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Ich fühle, also bin ich

Christian Mikunda erklärt, warum wir uns Gefühle kaufen.
Text: Annegret Nill

Früher waren es Tempel und Kathedralen, die in Menschen Hochgefühle auslösten. Heute bedienen sich Unternehmen der grandiosen Inszenierung, um ihre Kunden zu begeistern. Der Mensch ist nämlich auch Homo aestheticus: Ich fühle, also bin ich.

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In früheren Zeiten waren es Tempel und Kathedralen, die in den Gläubigen kathartische Gefühle von Ehrfurcht, Demut und Freude auslösten. Ehrfurcht und Demut ob der in den Himmel ragenden Architektur, Freude ob der farbigen Statuen oder der bemalten Glasfenster. Heute bedienen sich Unternehmen bewusst dieser einst mit dem Religiösen verbundenen Hochgefühle, um ihre Kunden in Kauflaune zu versetzen. Nicht umsonst ist von Konsum-Tempeln die Rede, wenn es um große Kaufhäuser oder Einkaufszentren geht, nicht umsonst heißt die Halle des Luxushotels Faena in Buenos Aires „La Catedral“ – und erinnert mit ihren Seitenpfeilern und dem langen hohen „Schiff“ auch an eine solche.
In seinem Buch Warum wir uns Gefühle kaufen. Die 7 Hochgefühle und wie man sie weckt erklärt der Theater- und Medienwissenschaftler Christian Mikunda, wie und warum sich heute Unternehmen der ganz großen Gefühle bedienen, die früher der Verehrung des Heiligen und allenfalls noch von Kaisern und Königen vorbehalten waren. Der Mensch, meint Mikunda, der Autofirmen, Museen und Städte dramaturgisch berät, ist nicht nur Homo sapiens und Homo ludens, er ist auch Homo aestheticus: „Ich fühle, also bin ich.“


Sieben Hochgefühle.


Sieben Hochgefühle der Menschheit macht er aus, die er von den sieben Todsünden des frühen Mittelalters ableitet: Hochmut, Habgier, Neid, Zorn, Wollust, Völlerei und Trägheit. Diese sind ein altes Motiv; sie haben schon die Fantasie vieler Maler und Autoren gereizt. Bei Mikunda wird diesen Sünden nun jeweils eine andere, positive Seite zugeordnet, die, so behauptet er, Heilkraft besitzt. Da wird Hochmut zu „Glory“, dem Gefühl des Erhabenen. Völlerei wird zu „Joy“, einer Art von visuellem „Freudentaumel“, den ein „Füllhorn“ an wohlgeordneten bunten Waren auslösen kann. Die positive Seite des Zorns ist „Power“: die „Kraftstärke“, die man fühlt, wenn man der Wildnis trotzt oder in einem Auto mit Vierradantrieb sitzt. „Bravour“, worunter Mikunda besonderes Können, raffinierte Lösungen oder auch das Imponiergehabe fasst, entwickelt er aus Neid. „Desire“, die Begierde erklärt er zur positiven Seite von Habgier und aus der Wollust wird „Intensity“, die Verzückung, eine höhere „Intensität des Erlebens“. Der Trägheit schließlich entspricht im Positiven der Chill, die Entspannung: „Chill ist das ‚Fasten von Sinnesempfindungen‘, die uns zu viel werden“, schreibt Mikunda.
Eine gelungene Inszenierung folgt immer der gleichen Dramaturgie: auslösen, einfühlen, nachwirken. Sie kann auch zwei Hochgefühle gleichzeitig im Betrachter auslösen – als „Prinzipien“ bezeichnet der Autor solche Kombinationen. Das Rio-Prinzip beispielsweise nennt er die Kombination von Glory und Joy. Erhaben seien die „tempelhaften“ Berge und die „Inselberge“ im Atlantik vor Rio de Janeiro. In einen Freudentaumel dagegen versetzt „das weiße Häusermeer an den Stränden von Copacabana, Ipanema und Leblon“: „Das ausgewogene Verhältnis von Glory und Joy bei gleichzeitig höchster Ausdrucksstärke bewirkt die überwältigende Schönheit von Rio de Janeiro.“


Nicht den Kunden vergessen.


