Drei Liter - Hubraum
Ausgebremst - das neue Buch von Helmut Becker.
Von Sigmar von Blanckenburg
Die Deutschen und ihr Auto. Das ist nicht nur eine Liebesbeziehung, sondern eine ökonomische Erfolgsstory. Jeder siebte Arbeitsplatz hierzulande hängt von der Automobilindustrie ab. Doch die steckt tief in der Krise. Sagt der Branchen-Insider Helmut Becker. Zu groß, zu teuer und zu wenig innovativ sind ihre Produkte, zu selbstverliebt ist ihr Management. Zeit, sich auf die eigenen Kernkompetenzen zu besinnen und durch Innovationen neue Maßstäbe zu setzen. / 26.10.07
Becker Cover"Wir wollen die Nummer eins in der Automobilindustrie werden!" So Mercedes-Chef Jürgen Schrempp im Jahr 2000. Was er nicht sagte: Mercedes war zu dieser Zeit noch die weltweit bekannteste Marke mit der höchsten Wertigkeit. Schrempp indes verstand unter Größe und Ansehen wohl etwas ganz anderes. Vielleicht litt er an dem, was der ehemalige BMW-Chefvolkswirt und heutige Leiter des Instituts für Wirtschaftsanalyse und Kommunikation Helmut Becker das "Neuschwanstein-Syndrom" nennt: Statt sich auf ihr Kerngeschäft zu besinnen und konkurrenzfähige Produkte herzustellen, machen deutsche Unternehmen besonders mit Mammutprojekten zur eigenen Verherrlichung auf sich aufmerksam. Die deutsche Autoindustrie führt beispielhaft vor, so Becker, wie man sich ohne Not ins Abseits manövriert. Das ist für den durchschnittlichen Arbeitnehmer oder Kleinunternehmer vor allem deswegen von Interesse, weil vielleicht auch sein Arbeitsplatz direkt oder indirekt von der Autoindustrie abhängt. Wie jeder siebte Arbeitsplatz in Deutschland.

Drei Liter - Hubraum statt Verbrauch.


Obwohl die Konzerne schwarze Zahlen schreiben, machten die meisten wegen der geringen Produktivität im Verhältnis zum Lohn an deutschen Standorten nur wenig Gewinn, so Becker. Und dass diese Probleme von den Unternehmen auf die Zulieferer abgewälzt werden, führe zu Qualitätsverlusten. Paradebeispiel für die Sanierung eines Autokonzerns auf Kosten seiner Zulieferer ist das Wirken von José Ignacio L� pez und seiner "Krieger" in den Jahren 1993 bis 1996 bei VW. Das Beispiel habe leider Schule gemacht, beklagt Becker. Die Folge: Ein Zulieferer nach dem anderen gehe am Preisdruck zugrunde und es bleibe kaum Spielraum für wirklich konkurrenzfähige Innovationen. Das Management der Autokonzerne dagegen sei häufig zu sehr mit sich selbst beschäftigt und verschlafe so manche wichtige Entwicklung. Zum Beispiel die Klimadebatte.
Im Vergleich zu den Japanern etwa steht die deutsche Autoindustrie, die früher als umweltfreundlich galt, derzeit ziemlich dumm da. Die freiwillige Selbstverpflichtung, den Kohlendioxid-Ausstoß zu senken, war nicht eingehalten worden. Stattdessen hatte man bei VW, Porsche, BMW und Audi auf den falschen Trend gesetzt und musste sich für die Produktion luxuriöser Zwei-Tonnen-Ungetüme wie dem Porsche Cayenne oder dem VW Touareg rechtfertigen. Die Entschuldigung, "der Markt" und "die Verbraucher" würden sich nun mal viel mehr für diese Luxusgeschöpfe interessieren, ließ jedoch kaum jemand gelten. Während Toyota seinen umweltfreundlichen Hybrid angeblich auch mit Verlust produzierte, um die Kunden mit der Technik vertraut zu machen, nahmen VW und Audi ihre Drei-Liter-Autos Lupo und A2 kleinmütig aus der Produktion. Dazu bemerkte Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber: "Sarkastisch könnte man sagen, die deutsche Automobilindustrie arbeitet am Drei-Liter-Auto, nur leider nicht mit drei Liter Kraftstoffverbrauch, sondern mit drei Liter Hubraum im Flottendurchschnitt."

Verschwendungssucht gepaart mit Größenwahn.


Aber auch die Gesinnung der Führungskräfte gefährde die Zugpferde der deutschen Wirtschaft, kritisiert Becker. Ein gefundenes Fressen das Beispiel Volkswagen: "In den Topetagen bei VW bestach und erpresste fast jeder jeden, und alle zusammen plünderten sie das Unternehmen aus, das sie ohnehin fürstlich bezahlte. Zusammengeschweißt wurde das 'Team' von Managern und vorgeblichen Kontrolleuren durch Geld, Machtmissbrauch und gemeinsame Rotlichtabenteuer. Viele Topmanager des Konzerns und ihre Co-Manager von der IG Metall spielten den Playboy, VW bezahlte." Schlimm hätten sich auch die Visionen der Mercedes-Bosse Edzard Reuter und Jürgen Schrempp ausgewirkt: Reuters Idee vom "integrierten Industriekonzern" und Jürgen Schrempps gescheiterte "Welt-AG" sollen den Konzern 100 Milliarden Euro gekostet haben. Statt andere Unternehmen einzukaufen, wäre es besser gewesen, die Konkurrenz mit besseren Produkten auf Distanz zu halten, so Becker.
Denn der Konkurrenzdruck aus dem Fernen Osten hat sich gewaltig erhöht. Angesichts dieser Herausforderung sei es umso wichtiger, dass sich deutsche Unternehmen wieder auf ihre Kernkompetenzen besännen und durch Innovationen Maßstäbe setzten. Noch ist dafür Zeit. Die Krise ist jedenfalls auch als Chance zu begreifen. Wie sagte der ehemalige BMW- und VW-Vorstand Pischetsrieder: "Wenn man ein großes Unternehmen verändern will, benötigt man dafür nicht nur Zeit, sondern eventuell auch eine kleine Krise." Beckers Recherchen und sein Hintergrundwissen leisten einen Beitrag dazu, das Bewusstsein für diese Krise zu schärfen. Das tut auch not, denn auf den Wachstumsmotor Autoindustrie kann die deutsche Wirtschaft nicht verzichten.

Sigmar von Blanckenburg ist freier Mitarbeiter bei changeX.

Helmut Becker:
Ausgebremst.
Wie die Autoindustrie Deutschland in die Krise fährt,

Econ Verlag, Berlin 2007,
391 Seiten, 22.90 Euro,
ISBN 978-3-430-30019-3
www.econ.de

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: Ausgebremst. . Wie die Autoindustrie Deutschland in die Krise fährt. . Econ Verlag, Berlin 1900, 391 Seiten, ISBN 978-3-430-30019-3

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Sigmar von Blanckenburg

Sigmar von Blanckenburg schreibt als freier Autor für changeX.

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