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Bloß kein business as usual!

Marktorientierte Innovation - das neue Buch von Clayton M. Christensen und Michael E. Raynor.

Von Nina Hesse

Das Timing ist alles. Noch während das Kerngeschäft floriert, sollten Unternehmen systematisch neue Geschäftsfelder aufstöbern - und nicht die Nase darüber rümpfen, dass dort nicht gleich das große Geld zu holen ist. Denn wer das tut, verpasst womöglich neue Wachstumschancen.

Wachsen - ja, das würden die Unternehmen zurzeit alle gern. Nicht nur, weil nur das die Gewinne ins Sprudeln bringt. Sondern auch, weil der Kapitalmarkt stagnierende Unternehmen gnadenlos bestraft. Das Problem: Ist das Wachstum einmal zum Stillstand gekommen, ist es sehr schwer, es wieder in Gang zu bringen. Dafür muss das Management es schon schaffen, neue Geschäftsfelder zu erschließen. Doch das ist riskant. Selbst Branchenriesen wie der Telekommunikationskonzern AT&T haben sich beim Versuch, in neue Sparten zu expandieren (in diesem Fall Computer und Mobilfunk) bös verspekuliert - AT&T zahlte dafür 50 Milliarden Dollar Lehrgeld.

Auf Revolutionen setzen.


Clayton Christensen und Michael Raynor haben eine sorgfältig strukturierte Anleitung verfasst, wie man es anstellt, nicht nur einmal, sondern regelmäßig neue Geschäftsfelder aufzuspüren und zu erschließen. In spröder Sprache fachsimpeln sie über "Innovationen" und geben dem, der die Lektüre durchhält (die Anmerkungen zu den Kapiteln sind oft fast so lang wie das eigentliche Kapitel), neben Allgemeinplätzen und sehr detaillierten Beispielen auch einige wertvolle Anhaltspunkte mit auf den Weg. Man spürt, dass sie in ihrem Buch auch eine Lehre aus Internetboom und New Economy-Zeiten ziehen - damals war wie in einem riesigen Labor zu beobachten, wie man es schafft, neue Ideen durchzusetzen oder warum manche mit ihnen gescheitert sind.
Wichtig ist vor allem die Unterscheidung zwischen evolutionären und revolutionären Innovationen. Erstere verbessern ein bestehendes Produkt. Diese Art von Innovation lässt sich sehr gut in einem großen Unternehmen umsetzen. Revolutionäre neue Produktideen, also Dinge, die komplett anders und besser sind, sind dagegen gute Chancen für Marktneulinge, während der Branchenführer auf die Umwälzungen meist reagiert wie ein Kaninchen vor der Schlange. Vor diesen Newcomern müssen sich die Giganten in Acht nehmen, denn sie (und oft nur sie) können die Alteingesessenen entthronen. Das historische Beispiel dazu: RCA, General Electric und AT&T konnten dem Marktführer IBM nichts anhaben - aber die Einführung des PCs überlebte er nicht. Andere revolutionäre Innovationen waren zum Beispiel E-Mail, Flachbildschirme und Einwegkameras - sie alle machten Furore und mauserten sich zu Verkaufsschlagern.
Der Rat der Autoren: "Sie müssen Ihr potenzielles Geschäft so definieren, dass es sich auf sämtliche etablierten Mitspieler im Zielmarkt revolutionär auswirkt. Ansonsten sollten Sie die Finger von der Idee lassen."

Kleine Märkte nicht vernachlässigen.


Aber wie begibt man sich nun auf den Weg zu solchen Erfolgsstorys? Der Weg ist, gelinde gesagt, steinig. 60 Prozent der Produktentwicklungen werden eingestampft, bevor sie überhaupt auf den Markt kommen, andere verlassen die Regale schnell wieder. Christensen und Raynor regen zu einem grundlegenden Umdenken an: Marktsegmentierungen beruhen fälschlicherweise auf Merkmalen von Produkten und Kunden. Besser, die Dinge anders zu betrachten und von den Umständen auszugehen, unter denen Kunden Produkte kaufen und nutzen. Oder als Ausgangspunkt Aufgaben zu nehmen, die sie erledigen möchten.
Ist eine gute Idee unter Dach und Fach, gilt es, sie unters Volk zu bringen. Gute Chancen bieten hier die bisherigen "Nichtkunden" oder "Kaufabstinenzler", die sich bewusst zurückhalten, weil für ihre Bedürfnisse noch keine Lösung greifbar ist. Wer ihre Gunst erobern kann, der hat eine dankbare und kaufkräftige Zielgruppe bei der Hand. Aber Achtung: Viele marktbeherrschende Unternehmen machen den Fehler, revolutionäre Innovationen im Stammgeschäft unterzubringen und einfach so "mitlaufen" zu lassen. Oft fühlen sie sich von der neuen Technik bedroht, weil sie attraktiver ist als viele andere Produkte des Unternehmens. Dermaßen vernachlässigt, kann sich das revolutionäre Produkt nicht ungehindert den Weg auf den Markt bahnen und ersäuft kläglich in den Untiefen der Konzernbürokratie. Denn wenn in einem Bereich nicht gleich das große Geld zu holen ist, rümpfen große Unternehmen oft die Nase. Obwohl sie die Ressourcen hätten, diese Märkte erfolgreich zu erobern. Mahnend geben die Autoren zu Protokoll: "Schnell wachsende Unternehmen büßen die Fähigkeit ein, kleine Märkte zu erschließen. Dabei übersehen sie, dass das die Wachstumsmärkte von morgen sind."
Eine mögliche Lösung für das Problem: Ausgliedern. Die Verantwortung für die Innovation an eine eigenständige Geschäftseinheit übertragen, die sie als Chance begreifen darf. Und dann die Gewinne einstreichen.