Aber Vorsicht, das Verhältnis muss harmonisch sein. Sonst kippt das „Tempelgefühl, das die Kunden auf ein Podest hebt“, in das des Hochmuts – wenn sich nämlich Marken in ihrer Inszenierung nur noch selbst feiern und die Kunden vergessen. Ein Problem, mit dem sich vor allem „Brandlands“ und „Design-Malls“ auseinandersetzen müssen, meint Mikunda. Die Inszenierung im „Atriumstempel“ des Mercedes-Benz-Museums in Stuttgart beispielsweise vermeide das Umkippen ins Hochmütige, indem sie den ersten Automobilen, die sich auf der Leuchtplattform hoch oben drehen, verspielt inszenierte Details aus der Automobilgeschichte entgegensetzt.
Mit Mikunda erscheint das Leben wie eine riesige Spielwiese. Er nimmt die Leser mit auf einen Parforceritt von Wien über New York, Las Vegas, Dubai und Tokio bis zu den gigantischen Wasserfällen des südamerikanischen Stromes Iguazú. Überall, wo es etwas Spektakuläres zu sehen gibt, ist Mikunda und erklärt, was dem Spektakel zugrunde liegt. Welches Phänomen welche Gefühle erweckt und warum. Mikunda versteht sich auf Verkauf und Inszenierung. Das merkt man seinem Buch an. Einige seiner Beschreibungen sind Perlen – beispielsweise die Teilnahme am Karneval in Rio oder die Fahrstuhl-Szene im Nicolas G. Hayek Center auf der Ginza von Tokio. Sie bringen die Inszenierung plastisch vor Augen und erwecken in den Lesern den Wunsch, jetzt dort zu sein und genau das zu sehen: Sie erwecken also Desire, wie Mikunda das nennt, der den Gefühlen und Begierden, die er zum Verkauf bietet, etwas penetrant englische Namen verpasst. Die Fotos, mit denen manche der Wort-Inszenierungen ergänzt werden, geben Erhabenheit und Opulenz punktgenau wider. Auch das Buch-Design inszeniert die Grandiosität der thematisierten Hochgefühle. Schon der Buchumschlag lockt mit schlanker Goldschrift auf tiefschwarzem Hintergrund. Die Seiten des Buchs sind dicker als gewöhnlich, die Schrift ist größer und klarer, das Einschlagblatt golden. Das Papier gleitet durch die Finger und fühlt sich einfach gut an.


Natur und Hochgefühl.


Was dem Buch dagegen leider völlig fehlt, ist eine Reflexion der Auswirkungen inszenierter Hochgefühle in Bezug auf Klima und Nachhaltigkeit. Das einfachste Beispiel: Autos mit Vierradantrieb. Sie mögen Power-Gefühle verleihen, sind aber auch großartige Ressourcenfresser – und tragen so zur Erderwärmung bei. Ähnliche Einwände lassen sich bei mehreren Inszenierungen finden. Die Natur spielt bei Mikunda zwar durchaus eine Rolle – aber nur als grandiose Kulisse, als Lieferant von Hochgefühlen, nicht als erhaltenswerte Lebensgrundlage. Eben das – das Hochgefühl, das Natur auslösen kann – ist ein starkes Argument für ihre Erhaltung.


changeX 19.11.2009. Alle Rechte vorbehalten, all rights reserved.

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Zum Buch

: Warum wir uns Gefühle kaufen. Die 7 Hochgefühle und wie man sie weckt. Econ Verlag, Berlin 2009, 272 Seiten, ISBN 978-3-430-20068-4

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Autorin

Annegret Nill
Nill

Annegret Nill arbeitet als freie Journalistin, Autorin und Moderatorin in Berlin. Sie schreibt als freie Autorin für changeX.

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