung aus und was kann in Unternehmen dafür getan werden?
> Mit welchem Handwerkszeug lässt sich eine kreative Unternehmenskultur fördern?
> Ist ein einheitliches Prämiensystem international überhaupt möglich?
> Braucht man Wissen für Ideen?
> Wie Kreativität in bestehenden Strukturen leben?
> Wie viele Ideen verträgt ein Unternehmen?
> Wie lässt sich Ideenmanagement besser und effektiver ohne Prämien gestalten? Wie lassen sich Geldprämien herunterfahren und andere Systeme entwickeln?
> Wie kann man das Topmanagement dazu bringen, Ideenmanagement toll zu finden?
> Welche Chance gibt es, das Topmanagement von Lippenbekenntnissen wegzubringen?
> Wie steigert man die Qualität von Ideen?
> Wie wird Ideenmanagement zu einem Support-Prozess? Ist es das überhaupt? Soll es das sein? Ist der Ideenmanager Dienstleister?
> Wie schafft man kreative Parallelstrukturen und kreative Freiräume?
> Wie ist der Paradigmenwechsel hin zu kreativen Unternehmen zu schaffen?
> Wie kann der Brückenschlag zwischen klassischem Ideenmanagement und der Facebook-Generation gelingen?  

Wie wird das kreative Unternehmen möglich? Wie schafft man kreative Parallelstrukturen? Wie den Paradigmenwandel im Management? Wie sieht ein angemessenes Prämiensystem für gute Ideen aus? Diese Fragen sind es vor allem, die die Diskussion in der die Denklandschaften abschließenden Fishbowl prägen. Immer wieder kehrt die Diskussion zur Frage der Gratifikation zurück. Dass man Ideen wertschätzen muss, dass man ein Klima schaffen muss, in dem sie zum Fliegen kommen, das haben die beiden Auftakt-Irritationen von Holger Scholz eindrucksvoll vor Augen geführt. Doch wie sieht eine angemessene Belohnung für Ideen aus? Wie tariert man monetäre Prämien und Anerkennung aus? Hier herrscht ganz offensichtlich der größte Klärungsbedarf unter den Teilnehmern. Wie wichtig Wertschätzung und eine offene Ideenkultur sind, das brachte am Ende ein Teilnehmer mit einem Dank an die Veranstalter zum Ausdruck:  

> "Vielen Dank für das tolle Veranstaltungsformat - ich habe mich unglaublich wertgeschätzt gefühlt!"  


changeX 25.03.2011. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Dominik Fehrmann
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Dominik Fehrmann ist freier Journalist in Berlin. Er schreibt als freier Mitarbeiter für changeX.

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Winfried Kretschmer
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Winfried Kretschmer ist Chefredakteur und Geschäftsführer von changeX.

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