Wer nimmt die Dinge in die Hand?


Solche Maßnahmen wirken sich schon auf die Unternehmensarchitektur aus. Auch auf sie sollte man einen scharfen Blick werfen, damit Chancen nicht ungenutzt verstreichen, mögliche neue Geschäftsfelder nicht zerredet werden und gezielt immer wieder Innovationen produziert werden. Ein besonderes Augenmerk richten die Autoren dabei auf das Thema Outsourcing, also auf die Entscheidung, welche Aufgaben ein neues Unternehmen selbst wahrnimmt und welche es bei Lieferanten und Partnern einkauft - denn das beeinflusse die Erfolgschancen einer Innovation in hohem Maße. Aber auch andere Fragen entscheiden über Wohl und Wehe: Wem im Unternehmen sollte man die Verantwortung über ein neues Produkt geben? Was für Teams braucht man zum Entwickeln von Innovationen? Welche Manager und Geschäftseinheiten eignen sich dafür? Sollte man damit lieber einen alten Hasen beauftragen oder einen jungen Dynamiker mit unverstelltem Blick? Eher der Dynamiker, so das Fazit der Autoren. Denn "ausgerechnet diejenigen Fähigkeiten, die den Erfolg im Stammgeschäft gewährleisten, bremsen die Erschließung neuer Geschäftsfelder oder verhindern sie sogar." Also bloß kein business as usual!
Doch selbst wenn es ein tolles, neuartiges Produkt auf den Markt geschafft hat, kann das Unternehmen damit noch baden gehen. Denn selbst das exklusivste und begehrteste Spielzeug für Technikfreaks wird über kurz oder lang zum Massenprodukt. "Die Standardisierung ist meist unvermeidlich", so Christensen und Raynor. Nachahmer treten auf den Plan, Konkurrenten lassen ihre Werke in Billiglohnländern auf Hochtouren produzieren. Kurz, die Preise fallen. Irgendwann rufen Flachbildschirme eben nicht mehr Ooohs und Aaahs hervor, sondern es steht einer von ihnen auf jedem Schreibtisch. Statt diesen "Niedergang" zu beklagen (denn ein solcher ist es aus der Perspektive der Unternehmen), raten die Autoren, auf eine Gegenentwicklung bei Subsystemen oder benachbarten Prozessen zu achten. Denn dort wird auch dann noch Geld verdient, wenn der Rest zum Massenprodukt geworden ist.

Weit genug nach vorne blicken.


Trotz all dieser Tipps bleibt das Entwickeln von Innovationen ein schwieriges Geschäft. Denn das Timing, das dafür nötig ist, widerspricht der menschlichen Natur. "Das Dilemma bei Investitionen in neue Wachstumsfelder besteht darin, dass schon dann in neues Wachstum investiert werden sollte, wenn das Kerngeschäft noch wächst." Der Grund: Sobald im Kerngeschäft nicht mehr so viel Gewinn gemacht wird, sprudeln die Gelder, die man zum Erschließen von neuen Geschäftsfeldern braucht, nicht mehr. Ein Teufelskreis. Außer, man durchbricht ihn systematisch: "Schaffen Sie kleine Geschäftseinheiten, die geduldig auf Wachstum warten können!"
Klingt eigentlich logisch. Warum macht es dann keiner? Die Erkenntnisse der Autoren sind ernüchternd: "In den meisten Unternehmen, die auch in den späteren Phasen ihrer Entwicklung erfolgreich revolutionäre Innovationen auf den Markt brachten, hatten noch die Gründer das Sagen." Und die agieren anscheinend vorausschauender als viele der hoch bezahlten Manager in den Konzernetagen.

Nina Hesse ist freie Mitarbeiterin von changeX.

Clayton M. Christensen / Michael E. Raynor:
Marktorientierte Innovation.
Geniale Produktideen für mehr Wachstum,

Campus Verlag, Frankfurt/New York 2004,
296 Seiten, 39.90 Euro,
ISBN 3-593-37563-X
www.campus.de

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Zum Buch

: Marktorientierte Innovation. . Geniale Produktideen für mehr Wachstum. . Campus Verlag, Frankfurt/New York 1900, 296 Seiten, ISBN 3-593-37563-X

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Nina Hesse

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